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Archiv "Europäischer Kardiologenkongress in Paris: Versorgungslücken und Innovationen" (23.09.2011)

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A 1964 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 38

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23. September 2011

EUROPÄISCHER KARDIOLOGENKONGRESS IN PARIS

Versorgungslücken und Innovationen

Während es in armen Ländern an der medikamentösen Grundversorgung mangelt, boomt in den Industrienationen der medizintechnische Fortschritt.

D

as ist ein globales Versagen“, rief Prof. Dr. med. Salim Yu- suf in den Saal. Der bekannte Epi- demiologe und Kardiologe von der McMaster University in Hamilton (Kanada) meinte damit nicht die Hungersnot in Afrika oder die Fi- nanzkrise. Sein Zorn richtete sich gegen massive Versorgungslücken bei der Sekundärprävention von Pa- tienten nach Herzinfarkt und Schlaganfall, deren tatsächliches Ausmaß durch die Studienergebnis- se von PURE (Prospective Urban Rural Epidemiology) evident ge-

worden sind. Die zur Verfügung stehenden protektiven Medikamen- te seien erwiesenermaßen wirksam, sicher und preiswert. „Dennoch werden sie weltweit so gut wie gar nicht eingesetzt“, sagte Yusuf beim Jahreskongress der European So- ciety of Cardiology (ESC) in Paris.

Seine Arbeitsgruppe hatte un - tersucht, zu welchem Prozentsatz Patienten nach Herzinfarkt oder Schlaganfall mit Thrombozyten- hemmern, Betablockern, Statinen, ACE-Hemmern, Angiotensin-Re- zeptorblockern oder Antihypertoni- ka versorgt werden. Dafür wurden

154 000 Personen im Alter zwi- schen 35 und 70 Jahren aus Län- dern mit unterschiedlichem ökono- mischen Status befragt. Aus diesem Kreis wurden rund 8 000 Patienten identifiziert, die einen Schlaganfall (n = 2 292) oder einen Herzinfarkt (n = 5 650) erlitten hatten.

Dass sich eine Diskrepanz in der Versorgung zwischen reichen und armen Staaten ergeben würde, hat- ten die Untersucher erwartet – nicht aber ein solches Ausmaß: Während in reichen Ländern etwa zehn Pro- zent der Patienten und in Schwel-

lenländern 50 Prozent keine medi- kamentöse Sekundärprophylaxe er- hielten, waren es in den armen Län- dern sogar mehr als 80 Prozent.

Selbst die kostengünstige Acetyl- salicylsäure (ASS) wird weit weni- ger eingesetzt, als man vermuten würde: In Industrieländern wie Ka- nada und Schweden nahmen nur 62 Prozent der Patienten ASS zur se- kundären Thromboseprophylaxe, in Ländern mit mittlerem Einkommen wie Brasilien, Polen oder China wa- ren es 20 bis 25 Prozent, in armen Ländern wie Pakistan oder Simbab- we gerade mal neun Prozent.

Ähnlich sind die Verbreitungs- werte für Statine: 66 Prozent in rei- chen Ländern, vier bis 17 Prozent in Ländern mit mittleren Einkom- men und drei Prozent in Entwick- lungsländern. Für alle Arzneimittel- gruppen gilt, dass Landbewohner grundsätzlich geringere Chancen als Stadtbewohner haben, präventiv versorgt zu werden. Eine Verbesse- rung gerade in armen Ländern ver- spricht sich Yusuf durch eine stär- kere Einbindung von „health care worker“ in die lokale Arzneimittel- versorgung der Bevölkerung.

In der anschließenden Diskussi- on gab Prof. Aldo Pietro Maggioni, Florenz, zu bedenken, dass die durch PURE aufgedeckten Unter- schiede in der Sekundärprävention möglicherweise weniger vom na- tionalen Einkommensstatus abhän- gen als vielmehr von den jeweiligen Rückerstattungs-Modalitäten. Eine weltweite Verbesserung der kardio- vaskulären Gesundheit verspricht er sich eher durch eine Beeinflus- sung der Risikofaktoren und des Lebensstils als durch eine flächen- deckende Arzneimittelversorgung.

Zeitgleich zum ESC-Kongress wur- TABELLE

Versorgung mit kardiovaskulären Arzneimitteln zur Sekundärprävention bei Patienten mit KHK oder Schlaganfall – gestaffelt nach nationalem ökonomischen Status

hohes Einkommen: Kanada, Schweden, Vereinigte Arabische Emirate / hochmittleres Einkommen: Argentinien, Brasilien, Chile, Malaysia, Polen, Südafrika, Türkei / niedrigmittleres Einkommen: China, Kolumbien, Iran / geringes Einkommen: Bangladesh, Indien, Pakistan, Simbabwe

Modifiziert nach: Prospective Urban Rural Epidemiology Study, Lancet doi:10.1016/S0140–6736 (11)61215–4 Thrombozytenhemmer (ASS)

Betablocker

ACE-Hemmer und Angiotensin- Rezeptorblocker

Antihypertonika Statine

hohes Einkommen

(%) 62,0 40,0 49,8 73,8 66,5

hochmittleres Einkommen

(%) 24,6 25,4 30,0 48,4 17,6

niedrig mittleres Einkommen

(%) 21,9 10,2 11,1 37,4 4,3

geringes Einkommen

(%) 8,8 9,7 5,2 19,2 3,3

Gesamt (%)

25,3 17,4 19,5 41,8 14,6

M E D I Z I N R E P O R T

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Deutsches Ärzteblatt

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23. September 2011 A 1965 de die Studie in Lancet veröffent-

licht (doi:10.1016/S0140–6736[11]

61215–4). Angesichts der rapiden Zunahme von kardiovaskulären Er- krankungen in Entwicklungs- und Schwellenländern fordert Prof. An- tony M. Heagerty, Manchester, die Pharmaindustrie in einem beglei- tenden Editorial auf, ähnlich wie bei HIV kostengünstige Generika zur Verfügung zu stellen.

TAVI: Bisher keine Hinweise auf Klappendegeneration

Die rasche Fortentwicklung der in- terventionellen Kardiologie spiegel- te sich im ESC-Kongressprogramm wider. So sind beispielsweise inzwi- schen weltweit über 30 000 Aorten- klappen per Katheter implantiert worden. Die TAVI (Transkatheter- Aortenklappenimplantation) gilt als alternative Therapie für betagte Pa- tienten mit hochgradiger symptoma- tischer Aortenklappenstenose und hohem Operationsrisiko. Noch aber fehlen Daten zur Haltbarkeit und den langfristigen hämodynamischen Auswirkungen.

Erste Eindrücke vermittelt eine Studie aus dem Deutschen Herz- zentrum München. Wie Dr. med.

Anke Opitz berichtete, hatte man dort 393 TAVI-Patienten (Medtro- nic CoreValve, mittleres Alter 80 Jahre, Euroscore 19,1 Prozent) für maximal drei Jahre nachbeobachtet:

„Die klinische Situation der Pa - tienten verbesserte sich signifikant.

Zudem haben wir echokardiogra- phisch weder strukturelle noch nichtstrukturelle Veränderungen an den Kunstklappen beobachtet.“ Die Klappenöffnungsfläche war im Mit- tel von 0,7 auf 1,5 cm2 (p < 0,001) angestiegen und der transvalvuläre Druckgradient sank von 78 auf 18 mmHg (p < 0,001). Zwei Drittel der Patienten entwickelten zwar eine – überwiegend leichtgradige – para- valvuläre Aorteninsuffizienz. „Die- se blieb aber mehrheitlich klinisch unauffällig“, sagte Opitz.

TAVI hatte seine Premiere 2002 an der Universitätsklinik von Rou- en, inzwischen sind dort circa 4 000 Patienten kathetergestützt behan- delt worden. Aus diesem Team stellte Dr. Matthieu Godin eine Analyse mit 177 Patienten vor, de-

nen im Zeitraum von 2006 bis 2011 eine Edwards-Sapien- oder Sapien- XT-Herzklappe implantiert worden war. An dieser Studie nahmen al - lerdings nicht nur Hochrisikopa- tienten (n = 60, mittlerer Euroscore 32,2 Prozent) teil, bei denen eine herkömmliche Operation kontrain- diziert war, sondern auch Niedrigri- sikopatienten, die wegen Komorbi- ditäten (wie mediastinale Strahlen- therapie, Porzellan-Aorta, Thorax- Deformation oder Kortisontherapie) nicht für einen operativen Eingriff infrage kamen (n = 117, mittlerer Euroscore 11,9 Prozent).

Nach den gültigen Empfehlun- gen der ESC und der European So- ciety of Cardiac Surgery sollten (nur) Patienten mit einem Euro - score über 20 Prozent per TAVI be- handelt werden. Allerdings beobach- tet man einen Trend, auch „gesün- dere“ Patienten (Euroscore über 15 Prozent) kathetergestützt zu the- rapieren. Es verwunderte die fran- zösischen Kardiologen nicht, dass nach 30 Tagen alle Patienten mit niedrigem Risiko den Eingriff über- lebt hatten, während 11,1 Prozent der Hochrisikopatienten verstorben waren (p = 0,04). Nach einem Jahr betrugen die Raten fünf Prozent respektive 24,8 Prozent (p < 0,01).

„Dieser Unterschied in der Mortali- tätsrate ist deutlicher ausgefallen, als wir erwartet hatten, und ist damit vergleichbar zum chirurgischen Ein- griff“, sagte Godin.

Beide Gruppen unterschieden sich nicht im Hinblick auf schwer- wiegende vaskuläre Komplikatio- nen (fünf Prozent Niedrigrisiko ver- sus sechs Prozent Hochrisiko), Schlaganfall (1,7 versus 0,9 Pro- zent) oder permanente Schrittma- cher-Implantation (fünf gegenüber sechs Prozent). Allerdings traten bei Patienten mit geringem Risiko we- niger lebensbedrohliche Blutun- gen auf, und sie konnten schneller aus der Klinik entlassen werden.

Godin wies darauf hin, dass der Goldstandard für Patienten mit ge- ringem Risiko nach wie vor der herzchirurgische Eingriff sei, die Ergebnisse aus Rouen aber einen Hinweis darauf geben, dass TAVI auch für Patienten mit geringem Ri- siko sicher und effektiv ist, was al-

lerdings im direkten Vergleich noch zu beweisen sei. Darüber hinaus könnte es in Zukunft sein, dass vor allem Frauen einen leichteren Zu- gang zu TAVI bekommen. In diese Richtung weist eine Studie, die als erste die geschlechtsspezifischen Unterschiede dieser neuen Technik untersuchte und Vorteile für das weibliche Geschlecht identifizier- te. Wie Dr. Kentaro Hayashida (In- stitut Cardiovasculaire Paris Sud, Massy) berichtete, ergab sich für Frauen eine deutlich bessere Ein- jahres-Überlebensrate (76 versus 65 Prozent).

„Der chirurgische Aortenklap- penersatz ist bei Frauen wegen ihrer geringeren Körperoberfläche, ei- nem höheren Body-Mass-Index und einer kleineren Aortenwurzel technisch anspruchsvoll“, so Hay- ashida. Das weibliche Geschlecht gilt daher als ein Risikofaktor für die Operation. Ob dieser Grundsatz auch auf TAVI zutrifft, untersuchte das französische Team an 260 Pa- tienten mit schwerer, symptomati- scher Aortenstenose.

Vorteilhafte Resultate für das weibliche Geschlecht

Das Durchschnittsalter betrug bei beiden Geschlechtern (131 Frauen, 129 Männer) 83 Jahre. Allerdings wiesen die Frauen eine günstigere Anamnese auf: Sie litten seltener an einer koronaren Herzkrankheit (49 versus 79 Prozent) und periphe- ren Gefäßerkrankungen (49 versus 79 Prozent), hatten eine höhere linksventrikuläre Ejektionsfraktion (54 versus 47 Prozent) und einen geringeren Euroscore (22,3 versus 26,2 Prozent). Der kathetergestütz- te Klappenersatz (Typ Edwards 85,4 Prozent, Corevalve 14,6 Pro- zent) wurde bei 91 Prozent der Frauen und 88,4 Prozent der Män- ner erfolgreich durchgeführt – ein nicht signifikanter Unterschied (p = 0,52). Die Einjahres-Überle- bensrate aber fiel für die Frauen günstiger aus: Sie betrug 76 Prozent im Vergleich zu 65 Prozent bei den Männern (p = 0,022). Das männli- che Geschlecht ist damit ein unab- hängiger Risikofaktor für die Mor- talität nach TAVI.

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

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