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Archiv "Mehr Transparenz: Ein Wahnsinnsaufwand" (02.05.1997)

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M

it dem „Zweiten Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Ei- genverantwortung in der Gesetzlichen Krankenversicherung“

(2. GKV-NOG) werden die nieder- gelassenen Vertragsärzte und die an der ärztlichen Versorgung teilneh- menden Ärzte, Zahnärzte und Kran- kenhäuser verpflichtet, die Versi- cherten der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) gemäß § 305 Abs. 2 SGB V über den Umfang und die Kosten der von ihnen in An- spruch genommenen Leistungen (di- rekt und zeitnah) innerhalb von vier Wochen nach Ablauf des Quartals zu unterrichten. Für die Vertragszahn- ärzte gilt diese Informationspflicht ebenfalls. Auch die rund 2 300 Kran- kenhäuser müssen künftig schriftlich innerhalb von vier Wochen nach Ab- schluß der Krankenhausbehandlung die sozialversicherten Patienten über die Entgelte unterrichten, die die Krankenkassen zu zahlen haben.

Wie meistens bei so heiklen und gesetzesmodernistischen Regle- ments sollen die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich mit den Leistungserbrin- gerverbänden (namentlich ist die DKG im Gesetz erwähnt) durch Vertrag das Nähere und Details rechtzeitig vor Inkrafttreten regeln.

Diese ebenso wie viele andere Be- stimmungen des gegen die Stimmen der Opposition durchgesetzten 2.

GKV-Neuordnungsgesetzes nimmt

die Losung der Bonner Regierungs- koalition wörtlich, indem die Selbst- verwaltung die Vorfahrt erhält und binnen kurzer Frist Punkt für Punkt alle unangenehmen und bürokrati- schen „Schulaufgaben“ erledigen muß, die der Gesetzgeber erfunden hat und für die er sich zu schade fühl- te, diese selbst zu konkretisieren.

Auf Drängen der FDP

Die Transparenzbestimmung in der jetzt verabschiedeten Fassung ist auf Drängen der Gesundheitslibera- len, an der Spitze des gesundheitspo- litischen Sprechers der FDP-Bundes- tagsfraktion, Jürgen W. Möllemann, kurz vor der entscheidenden zweiten und dritten Lesung im Bundestag in das Gesetz gelangt, ohne daß noch Änderungsmöglichkeiten auf Grund des Widerspruchs der betroffenen Verbände kurzfristig genutzt wurden.

Begründet wurde der Vorstoß damit, daß das Leistungssystem in der Ge- setzlichen Krankenversicherung vor allem für den inanspruchnehmenden Patienten intransparent sei. Denn in keinem anderen Bereich des sozialen und wirtschaftlichen Lebens würden die Nachfrager keine oder unzurei- chende Informationen über die für sie erbrachten Leistungen erhalten wie gerade im System der Gesetzli- chen Krankenversicherung. Auch er- hofft man sich von der besseren In-

formation über das Leistungsgesche- hen und die ausgelösten Inan- spruchnahmekosten eine pflegli- chere und kostenbewußte Inan- spruchnahme durch die Patienten.

Die Gegenmeinung, die empi- risch fundiert ist und durch Prof. Dr.

med. Siegfried Häussler, den frühe- ren Vorsitzenden der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung und der KV Nordwürttemberg, bereits vor mehr als 28 Jahren im Rahmen eines Feldversuchs überprüft und vor zwölf Jahren im Bereich der Kas- senärztlichen Vereinigung Hessen erneut erprobt worden ist: Bloße Ko- stenkenntnis der Versicherten und die Vermittlung von Inanspruchnah- meübersichten steuern wenig, wir- ken kaum ausgabendämpfend, weil ein finanzielles Regulativ für die In- anspruchnahme damit nicht verbun- den ist. Im Gegenteil: Es könnten durch die verstärkte Transparenz und Kosteninformation Reaktionen seitens der Versicherten und Patien- ten ausgelöst werden, die nach dem Moral-Hazard-Prinzip noch mehr aus der Versicherung herausholen wollen als bisher – nach der Devise:

Für meinen (hohen) Kassenbeitrag will ich auch eine kostenträchtige (teure) Leistung beanspruchen.

Ursprünglich war im Entwurf der Koalition noch beabsichtigt wor- den, eine nur informierende Über- sicht über das Leistungs- und Ko- stengeschehen der Behandlung auf Verlangen des Versicherten auszu- A-1169

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 18, 2. Mai 1997 (13)

Mehr Transparenz

Ein Wahnsinnsaufwand

Mit Inkrafttreten des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes (2.

NOG), voraussichtlich am 1. Juli 1997, wird den Ver- tragsärzten und den Krankenhäusern sowie den übrigen ärztlich geleiteten Einrichtungen ein „Kuckucksei“ ins Nest gelegt: Unter der Devise: „Mehr Transparenz, koste es, was es wolle“ sollen künftig alle gesetzlich versicherten Patien- ten gemäß dem neuen § 305 Sozialgesetzbuch V (SGB V) spätestens innerhalb von vier Wochen nach Ablauf des Quar-

tals schriftlich über die „zu Lasten der Krankenkassen abge- rechneten Leistungen sowie die von den Krankenkassen zu zahlenden Entgelte (im Krankenhaus)“ unterrichtet werden.

Diese von den Gesundheitsliberalen erzwungene Transpa-

renzaktion kostet die Leistungserbringer jährlich satte

2,5 Milliarden DM. „Unzumutbar und nicht praktikabel“ –

so das Urteil der ärztlichen Körperschaften, von Ärztever-

bänden und der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V.

(2)

stellen. Diese ist denn auch mit stiller Duldung seitens der Koalition und von Bundesgesundheits- minister Horst Seehofer als „Zugeständnis“ an die Liberalen durch den in sei- ner Tragweite noch gar nicht abschätzbaren neuen

§ 305 Abs. 2 SGB V erwei- tert worden.

Sosehr einzelne Ärz- teverbände, so der Hart- mannbund (Verband der Ärzte Deutschlands e.V.), die vorgesehene Rech- nungslegung (vier Wochen nach Quartalsende) als ei- nen „Schritt in die richtige Richtung“ jetzt begrüßen,

so sehr kritisieren sie den damit ver- bundenen Verwaltungs- und Kosten- aufwand, der offenbar allein zu La- sten der Ärzte, Zahnärzte und Kran- kenhäuser gehen soll.

Die ersten überschlägigen Rech- nungen unterstreichen, daß es um viel, um sehr viel Geld geht, und nicht lediglich um einen „Streit um des Kai- sers Bart“, wie dies Seehofer mit dem Hinweis auf das noch gar nicht end- gültig verabschiedete Gesetz Glau- ben machen möchte.

Es geht nicht nur um das Prinzip der verbesserten Transparenz (ein grundsätzlich lobenswertes Unterfan- gen; die Ärzte haben nichts zu verber- gen und dadurch nichts zu befürch- ten), es muß aber auch um die Ein- standspflicht und eine geordnete, ge- setzlich sanktionierte Kostenüber- nahmepflicht gehen.

KBV: Aktion kostet 1,4 Milliarden DM Die für jeden nachprüfbare Rech- nung: Allein die 101 000 Vertragsärzte rechnen jährlich rund 470 Millionen Fälle ab. Nach überschlägigen Berech- nungen der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung (KBV) errechnen sich dar- aus je Patienteninformation bei einem relativ gering angesetzten Arbeitsauf- wand von zwei DM plus eine DM Por- tokosten Aufwendungen in Höhe von 1,4 Milliarden DM jährlich. Umge- rechnet auf den einzelnen Vertragsarzt wären dies etwa 13 000 DM im Jahr.

Die Kassenzahnärztliche Bun- desvereinigung prognostiziert eine zusätzliche Kostenbelastung von ins- gesamt 470 Millionen DM jährlich.

Bei einer halbwegs vollkostendecken- den Kalkulation veranschlagt die Zahnärzteorganisation je Patienten- info vier DM als Arbeitsaufwand (Schreiben, Trennen der Endlosblät- ter, Kuvertieren und Versand). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft schätzt die Gesamtaufwendungen im Bereich der Krankenhäuser auf min- destens 100 Millionen DM bei rund 15 Millionen Stationärfällen je Jahr, mit- hin je Krankenhaus etwa 50 000 DM zusätzlich, die in den Kalkulationen nicht eingestellt und bisher nicht ge- deckt sind.

Daß diese fremdveranlaßten Transparenzkosten finanziert werden müssen, darauf pochen sowohl die Krankenhausträger als auch die KBV.

Ein „Wahnsinnsaufwand“, so kom- mentierte beim Anhörungsverfahren im Gesundheitsausschuß des Bundes- tages die ganze Aktion Dr. jur. Rainer Hess, der Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Köln. Schon der hessische Modellver- such habe erwiesen, daß die Mehrzahl der Versicherten kein Interesse an sol- chen papierenen Informationen habe und nichts bewirkt werden kann (auch was die Ausgabensteuerung der Kas- sen betrifft). Am Modellversuch der KV Hessen, die den Patienten über ei- ne Kartenaktion in den Wartezim- mern Informationen freiwillig ange- boten hatte, hatten sich lediglich weni-

ger als 0,12 Prozent der Versicherten beteiligt und „Auszüge“ ihrer Ko- steninanspruchnahme von den Ärzten verlangt. Als bei der Aktion nichts da- bei herumgekommen ist, hat man sie schnell eingestellt und ganz vergessen – bis nun die liberale Bürokratievor- schrift fröhliche Urständ feierte.

Auch andere Einwände, wie da- tenschutzrechtliche und das Schutzin- teresse bei Intimdaten der Patienten, will die Seehofer-Administration nicht gelten lassen. Das gleiche Pro- blem gebe es auch bei der Aushändi- gung oder beim Versenden von Pri- vatliquidationen und im Bereich der GOÄ. Hier wird aber Nichtvergleich- bares unzulässigerweise verglichen:

Schließlich hat der Privatpatient ein direktes Vertragsverhältnis mit dem behandelnden Arzt; daraus resultiert nicht zuletzt die Zahlpflicht des Pati- enten und im Gegenzug der Informa- tionsanspruch gegenüber dem Arzt.

Zudem ist die (zahlenmäßig relativ kleine) Klientel der Privatpatienten nicht vergleichbar mit dem Gros der sozialversicherten Patienten.

Beschwichtigungen aus Bonn

Unbürokratisch und kostenneu- tral jedenfalls läßt sich die Informati- ons- und Transparenzvorschrift des

§ 305 Abs. 2 SGB V nicht umsetzen, wie dies Bonn wünscht. Auch wenn die jetzige harsche Kritik mit dem Hinweis gekontert wird, alle Lei- stungserbringer hätten jetzt schon mit den Kostenträgern abzurechnen, so daß die Daten ohnehin vorlägen. Und über den zusätzlich entstehenden Verwaltungs- und Kostenaufwand be- schwichtigt die Seehofer-Administra- tion (im Krankheitsfall selbst beihilfe- berechtigt): Bei Einsatz geeigneter Software könnten die vorliegenden Daten in einer für Patienten leicht les- baren Form „konvertiert“ werden, und das Problem sei so per PC lösbar.

Was die Portokosten betrifft (wor- über sich die Post AG freuen wird):

Der Praxisinhaber könne dem Gan- zen ja ein Schnippchen schlagen, in- dem er dem Patienten unmittelbar nach der Leistungserbringung den

„Wisch mit der Kostenaufstellung“

gleich mitgibt . . . Dr. Harald Clade A-1170

P O L I T I K LEITARTIKEL

(14) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 18, 2. Mai 1997

Jürgen W. Möllemann MdB, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP- Bundestagsfraktion: einen alten Transparenz-Hut ausgepackt Foto: imo

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