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Archiv "Präimplantationsdiagnostik: Zunehmendes Lebensrecht" (25.12.2000)

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D O K U M E N T A T I O N

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 51–52½½½½25. Dezember 2000 AA3483

zur Verfügung steht, die es erlaubt, die Kommunikations- und Kooperations- qualität zwischen Ärzten, Pflegenden und Patienten an den zentralen Schnitt- stellen „Aufnahme“, „Visite“ und „Ent- lassung“ hausintern zu optimieren. Das Handbuch wird zu folgenden Arbeits- stufen Anleitung bieten:

❃Bereitstellung der entwickelten Frage- bögen und Analyseschemata in einer praxisbezogenen Form

❃Hinweise zu Anwendung und Auswertung der Fragebögen und Analyseschemata

❃Erstellen und Durchführung des Feed- backs für die evaluierten Stationen oder Abteilungen

❃Initialisierung und Durchführung von interdisziplinären Qualitätsgruppen

❃Implementierung und Evaluation erarbei- teter Lösungsansätze

❃Konzeptualisierung geeigneter Kommu- nikationstrainings

Der derzeitige Forschungsstand legt nahe, dass das Handbuch aufgrund sei- ner thematischen Schwerpunkte auch eine spätere Nutzung im Rahmen eta- blierter Qualitätsmanagementmodelle ermöglichen wird. Darunter fallen ins- besondere Qualitätskriterien zur Auf- nahme, Ersteinschätzung, Entlassung, Nutzung von Patienten- und Mitarbei- terbefragungen, Dokumentation von Patientendaten sowie Hinweise zur Sammlung und Analyse qualitätsrele- vanter Daten.

Das Handbuch soll im Frühjahr 2002 fertiggestellt sein. Informationen zu Projektinhalt und Stand der Projektar- beit können in den Forschungsinstitu- ten nachgefragt oder auf der Homepage der Bundesärztekammer (www.baek.de/

argumente) abgerufen werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 3483–3484 [Heft 51–52]

Anschrift für die Verfasser:

Dipl.-Soz. Bernadette Klapper Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld Universitätsstraße 25 33615 Bielefeld

E-Mail: klapper@uke.uni-hamburg.de Dipl.-Psych. Silke Lecher

Abteilung für Medizinische Psychologie Forschungsgruppe Qualitätsmanagement Universitätskrankenhaus Eppendorf Martinistraße 52

20246 Hamburg

E-Mail: lecher@uke.uni-hamburg.de

V

or dem Hintergrund biomedizini- scher Umbrüche – die „Ent- schlüsselung“ des menschlichen Genoms und die Stammzellgewinnung durch Klonen von Embryonen – spielt sich in der deutschen Fachöffentlich- keit eine kontroverse Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik (preim- plantation genetic diagnosis = PGD) ab; zum ersten Mal wurde sie durch den

„Lübecker Fall“ im Jahr 1995 in die Öf- fentlichkeit gebracht. Angestoßen hat die aktuelle medizinisch-ethisch-juristi- sche Debatte die Bundesärztekammer (BÄK) im Februar dieses Jahres mit ihrem Diskussionsentwurf einer PGD- Musterrichtlinie (1). Verstärkt wurde dieser Diskurs durch ein dreitägiges fortpflanzungsmedizinisches Symposi- um des Bundesministeriums für Ge- sundheit Ende Mai in Berlin (2). Auch die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Die intensi- ve Kontroverse, die sich vor allem im Deutschen Ärzteblatt zwischen März und Juli niedergeschlagen hat, zeigt lei- der noch das Trennende stärker als das Verbindende; dasselbe gilt für die Vor- träge und Diskussionen auf dem Sym- posium. Dabei gehen die Fronten quer durch die „Lager“ der Theologen, Ethi- ker, Ärzte und Juristen (3).

Der vorliegende Aufsatz möchte deshalb die Diskussion – im Zusam- menhang werdenden Lebens in vitro und in vivo – durch einen empirischen Zugang zu der Problematik voranbrin- gen, und zwar auf zweifache Weise: in- dem er zunächst die medizinischen Ge- gebenheiten der embryonal-fetalen Entwicklung des Ungeborenen, zum

anderen die wichtigsten juristischen, vor allem gesetzlichen Gegebenheiten herausarbeitet. Im Zentrum seiner Be- trachtungen steht dabei das nicht nur nach dem Grundgesetz oberste Rechts- gut: menschliches Leben – das Leben des geborenen und das erst „werdende Leben“ des ungeborenen Menschen.

Medizinische Gegebenheiten

Das genetische Diagnostikverfahren der PGD (4) umfasst drei Abschnitte:

Erzeugung von bis zu drei Embryonen mit herkömmlicher In-vitro-Fertilisati- on (IVF), und zwar meist durch Mikro- injektion (ICSI); die genetische Unter- suchung von je einer oder zwei aspirier- ten Embryonalzellen (nach dem Stadi- um der Totipotenz); schließlich der Transfer der nicht geschädigten oder – und darin liegt der ethische Angelpunkt – das Absterbenlassen der geschädigten Embryonen. Insgesamt ein aufwendiges und die Frau belastendes Verfahren – was erklärt, dass die Fallzahlen weltweit auch zehn Jahre nach den ersten Verfah- ren in engen Grenzen geblieben sind.

Das Gesamtverfahren der PGD spielt sich meist in den ersten drei Ta- gen nach Beginn der „künstlichen“ Be- fruchtung ab, nachdem die Embryonen das Acht- bis 14-Zell-Stadium erreicht haben. Die embryonalen Entwicklun- gen sind keine plötzlichen Schritte, son- dern Prozesse: so ist schon die Konzep- tion eine „Befruchtungskaskade“ mit 14 Schrittfolgen, und die Expression der Gene des neuen Individuums zeigt sich erst im Acht-Zell-Stadium. Setzt man den Beginn embryonalen und menschlichen Lebens bei der Befruch- tung an und definiert man ihn zugleich genetisch – Vereinigung zweier haploi- der Chromosomensätze zu einem di-

Präimplantationsdiagnostik

Zunehmendes Lebensrecht

Genetische Untersuchungen am Embryo in vitro im medizinischen und juristischen Kontext*

Rudolf Neidert

* Zum Diskussionsentwurf einer Muster-Richtlinie der Bun- desärztekammer in Heft 9/2000 und den dazu erschienenen Beiträgen in den Heften 9, 10, 14, 16–18, 22 und 28–29

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ploiden Genom –, muss man die „Un- schärfe“ dieses circa drei Tage währen- den Vorgangs konstatieren.

Vorab ein kurzer Blick auf den „Be- ginn vor dem Beginn“ embryonalen Le- bens! Auch die Gameten von Frau und Mann, Ei- beziehungsweise Samenzelle,

„leben“, aber noch nicht im konstituti- ven Sinn eines Individuums; dies tun sie erst nach der Kernverschmelzung zum Embryo. Von dem Heranwachsen des Ungeborenen kann hier nur weniges an- gedeutet werden: Im Übrigen verweise ich auf die Stellungnahme des Wissen- schaftlichen Beirates der BÄK über

„Pränatale und perinatale Schmerzemp- findung“ (5). Unbewusste Schmerzemp- findung mit Reaktionen des Ungebore- nen beginnt bereits in der frühen Fetal- zeit – noch in den ersten zwölf Wochen – und nimmt kontinuierlich zu. Ab der 22.Woche post conceptionem (p.c.) ist ein bewusstes Schmerzerlebnis des Fetus zunehmend wahrscheinlich. Insgesamt wird die pränatale Schmerzempfindung als „werdende Funktion“ beschrieben – also auch hier keine festen Einschnitte.

Ungefähr zur selben Zeit – ab der 20.

bis 22. Woche p. c. – hat der Fetus die so genannte extrauterine Lebensfähigkeit erreicht, kann dann also nach einem Schwangerschaftsabbruch überleben.

Auf diese schockierenden „Spätab- brüche“ hat die Bundesärztekammer mit der „Erklärung zum Schwanger- schaftsabbruch nach Pränataldiagno- stik“ und mit der gemeinsamen Emp- fehlung der einschlägigen Fachgesell- schaften zur „Frühgeburt an der Grenze der Lebensfähigkeit“ von 1998 reagiert (6). Die Erklärung der BÄK empfiehlt dem Arzt, die extrauterine Lebensfähig- keit in der Regel als zeitliche Begren- zung für einen Abbruch anzusehen, weil sich zu diesem Zeitpunkt „der Schutz- anspruch des ungeborenen Kindes aus ärztlicher Sicht nicht von demjenigen des geborenen unterscheidet“. Die Empfehlung stellt den Grundsatz auf, lebenserhaltende Maßnahmen seien zu ergreifen, wenn für das Kind auch nur eine kleine Chance zum Leben bestehe.

Das Ausmaß, in dem embryonal-fe- tales Leben „geopfert“ wird, zeigt sich in folgenden Zahlen (7): 1999 (minde- stens) 130 471 legale Abbrüche, davon 97,2 Prozent nach der Beratungsrege- lung – also ohne Indikation – in den er-

sten zwölf Wochen p. c. (§ 218 a Abs.

StGB). Auf die medizinische Indikati- on (§ 218 a Abs. 2) entfielen 3 661 Ab- brüche (= 2,8 Prozent), teils vor, teils nach der 13. Woche (von Woche 13 bis 22 noch 1,4 Prozent; ab Woche 23 – der Zeit der „Spätabbrüche“ – 0,1 Prozent, absolut „nur“ 164 Fälle). Die amtliche Statistik schweigt zu den Abbrüchen aufgrund pränataldiagnostischer Be- funde. Für 1994 werden mehr als 800 solcher Abbrüche aufgrund fetaler Pa- thologien oder auffälliger genetischer Befunde angegeben (8) – die meisten wohl ab der 13. Woche.

Rechtliche Gegebenheiten

Während naturwissenschaftliche Fak- ten als solche keine moralischen Gren- zen aufzeigen, sind gesetzliche Gege- benheiten Normsetzungen – zwar kei- ne ethischen, aber rechtliche. Dabei zählt nicht nur ein Steinchen des Rechts, sondern letztlich das ganze Mosaik eines Rechtsgebietes: bei der PGD nicht nur ein Paragraph des Em- bryonenschutzgesetzes (ESchG) oder dieses ganze Gesetz, sondern die Ge- samtheit der menschliches Leben re- gelnden Normen.

Das ESchG ist ein sehr abstraktes Strafgesetz, selbst für Juristen schwer auszulegen (9). Unbestritten strafbar ist es, für die genetische Diagnostik eine noch totipotente, das heißt zur Ent- wicklung des ganzen Individuums fähi- ge Zelle zu verwenden, da das Gesetz diese einem Embryo gleichstellt (10).

Für das rechtliche Hauptproblem – das

„Verwerfen“ eines genetisch geschädig- ten Embryos – gilt Folgendes: Nach § 2 Abs. 1 macht sich strafbar, wer einen ex- trakorporal erzeugten Embryo „zu ei- nem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck . . . verwendet“. Ein Verwenden durch Unterlassen – das Absterbenlas- sen eines geschädigten Embryos durch Nichtübertragen – ist jedoch nicht tat- bestandsmäßig; § 2 Abs. 1 trifft schon deshalb nicht zu. Außerdem fehlt es an dem „Zweck“, das heißt an der Absicht des Täters, die mehr ist als Vorsatz: es müsste ihm gerade darauf ankommen, den Embryo nicht zu erhalten; tatsäch- lich ist ihm dies jedoch höchst uner- wünscht. Man wird dem Paar, das eine

PGD vornehmen lässt, nur gerecht, wenn man seinen – meist sehnlichsten – Kinderwunsch moralisch ernst nimmt, auch sein Bemühen, diesem Kind eine absehbare schwerste Krankheit zu er- sparen. Es kommt auf den Gesamtvor- gang „IVF mit PGD“ an, nicht auf un- selbstständige Teilakte. Den „Täter“

Arzt würde man sonst, obwohl er aus ärztlichem Ethos der Krankheitsverhü- tung Patienten hilft und Mitverant- wortung für künftiges Leben über- nimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedrohen. „Die Aufgabe des Strafrechts beschränkt sich auch sonst darauf, das ethische Minimum festzu- legen ...“ (11).

Das ESchG gilt nur für die wenigsten Embryonen, die in vitro gezeugten – und für diese nur von der Befruchtung bis zur Nidation. In derselben Entwicklungs- phase genießen die natürlich gezeugten Embryonen keinerlei Lebensschutz, weshalb nidationshemmende Mittel straflos vertrieben und angewendet wer- den dürfen. Unter dem Gesichtspunkt des „Lebensschutzes von Anbeginn“ ei- ne widersprüchliche Rechtslage! (12)

Mit dem Abschluss der Einnistung des Embryos in der Gebärmutter (§ 218 a Abs. 1 StGB) beginnt das Recht des Schwangerschaftsabbruchs.

In den ersten zwölf Wochen p. c. gilt die so genannte Beratungsregelung (§ 218 a Abs. 1) – praktisch eine „Fri- stenregelung mit Beratungspflicht“

(13); der abbrechende Arzt handelt oh- ne Indikation, auf Wunsch der Frau.

Hinter deren Selbstbestimmungsrecht lässt das Gesetz das Lebensrecht des Ungeborenen zurücktreten, wenn auch unter dem Verdikt der Rechtswidrig- keit. Fast alle anderen legalen Ab- brüche fallen unter die medizinische In- dikation (§ 218 a Abs. 2), die den Ab- bruch für „nicht rechtswidrig“ erklärt.

Auch der Lebensschutz des Ungebo- renen durch die medizinische Indikati- on ist gering, lässt der Tatbestand des

§ 218 a Abs. 2 doch außer der Gefahr für das Leben der Schwangeren auch ei- ne solche für deren körperlichen oder seelischen Gesundheitszustand genü- gen – das Leben des bereits herange- wachsenen Kindes gilt dem Gesetz so- mit weniger als die Gesundheit der Frau! Diese Rechtslage erstreckt sich sogar über den Zeitpunkt der extraute- D O K U M E N T A T I O N

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rinen Lebensfähigkeit des Nasciturus hinaus bis – theoretisch – zur Geburt.

Dann, mit dem Ende der für das Unge- borene so lebensgefährlichen Zeit der Schwangerschaft, macht die Rechtsord- nung gleichsam einen Sprung: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit Vollendung der Geburt“ (§ 1 BGB);

und zugleich gewährt das StGB dem nunmehr geborenen Menschen mit sei- nen Tötungsparagraphen 211 und 212 vollen Lebensschutz.

Ansätze einer vermittelnden Lösung

Sowohl die medizinischen als auch die rechtlichen Gegebenheiten lassen – trotz gravierender Inkonsequenzen der Gesetzeslage – in etwa eine gemeinsa- me Linie erkennen, an der eine an der Empirie orientierte und von ihr legiti- mierte Lösung der PGD-Frage anset- zen kann.

Die Embryonal- und Fetalentwick- lung zeigt sich als „stufenloses Kon- tinuum“ (14); signifikante Entwick- lungsschritte kann nur die ethische Be- wertung des empirischen Substrats festmachen. Hervorzuheben ist die be- wusste Schmerzempfindung; es ist ja gerade dieser erste Ausdruck einer leib-seelischen Einheit, woran ethisch- rechtlich eine erhöhte Schutzbedürftig- keit von Embryo und Fetus anzuknüp- fen haben. Schließlich sind es die po- tenzielle Lebensfähigkeit außerhalb des mütterlichen Körpers und als Ab- schluss dieser Entwicklung die Geburt.

Über den Beginn embryonalen Lebens sollte Konsens herrschen: die Entste- hung eines genetisch neuen Individu- ums mit Verschmelzung von Ei- und Samenzelle – zwar erst potenzielles Le- ben als Mensch, aber kontinuierlich wachsendes Leben, bis dieses sich vol- lem menschlichen Leben vor der Ge- burt angenähert und mit dieser vollen- det hat (15).

Die vergleichbare Linie des gelten- den Rechtes verläuft ebenfalls im Sinne wachsenden Schutzes, allerdings in gro- ben Stufen: widersprüchlich in der er- sten Stufe von der Befruchtung bis zur Einnistung: verfassungsrechtlich volles menschliches Leben, einfachgesetzlich nur im „Ausnahmefall“ (in vitro) ge-

schützt. Als zweite, große Stufe folgt dann die frühe Schwangerschaftszeit von der Nidation bis zur zwölften Wo- che: mit dem fragilen Schutz des Em- bryos durch das Beratungskonzept des Bundesverfassungsgerichts. Ab der 13.

Woche p. c. (dritte Stufe) schränkt das Gesetz die Abbruchmöglichkeit auf die ungleich strengere medizinische Indi- kation ein.

Mag sich übrigens das Verfassungs- gerichtsurteil von 1993 im Sinne von Menschenwürde und Lebensschutz noch so kategorisch lesen – letztlich rechtfertigt es die Beratungslösung – ei- ne „Quasi-Freigabe“ embryonalen Le- bens. Dahinter verbirgt sich, dass das Gericht ungeborenes Leben mitnichten als absolutes Rechtsgut (wie die Men- schenwürde) begreift, das keiner Gü- terabwägung fähig wäre; vielmehr lässt es in der Zwölf-Wochen-Frist dessen fast völlige Verdrängung durch das Ent- scheidungrecht der Frau zu, setzt be- zeichnenderweise aber für die Zeit da- nach durch die medizinische Indikation höhere Anforderungen an eine Abwä- gung zulasten des Nasciturus. Kurzum:

Gesetz und Rechtsprechung anerken- nen tatsächlich, wenn auch zum Teil un- eingestanden, die Notwendigkeit eines höheren Rechtsschutzes bei höherem Alter des Ungeborenen (16).

In den konkreten Vorschriften, die für ungeborenes Leben gelten, drückt sich der ethische und rechtliche Status aus, der im geltenden Recht dem Em- bryo beziehungsweise Fetus zugebilligt wird. Wo dieses gesetzliche Recht Wi- dersprüche in sich oder zum Verfas- sungsrecht aufweist, ist durch Ausle- gung, erforderlichenfalls durch Geset- zesänderung, Widerspruchsfreiheit her- zustellen: orientiert am Prinzip der Ein- heit unserer Rechtsordnung. In der Phase zwischen Zeugung und Einni- stung lässt sich die Diskrepanz zwischen dem Schutz des natürlich und des

„künstlich“ gezeugten Embryos nur zum Teil durch dessen in vitro höhere Verletzlichkeit erklären – rechtfertigen lässt sie sich nicht, geht es doch hier wie dort um dasselbe embryonale Leben.

Der verbleibende Widerspruch zeigt nur allzu deutlich die im rechtlichen Kontext schwer zu integrierende Schutzhöhe künstlich gezeugten Le- bens bis zur Nidation. Gemessen an

dem hehren verfassungsgerichtlichen Prinzip einer Gleichwertigkeit ungebo- renen und geborenen Lebens (17), klafft allerdings die Schere zwischen dem Lebensschutzpostulat und dem – trotz Schutzkonzept – schwachen Schutz durch die Beratungsregelung (ab der Nidation) empfindlich ausein- ander. Immerhin soll der Abbruch in dieser Zeit von der Rechtsordnung miss- billigt sein und lediglich straflos bleiben – anders als der vom Gesetz für „nicht rechtswidrig“ erklärte Abbruch aus me- dizinischer Indikation, die nach den er- sten zwölf Wochen praktisch allein zum Tragen kommt.

Mit der extrauterinen Lebensfähig- keit des Nasciturus ist dann der

„Durchbruch“ in der Entwicklung un- geborenen Lebens erreicht, dem höch- ste Rechtserheblichkeit zukommt. Eine Erstreckung der Indikation des § 218 a Abs. 2 – eigentlich einer medizinisch- sozialen – auf diese Endphase des Ungeborenen als eines selbstständig Lebensfähigen verträgt sich schlechter- dings nicht mit dem hier vertretenen und empirisch belegten, auf ein volles Menschsein hin wachsenden Leben des Embryos und Fetus. In dieser „vier- ten Stufe“ müsste deshalb dem Lebens- recht des Ungeborenen vergleichbares Gewicht wie der Rechtsposition der Schwangeren beigemessen werden – zu realisieren nur durch eine Einschrän- kung des § 218 a Abs. 2 (18). Ohne einen „zeitlichen Sicherheitsabstand“

zwischen der medizinischen Indikation, die eine Tötung des Ungeborenen rechtfertigt, und dem Tötungsverbot des Strafgesetzbuchs ab der Geburt würde die innere Akzeptanz eben die- ses Verbotes unterhöhlt.

Zusammengefasst bedeutet der skizzierte Lösungsansatz Folgendes:

grundsätzliches Lebensrecht des Em- bryos ab der Befruchtung mit Rücksicht auf seine Möglichkeit, Mensch zu wer- den (Potenzialität), jedoch zwischen Zeugung und Geburt ein entwicklungs- bedingtes Heranwachsen aus rudi- mentären Anfängen bis zum sich auf die Geburt hin vollendenden Rechts- status – ein zwischen den Extremposi- tionen vermittelndes Konzept. Selbst- verantwortung und -entscheidung der Frau verdienen umso mehr Berücksich- tigung, je früher der Embryo in seiner D O K U M E N T A T I O N

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Entwicklung steht; umgekehrt fordert das Lebensrecht des heranwachsenden Fetus umso größere Achtung, je mehr sich dieser dem geborenen Menschen annähert. Dies hat gegenläufige Kon- sequenzen: für die Schlussphase der Schwangerschaft eine grundsätzliche Unzulässigkeit der Spätabtreibung le- bensfähiger Kinder, für den ersten Ab- schnitt die Möglichkeit einer Güterab- wägung auch zulasten des eben erst ge- zeugten embryonalen Lebens.

In den ersten Tagen spielt sich ja die PGD ab; doch welches Gewicht soll das keimende Lebensrecht der winzigen Morula in der Petrischale besitzen? Ein einfacher Umkehrschluss von dem zweiten, unter der Beratungslösung ste- henden Abschnitt – Alleinentscheidung der Frau erst recht hier! – wäre voreilig.

Gewiss überzeugt die gegen die PGD vorgetragene These von der Unver- gleichbarkeit der Situationen in vitro und in vivo (19) im Wesentlichen nicht:

denn hier wie dort sieht sich die Frau mit dem Dilemma konfrontiert, ein schwerstgeschädigtes Kind austragen zu sollen – bei einer PGD würde dieser Konflikt nur „antizipiert“, aber gleich- wohl real erlebt. Zudem wäre es ein rechtlicher Widerspruch, denselben ge- schädigten Embryo in vitro nicht ab- sterben, in vivo dagegen durchaus ab- treiben lassen zu dürfen – ein zu Recht häufig vorgebrachtes Argument.

Allerdings ist in der Petrischale das

„künstlich gezeugte“ Leben tatsächlich wesentlich gefährdeter, da seine Abtö- tung ohne ärztlichen Eingriff im Körper der Mutter möglich ist. Deshalb sollte eine rechtliche Regelung dieser Dia- gnostik von einer engen genetischen In- dikation ausgehen, die in einem formel- len Verfahren – nach Billigung durch ei- ne Ethikkommission – festzustellen wä- re. Dies hat der Wissenschaftliche Bei- rat der Bundesärztekammer mit seinem restriktiven und verantwortungsvollen Diskussionsentwurf vorgeschlagen. Die an einer PGD Beteiligten würden dann rechtmäßig handeln.

Eine vom Vorstand der Bundesärzte- kammer – nach Ablauf der Diskus- sionsphase – verabschiedete Muster- Richtlinie müsste von der jeweiligen Ärztekammer umgesetzt werden; da nach hier begründeter Auffassung die PGD nicht strafbar ist, wäre dies auch

ohne weiteres möglich. Allerdings soll- te dieses Verfahren von erheblicher Grundrechtsrelevanz durch den Ge- setzgeber über eine gesetzliche Klar- stellung, wenn auch in engen Grenzen, ausdrücklich erlaubt werden.

Anmerkungen

Mein Dank für Hinweise auf Literatur bzw. zum Manu- skript dieses Aufsatzes gilt den Professoren K. Bayertz (Ethik), H. M. Beier, K. Diedrich und W. Holzgreve (Me- dizin) sowie F. Hufen und H.-L. Schreiber (Recht).

1. DÄBl v. 3. 3. 2000, S. A-525 ff. Die verantwortliche Arbeitsgruppe der BÄK stand unter der Federführung von H. Hepp. Der „Lübecker Fall“ (von K. Diedrich und E. Schwinger wegen Mukoviszidose-Belastung des Paares beantragte PGD) fand durch die dortige Ethik-Kommission 1996 ein zwiespältiges Votum (ethisch ja, nach ESchG nein).

2. Zwei Tagungsbände „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland“ dürften Anfang 2001 bei Nomos, Ba- den-Baden, erscheinen (Wiss. Red. D. Arndt, Berlin, und G. Obe, Essen). Kritik an dem Symposium übt H.

M. Beier in: Reproduktionsmedizin 2000/16, S. 332 ff.

3. Die folgenden Kurzbelege sind exemplarisch und not- wendigerweise subjektiv: Für die Theologen Rendtorff eher pro und Mieth eher kontra (R. auf dem Symposi- um, M. in: Ethik Med, Bd. 11, Suppl. 1); für die Ethiker Bayertz pro, Graumann kontra (beide auf dem Sympo- sium); für die Naturwissenschaftler Ludwig/Diedrich pro, Kollek kontra (L./D. in: Gynäkologie 4/98, S. 353 ff., K.: Präimplantationsdiagnostik, Tüb. u. Basel, 2000); für die Juristen Schreiber pro, Laufs kontra (Schr. in: DÄBl v. 28. 4. 2000, S. A-1135 ff., Laufs im Symposium und in: Ethik Med 1999/11, S. 55 ff.).

4. Zum Verfahren ausführlich R. Kollek (Fußnote 3, S.

27 ff.), M. Ludwig/B. Schöpper/K. Diedrich in: Repro- duktionsmedizin 1999/15, S. 65 ff., und H. M. Beier:

Assistierte Reproduktion, München 1997 („Befruch- tungskaskade“, S. 10 f.).– Ende 1999 gab es insge- samt nur 424 nach PGD geborene Kinder aufgrund von 499 Schwangerschaften bei 1 317 Patientinnen (Mitteilung Prof. Diedrich).

5. DÄBl v . 21. 11. 1991, S. A-4157 ff.

6. DÄBl v. 20. 11. 1998, S. A-3013 ff. Die Arbeitsgruppe des Wiss. Beirates der BÄK stand wie diejenige zur PGD unter der Federführung von H. Hepp. Gemäß Empfehlung in: Frauenarzt 12/1998, S. 1803 ff. (unter Mitwirkung u. a. von H. Hepp und W. Holzgreve).

7. Statistisches Bundesamt, Gesundheitswesen, Fach- serie 12, Reihe 3 1999 (zur Methodik – Untererfas- sung – dort 2.3); die Dauer der abgebrochenen Schwangerschaft ist p. c. berechnet (2.4.).

8. M. Ludwig/K. Diedrich in: Ethik Med 1999/11, Suppl.

1, S. 38 ff. (39): 838 Fälle für 1994.

9. Bei den Juristen gegen Strafbarkeit H.-L. Schreiber (Mitglied der BÄK-AG) in: DÄBl v. 28. 4. 2000, S. A- 1135 f., Ch. Rittner in: DÄBl v. 28. 4. 2000, S. A-1130 f., R. Ratzel in: DÄBl v. 28. 4. 2000, S. A-1125 f., S.

Schneider in: MedR 2000/8, S. 360 ff., B. Tag in: Käm- merer/Speck, Geschlecht und Moral, Heidelberg 1999, S. 87 ff., R. Neidert in: MedR 1998/8, S. 347 ff., Bericht der Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz v.

20. 6. 1999, Teil II Vorbem. und Thesen II. 8 ff., im Er- gebnis auch M. Frommel (Symposium); für Strafbar- keit A. Laufs in: Ethik Med 1999/11, S. 55 ff., R. Beck- mann in: DÄBl v. 17. 7. 2000, S. A-1959 ff., U. Riedel in: DÄBl v. 10. 3. 2000, S. A-586 f., R. Röger in:

Schriftnr. der Juristenv. Lebensrecht e.V., Nr. 17 (2000), S. 55 ff. – Bei den juristischen Laien gegen Strafbarkeit insb. H. Hepp (im Anschluss u. a. an Schreiber) in: DÄBl v. 5. 5. 2000, S. C-930 ff.; für Strafbarkeit R. Kollek (Fußnote 3), Kap. 6 (jedoch zum Teil ohne zureichende juristische Interpretation).

10. § 8 Abs. 1 ESchG. – Ende der Totipotenz nach dem 8- Zell-Stadium (H. M. Beier in: Reproduktionsmedizin 1998/14, S. 41 ff. und 2000/16, S. 332 ff.). Im Ausland punktiert man schon vor dem 8-Zell-Stadium; aller- dings ist die Diagnostik auch noch danach möglich.

11. H.-L.Günther im Komm. Zum ESchG von Keller/Gün- ther/Kaiser 1992, Rz. 34 zu § 2.

12. So – über den Gegenstand der Entscheidung (§ 218) hinaus – das Bundesverfassungsgericht am 28. 5.

1993 (Bd. 88, S. 203 ff., 251 f.) und u. a. A. Laufs (Fußnote 3).

13. H. Tröndle, Komm. zum StGB, Rz 14 b vor § 218. Mit seinem Beratungskonzept verfolgt das BVerfG im- merhin das Ziel, dem Lebensschutz des Ungebore- nen in der Frühphase der Schwangerschaft durch austragungsorientierte Beratung statt durch Straf- drohung zu dienen (Fußnote 12, S. 264 ff.).

14. Stellungnahme des Wiss. Beirates der BÄK (Fußnote 5), Ziffer 2.

15. So ausdrücklich auch der Ethiker K. Bayertz (Sympo- sium, Fußnote 3), der eine „gradualistische Auffas- sung“ vertritt: wachsender, graduell abgestufter Sta- tus zwischen Befruchtung und Geburt. Dass auf der leiblich-seelischen Grundlage von Personalität der Gradualismus auch von einem Moraltheologen ver- treten werden kann, zeigt das Beispiel von B. Irrgang, dargestellt von P. Fonk: Schwangerschaft auf Probe?

. . . in: Ethica 7 (1999), S. 29 ff. und 143 ff. (161 f.).

16. Ansatzweise E. G. Mahrenholz und B. Sommer in ih- rer abweichenden Meinung zu BVerfGE 88, S. 203 ff.

(342). Auch das eigentliche Urteil anerkennt, dass das Lebensrecht nicht absolut gilt (S. 253 f.); sogar in das „Recht auf Leben“ des (geborenen) Menschen darf aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden (Art. 2 Abs. 2 GG). Der in der ethischen Diskussion oft unkritische Umgang mit der (absoluten) „Würde des Menschen“ (Art. 1 Abs. 1 GG) verdiente eine ge- sonderte verfassungsrechtliche Widerlegung.

17. BVerfGE 39 (S. 1 ff., 37 f.) und E 88 (S. 203 ff., 251 f.) sowie H. Tröndle (Fußnote 13), Rz. 19 vor § 218, mit weiteren Nachweisen.

18. Eine Änderung fordert auch A. Laufs (Symposium, Fußnote 3). Mögliche Ansatzpunkte einer Änderung:

Befristung der medizinischen Indikation, übergesetz- licher Notstand. E. G. Mahrenholz und B. Sommer (Fußnote 16, S. 345) weisen auf das niederländische StGB hin (Abbruch nur bis zur 24. Woche).

19. Insbesondere R. Kollek (Symposium der Ärztekam- mer Berlin am 11. 4. 2000, auch Publikation Fußnote 3, S. 210 f.). Überzeugend gegen diese These Chr.

Woopen, Zeitschr. für med. Ethik 1999, S. 233 ff. (mit einem Überblick über die Vertreter der Nichtver- gleichbarkeits-These). Dieselbe Autorin erörtert Ar- gumente zur ethischen Bewertung der PGD und de- ren Folgen in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Bd. 5, 2000, S. 117 ff. (auch zu Kriterien für ein ab- gestuftes Schutzkonzept, S. 119).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 3483–3486 [Heft 51–52]

Anschrift des Verfassers:

Ministerialrat a. D. Dr. jur. Rudolf Neidert Herrengarten 15

53343 Wachtberg D O K U M E N T A T I O N

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