DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT
Heft 33 vom 18. August 1977
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Neues und Wiederentdecktes in der Ulkustherapie
Hans Ruppin
Medizinische Klinik mit Poliklinik
der Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen (Direktor: Professor Dr. med. Ludwig Demling)
Wachsende Kenntnisse über pathogenetische Zusammen- hänge bei peptischen Magen- und Duodenalulzera haben die Entdeckung hochwirksa- mer Ulkustherapeutika geför- dert. Carbenoxolon ist das ef- fektivste und am besten unter- suchte Medikament gegen Magenulzera, Histamin-H 2 - Rezeptorantagonisten fördern dagegen besonders die Hei- lung von Duodenalgeschwü- ren. Aber auch konventionelle Verbindungen wie Antazida und Anticholinergika sind bei der ambulanten Ulkustherapie empfehlenswert und haben in neueren Doppelblindstudien eine gewisse Rehabilitation erfahren.
Die Therapie des peptischen Magen- und Duodenalgeschwürs hat im Laufe dieses Jahrhunderts grundle- gende Wandlungen erfahren, und weitere wesentliche Verbesserun- gen sind auch für die nähere Zu- kunft zu erwarten. Ursachen dafür sind einerseits eine Fülle neuer Er- kenntnisse über die Pathogenese gastroduodenaler Geschwüre (1, 2)*) sowie über Physiologie und Pa- thophysiologie der Magensekretion und der gastralen Schleimproduk- tion (21); andererseits ist es die wachsende Anzahl klinischer Thera- pieversuche in Form randomisierter Doppelblindstudien — vor allem in Verbindung mit endoskopischer Si- cherung und Verlaufskontrolle der Ulzera —, mit der Nutzen oder Nutz- losigkeit überkommener Therapie- maßnahmen objektiviert werden konnten und neue Behandlungsfor- men zu etablieren sind.
Ulkusentstehung
Konventionelle Ulkustherapie Die konventionelle Ulkustherapie al- ten Stils bestand vor allem in der Hemmung aggressiver Kräfte (Diät, Antazida, Anticholinergika, Pepsin-
inhibitoren). Da peptische Ulzera be- sonders bei Bettruhe auch ohne Therapie meist spontan abheilen, ist die kurative Wirkung aller genann- ten Maßnahmen immer wieder in Frage gestellt worden. Mehrere Doppelblindstudien der letzten Jahre haben aber für Antazida (4), Anticholinergika (5) und Pepsininhi- bitoren (6) vor allem bei ambulanter Therapie signifikant beschleunigen- de Effekte auf die Heilungsge- schwindigkeit von Ulcera ventriculi nachgewiesen. Auch die Haltung diätetischen Maßnahmen gegen- über, denen in der ersten Hälfte die- ses Jahrhunderts sicherlich zu gro- ßer Wert beigemessen worden war, ist in letzter Zeit unverdient ins ent- gegengesetzte Extrem umge- schlagen.
Ulzera entstehen, wenn das normale Gleichgewicht zwischen aggressi- ven Faktoren (Salzsäure, Pepsin, Gallensäuren, Lysolecithin und be- stimmte Medikamente, zum Beispiel Azetylsalizylsäure) und protektive Eigenschaften der gastroduodena- len Schleimhaut (Schleimqualität und -menge, Durchblutung, Neutra- lisationskapazität des Mischsekretes aus Gallengängen, Pankreas und Duodenum) gestört ist (1-3) (Abbil- dungen la bis 1c).
Einige Untersuchungsergebnisse und theoretische Überlegungen le- gen nahe, daß diätetischer Nihilis- mus in der Ulkustherapie keine Zu- kunft hat: Erste systematische Un- tersuchungen über die säuresekre- tionsstimulierende Wirkung von Ge- würzen haben kürzlich Demling und Koch (7) mitgeteilt. Vor allem Senf
*) Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf das Literaturverzeichnis des Son- derdruckes.
2025
-cbarri, c,
Darstellung 1 b (Mitte): Ulkus als a, Folge einer Störung des Gleich- cP 0
, - j gewichtes zwischen Aggression -5 e „, . , . und Schleimhautschutz
'9ualita' Gallensäuren
Reflux In-
kompetenzi
Lysolecithin
Histamin-H,-Rezeptorantagonisten (Metiamid, Burimamid und Cimeti- din) sind eine Entdeckung der letz- ten drei Jahre (10). Die üblichen An-
Pylorus-
Darstellung la (oben): Intaktheit der Magenschleimhaut bei Gleichgewicht zwischen aggressi- ven und protektiven Faktoren
Darstellung 1c (unten): Endogene Aggressoren und Schutzmecha- nismen der Magenschleimhaut:
Störung des Gleichgewichtes be- wirkt Säurerückdiffusion und UI- zeration
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Ulkustherapie
und Meerrettich hatten sich dabei als potente Säurelocker erwiesen.
Ein anderer interessanter diäteti- scher Hinweis wurde von einer indi- schen Arbeitsgruppe gegeben (8).
Sie konnten nachweisen, daß salzar- me Kost die Säuresekretionskapazi- tät des Magens reduzieren kann. An- dererseits ist bekannt, daß der Re- flux von galligem Duodenalinhalt bei Magenulkuskranken infolge gestör- ter Pylorusschlußfunktion — eine der wahrscheinlichen Ursachen der Ge- schwürsentstehung — stark gestei- gert ist (9); sehr fettreiche Mahlzei- ten verstärken jedoch den galligen Reflux in den Magen und sind aus diesen theoretischen Überlegungen heraus nicht empfehlenswert.
Moderne Aspekte der Ulkustherapie
Den genannten konventionellen Therapeutika werden in naher Zu- kunft neue, sehr potente sekretions- hemmende Medikamente gegen- überstehen:
• Histamin-H 2 -Rezeptorantagoni- sten und
• Methylderivate von Prostaglan- dinen.
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SCHLEIMBARRIERE I
Aldosteron - Wirkung
Darstellung 2: Wirkungsmechanismus, Effekte und Nebenwirkungen von Car- benoxolon
Menge min ein-
bau Schädigung d. M.-Schleimhaut durch Galle ,Aspirin,Prednisoion
CARBENOXOLON
PepsinaktivitätPylorusinkompetenz Rückdiffusion
Epithelzell- proliferation
Säuresekretion
Viskositä Hexoso-
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tihistaminika (sogenannte H 1 -Re- zeptorantagonisten) hemmen nur ei- nen Teil der Histaminwirkungen, z. B. nicht den säurestimulierenden Effekt an der Magenschleimhaut.
Die erste kontrollierte Doppelblind- studie mit Metiamid bei Ulcera duo- deni hat bewiesen, daß diese Sub- stanz chronische, schlecht heilende Geschwüre in einem hohen Prozent- satz zur Abheilung bringt (14). Der anfängliche Enthusiasmus über die starke säurebremsende Potenz die- ser Substanzen (11) wurde zunächst durch Berichte über reversible Leu- kozytopenien während der Behand- lung mit Metiamid (12) getrübt. Die wahrscheinlich hierfür verantwort- liche chemische Gruppierung, der Methylthioharnstoff-Rest, ist in dem neueren Präparat Cimetidin durch ein Cyanoguanidyl-Radikal ersetzt (Abbildung 2) (13). Mit dieser Ver- bindung sind bisher noch keine Ne- benwirkungen bei üblicher Dosie- rung gesehen worden.
Cimetidin wurde an der Medizini- schen Universitätsklinik Erlangen in einer kontrollierten Doppelblindstu- die bei 12 männlichen Ulcus-duode- ni-Patienten getestet (15). Die Ta- gesdosis der Substanz betrug 800 mg, die in vier Einzeldosen ver- abreicht wurden. Die Ulzera wurden vor der Therapie und dann in wö- chentlichem Abstand endoskopisch vermessen. Dabei zeigte sich, daß die Halbwertzeit der Ulkusheilung unter Cimetidin 6, bei Kontrollpa- tienten, die mit einem unwirksamen Placebopräparat behandelt worden waren, dagegen 20 Tage betrug. Ne- benwirkungen konnten durch ge- naue stationäre Beobachtung und subtile klinisch-chemische Untersu- chungen ausgeschlossen werden.
Hersteller des bis zur Zeit noch nicht im Handel erhältlichen Medikamen- tes ist die Firma Smith Kline &
French Labs. Ltd., Welwyn Garden City, Hertfordshire, England.
Methylierte, synthetische Derivate von Prostaglandin E 2
Sie sind ebenfalls starke Inhibitoren der Magensekretion. Wegen der vielfältigen Angriffspunkte im Orga-
nismus war die Verwendung von Prostaglandinen beim peptischen Ulkus des Menschen als Langzeit- medikation bisher nicht ohne gewis- se Vorbehalte möglich. Daher ist erst kürzlich über eine klinische Stu- die bei Patienten mit Magenge- schwüren — leider unter nicht opti- malen Bedingungen durchgeführt — in der Literatur berichtet worden, die sich des relativ nebenwirkungsar- men 15(R)15-Methylprostaglandin- E 2 -Methylesters bedient hat (16).
Unter der Vorstellung, daß der Dys- balance zwischen aggressiven und protektiven Faktoren bei der Ulkus- krankheit möglicherweise ein endo- kriner Defekt zugrunde liege, sind gastrointestinale Hormone — vor al- lem Sekretin (21) — im Hinblick auf eine Substitutionstherapie zur Wie- derherstellung des Gleichgewichtes in Betracht gezogen worden. Sekre- tin bewirkt bekanntlich durch Sti- mulation der Sekretion wäßrigen, bi- karbonatreichen pankreatischen Bauchspeichels die Neutralisation der gastralen Salzsäure im Duode- num. Ein Mangel an Sekretin oder ein gehemmter Freisetzungsmecha- nismus für das Hormon würde daher
zu ungenügender Neutralisation der Salzsäure führen. Die Substitution von Sekretin beim Ulcus duodeni krankte bislang an der kurzen Halb- wertzeit intravenöser oder intramus- kulärer Gaben des Polypeptids. Eine kürzlich durchgeführte Studie mit einer langwirkenden Depotform von synthetischem Sekretin bei Duode- nalulkuspatienten hat jedoch noch keinen schlüssigen Effekt auf den Heilungsverlauf und die Sekretions- dynamik von Magen und Pankreas erzielen können (22).
Cholestyramin, mit dem Gallensäu- ren gebunden werden können und das über die Gallensäureinaktivie- rung theoretisch auch die Bildung von Lysozym hemmen müßte (17), verhindert zwar beim Labortier Streßulzerationen des Magens (18), hat sich aber beim chronischen Ma- gengeschwür als therapeutisch nutzlos erwiesen (19, 20).
Carbenoxolon (Biogastrone®), ein synthetisches Derivat der in Lakritze enthaltenen Glyzyrrhizinsäure, ist zur Zeit das wirksamste und am in- tensivsten untersuchte Medikament gegen Ulzera des Magens. Carben-
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oxolon stärkt vorwiegend die pro- tektiven Eigenschaften der Schleim- haut: es normalisiert die beim Ulcus ventriculi herabgesetzte Schleim- qualität des Magens (reduzierte Vis- kosität infolge verminderten Gehal- tes an Hexosaminen, insbesondere an N-acetyi-Neuraminsäure) (23). Die gesteigerte Wasserstoffionen- Rückdiffusion und die überstürzte Epithelzellproliferation der geschä- digten Magenschleimhaut werden wahrscheinlich über diesen Mecha- nismus, das heißt also über die Sti- mulation des Einbaues von N-acetyi- Neuraminsäure und anderer Hexos- amine in den gastralen Schleim und über die dadurch normalisierte Schleimviskosität, zurückgedrängt.
Carbenoxolon eignet sich vor allem zur ambulanten Behandlung, und seine Wirksamkeit auf die Heilungs- geschwindigkeit des peptischen Ge- schwürs darf heute als gesichert an- gesehen werden (3). Wieweit sich der kurative Effekt von Carbenoxo- lon auch auf den Pylorusschlußde- fekt beim Ulcus ventriculi erstreckt (9), ist noch nicht endgültig zu be- antworten.
Carbenoxoloninduzierte Nebenwir- kungen haben aldosterontypische Ursachen (Natriumretention und Ka- liumexkretion; Abbildung 2). Hypo- kaliämie, Hypertension und Ödeme treten vorwiegend bei älteren Men- schen auf und müssen durch gleich- zeitige Verordnung von kaliumspa- renden Diuretika (zum Beispiel Triamteren, aber nicht Spironolac- ton!) und notfalls auch durch Kali- umsubstitution reduziert werden (24).
Kontraindikationen gegen die An- wendung von Carbenoxolon können schwere Herz-, Nieren- und Leber- krankheiten mit sekundärem Hyper- aldosteronismus sein. Der Aldoste- ronantagonist Spironolacton hemmt zwar die Nebenwirkungen von Car- benoxolon, beseitigt aber gleichzei- tig auch seine Wirkungen auf die gastrale Schleimproduktion und ist deshalb nicht angebracht.
Ein Beispiel zur rationalen Ulkusthe- rapie, das alle wesentlichen Aspekte und aktuellen Möglichkeiten be-
Tabelle 1: Beispiel einer rationellen Ulkustherapie, die alle wesentlichen Aspekte und aktuellen Möglichkeiten berücksichtigt
..,.. Bettruhe Schmerzfreiheit ..,.. Rauchverbot
bis zur
..,.. Antazida: konsequente Gabe z. B. bis 8 x 1 Beutel Aluminiumhydroxyd Gel
+
Kalziumkarbonat in stündli- chem Wechsel mit
..,.. häufigen kleinen Mahl- zeiten
wenig gewürzt wenig gesalzen ..,.. Anticholinergika optimal effektive Dosis z. B. Oxpheniumbromid (Ant- renyl®)
..,.. Carbenoxolon-Natrium (Biogastrone®, Biogastrane duodenal®)
300 mg/Tag 1. Woche, 150 mg bis zur Heilung
eventuell Kombination mit Diuretikum
z. B. Triamteren (Jatropur®)
+
Kalium (z. B. Kalinor®)rücksichtigt, ist in Tabelle 1 darge- stellt. Der Histamin-H2-Rezeptorant- agonist Cimetidin ist zur Zeit noch nicht im Handel erhältlich. Er stellt in naher Zukunft sicherlich das wirk- samste Medikament gegen das Duodenalulkus dar.
Zur ambulanten medikamentösen Therapie des Magengeschwürs ist jedoch eine exakte Diagnostik (Röntgenuntersuchung
+
Gastro- skopie mit Biopsie) zum Ausschluß eines malignen ulzerösen Prozesses unbedingt notwendig. Nicht oder nur schlecht heilende Ulcera ventri- culi sind bis zum Beweis des Gegen-2028 Heft 33 vom 18. August 1977
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teils unbedingt als potentiell bösar- tig anzusehen.
Dennoch ist bei negativer Histologie die ambulante medikamentöse The- rapie unter kurzfristiger gastrosko- pischer Kontrolle des Befundes an- gezeigt .
in den letzten drei Jahrzehnten wird ein genereller, bislang noch uner- klärlicher Rückgang an Erkran- kungszahlen beim Ulcus duodeni in allen industrialisierten Ländern der westlichen Welt beobachtet. Die rückläufige Tendenz dieser Erkran- kung hat bereits zu erheblichen Be- hinderungen bei klinischen Untersu- chungen zur Ulkustherapie geführt . Es bleibt abzuwarten, ob diese Ent- wicklung anhält und damit zukünfti- ge Fortschritte auf dem Gebiet der medikamentösen Ulkusbehandlung verzögert.
Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Hans Ruppin
Medizinische Klinik und Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg Krankenhausstraße 12
8520 Erlangen
Berichtigung
Malaria - Klinik,
Diagnostik und Therapie
ln der Arbeit "Malaria- Klinik, Dia- gnostik und Therapie", Heft 26/
1977, Seite 1709 ff., sind- wie uns der Autor mitteilt - auf Seite 1710, mittlere Spalte, zwei Fehler enthal- ten. Es muß heißen: Bei der Malaria tertiana (Plasmodium vivax bezie- hungsweise ovale) erfolgen die Fie- berattacken im Abstand von 48 Stu- den (nicht 36 Stunden), bei der Ma- laria quartana (Plasmodium mala- riae) nach 72 Stunden (nicht 48 Stunden). Wir bitten unsere Leser, diese beiden Fehler, für die die Re- daktion nicht verantwortlich ist, zu
entschuldigen. DÄ