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Archiv "Forschung an Nichteinwilligungsfähigen: Umstrittene Förderung" (28.01.2011)

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FORSCHUNG AN NICHTEINWILLIGUNGSFÄHIGEN

Umstrittene Förderung

Handelt es sich beim Deutschen Netzwerk für mentale Retardierung um fremdnützige Forschung ohne gesetzliche Grundlage, oder liefert das Projekt wichtige Erkenntnisse, die auch den Betroffenen zugutekommen? Eine Bestandsaufnahme

D

as Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellt Ende Februar die Förderung eines Projekts ein. Daran wäre an sich noch nichts Vermel- denswertes. Doch bei dem Projekt handelt es sich um den ethisch umstrittenen Forschungsverbund Deutsches Netzwerk für mentale Retardierung (German Mental Re- tardation Network, MRNET), des- sen Ziel es dem BMBF zufolge ist,

„für das Krankheitsbild der menta- len Retardierung neue Erkenntnisse zu den genetischen Ursachen und den diagnostischen Möglichkeiten zu gewinnen sowie Therapiemög- lichkeiten zu entwickeln“.

Für die Studie werden nach An- gaben des Vorsitzenden der Bun- desvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinde- rung, Robert Antretter, Familien mit geistig behinderten Kindern an- gesprochen, die eine humangeneti- sche Beratung suchen. Wenn die El- tern ihr Einverständnis zur Studien- teilnahme erklärten, werde die für diagnostische Zwecke gewonnene Blutprobe auch für das Forschungs- projekt verwendet und zeitlich un- begrenzt aufbewahrt. Daneben wür- den eine ausführliche Familien- anamnese erhoben und Fotografien des betroffenen Kindes erstellt.

Die Forschungsergebnisse selbst kämen den betroffenen Kindern und ihren Familien allerdings kaum zugute, kritisierte Antretter. Die bloße Einordnung der Behinderung bedeute für die Betroffenen keinen wirklichen eigenen Nutzen, da aus der Zuordnung nicht zwangsläufig konkrete therapeutische Konse- quenzen folgten. Handelt es sich demnach um fremdnützige For- schung ohne gesetzliche Grundla- ge? Nach Ansicht der Grünen-Bun- destagsabgeordneten Birgitt Ben-

der, ist dies der Fall. Denn eine gesetzliche Grundlage zu eng be- grenzten „gruppennützigen“ for- schungsmotivierten Eingriffen in die Rechte von nichteinwilligungs- fähigen Kindern beziehungsweise Erwachsenen existiere in Deutsch- land ausschließlich im Arzneimit- telgesetz (AMG), und danach sei diese Forschung verboten. Gemäß

§ 41 Absatz 2 des AMG sei eine gruppennützige Forschung nämlich bei Minderjährigen nicht zulässig, die auch nach Erreichen der Voll- jährigkeit nicht einwilligungsfähig sein werden, was bei diesem Pro- jekt der Fall sei.

„Wichtige Erkenntnisse“

Zwar räumte Antretter ein, dass man den Kindern nicht eigens für das Forschungsprojekt Blut abneh- me. Jedoch werde eine Vielzahl von Daten erhoben, die das Persönlich- keitsrecht der Kinder tangierten.

Für problematisch an dem For- schungsvorhaben hält er auch, dass international geregelte Schutzmaß- nahmen für Nichteinwilligungsfä- hige als Forschungsteilnehmer kei- ne Anwendung gefunden hätten

und die Patientenaufklärung unzu- reichend sei.

Projektkoordinator Prof. Dr.

med. André Reis, Erlangen, teilt die Bedenken nicht: „Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass für ei- nen Teil der Patienten durch unsere Forschung wichtige Erkenntnisse zu Ursachen der geistigen Behinde- rung oder Entwicklungsverzöge- rung erzielt werden konnten, die auch zu einer Verbesserung der medizinischen Betreuung von Be- troffenen geführt hat. Es ist zu er - warten, dass sich dank der erheb - lichen Dynamik der genetischen Forschung dieser Erkenntnisgewinn noch beschleunigen wird.“ Es beste- he also zweifelsohne ein Eigennutz für die Betroffenen, schreibt er an die Bundesvereinigung Lebenshilfe.

Außerdem hält er auch den Grup- pennutzen für gerechtfertigt. Dieser Gruppennutzen sei umso deutlicher zu sehen, als inzwischen auf die molekulare Ursache gerichtete The- rapiestudien bei Patienten mit Fra- gilem-X-Syndrom, eine der häu- figsten Formen der genetisch be- dingten mentalen Retardierung bei Jungen, angelaufen seien. Ergebnisse

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aus Tierversuchen gäben Anlass zur Hoffnung, dass zumindest eine Bes- serung der Symptomatik zu erzielen sei. Ohne genetische Forschung über viele Jahre zur Aufklärung der genetischen Ursache und des Ent- stehungsmechanismus wäre dies heute nicht möglich. „Es ist anzu- nehmen, dass erste Therapieansätze künftig auch für weitere genetisch bedingte Formen der mentalen Re- tardierung möglich sein werden.“

Die Bundesvereinigung Lebens- hilfe kritisierte, dass „trotz des ethisch und rechtlich fragwürdigen Forschungsansatzes“ das MRNET seit 2008 durch das Bundesfor- schungsministerium mit vier Millio- nen Euro gefördert worden sei. Das Ministerium begründete seine posi- tive Förderentscheidung damit, dass vor Beginn der Studie ein uneinge- schränkt positives Votum der feder- führenden Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Univer- sität Erlangen-Nürnberg und aller weiteren eingebundenen Ethikkom- missionen vorgelegen habe. Der jetzt vorliegende Verlängerungsan- trag um zwei Jahre sei Gegenstand einer Begutachtung durch ein inter- national besetztes Expertengremi- um gewesen. Ohne Angaben von weiteren Gründen teilte das BMBF dem Deutschen Ärzteblatt mit: „Die Gutachter haben sich aus fachlich- wissenschaftlichen Gründen gegen eine Verlängerung des Projektes ausgesprochen.“ Das Bundesfor- schungsministerium folge dieser

Anregung. ■

Gisela Klinkhammer

SCHWEIZ

Fremdnützige Forschung, unter Bedingungen

Die Wissenschaftskommission des Nationalrats ließ soeben das Humanforschungsgesetz passieren.

D

ie Schweiz ist dabei, die For- schung am Menschen in ei- nem Bundesgesetz umfassend zu re- geln und hat dazu mittels Volksab- stimmung eigens die Verfassung ge- ändert. Die Wissenschaftskommis - sion des Nationalrates (vergleichbar dem Wissenschaftsausschuss des Deutschen Bundestages) ließ am 14.

Januar 2011 das Humanforschungs- gesetz (HFG) mit 15 zu zwei Stim- men bei sechs Enthaltungen passie- ren. Das Schweizer Parlament, der Nationalrat, wird voraussichtlich in seiner Frühjahrssession darüber ab- stimmen. Mit seiner Zustimmung ist zu rechnen. Denn bereits am 7. März 2010 hatten die Schweizer Bürger in einer Volksabstimmung die Bundes- verfassung zugunsten der Human- forschung geändert.

Gemäß dem neuen Artikel 118 b erlässt der Bund nunmehr Vorschrif- ten über die Forschung am Men- schen. Er hat dabei den Persönlich- keitsrechten wie auch der For- schungsfreiheit und der Bedeutung der Forschung für Gesundheit und Gesellschaft Rechnung zu tragen.

Forschung bedarf zwar grundsätz- lich der Einwilligung der hinrei- chend aufgeklärten Person, möglich ist aber auch Forschung an Urteils- unfähigen, selbst dann, wenn sie keinen unmittelbaren Nutzen davon haben; in diesen Fällen dürfen die Risiken und Belastungen nur mini- mal sein. Die Schweizer haben die- ser Verfassungsänderung mit 77 Pro - zent zugestimmt.

Das HFG folgt diesen Vorgaben und unterscheidet bei Forschungen an Kindern und Jugendlichen, an urteilsunfähigen Erwachsenen und auch an Strafgefangenen säuberlich zwischen direktem und nichtdirek- tem Nutzen. In beiden Fällen muss

eine Einwilligung vorliegen, entwe- der des Probanden oder seines ge- setzlichen Vertreters, einer Vertrau- ensperson oder eines nahen Ver- wandten. Fremdnützige Forschung muss zudem „wesentliche Erkennt- nisse“ erwarten lassen, „die Perso- nen mit derselben Krankheit oder Störung oder in demselben Zustand längerfristig einen Nutzen bringen können“. Auch dürfen Belastung und Risiken im Sinne der Verfas- sungsänderung nur minimal sein.

Zur Vorgeschichte

Die Vorgeschichte des HFG reicht bis 1998 zurück, Anstoß gab die sogenannte Bioethikkonvention des Europarats von 1997. Versuche, auch individuelle Heilversuche, in das HFG aufzunehmen und zumin- dest eine Pflicht zur Information des Patienten festzuschreiben, schlu - gen bislang fehl. Die Wissen- schaftskommission des Nationalrats hat stattdessen den Schweizer Bun- desrat (Bundesregierung) aufgefor- dert, die Rechtslage zu klären und Vorschläge zu machen, sollten sich Gesetzeslücken ergeben.

Die „Neue Zürcher Zeitung“

(vom 9. Januar 2011) erinnerte an den Fall eines Baseler Onkologen, der zwischen 1988 und 2000 circa 200 Brustkrebspatientinnen mit Lipoteichonsäure behandelt hatte, die für die Behandlungen an sich nirgends zugelassen gewesen sei, offenbar ohne die Patientinnen zu- vor zu informieren. Der Onkologe sei vom Schweizer Bundesgericht, das einen Fall zu verhandeln hat - te, allerdings 2008 freigesprochen worden, da der Arzt überzeugt ge- wesen sei, die Patientin gut behan-

delt zu haben. ■

Norbert Jachertz

Foto: Fotolia

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