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629

Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug.

\'üii air. Pius Xiiigrerle.

(Schluss. S. Zischr. Bd. Xll, S. 117-1.31. XIV, S. 679-ßHl.)

Bemerkungen über die gewählton Proben.

Uebei- die syrische Dichtung im Allgemeinen.

Uie bisher gegebenen Proben aus Jakob von Sarug gehören

alle in das Gebiet der geisllichen oder religiösen Poesie. Wer

sie aus dem Grunde schon nicht beachten oder mit vornehmer

Verachtung auf die Seite schieben würde, machte sich iu ästheti¬

scher Hinsicht jedenfalls einer Ungerechtigkeit schuldig; denn

die religiöse Dichtung hat auch ihre allgemein unerkannte Be¬

rechtigung, gerude sie ist die Blütlie höchster Begeisterung, weil

das Erbabene, welches in den religiösen Stoffen liegt, dns edlere

menschliche Gemüth um tiefsten ergreifen und um feurigsten auf¬

regen kann und soll. Erkennen wir Hymnen alter (jriecheu und

Römer uuf ihre Gottheiten als Gaben ächter Puesie an, so dürfen

christliche syrische Gesänge, wenn sie anders dicht°.rischen Werth

haben, auch uuf Anerkennung billigen Anspruch muchen. Den

von Jukob von Sarug besungenen Gegenständen , wie sie der

Reihe nach vorkommen, z. B. des Menschen Vergänglichkeit, das

Hinscheiden ehrwürdiger oder heiliger Persönlichkeiten , Morgen.

Abend, und Nacht, die Ehre der Kircbe, des Kreuzes u. s. w-,

wird man die Fähigkeit poetisch aufgefasst und dargestellt zu

werden, nicht wohl absprechen können. Es fragt sich ilaher

nur, ob der Mann, aus dem wir die Proben gewählt, es auch

verstanden habe, die Stoffe mit dem Hauche wahrer Dichtkunst

zu beleben. Billige unbefangene Leser, die uicht überbuupt schon

ein Vorurtheil gegen geistliche Poesie oder gegen die Syrer als

Dichter hahen, werden nach der Lectüre der gelieferten Proben

dem Verfasser derselben poetische Begabung zugestehen müssen.

Man findet darin alle Eigenschaften, die wir von einem Dichter

verlangen, Phantasie, Gefühl, erhabne würdevolle Sprache, leben¬

dige anschauliche Darstellung, Tropeo, Figuren. Er hat gleiches

Geschick, Schaudererregendes wie Liebliches in Bildern darzu¬

stellen. Die auf der Brücke von diesseits nach jenseits vorüber¬

ziehenden Geschlechter der Menschen in endlosen immer wech-

Bd. XV. 41

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630 Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakol von Sarug.

selnden Reihen, der den Schmuck der Priester mit Füssen tre¬

tende Tod, des Kreuzes Herrlichkeit und Älacht, die Erhabenheit

der Kirche, die Darstellung der Geburt Cbristi, die Klagestrophen

nuf die Ermordung der Kinder in Bethlehem, die Versammlung

und Angriffe der Hölle auf Simeon Stylites u. a. m. zeugen von

lebhafter Einbildungskraft des Dichters und gewähren auch der

Phantasie des Lesers grossartige Vorstellungen. Gefühl spricht

sich iu der Klage über den Tod von Priestern, in der Klage

einer gefnileneu Seele, im Gebete zu Christus für die Kircbe,

in der Elegie auf das Hinscheiden Simeons des Styliten, und in

mehrern andern Proben nus. Bilder als poetiscben Schmuck

finden wir in mehrern der gewählten Stücke, z. B. auf den Tod

Johannes des Täufers in den 2 letzten Strophen, uuf die Er¬

mordung der Knaben in Bethlehem, im Gedichte über die Taufe

Christi , iu der Klage um den Styliten u. s. w. Sehen wir uns

nach andern Zierden der Dichtersprache um, nach Figuren und

Tropen, so gewinnen wir hei Jukob von Surug nuch in dieser

Hinsicht befriedigende Ausbeute. Er versteht es der Dnrstellung

durch Personification sinnliche Anschaulichkeit zu geben, leblosen

Gegeuständen Empfindungen und Handlungen beizulegen, durcb

passende Vergleichungen dem Stoffe Leben zn verleiben. Sang¬

los trauern die Tempel über den Tod der Verkünder des Gottes¬

wortes, klageod erseufzt die heilige Rednerhühne, laut weiut

das gottgeweihte Heiligthum. Morgen und Abend preisen den

Schöpfer und hringen ihm Düfte uls reines Opfer; Johannes der

Täufer ist eine goldoe Lampe, deren Licht einer Tänzerin Hauch

erlöschen macbt, ein herrlicher gefällter Oelbaum, fine liebliche

Traube voll süssen Gcsclimucks; die gemurdeten Kinder Beth¬

lehems werden als zertretne Trauben beweint von den Reben des

heiligen Volkes, Judäas Gefilde ergiessen sich iu Thräuen üher

der Uoschgldigeo Mord, und Israels Schafe schreien auf vor

Sclimerz, weil der Wolf io die Heerde einstürmend die heiss¬

geliebten Lämmer würgte. Dn aber Christus zur Taufe kum,

frolilockte der Fluss, die Wolken versnmmelten sich, ein ßruut-

gezelt um den Heiligen bildend. Aucb der Greis Simeon wird,

wie er den Heiland trägt, unter verschiedenen Bildern oder Me¬

taphern uns vurgefülirt. Die Proben aus der Lobrede auf den

ersten Säulenhciligen iu Syrien bieten gleichfalls viele Stellen

als Belege für die poetiscbe bilderreiche Sprache des begabten

phantasievollen Sängers. Wenn nun scbon die wenigen gewähl¬

ten Stücke des Lobenswertben gar Munches enthulten, so lässt

sich wohl mit Grund erwarten, dass in deu vielen metrischen

Reden dieses Bischofs noch eine reicbe Aebrenlese zu finden

seyn wird. Zu beklagen ist nur, dass seine Werke als unbe¬

nutzte -Manuscripte in der vaticanischen Bibliothek und Gott weiss

wo noch vergraben liegen. Nach dem Verzeichniss seiner Schrif¬

ten im I. Bande der Bibliotheca Orieotal. von Assemani hat er

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Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug. 831

sicli für seine Vorträge oft Gegenstände gewählt, die ihm genug

Gelegenlieit boten, sein Diclitertolent zu zeigen, z. B. kircblicbe

Feste, schöne Steilen aus den Proplieten, das Loh ausgezeich'

neter Persönlichkeiten , erhabene religiöse Wahrheiten. Wer Sinn

für ernste heilige Dichtkunst hat, wird duher den Wunsch wobl

begründet findeu , es möcbte Mehreres aus den Werken dieses

Mannes hekannt gemacbt werden. Auch in rein philologischer

Hiosicbt müssen Liebhaber der syr. Sprache und Literatur diess

wünschen, leb wenigsteos würde, wenn ich Gelegeobeit bätte,

es als eine schöne jeder Bemühung würdige Aufgabe meines

Lebens betrachten, die Schriften Jakobs voo Sarug zu studiren

und die hessern Leistungen desselben zum Frommeo morgeolän¬

discber Wissenschaft dem unverdienten Dunkel , in dem sie bisher

verborgen liegen , eifrig zu entziehen. Sie werden uber leider

begraben bleiben, bis io Rom wieder eio Assemani oder Wise-

mann erwacht, und das mag wohl lange währen. Nachdem ich

den Maon, aus dessen Schriften die Proben gewählt sind, in

Etwas als Dichter zu würdigen versucht hahe, möge es mir noch

gestattet seyn, einige allgemeine Bemerkungen über die Poesie

der Syrer heizufügeo. Bekanotlich siud üher dieselbe sebr un¬

günstige Urtheile.') gefällt worden; auch in neuester Zeit hat

Jolowicz in seiner Polyglotte der oriental. Poesie deo Wertb der

syriscbeo, wie mir weoigsteos scheiot, etwas zu gering ange¬

schlagen.* So io den Staub gezogen zu werden verdient die syr.

Dichtkunst in der Thnt keineswegs. Die Gegenstände, welche

die Dichter Syriens vurzugsweise zur Verherrlicbuog gewählt,

siod aus dem Gebiete der Religioo geoommeo , die mao doch ats

Quelle der -höchsten Begeisterung wird müssen gelten lassen.

Sie besingeo Gottes Grösse, feiern die Wohlthaten der Erlösung,

I) Wie z, B. von Herder, der die Syrer oIü blasse Versrnncber er¬

klärt; vun Joh. üav. Miehaelis in seiner Abhandlnng §. 15 von der

syriscben Spraehe; am schjirrsten und ungerechteslen von Joh. Gottfr.

Eichhorn, der in der Vorrede zu seiner Ausgabe „Poeseot Asiaticae Com¬

mentariorum libri 6 auctore G. Jones" sicb also vernehmen lässt: „Jam ubi Syrorum e;(uminaveris poemata, ad vrpreS et dumela videberis relegatns.

Nihil habe,nt poetae Syri, quo nliieiant, ohlectenl, exbilarent. Neque for- midinis imaginibus terrorem injiciitnl, neque camporum , lucorum , Borum descriptionibus animum pascunt, neque verborum elegantia ac duleedioe pectus permulcent. Ipsa puetica oraliu eorum tenuis est, humilis, frigida."

Nachdem er die L'rsachen dieser vermeinilicben Sterilität der syr. Dichlkunst dargestellt, schliesst er endlich: „Sequitur, poesin Syriacam ornamenta nulla polliceri, quae in nostram transferri quennt, nec posse syriacorum carminum lectionem poetis nostris commendari." Man könnte nun wobl sagen : „Sat prala biberunt." Wer diesen und andern Urtheilen, über die Foesie der Syrer unbedinglen (jlauben schenken wollte, ohne auf das „audiatur et altera pars" sich zu besinnen, müssie freilich auch von der geringsten Lust, syri¬

sche Gedichle zu lesen, gründlich geheilt seyn: zum Glück ober verhält es

■ich mit der armen so schmählich vernorl'enen Muse der Syrer doeh niebt gar (0 achlechl.

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632 /ingerle, Prolen syrischer Poesie aus Jakob von Sarug.

winden Kränze des Lobes um die kirebliclien Feste und Kränze

des Sieges um die Häupter ii. Blutzeugen. Oder sie stimmen

die Harte zu Klaggesängen an Gräbern, scbildern erschütternde

Unglücksfälle, z. B. Erdbeben, Pest, den Untergang von Städten.

Wie lässt sicb nuu denken, duss über solche Stoffe nichts Er¬

habenes, Anmuthiges, Rührendes gesungen worden' Weun die

Ankunft des Richters der Welt beschrieben wird, sollte da wirk¬

lich nichts Schreckenerregendes, das mit heiligem Schauder er¬

füllte, gefunden werden? Dass übrigens auch über Dinge, die

keiner poetischen Behandlung fähig sind, eine Menge Verse ge¬

macht wurden , gestehe ich willig als eine bekannte Sache ein.

Diess hindert jedoch nicht, das unläugbar vorhandene aher wenig

oder gar nicht gekannte Gute anzuerkennen. Mir scheint, man

hätte über die syr. Poesie so hart schon dessbalb nicbt urtbeilen

sollen, weil noch das Meiste davon ungedruckt in Bibliothekeo

liegt. Jacob von Sarug, Isaak der Grosse und andere warten

erst auf einen Herausgeher; die aus deu Schriften des erstern

in die syr. Breviere aufgenommenen und vou mir zum Theil ge¬

gebenen Proben sind wohl geeignet Hoffnung zu erregen, duss

sich aus ihm noch manche werthvolle poetische Ausheute machen

liesse. Ist es gerecht, alles Unbekannte und das zwar Bekannte

aber nur oberflächlich oder gur nicht Studirte als nichtswürdig

zu verwerfen , weil unter dem Bekannten und Geleseneu viel

Mittelmässiges und Geschmackloses sich fiodet?

Es sei mir nun erlaubt, den in der Anmerkung ohen genannten

so berühmten Männern und grossen Gelehrten gegenüber mein un-

massgeblicbes Urtheil über die syr. Poesie vorläufig nur einmal im

Allgemeinen auszusprechen. Mit Mässigung auftretend möchte ich

die rechte Mitte treffen und dieseihe nicht zu sebr erliehen, aher

doch viel Schönes und Lobenswerthes ihr zuerkennen. Dass ich ihre

Schattenseite nicht verkenne, hab' icb bereits in den Vorreden

zum 4. uod 5. Baode meiner Uebersetzung ausgewählter Schriften

Ephrams bewiesen, worin ich die Mattig^keit, Weitschweifigkeit,

Trockenheit und Spielerei als Hauptfehler der meisten syr. Ge¬

dichte, besonders späterer Zeit, eingestund und auf die gänz¬

liche Gesclimacklosigkeit hinwies, welche die Syrer durch versi¬

ficirte Bücberkatuluge uod Grammutiken zeigten. Auf der andern

Seite aher I kann man der syrischen Muse ohne Ungerechtigkeit

ibre Schönheit nicht ubsprechen. Es ist die Schönheit einer

ernsten Nonne, einer beschaulichen Einsiedlerin, im höchsten

Grade frumm und züchtig. Sie weiss nichts von Liebes- und

Trinkliedern, von .Spielen unter duftenden Lauben, voo begei¬

sternden Scbluchtgesängcn: aber cs findeu sich in ihrem Gurten

dagegen andere Blüthen und Blumen nicht obne süsseo Duft und

scbimmeniden Farbenglanz, anziehend für religiöse Gemütber und

reine Augen. Den Vorwürfen Eichhoin's gegenüber glaube ich

mit vollem Rechte bebaupteo zu köooen, dass auch die syrischen

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Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jahob von Sarug. 633

Dichter vieles hahen, um anzuziehen, zu ergötzen, zu erheitern.

Auch sie verstehen es durch Bilder des Schreckens Furcht ein¬

zujagen, durch Anmuthiges und Liebliches zu erfreuen, durch

Töne der Wehmuth zu.rühren. Die Sprache ist oft edel, würde¬

voll, erhaben, voll Kraft der Gedanken und des Ausdrucks, in

wahrem Hymnenfluge dahinrauscbeiid, voll lebendiger Andaclit und

glühenden Gefiibls. Es gibt viele Gedicbte, die ganz vortrefflich

siud, viele wenigstens theilweise lobenswertb. Man stösst

nuf starke feurig hingeworfene Züge, feierliche ergreifende fort-

reissende Stellen, dann wieder auf Sprüche und Gleichnisse voll

tiefer Weisheit. Auch mit dem Schmucke der Tropen und Figu¬

ren , der Bilder und Beschreibungen bat die verachtete Syrerin

ihre Schönheit zu erhöhen gewusst. Mir scheint daher: sowenig

man die hebräische Poesie der aipbabeti scheo Psulmen we¬

gen verwirft, ebensowenig soll man mancher Spielereien des

Metrums wegen die syrische ganz verdammen. Kenner der ara¬

bischen und persischen Dichtkunst werden es nicht läugnen, dass

aucb darin des Mittelmässigen und Geschmacklosen mebr als genug

sich findet; wir verwerfen nber desshalb nicht alle arabische und

persische Dichtkunst. Warum nur der syrischen diess thun? In

der That, die Syrer sind nicbt, wie Herder meint, blos Vers-

maclier, sondern sie haben mindestens auch Dicbter. Mag

man das Volk im Ganzen betrachtet prosaisch und wenig phantasie-

reich nennen, so gab es doch einzelne poetische'Talente dar¬

unter, e i.n zelne hohe Geister, in denen sich die dicbterische

Kraft, der Lichlkraft in den Diamanten gleich, sammelte. Es

lässt sicb auf die syr. Poesie onwenden, was irgendwo über die

slavische Literatur gesagt wird: „Sie scheint eine öde Steppe in

Vergleich mit reicben Alpentbälern , aher wer sich bineinicbt in

ibr Leben, gewinnt aucb ihr Reize ah, empfindet etwas von der

Poesie der Meeres-Unendlicbkeit, nnd findet der stillblühenden

Pflanzen und der lieblich nüancirten Farbentinten gar Mancherlei,

Doch mit Uorecbt würde man sie eine Steppe nennen; es ist gar

manche grosse und rühmliche Erscheinung du, welche dieses Ur¬

theil Lügen straft: aber die glänzenden Erscheinungen sind meitt

isolirt, io deo ältern Zeiten nur bedeutsum."

Duss der ausgezeicbneten Sänger nur wenige waren, liegt

tbeils im Charakter des Volkes, in seiner Neigung zur Specula¬

tion und Ausführlichkeit, deren Folge dunn das Verfallen in Breite

und Weitläufigkeit, in's Zusnmmenreihen tuutologiscber Phraseo

war, theils io ungeschickt gewählten völlig unpoetischrn Sloff'en

und metrischen Spielereien der spätern Zeiten , tbeils endlich »uch

in den unglücklichen Schicksalen des Landes selbst, das ja häufig

der Schauplatz verheerender Kriege und harbarischer Unter¬

drückung gewesen ist. lnter arma Musae silent. Das Glück

ruhiger Selbstständigkeit, ohne ein fremdes Sklavenjoch zu tra-

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634 Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jahob von Sarug.

gen, genossen die Syrer nur sehr kurze Zeit. Wie kounte da

die Poesie sich zu fröliiicher Blüthe eotfalteo?

üm zu heweiseo , dass die Syrer nicht ohne Anlage zur

Dichtkunst waren, erinnere ich zuerst ag einige Klassiker, die

zwar nicht in syr. Sprache geschrieben Laben , aber geborne

Syrer waren, nämlich an den nicht lange vor Christus blühenden

griechischen Dichter Meleager, den Verfasser des bekannten lieh-

licheo Frühlingsgemäldes und mehrerer Epigramme io der grie¬

chischen Anthologie, dann an Ciceros Freund, den Dichter Ar-

chins, und endlich an den unter K. August lebenden Publius

Syrus, dessen mimische Schauspiele von deo Römern sehr ge¬

schätzt wurden. Ein geborner .Syrer war auch Lucian, im 2ten

Jahrh. n. Chr., dem in seinen Gesprächen der Götter und Todteo

und auch in andern Schriften, obgleich sie in Prosa geschriebeo

sind, Phantasie uod Lebendigkeit nicht abgesprochen werden

können. Einen weitern Beweis, dnss die Syrer nicht jeder An¬

lage zur Dichtkunst haar waren , liefert die phontasiereiche ex-

centrisch schwärmende Gnosis, deren Lieder zuerst um die Wiege

dieser morgeoläodischen Muse tönten, und ihr zum Angebinde

die Lust einflössten, über theologische Probleme sich in Gesänge

zu ergiessen. Bardesanes zog durch Hymnen und Psalmeo,

die er in neueo Melodien voll anmuthiger Maonigfaltigkeit vor¬

trog, eioe Menge Zuhörer zu deo Geheimnisslehren seiuer sinn¬

lichen Gnosis , verführerisch vor Allem für die leicbt entzündbare

Jugeod. Ihm folgte, bis ins 3te Jahrh. hineinreichend, ^ein Sohn

Harmonius, der die Gabe des Gesanges vom Vuter erbte.

Syrer waren auch die Gnostiker Basilides , Saturninus, Tatian,

Cerdo. Da nun, wie August Hahn (Bardesaoes Goosticus

Syrorum primus hymnologus pag. 28) richtig hemerkt: „die

Gnosis selbst Poesie ist, wesswegen es Niemand

wunderbar vorkommen kann, dass unter den Urbe¬

bern uud Pflegern derselben auch wahre Dichter

gewesen"; so lässt sich mit Recht diese Zeit des syriscbeo

Gnosticismus als die erste Periode der syr. Dichtkuost angeben.

Der zauberische Reiz dieser poesiereicheo Goosis wirkte noch

im 4ten Jahrb. mit hinreissender Kraft; da erhob sich als Strei¬

ter Christi uod Vertbeidiger der orthodoxen Lehre Epbräm „der

Prophet der Syrer, die Zither des h. Geistes, der Kirche Säule",

und mit ihm beginnt die zweite Periode , das goldene Zeitalter

der syr. Dichtkunst, beiläufig drei Jahrh. umfassend. Neben und

nach Epbräm blühten Balai als ein sehr gefeierter Sänger,

Jacob voo Sarug, zubeuannt „die Flöte des Ii. Geistes, und

die Harfe der gläubigen Kirche", bei weitem der berühmteste

nach Epbräm; Isaak der Grosse, Schüler des Zenobios, eines

Schülers von Ephram; Maruthas, Bischof von Tagrit io Meso¬

potamien; Narses, eio Nestoriaoer; Xeoajas, Bischof von

Mabug, ein Mooophysit, vou dem jeduch zu bemerkeu, dnss er

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Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug. 635

seioer muslerliafteo Sclireibart wegeo wolil zu den syr. Classi¬

kern gerecbnet wird, den Dicbtern aber nicbt sicber beigezäblt

werden kann, weil der ihm zugescbriebene Gesang über die

Geburt des Uerm nicht mit völliger Gewissheit von ihm herriilirt;

Isaak der Nin ivit, gegen das Ende des 0. Jahrb., und

mehrere andere.

Mit dem 6. Jahrh. verschwindet die Glanzperiode der syr.

Poesie uod das goldne Zeiluller der syr. Sprache überhaupt.

Zwar stand um die MiUe des 7. Jahrh. Jakub von Edessa als

Wiederhersteller der durch Syriens Eroberung von den Arabern

entstelllen Reinheit seiner vaterländischen Sprache auf; dass aher

schon damals der Geschmack für wahre Dichlkunst arg verdorbeo

war, beweist der seltsame Versuch eines seiner Zeitgenossen,

Namens Georgius, eines liiscbofs christlicher Araher. Dieser

wollte den auf ihren poetischen Ruhm stolzen Arabern beweisen,

dass die syr. Sprache docb auch zu löblichen dichterischen Ar¬

beiten sich eigne, und verfasste zu diesem Zwecke im zwölf-

sylbigen Metruin einen Kalender, worin er nach dem für poeti¬

sche Darstellung an sich ganz geeigneten Anfange über Gottes

Einbeit und Vorsehung von den Epakten, dem Sonnenzirkel, den

beweglichen Festen und undern dergleichen äclitdicliterischen

Gegenständen handelte. Gegen das Ende des 8. Jahrb. trat ein

gewisser Theophilus von Edessu als Uebersetzer Homers auf.

.Als einen Verfasser schöner Hymnen um ehen diese Zeit rühmt

der gelehrte Barhebräus den jacobitischen Patriarchen Georgius.

Mit dem zehnten Jahrh. schliesst das silberne Zeitalter der syr.

Literatur.

Spätere Dichter, die io syr. Sprache geschrieben, übergehe

ich, da Liebhaber des Orientalischeu sich in Assemunis Biblioth.

Oriental, darnach umsehen können, 4ind bemerke nur uoch, dass

nach der Ansicht des Silvestre de Sacy die iVlährcben der 1001

Nacht syrischen Ursprungs sind und dass unter den arabischen

Dichtern mehrere geborne Syrer waren, beides zum Beweise, doss

die Syrer nicht bloss Versmacber, sondern auch Dichter waren.

Ich möchte nuu aber, weil diese Blätter meiner Absicht nach

eine Art Apologie der syr. Poesie seyn solleo, etwas mehr ios

Einzelne gebend nachzuweisen versuchen, was sich an uud in

ihr Lobenswerthes findet. In Ephräms Schriften begegnen wir

unter seinen Weilinaclitsgesängcn manchen, die als Proben idyllisch-

lieblicher Darstellung gelten können; in den .Grabliedern tri£ft

mun nuf Stücke, die hald schreckenerregend, bald tief elegisch,

bald wieder aomutbig klingen; ein Paar Gesänge uud einzelne

Stellen über das Paradies mögen als Muster wolilgclungener Be¬

schreibung angesehen werden. Mehrere Oden gegen die Grübler

über die religiösen Geheimnisse sind in erhabenem Tone verfasst,

einzelne Reden gegen Irrlehrcr sind als scharfgcisselnde Satiren

lobenswertb. Auch iu den nur mehr in griechischer Ueber-

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636 Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug.

Setzung vorliandenen Schriften Ephrams , zumal in den Reden

Uher das lelzte Gericht, stösst man auf ergreifende Stellen von

wahrem poetischen Werthe.

Dn über Jakob von Sarug scbon gesprochen worden, ist uls

der drifte bedeutende Sänger Isaak der Grosse von Antiochia zu

erwähnen. Mehrere Fragmente aus seineu zahlreichen Schriften

im I. Ilde, der Biblioth. Oriental. verrnthen poetische Begabung ; er

wählt Stoffe, die für dichterische Bearbeitung sich eignen, wie

Kriegsscenen , Erdheben, andere öffentliche Unglücksfälle; durch

Prosupopöie, Tropen, lebendige Beschreibung schmückt er seine

Darstellung. Ein beachtenswerther Schatz geistlicher Lieder

mitunter von wahrem und grossem poetischen Werthe findet sicb

in den maronitischen Brevieren von ungenaonten Verfassern neben

Gesängen aus Epbräm und Jacob von Sarug. Da Maruthas,

Bischof voo Tagrit io Mesopotamieo, im 5. Jahrh. mehrere

Hymnen zum Preise h. Märtyrer schrieb und in den syr. Bre¬

vieren mehrere solche schöne Lieder auf diese Glauhenshelden

stehen, mögen dieselben wohl ihn zum Verfasser haben. Maruthas

erbebt sich auch in den Prologen zu manchen von ihm verfussten

Märtyrer-Akten bie und dä zu poetischer Begeisterung. Des

Barhebräus Gedichtlein üher die Rose, herausgegehen von Len¬

gerke, sind nicht ohoe Eleganz und Anmuth.

Nacbdem ich nun Einiges üher syr. Dichter und ibre Ver¬

dienste in der edlen Kunst des Gesanges gesprochen, mag in

den folgeodeo Blättero eioe Auffübruog vieler kürzerer Beispiele

dartbuo, dass es der Poesie Syrieos keioeswegs ao dichterischem

Schmucke, an schönen Beschreibungen, am Angenehmen und

Liehlichen, am Erhabenen und Furchterweckenden gänzlich fehle.

Begeisterung und Phantasie haben auch der Muse dieses Landes

glänzende Farben in die Band gegeben, ihre Gebilde lebhaft und

gefällig damit zu zieren. Als ein vorzügliches Mittel , Erzeug¬

nissen der Dichtkunst höheres Lebens und grosseo Reiz eiozu-

baucheo, siod mit Recbt die Tropen und Figuren anzusehen.

An dieser Zierde poetischer Darstellung ist bei den bessern syr.

Dichtern kein Mangel. Wenn Epbräm vom Paradiese singt, so

stellt er uns dasselhe in solcber Höhe vor, dass der Süodfluth

böchste Woge wie aobeteod deo Fuss derselbeo küssle. Im

Innern fesselt es alle Glieder mit seiner Freuden Fülle; den in

die Wogeo seiner Schönheit Versinkenden stürzt es in eig immer

neues Meer von Schönheit. Seine Blumen fühlen sich besiegt

heim Anblicke der Früchte, welche die Gerechten bringen, und

seine Blüthen fürchten von den Blüthen der Heiligen und Jung¬

frauen ühertroffen zu werden. Des Paradieses Duft erneut, sein

Hauch verjüngt; seine Bäume neigen ehrerbietig sich zu deu

Reinen hernieder in ihrer Schönheit und rufen: „0 kommt in

unsre Gezelte, wohnt uoter unsern Zweigen!" Bäume und Pfor¬

ten des Paradieses sehnen sich den Kommeoden entgegen.

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Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug. 637

Wenn das niclit Poesie ist, so weiss icli oiclit, was sie ist.

Folgen wir Ephram in seinen Todteogesängen zum Besuche

der Gräber! Seine Gedanken ziehen, die Gerechten geicifend,

in tiefes Sinnen versunken dabin. Br siebt den Tod getödtet

und fragt ihn; ,,Wo ist dein Stachel , Allverschlinger j" Und mit

beredtem Schweigen erwiederl der Furchtbare: „Zieht nun in

Frieden, Sterbliche, meine Herrschaft ist aus!" Im Hafen des

Todes legeo die Gerechten alle Leiden ab und ziehen durch ihn

in's Reicb der Höhe. Grauenvoll aber ist das Todtenreicb; je

mehr I-icichen es regnet, desto weiter wird sein Schlund; unver¬

muthet fülirt zu seinen Kammern der Bote Gottes, schneidet der

Harfe .Saiten ab, reisst den Baum des Lebens aus. Allen Schmuck

zertritt der schreckliche Todesengel und kleidet jede Stimme in

Schmerz. Höhnend rafft er Alles hinweg.

Gehen wir vom Schnudervullcn zum Angenehmen und Lieh¬

lichen über! Ephräms .Muse spielt mit holder Anmuth an der

Krippe des göttlichen Kindes, dieses wunderbaren Arztes, vor

dessen Schelten der Aussatz floh , den erblickend das Fieber floh.

Der Monat seiner Geburt bringt alle Freuden, hüllt uns liebend

in Purpur wie Könige. Dem Neugebornen jubelt als Herold der

Stern des Lichtes oben, der den Weisen des Morgenlandes er-

sehien , und ruft in der Luft: „Seht den Sohn des Königs!"

Der .Mutter des .Menschengeschlechts aber wird zugerufen: ,,Heut

erhebe Eva vom Grabe die Augen und freue sich dieses Tages!"

So begegnen wir bei Epbräm den schönsten Tropen und

Figuren, der Metapher, Apostrophe, Prosopopöie; auch ihm be¬

seelt sich das Leblose und tritt handelnd auf. Berge und Thäler

klagen über den Gefallenen , die Felsen ergiessen schmerzlich

sich in Thränen; bei der Pest steht der Tnd als König des

Verderhens da, die GriÄ'te sngen nie: ,, Genug", die Tenne weint

um ihren Herrn, die Heerde um den Hirten, Weinberg und Trif¬

ten klagen u. s. w.

Nocb einige Beispiele aus andern Dichtern, damit man nicht

wähne, dass nur hei Epbräm diese Zierblumen der Poesie sich

flnden. Zu dem, wus icb aus Jncub von .Sarug schoo hervor¬

gehoben habe, füge ich ooch folgende Beispiele. In der Trauer¬

rede über die Zerstöruog von .Amida ruft er auf: „Weinen sollen

über Amida die Gegenden alle." Die Lobrede auf des Erlösers

Himmelfahrt beginnt mit der Apostrophe: ,, Erwach, meine Harfe,

zum Preise des Eingebornen!" Den Gesang auf eioeo h. Mär¬

tyrer von Edessa eröffnet er mit den Worten: „Gehüllt in Glut

rief der Blutzeuge aus dem Feuer mir zu" u. s. w. Bei Christi

Gehurt zieht dus Licht aus, die Finsterniss ru tödteo. Deo be-

rühmteo Styliten Simeoo preiseod fleht er zum Herrn: „Deine

Flöte hin ich; hauche reichlich deinen Geist mir ein zu wunder¬

vollen Tönen üher deo Herrlicheo!" Seioe Schilderuog der Ver-

sammluog io der Hölle gegeo den Aiosamen Beter auf der Säule

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63i8 Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug.

ist vou ergreifender Aoicliaulichkeit und erinnert an die ülinliclien

Scenen in Milton und Klojistock. Bilderreich ist die Stelle wie

die Engel den Säulenstelier zum Hinscheiden einluden : ' Her

Ahend ist angehrochen; wohlan nun, o f..andmann , löse das Ge¬

spann ah und ruhe aus ! Auf, o Seemann, verlass das Meer und

seine Wogen und lande im Hafen des Friedens!" Mit Simeoos

Schülern lässt er die Felsen über dessen Hingang weinen und

die Berge von Schmerz ersdiütlert beben. So finden wir in dem

Weuigen, was aus den Schriften Jakobs voo Sarug gedruckt ist,

fast überall eine lebbafte dichterische Darstellung.

Isaak der. Grosse bietet ebeofalls schoo in den wenigen

Bruchstücken, die Assemani in der Biblioth, Orientnl. aufgennm-

meo bat, maoches Schöne und Rühmenswertbe;" wievief mehr

Ausbeute liesse sich er«t aus seinen gesammelten Schriften oder

mindestens aus einzelnen ganzen Stücken erwarten! In der me¬

trischen Rede über den Glauben personificirt er diesen:

Der Glaube lud mich ein, Seiner Gaben micb zi erfreu'n.

An seiner Tufel lagert' er mich l'nd stellte mir Fruchte des Geisles auf.

In einer Paränese führt er die Wahrheit redend eio, wie sie sicb

dem Dnrechte mit siegreicher Gewalt entgegenstellt. Das Erd¬

beben von Antiochia (am 8. Juni 459 n. Chr, oacb Assemaois Be¬

rechnung) schildernd sagt er:

Die F.rde sprach, uns zu tmecken.

In den Gebäuden sprach das Erdbeben Gleich dera Donner in den Wolken.

In der Rede üher die Samariterin tritt' der Berg Sion redend

juf: „Ich bin es, den Gott erkoren uod geheiligt hat." Dass der

Zurückweisende selbst tadellos seyn sull, drückt er durch ein

schönes Bild aus :

Wer Andern zu trinken beut.

Lösche selbsl erst seinen Durst Von seinem Getränke.

Maruthas zeigt seine Vorliebe für dichterische Darstellung in

den Prologen zu einzelnen seiner Akten morgeoläodischer Märtyrer.

Die grausame Verfolgung der Juden zur Zeit der Makkabäer

beschreibend ruft er uus: „Eine Reihe der Kämpfe bot sich dar.

Da floh die Freude, die Heiterkeit entwich. Der Tod kam, die

Uoterwelt eilte herbei weit oufreissend ihren .Schlund, mit gieri¬

ger gestreckter Zunge auf Beute harrend. Salt ward das

Schwert, UberHillt das Mordeisen. Dann aber kam (fährt er

übergehend auf Judas Makkab. fort) der Regen der Erbarmuogen

uod es strömte die Flut der Goade üher u. s. w. Die .Soone

sandte w ieder ihre S trahlen, das Eis des Götzentbums zu schmel-

(11)

Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug, 639

zen; sie breitete (Ins Kleid des Friedens, das Gewond der Ruhe

aus, die verpestete Erde zu reinigen. Den bösen Thieren drKute

sie , dass sie sich zerstreuten und der junge Leu Judas verherr¬

lichte weithin sein Volk." — „0 Schwert, unser Schenke, wie

bist du so arg (bricht er bei einer Scene aus .Sapors Christen-

vertulgung aus); Tod hat es tückisch io seinen Trank gemischt.

Möge nun, o Herr, dein Schwert erwachen, dein Scliwert sich

erheben gegen des Tyrannen Schwert!" — Ein andrrsmal he¬

ginnt er die Akten einiger Märtyrer so: „Sieh, ich wage mich

auf eio .Meer, weoo ich etwa vermag düs Ziel zu erreichen; ich

stürze mich io seine Wogen, oh ich etwa io den Hafen zu ge¬

langen im Stande bin. Furchtbar ist seine Tiefe, schaudervoll

seine Brandung; darum flüchte ich mich in ein sicheres Scliifl^."

So spricht er von der Schwierigkeit, sein Thema würdig durch¬

zuführen. Wir finden da durchaus hildervolle, anschauliche,

lebendige Darstellung, wahrhaft dichterischen Stil.

Einige Beispiele von Tropen und Figuren mögen noch hier

aufgeführt werden aus den wenig bekannten syrischen Brevieren,

worin wohl vorzüglich Epbräm und Jakob voo Sarug henutzt

sind , uber auch aus andern .nichtgenannteo Schriftstellern Ge¬

sänge mitgetheilt werden. Bei einer Klage über Adums Fall ')

lesen wir die schöne Stelle: ,,Als Adam vom Paradiese schied,

seokten Edens Bäume trauernd ihre Wipfel, es flössen Engel-

thrä'nen, und klagend schlugen die Seraphim ihre P^lüirel anein¬

ander. Adam aher rief scheidend:

Lehe wohl, u Piiradie& , Lebt wohl, ihr schönen Itäumc, Ihr herrlichen Früchle alle !

Die Engel riefen weinend entgegen :

Zieh nun im Frieden hin ! Kinst «erdrn'die Verhannlen Zurück in's Erbe ziehn.

Im Todteogesange über einen seligen Bischof kommt die Apo¬

strophe vor: „Des Gebetes Zeit ist da; wohlan nun, flehe an

der Spitze deiner Heerde, segne die Scbäflein ! Ach, sie ver¬

langen nach deinen süssen Liedern; doch — in der Engel Reiben

weilest du schon verklärt und herrlich strahlt deine Krone."

Die gegebenen Beispiele sind aus dem Breviar. feriale; eine

reiche Lese könnte nuch den zwei grossen Foliobänden des ma¬

ronitischen Festbreviers entnommen werden; doch mag d;is bisher

Angeführte mit deo Probeo aus Jakoh von Sarug genügen und

nur nuch die allgemeine Bemerkung da stehn : Wenn Belebung

1) Wahrsrhi'iiilich von Isaak di'in (iiossen, umIit di'ssi'n Scliriflen Asse¬

mani rine mclrisclie Hede über Adam und Kva und ihre \ eibannung aus dem l'aiailiesc anfübrl.

(12)

640 Zingerle , Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug.

des Leblosen, wenn Metaphern, Personificationen, Apostrophen

u. a. Figuren und Tropen in der Poesie anderer Völker als

ein schöner Schmuck derselben gelten, ist wahrlich nicht abzu¬

sehen, warum sic gernde ira Syrischen nicht scbön seyn sollten.

Dass aber die meisten der angeführten Beispiele ächt dichterisch

sind, lässt sich, wie mich dünkt, wohl keineswegs bestreiten.

Wahrscheinlich finden sie in den Augen Vieler nur desswegen

keine Gnade, weil religiöse Poesie überhaupt nicht sehr beliebt ist.

Geben wir von den Figuren und Tropen auf Bilder und

Gleichnisse über, so werden wir «uch deren einen befriedigenden

Schntz in der -syr. Dichtkunst finden. Was es immer Schönes

und Herrliches gibt in der Natur, hat die Poesie der Syrer so

gut, wie die anderer Völker, zur Belebung und Verschönerung

ihrer Werke angewendet. Von den Sternen des Himmels his zu

den Perlen des Meeres, Blumen und Bäume, die schuldlosen Lämmer

und Tauben wie die Reben und Trauben, Quellen und Berge,

Licht und Schatten, Alles dient ihr als Bild und Gleiehniss zum an¬

genehmen Schmuck ihrer Gaben, ünpoetisch wird vielen Lesern nur

diess scbeinen , dass sie Heilige und nicht die Wangen schöner

Mädchen mit Rosen vergleicht, dass sie süssen Duft aus dem An¬

denken der Märtyrer wehen lässt, nicht aus den trocken einer

moschushauchenden Perserin, dass sie edle grosse Seelen, nicht

die Augen einer Geliehlen mit schimmernden Sternen vergleicht.

Benutzt werden diese Bilder aus der Natur von den syr. Sängern

theils zu kürzern Gleichnissen, theils zu fortgesetzten Metaphern

oder Allegorien. So stellt Fphräm unter dem Bilde einer kunst¬

reich von Golt gebauteo Harfe die Schöpfung dar, die dann bei

der Ankunft Cbristi freudig aufathmet, ihren Bildner erblickend

sich ausdehnt, ihre mächtigen Saiten verlängert und seine Hände

küsst, weil er sie würdigte durch Berührung seiner Finger sie

zu heiligen. Durch seine Ankunft n^geschaifen spielt sie neue

Gesänge. Das nämliche Bild wendet er auf Sänger geistlicher

Lieder an. So ist die 33ste Ode gegen die Grübler eine fort¬

gesetzte .Allegorie: „Sprich, o Harfe, ordne die Saiten, die das

Forschen verwirrte! Stimme dich seihst harmonisch!" u. s. w.

Die Perle dient ihm zu einer durch mebrere Gesänge durchge¬

führten Allegorie, indem er unter diesem Bilde bald die Schön¬

heit uud deu reinen Glanz des Glauhens, bald die Zeugung des

ewigen Wortes besingt. .Als Bild des Uebergangs in eine andere

Welt dient das Bild einer Brücke, ähnlich jener, von der Rückert

singt :

Zwischen Zeit und F.wickeit Stellt die Sclieidungsbrücke,

und wie bei diesem grossen Dicbter

^\ Das Menschenkind begleiten,

Wohin sein Fuss mag schreiten,

(13)

Zingerle, Prolen syrischer Poesie aus Jakoh von Sarug. 641 Zwei Engel schreibend früh und spai ,

Sie schreiben mit der Feder Auf seinem Blatt ein jeder,

VVas Guts das liind , was Böses tbal :

ebenso bei Epbräm ein Unsichtbarer, der als Zuschauer alles

Thun der Menschen aufschreibt für den Tag des Gerichts. Das

Bild der Brücke dient ihm ferner zur Darstellung des Gedunkens,

dass wir durcb dus Kreuz des Erlösers über deo Flammcustrum

jenseits'oder über das Meer des Prüfungsfeuers, in dessen Wogen

versinkt, wer ein leckes Schilf hat, übergehen in's selige Keich

des Lichtes und ewigen Friedens. Ein Weinstock in die Erde

gepflanzt, duran die Kindlein wie süsse Früchte hangen, ist ihm

die Ehe; einem fruchtbaren Aste gleicht die Kindheit. Ein be-

sunderes liebes Bild für Kiuder siud ihm und andern die lieh¬

lichen Lämmer.

Da in den syr. Brevieren die Dichtungen Mehrerer nieder¬

gelegt sind , mögen daraus noch eioige Beispiele folgeu. Die

Zeugen Christi werden hald mit Adlern verglichen, die sicb in

die Höhe schwingen uud Flehenden schnell zu Hilfe eilen, bald

mit Sternen, die hellen Glunz ergiessen, bald mit einem Baume,

dessen Früchte Heilung spenden den .Sterblichen, die Kirche wird

bald als neues Paradies, bald als üherall gebietende Königin

verherrlicht. Beim Schalle der Gerichtsposaune fallen die Leuch¬

ten, die in schönen Reiben am Himmel stehn, wie Blüthen ab.

Maria und Elisabeth sind zwei Reben, deren jede eiu Wunder¬

kind als Traube trug, und vom Weine dieser Trauben geniesst

alle Welt süsse Labung. Wie in Herders morgenläudisclier Blu¬

menlese das Haar der Geliebteo die Fessel ist, die uns Gedanken

und Willen bestärkt, so ist dem Syrer die Welt eine grosse

Fessel, die das Gemüth unzerreisslich bestrickt. Wenn in der

nämlichen Blumenicse der edle Nosami mit eioer Perle verglicben

wird, die der Himmel aus reiustem Thaue schuf, und wenn dieses

Bild mit Recht als schön und anmuthig gilt: so scheint mir das

nämliche Bild im Syrischen auch schön angewendet, wenn es von

Maria heisst: „Gleich der Perle, die fleckenlos in der Sonne

glänzt, ist die Mutter des Heilands; immer entstrahlt ihr das

blendende Licht, welches der .Sonue entscbimmert. " Oder soll

iu dieser Stelle das nämliche Bild nur desshalb nicht mehr schöo

seyn, weil darin die Heilige besungen wird? Dus Buch, worin

die Grossthnten der Glauhenszeugen stehn, ist bei Maruthas eine

herrlicbe Ebene mit prächtigen Zedern bepflanzt, eine festliche

Wiese mit den wohlriechendsten Blumen hesetzt; ihre Nnmen sind

Blüthen, ihre Wunder duftende Lilien. Der Name eines christ¬

lichen Helden weckt Freude in jedem Gemüthe , wie der blüliendi;

Mai die Erde mit Blumen erfreut. Gleicb Rosendüften in Lenzes¬

tagen verbreiten sicb Wohlgerüebe vom Tode der Märtyrer aus.

(14)

642 Zingerle, Prolen syrischer Poesie aus Jakol von Sarug.

Mit einer verirrten vom Jäger durch Liebe wiedergewonoeoen

Tnube wird Magdalena, mit einem von Sperbern umrungenen

Täubcheo Sankt Barbara verglichen. Eine holde Lilie voll

süssen Geruchs, eine Qoelle des Lebeos, ein wunderbarer Wagen,

der ilea Herrn trug, wird die Mutter des Heilands genannt; und

wie im alten Liede des ehrwürdigen Tauler gesungen wird:

Es koiniiit ein Schilf, geladen Iiis an den hiichslen Bord , Ks trügt Golles Sohn voller Giiailun, Des Vaters ewig VVoit:

ebenso wird auch von einem syr. beiligeo Säoger Muria ein Schiff

geuannt, beladen mit himmlischen Schätzen. Wenn mein Ge¬

schmack mich oicht trügt, sind alle diese Bilder und Gleichnisse

edel und eclitpoetisch ; sollten sie ouo bloss desshalh nicht mehr

scbön seyn, weil sie zum Schmucke heiliger Gegenstände verwendet

werden? üiess wäre doch eioe zu starke Befaogenheit in den

Schlingen einer bloss materialistischeo Dichtkunst und zeugte

von einem verwöhnten Sinne, dem nur lüsterne Sinnlichkeit mit

ihren lockeodeo Schilderuogeo gefiele.

Bescbreihuogeo uud Gemälde werden bekanntlicb ehenfalls

für eine besondere Zierde poetischer Darstellung gehalten; wir

wollen daher aucb io dieser Hiosicbt die syr. Poesie zu recht¬

fertigen sucben. Sie entfaltet solcben Schmuck dem Leser und

Freunde in reicher Mannigfaltigkeit. Hie und du Liebliches,

noch öfter Erhabenes ond Furchtbares stellt sie in lebendiger

Weise dar. Die sich nur angesprochen fühleo, weoo voo .Ara¬

hero und Persern verführerische Huris oder verhuhlte Knaheo,

blühende Rssenlauben und fröhliche Trinkgelage oder andere

Scenen sinolichen Lebeos im Schoosse der Lust und Liebe be¬

schrieben Werdeo, solche zartgestimmte und empfindsame Seelen

könoen allerdings uur wenig Genuss fiuden beim Lesen von Be-

schreihnnges des letzteo Gerichts oder des Todtenreichs , wie

Ephräm sie liefert, mögen diese aucb von Seite dichterischer

Darstellung grosses Verdieost hahen. Wir könnten bier übrigens

ausfübrliche Beschreibungen verschiedener Art gehen, begnügen

uns aber als Beispiele nur einige kürzere Schilderungen, kleinere

Gemälde anzuführen. Die Schönbeit des Osterfests im ringsum

blühenden Frühlioge scbildert Ephräm in einigen Zeilen so:

0 sieh! Die Luft erglänzt so klar, l'nd liehlich <in|t, der Vögel Scbaar In mannigfachen ^önea.

Die ganze Krde prangt geschmückt Im Blumenkleide, nichl geslickl Von Menschenhand, sie zu verschönen.

Eine Einladung in's Paradies aus dem Munde Christi:

(15)

Zingerle, Proben syrischer P,oesie aus Jakoh von Sarug. 643 Ich will euch erquicken,

Wo das Wasser der Kuhe fliesst, Die Weide mit jungem Grüne prangt.

Der Weinberg Golles bliihi.

Wo ewige Freude lachl ,

Wo die Sonne strahlt, die nie unicrgelit.

Eine Seele, von den süssen Finthen himmlischer Gnade bewässert,

ist ein königlicher [.lUstgarten voll der schönsten Früchte, voll

liehlich duftender PDanzen, welche die Augeu erfreuen und Wonne

gewähren. Von diesen Fluthen empfängt sie Licht, Süssigkeit

und Freude, und wird mit Wohlgeruch erfüllt.

Das sind doch wohl Uostreitig liehliche aomuthige Gemälde.

Da Gottes Soho erschienen, glänzte voo seioem Wiederscheio

der ganze Jordao , das Meer aah iho und rauschte erschreckt,

dnss seioe Wogeo stürmisch brausteo. Dano sank es uod trug

ihn auf seinem Rücken, sanfter ihn führend als das Füllen, wor¬

auf er am Pulmtage ritt.

Diese und viele andere Stellen, so wie die . ausführlichen

Beschreibuogen des Paradieses und uniiiuthige Bilder in den Weih-

nacbtsgesängen Ephräms und in den Brevieren der Maroniten be¬

weisen doch hinlänglich gegen Eichhorn und seine Nachbeter,

dass die syr. Puesie auch gar Manches habe zu ergötzen und

aufzuheitern.

Die Beschreibung der Pest, des jüngsten Tages, des Tod-

teoreicbs , der Erdbebeo , des Uotergangs von Städteo zeigen

jeoen aus Uokeautniss ungerechten Kritikern gegenüber, dass

die syrischen Dichter aucb durch Bilder der Furcht .Schrecken

einflössen können.

Es sei mir gestattet, nocb auf eioige solche poetische Ge¬

mälde aufmerksam zu machen. Des ersten Säuleoheiligeo Kampf

gegeo alles Uogemach der Witteruog wird so geschildert: „Die

Soooe braonte ihn wie ein Feuerofen, der Gerechte war das Gold

dario. Dos Feuer erlosch, der Streiter Gottes giog verklärt

bervor. Es kam der Winter uud führte beftige Stürme mit sicb;

der Nordwind fuhr daher mit seinem Schnee, der Ostwind mit

seiner Gewalt, alle Winde vereinten sich und in ihrem Gefolge

stürzteo mächtige Regenschauer herab. Bald jedoch ruhten sie

besiegt und schwanden. Eis und Schnee vergingen, der Regen

versiegte, und Simeoo stand da in neuer Kraft." Bin anderer

Simeon, der heilige den Erlöser erwartende Greis, wird im

Maronitischen Breviere uns so vorgeführt: „Geschlechter ver¬

gingen , Jahre auf Johre eilten dahin und der Gerechte sass

harrend der Ankunft des Verheissenen. Vorüber wandelt aucb

der Tod, erblickt deo Greis, führt die Völker der Erde ihm

vorbei, doch naht' er ihm nicht und (ler Greis stand und harrte.

Aber als er den Verheissenen sah, Düfte des Lebens wehten ihm

entgegen , da eilt' er entzückt auf den Ersehnten zu " u. s. w.

4 2

(16)

644 lingerie, Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarugl

Ist denn das Bild dieses harrenden Greises niclit feierlich? das

Gemälde der vor ihm duhinrollendcn Jahre, der vergehenden Völ¬

ker, der Ankunft des Erwarteten mit den Düften des Lebens

ist CS nicht wahrhaft dichterisch?

Als Christus erstand fiesen wir ferner im Brevier) , nachdem

cr des Todes Stadt in Trümmer gestürzt, stieg die Sonne aus

der Unterwelt leuchtend hervor und ihrem Aufgange jauchzten

entgegen alle Kinder der Schöpfung. Er erschloss des Paradieses

Thor, hiess deu hütenden Cherub ziehen, und führte den ver¬

lornen Adam in's Reich der Höhe.

Wie licLIicli wird die h. Nacbt der Geburt Christi geschil¬

dert! Mit Maria freut sich die Höhle, worin sic das Wunder¬

kind geboren, uud die Krippe, iu der es lag; Engel uod Hirten

freuen sich und Himmel und Erde vereint.

Die Erwähnung dieser Weihnacbtsceiien leitet uns über zum

Nachweise, duss auch Angenehmes und Liebliches in der syr.

Poesie sich finde. Sie hat, wie wir bisher sahen, ihre Tropen

und Figuren, hat Uilder und Gleichnisse, hat Besclircibungen und

Gemälde. Schon diess beweist hinlänglich , duss es ihr" un .An¬

muth und Lieblichkeit niclit so völlig gebrechen kann, wie ihre

zu voreiligen Verdammer meinen; denn uller dieser Schmuck

poetischer Durstellung trägt ju viel zur Anucbmlicbkeit und

.Scliiinlieit bei. .Auch finden sich unter den bisher ani^efülirten

Bildern und Tropen mehrere, die in das Gebiet des Anffcnclimeu

und Liehlichen ubiie alle Widerrede gehören. Um jedoch Eich¬

horns und .Anderer übertriebenen Tadel , dass in der syr. Dicht¬

kunst gar nichts Anmuthiges und Anziehendes vorkomme, noch

etwas mehr zu widerlegen, mag es mir gestattet seyn, einige

undere Beispiele dieser Art zu erwähnen. Dazu gehören die

idyllischen Scenen, welche in Ephrams Weihnachtsgesängen vor¬

kommen, und einzelne seiner Grahlieder uuf den Tod von Kin¬

dern. Aucb in den Brevieren finden sich Weibnaclitslieder von

grosser Annehmlichkeit, die wie zarte Töne um die Krippe des

göttlichen Kindes klingen. Ephräms Darstellungen des Glückes

der Seligen jenseits im Garten voll Licht und Blüthen und Engel

heim ewigen Gastmahle der Sieger enthalten ebenfulls viele Stel¬

len von holier Anmuth. Dazu gehören ferner einzelne Legenden

und Lieder auf Heilige in den Breviercu der Maroniten. Auch

manche Stellen in Maruthas Akten morgenländiscber Märtyrer

verdienen hier eingereiht zu werden. Aus der spätern Zeit ge¬

hören hierher des Barhebräus Lieder über die Rose.

VVie dus Angenehme und Liebliche, so ist auch das Erha¬

bene in der syr. Poesie würdig vertreten. William Jones gibt

im 10. Ki'ip. seines Commenturs über die Asiatische Dichtkunst

uls Quellen des Erhabenen in dicliterisclien Werken das .Schrecken-

erregende, das in ein gebeimnissvollcs Dunkel (i:eliUllte , dus

Grosse und Prächtige au. Als erhaben wird eine poetische

(17)

Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakol von Sarug. 645

Scliilderung- audi augeselien , wenn sie in edler Kürze Grosses,

Holies, Uuermcssliclics ausdrückt. Dieser Ansiclit gemäss scheint

mir Ephräms Ausdruck über Christi Wundermacht :

Das Fieber sab ibn und floü , Er schall und der Aussalz lloli"

erhaben, ähnlich dem hihlischen Ausdrucke : „Er sprach, es werde

flicht, und cs ward Licht." Wahrhaft erliabcn <lurf wohl auch folgende .Stelle genannt werden , die im Ferialhrevierc vorkommt,

wo die Rede davon ist, wie Gott die Bitten der Märtyrer im

Feuer erhörte :

Er bestieg, sicb erbebcml, Den Wagen der Cherubim , Das Feuer sah

Seinen Schiipfer , und Träufelte Tbau.

Gottes sich erhebende Majestät und die Ehrfurcht des Feuers

geben eiu grossartiges Bild. Im Festbrevier wird erzählt, die

Asche des im Morgenlande hochgefeierten Märtyrers Georgius

scy nach seinem Feuertode auf die Berge weitbin zerstreut wor¬

den auf Befehl des Tyrannen ; du

„Gebot Chrislus der König Allen Gebirgen :

„Bewahrt mir sorgsam Diese Asche auf! "

Der einfache Gedanke, dass die Asclic erhalten werde, scheint mir

in dieser Stelle auf erhabene Art ausgedrückt. Christus gebietet

und die Berge ringsum bewahren die Asche seines Blutzeugen.

Gottes Majestät und die Grösse des Wcitlieilandes wird bei

Ephräm und Jakob von Sarug sowohl als auch in den maronit.

Brevieren auf wahrhaft erhabene Weise besungen. Als furcht¬

erregend erhaben sind zu erwähnen die Beschreibungen des jüng¬

sten Tages, der Ankunft des Richters, der Fest, des Todten¬

reichs , worauf ich schon früher aufmerksam gemacht habe. Es

sei mir nur noch gestattet, eine Stelle aus Ephräm zu erwäh¬

nen, die meiner Ansicht nach mit allem Rechte erhaben zu nennen

ist. Im 12. Gesänge auf Christi Geburt legt er der Mutter des

Heilands die Worte in den Mund:

„l\lich trug das Kind, Das ich getragen, Liess sein Geliedcr Herab und nahm mich Auf seine Flügel ! Flog in die Luft und Versprach mir: Einst

Kd. XV. 42

(18)

646 Zingerle, Prolen syrisclier Poesie aus Jakob von Sarug.

Sind Deines Sobnes Die Hob' und Tiefe."

Sieht man da nicht die Mutter mit dem weltheherrschenden Kinde

in üherirdischer Glorie auf Wolken schweben gleich Raphaels

Madonna del Sistol

Auch in seinem Testumeote finden sich erhabene Stellen.

Nun noch Ktwas über das Dramatische in der syr. Poesie.

Dramen haben die Syrer zwar keine, wohl aber eine besondere

Vorliebe für dramatische Darstellung, um ihren Gedichten mehr

Anschaulichkeit und Leben zu geben; darum kommen in ihren

metrischen Reden, in Liedern zur Verherrlichung der Feste, in

Grabgesängen oft lang ausgedehnte Dialoge vor wie in spani¬

schen Dramen. Auf den Wechselgcsang zwischen Maria und den

Weisen des Morgenlandes hat schon Augusti im 5. Bande seiner

Denkwürdigkeiten aufmerksam gemacht mit der Bemerkung, diese

Produkte seien als der Anfang der Divina Commedia zu betrach¬

ten. Ein ähnlicher Wechselgesang findet sich im Maronit. Fest¬

brevier zwischen Maria und dem Erzengel Gabriel hei der Ver¬

kündung. Im nämlichen Festbreviere ist die Liebe der Kirche

zu Christiis nach dem Vorbilde des hoben Liedes in einem lunt^en

Gespräche zwischen Braut und Bräutigam dramatisch dargestellt.

Cnter den Schriften Isaaks des Grossen wird ein Dialog zwischen

Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradiese aufge¬

fübrt; in einer Rede des nämlicben Verfassers über Abel und Kain

kommt ein Gespräch zwischen Gott und diesen zwei Brüdern vor.

Dergleichen Gespräche hat auch Jakoh von Sarug zuweilen in

seine Reden eingeflochten. Bei Ephräm begegnen wir solchen

Versuchen zu dramatisiren oft in verschiedenen seiner Schriften ;

diese Neigung verleitete in der glänzenden Lobrede auf die 40

Märtyrer ihn so weit, dass er darin sogar den Feuerofen als

Bild der Prüfung anredet, warum er vun Bahylnn nach Sebaste

in Armenien gezogeo, und diesen antworten lässt: „Ich vernahm,

im Norden seyen 40 Stücke Golderz , und nun hiu ich bieber

gekommen sie zu läutern zu herrlichem Glänze." In der Rede

über die Süuderin, die den Berrn salbte, hält diese ein langes

Zwiegespräch mit dem Salhenhändler. Grüsstentheils dramatisch ist

der 31. Grabgesang, hei der Bestattung einer Hausmutter. Wie

auschaulich und lebendig, einem rührenden Monodram ähnlich ist

in einer Rede Ephräms über die Ankunft Christi zum Gerichte die

Klage einer verworfenen Seele geschifdcrt, wie sie überall um

Oel für die erloschene Lampe bettelnd und überall abgewiesen

bedrängt und hilflos jammert: „Ich will hingehn und pochen un

der Pforte der Erbarmung." Sie geht hin und klopft, aber des

Bräutigams Stimme tönt heruus: ,,lcli kenne dich nicht." So

steht sie beschämt da und hört den Schall der Freude und des

Jubels drin heim ewigeo Hochzeitmahle und erkennt die Stimme

(19)

Zingerle, Proben syrischer Poesie aus Jakoh von Sarug. 647

ilirer Freunde. Nun ruft sie Litter stölincnd aus: „ Welie mir

Elenden, wie ward ich dieser Herrlichkeit beraubt ! Lebe nun,

0 Paradies, auf ewig wohl!"

Dramatisch ist bei den syr. Sängern geistlicher Lieder auch

dieses, dass sie sich selbst so gern in die Scene hinein-ver¬

setzen , die sie darstellen wollen. Der Heilige, den sie feiern,

ladet sje zu seinem Feste wie zu einem Gastmahl ein, oder sie

treten auf den Kampfplatz und schauen dnnn die Helden des

Kampfes streiten und siegen. Der Dichter wallt bei Bethlehem

vorbei' und vernimmt in der Höhle das süsse Wiegenlied der

jungfräulichen Gottesmutter. Oder er redet die Blutzeugen an,

wie sie denn so schreckliche Peinen erdulden konnten, und die

Gefragten erwiedern: „was kein Auge geschaut u. s. w., das

war unsere Hoffnung". Sie ziehen dann empor in'a himmlische

Jerusalem uud der h. Geist fliegt ihnen entgegen und nimmt mit

Liebesgruss sie auf:

„Kommt, erbt das Reicb, das ewig bestebt.

Kommt, erbt das Leben, das nie vergeht!"

Hiermit mag dieser den Proben syr. Poesie aus Jakob von Sarug

angefügte Versuch, die Ehre der Syrer als Dichter einigermassen

zu retten, seineu Abscbluss finden. In den Augen billiger und

unbefaugener Leser, die kein Vorurtheil gegeo geistliche Ge-

sangeskuost haben , hofi'e ich meioeo Zweck weoigstens theil¬

weise erreicht zu haben. Gern gönne ich den Arabern, Indern,

Persern ibren poetischen Ruhm , darf aber doch auch wüoschen

und mein Scherflein dazn beitragen, dass ' der syr. Dichtkunst

eine schonendere Beurtheilung zu Theil werde. Zu wünscben

wäre sehr, dass eine Auswahl syrischer Poesien, die wirklich

dichterischen Werth baben, im Urtexte erschiene, wozu freilich

die Benutzung handschriftlicher Schätze ermöglicht seyu müsste,

um auch Unbekanntes aus Licht bringen zu können.

fl 2 *

42*

(20)

648

üeber die syrische Schrift : Liber generalis ad

omnes gentes in einer Hdschr. der Bibliothek

der Propaganda zu Rom.

\on Prof. lilc. A, Pohlmnnn.

Es kann- nie genug lUliinend licrvurgcliuben werden , wcirli'

eine rastlose Thätigkeit seit den letzten Jahrzehnten auf dem

tiehiete der orientalischen Wissenschaft zur Erforschung des Mur¬

genlandes sich entwickelt hat; und wahrlich in allen ihren Theilen

hat diese ausgedehnte Wissenschaft bereits einen hedeutenden Auf¬

schwung genommen, in vielen schou einen gewissen Grad der

Bliitbe' erreicht : dazu liefert unsre schätzbare Zeitschrift den

besten Beweis. So strebt auch der syrische Zweig mächtig auf¬

wärts; denn die his jetzt gewonnenen Resultate in Ergründung

und Aufhellung der syrischen Sprache und Literatur sind gross¬

artig und glänzend. Indessen wie Vieles nnch nuf diesem Ge¬

hiete uns immer noch unbekannt untl zu durchforschen i^ehlicben

selbst von dem, was unser Welttbeil an (luellen uns bietet, das

ist mir jetzt erst recht klar und bewusst geworden , nachdem ich

in der glücklichen Lage gewesen, die Bibliotheken Italiens, ins¬

besondere die römiseben kennen lernen und einige Zeit benutzen

T^u können. Im vergangenen Herbst nämlich gelang es mir, eine

Urlnubsreiäe nach Italien zu machen, vorzüglich nach Rom. Hier

denn hatte ich Gelegenheit genug, sowohl über die grosse Rcicli-

haltigkeit der in den dortigen Bihliotheken aufbewahrten syri¬

schen Handschriften zu staunen als mich darüber zu verwundern,

wie solch' kostbarer Scbatz grösstentheils so lange hat verborgen

bleiben können, so wenig hisher ausgebeutet, ja auch nur be¬

achtet worden ist, zumal man über Unzugänglichkeit desselhen

sich nicht wird beklagen können. Ich meine vor Allem die be¬

rühmte Vaticanische Itihliothek, welche auch für die syrische

Literatur die bedeutendste der Welt ist und bleiben wird , so

lange nicht frevelhafte Hände an ibr sich vergreifen. Doch aucb

das dortige Collegium Urbanum de Propaganda Fide besitzt eine

seiner grossartigen Bestimmung entsprechende wertlivolle Samm¬

lung syrischer Handschriften aus älterer und neuerer Zeit, ob¬

wohl viele derselben voo dem vorigen Pabste Gregor XVI. der

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