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Archiv "Forschung an Nichteinwilligungsfähigen: Diskussionsbedarf" (25.07.1997)

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achdem die Frage der For- schung an nichteinwilligungs- fähigen Probanden bislang vornehmlich in den Vorstän- den der – interessierten – medizini- schen Fachgesellschaften behandelt wurde, ist zu begrüßen, daß die „Zen- trale Ethikkommission“ bei der Bun- desärztekammer mit ihrer Stellung- nahme (DÄ, Heft 15/1997) eine Dis- kussion innerhalb der gesamten Ärz- teschaft in Gang gesetzt hat.

Es ist zu begrüßen, daß die Kom- mission mit ihrer Stellungnahme nicht der „Menschenrechtskonvention zur Biomedizin“ des Europarates beige- treten ist, daß die Kommission sich nicht einige ethisch bedenkliche Emp- fehlungen aus H. Helmchen und H.

Lauter „Dürfen Ärzte mit Demenz- kranken forschen?“ (Stuttgart, 1995) zu eigen gemacht hat und daß die Kommission feststellt, daß niemand ohne seine Einwilligung für die Inter- essen anderer „instrumentalisiert“

werden darf (I, 3). Damit hält sie an der Kernnorm des Nürnberger Ärzte- Kodex fest, der freilich als Bezugs- punkt hätte erwähnt werden sollen.

Konsequenzen

Unvollständig bedacht erscheint hingegen, daß die Kommission diese Grundposition mit der Auffassung re- lativiert, man dürfe einer Person ge- ringfügige Risiken zumuten, wenn da- mit anderen eine große Hilfe erwiesen werden kann. Die im Kontext der Stel- lungnahme gemeinte Grundlagenfor- schung („fremdnützige“ Forschung) ist wohl kaum mit Tatbeständen ver- gleichbar, für die das allgemeine – auch für nichteinwilligungsfähige Personen gültige – Gebot der Hilfeleistung gilt.

Doch auf welches andere Gebot sollte dies sich sonst stützen? Auch dürfte die gesamte Fallgruppe I, 2 („mittelbarer Nutzen“) rechtlich bedenklich, zumin- dest aber in Satz 2 überzogen sein;

denn da ich fast alle Erkrankungen noch bekommen kann, würde das be- deuten, daß mir geradezu beliebige kontrollierte Therapiestudien als mein

„objektives Interesse“ aufgenötigt würden. Hier ist die eigentlich zu for- dernde Norm der Unmittelbarkeit meines Nutzens zugunsten eines nur potentiellen mittelbaren Nutzens nicht

nur überdehnt, sondern verlassen.

Ähnliches gilt auch für die Feststellung in der Präambel, ein Verbot der kli- nischen Forschung an nichteinwilli- gungsfähigen Menschen komme ei- nem Verzicht auf therapeutischen Fortschritt gleich und sei moralisch nicht vertretbar. Bei aller Anerken- nung der letztlichen Unauflösbarkeit des ethischen Dilemmas ist dies zu pauschal und undifferenziert: Da nach bisher gültigem Recht klinische Versu- che an nichteinwilligungsfähigen Pro- banden strafbar sind, ergibt sich die Frage, ob die Kommission die Auffas- sung vertritt, daß in der Behandlung und Versorgung von relevanten Er-

krankungen bei nichteinwilligungs- fähigen Menschen in der Vergangen- heit keine Fortschritte gemacht wor- den sind oder daß Fortschritte nur durch illegales Verhalten der Forscher möglich gemacht wurden.

Zum Schluß noch eine sprachli- che, aber vielleicht folgenschwere Fra- ge: Bisher wurde im deutschen Sprachraum stets „an“ Menschen ge- forscht, um die Aufmerksamkeit dafür wachzuhalten, daß mit dieser Tätig- keit eine gewisse Verobjektivierung des Menschen unvermeidbar verbun- den ist; daher ja auch die ethischen Schutz- und Kontrollbemühungen, die

sonst überflüssig wären. In der Stel- lungnahme der Kommission wird jetzt auf einmal „mit“ Menschen geforscht.

Welche Bedeutung kann diese un- scheinbare Veränderung haben? Eine rein rhetorische und damit ideologi- sche Beschönigung und Harmonisie- rung der harten realen Schwierigkei- ten und Dilemmata (so, wie mal alle in dem „einen Boot“ der Volksgemein- schaft gesessen haben) kann damit nicht gemeint sein. Aber was sollte das

„mit“ statt dessen bedeuten? Vom La- teinischen her ergeben sich zwei Mög- lichkeiten. Entweder das „mit“ drückt den Ablativus instrumentalis aus; aber den will die Kommission – dankens- werterweise – gerade ausschließen.

Ober aber das „mit“ meint das „cum“

der Begleitung. Das aber ist aufre- gend, ja revolutionär: Forschung wird damit zu einem „Miteinander“. Pro- banden willigen nicht mehr per Unter- schrift in das ein, was Forscher-Exper- ten ihnen als zustimmungsfähig er- klären. Zwei Gruppen freier und glei- cher Bürger – Probanden und For- scher – treffen sich demnach an einem neutralen dritten Ort, weil sie gemein- sam ein soziales Gut (Forschung) selbstbestimmt produzieren wollen.

Es stimmt nicht mehr die eine Seite der anderen Seite zu, sondern beide Seiten treffen sich auf derselben Ebe- ne und unterschreiben einen Vertrag, mit dem sie einmal eine wechselseitige Abhängigkeit anerkennen.

Um abschließend nur eine der sich somit aus diesem „mit“ ergeben- den spannenden Konsequenzen zu benennen: Der für ein Forschungs- projekt zuständigen Ethikkommission muß zwingend mindestens eine Per- son als Mitglied angehören, welche die Interessen der nichteinwilligungsfähi- gen Probanden vertritt, so wie andere Mitglieder andere Interessen vertre- ten. Diese Regelung sollte die Kom- mission – nach Diskussion – schon jetzt in die endgültige Formulierung ihrer Stellungnahme aufnehmen.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus Dörner, Dr. med. Friedrich Leidinger

A-1983

P O L I T I K KOMMENTAR

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 30, 25. Juli 1997 (19)

Forschung an Nichteinwilligungsfähigen

Diskussionsbedarf

Die Stellungnahme der „Zen- tralen Ethikkommission“ bei der Bundesärztekammer „Zum Schutz nicht-einwilligungsfähiger Perso- nen in der medizinischen For- schung“ enthält Grundsätze, die

„den unabdingbaren Mindest- schutz benennen“ sollen. Die in der Stellungnahme genannten Voraus- setzungen, unter denen Forschung an Nichteinwilligungsfähigen zuläs- sig sein kann, sind allerdings nicht in allen Punkten unumstritten. Der Kommentar „Diskussionsbedarf“

setzt sich kritisch mit der Stellung- nahme auseinander und fordert einige Ergänzungen. Kli

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