V E R S I C H E R U N G E N
[90] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 19⏐⏐12. Mai 2006
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as Versicherungsvertrags- recht wird von Grund auf reformiert. Das kündigte die Bundesregierung an. Das neue Recht soll Anfang 2008 in Kraft treten, in diesem Jahr würde das alte Versicherungs- vertragsgesetz (VVG) 100 Jah- re alt. Die wesentlichen Ände- rungen betreffen die Lebens- versicherungen. Die Rechte der Versicherten sollen ge- stärkt und die Transparenz verbessert werden.Eigentlich sollte das VVG bereits in der letzten Legisla- turperiode erneuert werden, aber die Novelle fiel den vor- gezogenen Bundestagswahlen zum Opfer. Bereits am 7. Ju- ni 2000 hatte das Bundesju- stizministerium eine Kommis- sion zur Reform des Versi- cherungsvertragsrechts einge- setzt, die am 19. April 2004 ihren Abschlussbericht über- gab. Auf Basis dieses Ab- schlussberichts und der Stel- lungnahmen der Verbände wurde der aktuelle Gesetzent- wurf formuliert.
Dieser berücksichtigt auch die Entscheidungen des Bun- desverfassungsgerichts vom 26.
Juli 2005 zur Überschuss- beteiligung in der Lebensver- sicherung und des Bundesge- richtshofs, der sich in seinem Urteil vom 12. Oktober 2005 zur Berechnung von Min- destrückkaufswerten geäußert hat. Dabei wurde dem Gesetz- geber von den Richtern aufer- legt, die offensichtlichen Miss- stände des geltenden Rechts abzuschaffen. Die Änderun- gen müssten spätestens 2008 in Kraft treten, lautete die For- derung aus Karlsruhe. Dass sich der Gesetzgeber bei der Umsetzung dieser Auflage tat- sächlich bis zum letzten Au- genblick Zeit lässt, wird von den Verbraucherschützern be- reits moniert.
Ein jahrelanger Streitpunkt zwischen Versicherten und den Assekuranzunternehmen, der schließlich von den Karlsruher Richtern zugunsten der Ver- sicherten entschieden wurde, betraf die Überschussbeteili- gung.Die Inhaber von Lebens- versicherungsverträgen sollen in Zukunft einen Rechtsan- spruch auf die Beteiligung an
den Überschüssen der Versi- cherungen haben, wären also nicht mehr von Ermessensent- scheidungen der Unterneh- mensspitze abhängig.
Angemessene Beteiligung Die Versicherten sollen auch angemessen an den stillen Re- serven (nicht realisierte Ge- winne) beteiligt werden. Um diese stillen Reserven offen zu legen, müssen die Bilan- zierungsvorschriften geändert werden. Kapitalanlagen sind in Zukunft mit ihrem Zeitwert zu bewerten, auch wenn die- ser über dem Anschaffungs- wert liegt (Abkehr vom bisher gültigen Niederstwertprinzip).
Grundsätzlich ist die Hälfte der stillen Reserven in die Überschussbeteiligung einzu- beziehen. Die andere Hälfte soll im Unternehmen verblei- ben, um Wertschwankungsri- siken auszugleichen.
Dadurch ist nicht nur die Beteiligung der Versicherungs- nehmer an den Reserven ge- währleistet, sondern die Un- ternehmen werden auch in die Lage versetzt, im Interesse der Versichertengemeinschaft die Reserven zu stärken. Beide Aspekte wurden im Urteil des Bundesverfassungsgerichts be- tont. Die Überschüsse müssen, inklusive der Beteiligung an den Reserven, künftig zeitnah (innerhalb von zwei Jahren nach Ermittlung) den Versi- cherten gutgeschrieben wer-
den. Allein die Beteiligung an den bisherigen stillen Reser- ven kann je nach Situation des Unternehmens und der ver- einbarten Vertragskonditionen für die Versicherten pro Jahr ei- nige 100 Euro zusätzliche Gut- schrift bedeuten, die zum Ver- tragsende ausgeschüttet wer- den können.
Außerdem soll die Stellung der Versicherten, die ihre Le- bensversicherung schon nach kurzer Zeit kündigen, gestärkt werden. Wenn der Versicherte seine Versicherung nach ei- nem Jahr kündigte, erhielt er nach bisheriger Praxis prak- tisch nichts von seinen einge- zahlten Beiträgen zurück. Dies lag an der Verrechnung der Abschlusskosten, die auf die beiden ersten Jahre verteilt wurden (Zillmerung). Künftig müssen die Abschlusskosten auf die ersten fünf Jahre ver- teilt werden, der Versicher- te sammelt also bereits mit dem ersten Beitrag ein Gut- haben an, das bei Frühstorno zur Rückzahlung zur Verfü- gung steht.
Zudem müssen die Unter- nehmen den Versicherungs- nehmern künftig „realistische“
Modellrechnungen vorlegen über die Summen, die sie am Ende der Versicherungszeit ausgezahlt erhalten. Bislang war es üblich, dass den Versi- cherten mehrere Verzinsungs- szenarien vorgelegt wurden, von denen aber einige unreali- stisch hoch waren. Lange Zeit wurde noch mit Verzinsun- gen von sechs und mehr Pro- zent gerechnet, die früher tat-
sächlich erzielt wurden, aber zum Zeitpunkt des Versiche- rungsabschlusses nicht mehr realistisch waren. 2005 schrie- ben die Lebensversicherungs- gesellschaften ihren Kunden im Durchschnitt auf die Kapi- talanlagen 4,28 (4,3) Prozent gut. Daran werde sich in den nächsten Jahren nichts ändern, prognostiziert die Ratingagen- tur Assekurata.
Eine deutliche Verbesserung der Transparenz ergibt sich auch daraus, dass die Versiche- rer demnächst die jeweiligen Abschluss- und Vertriebsko- sten offen legen müssen. Dies ist ein Fortschritt. Aber die von vielen geforderte Auf- gliederung der Prämien auf Vertriebskosten, Verwaltungs- kosten, Todesfallschutz und Kapitalanlage, die eine volle Transparenz gebracht hätte, ist nicht vorgesehen.
Die Versicherer werden durch das neue Recht auch verpflichtet, vor der Kündi- gung einer Lebensversiche- rung den Versicherungsneh- mer darauf aufmerksam zu machen, dass es auch möglich ist, die Versicherung beitrags- frei weiter laufen zu lassen.
Alternative Zweitmarkt Der Bundesverband Vermö- gensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherungen, der die am Zweitmarkt operierenden Firmen vertritt, hatte zudem gefordert, die Versicherungs- gesellschaften zu verpflichten, die Versicherten darüber zu informieren, dass sie ihren Vertrag auch auf dem Zweit- markt verkaufen können. Ei- ne solche Vorschrift besteht zum Beispiel auf der Briti- schen Inseln, ist aber im bishe- rigen Gesetzentwurf nicht ent- halten. Der Bundesverband Vermögensanlagen im Zweit- markt Lebensversicherungen will dies im Lauf des Gesetz- gebungsverfahrens noch än- dern. Auf dem Zweitmarkt werden Preise gezahlt, die der- zeit mindestens sieben Pro- zent über den Rückkaufswer- ten liegen, die die Versiche- rungsgesellschaften auszahlen – in Einzelfällen sogar bis zu 15 Prozent. Armin Löwe
Reform des Versicherungsvertragsrechts
Mehr Transparenz, mehr Kundenrechte
Änderungen sollen Anfang 2008 in Kraft treten.
Foto:Becker & Bredel