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Archiv "Zunehmendes Lebensrecht: Schlusswort" (06.04.2001)

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aber nicht abstrakt für alle Fälle einheit- lich bestimmen. Die extrauterine Lebens- fähigkeit ist aber kein Wesensmerkmal des Embryos, sondern hängt von den me- dizinischen Kenntnissen des behandeln- den Arztes und der technischen Aus- stattung der Klinik ab. Ein Kind, das auf der neonatologischen Abteilung eines deutschen Krankenhauses im sechsten Schwangerschaftsmonat „überlebensfä- hig“ ist, wird im gleichen Entwicklungs- stadium in einem Land der „Dritten Welt“ nicht überleben, weil die notwendi- gen Geräte und Medikamente fehlen. Das Kind ist aber unabhängig vom Ort der Geburt dasselbe. Während noch vor dreißig bis vierzig Jahren viele Kinder im siebten Schwangerschaftsmonat als Frühgeborene nicht überlebensfähig wa- ren, wären sie es heute ohne weiteres. Das kann aber nicht bedeuten, dass heute Kin- der während der Entwicklung im Mutter- leib „schneller“ zu schutzwürdigen Men- schen werden als in den 60er-Jahren. Der Zeitpunkt der extrakorporalen Überle- bensfähigkeit sagt etwas über das ärztli- che Können und den Stand der medizini- schen Technik, aber nichts über die

„Menschqualität“ oder die rechtliche Schutzwürdigkeit eines Lebewesens aus.

Das Kriterium der Lebensfähigkeit wäre im Übrigen ein Argument für den stärke- ren strafrechtlichen Schutz künstlich er- zeugter Embryonen durch das Embryo- nenschutzgesetz, den Neidert als proble- matisch ansieht. Im Rahmen der In-vitro- Fertilisation werden schließlich mensch- liche Embryonen einige Tage außerhalb des Mutterleibes am Leben erhalten. Sie müssten somit nach dem Kriterium der

„extrauterinen Lebensfähigkeit“ in die- sem frühen Entwicklungsstadium beson- deren rechtlichen Schutz genießen. Nach dem Transfer des Embryos in die Gebär- mutter müsste der Schutzstatus wieder abnehmen, um gegen Ende der Schwan- gerschaft erneut anzusteigen – ein zwar tatsächlich aus Rechtsvorschriften ableit- bares Auf und Ab des Lebensschutzes, das allerdings rationaler Logik entbehrt.

Die Abhängigkeit von günstigen Umge- bungsbedingungen für das Weiterleben ändert an der Qualität des Subjekts nichts und kann daher auch kein Kriterium für den rechtlichen Schutzanspruch sein. Un- terschiedliche Schutzbestimmungen sind daher – wenn überhaupt – nur mit ande- ren Argumenten zu begründen.

Fragwürdig ist auch der „empirische Zu- gang“ Neiderts zu den Rechtsfragen. Die

unterschiedlichen Rechtsfolgen in einzel- nen gesetzlichen Regelungen müssen kei- neswegs Ausdruck eines unterschiedlichen Grundrechtsstatus hinsichtlich diverser vorgeburtlicher Entwicklungsstadien des Menschen sein. Vor allem lässt sich aus wi- dersprüchlichen Regelungen im einfachen Recht kein Schluss auf die grundrechtliche Schutzwürdigkeit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) ziehen. Neidert erkennt selbst an, dass dort, wo Widersprüche zu anderen Gesetzen oder zum Verfassungsrecht bestehen, „er- forderlichenfalls durch Gesetzesänderung“

Widerspruchsfreiheit herzustellen sei. In welche Richtung die Gesetzesänderungen gehen müssten, kann sich nicht aus dem einfachen Recht, sondern nur aus einer Orientierung am Verfassungsrecht erge- ben. Ein abgestuftes Lebensrecht lässt sich aus der Verfassung nicht begründen. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr entschieden, dass „die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potenziellen Fähigkeiten genügen, um die Menschen- würde zu begründen“. „Liegt die Würde des Menschseins auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen, verbieten sich jegliche Differenzierungen der Schutzverpflichtung mit Blick auf Alter und Entwicklungsstand dieses Lebens.“

Der menschliche Embryo hat daher auch im Frühstadium seiner Entwicklung vor der Nidation Anteil am Schutz der Men- schenwürde und des Rechts auf Leben und darf im Rahmen der PGD nicht zur Dispo- sition gestellt werden.

Neidert gibt letztlich nur vor, eine

„vermittelnde Lösung“ anzubieten. Der von ihm favorisierte gradualistische An- satz endet schlicht in einer Befürwortung der PGD. Dies stellt keine „mittlere“ Po- sition dar – auch nicht, wenn die PGD nur unter einschränkenden Bedingungen zu- gelassen werden soll. Zwischen Leben und Tod gibt es keine Mitte. Diejenigen Embryonen, die im Rahmen der PGD

„aussortiert“ werden, bleiben nicht in ei- nem Zwischenstadium hängen, sondern sterben ab. Das ist dem Verfahren imma- nent und wird von allen Beteiligten von vornherein einkalkuliert.

Wenn – wie Neidert es vorschlägt –

„Selbstverantwortung und -entscheidung der Frau“ umso mehr Berücksichtigung verdienen, „je früher der Embryo in sei- ner Entwicklung steht“, dann sind nen- nenswerte Restriktionen im Umgang mit Embryonen überhaupt nicht begründbar.

Dann müssen sie nicht nur für das vermeintliche „Recht auf ein gesundes

Kind“, sondern auch für andere, sicher- lich „hochwertige“ Interessen in For- schung und Therapie geopfert werden.

Die Entscheidung über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik ist daher ei- ne Grundsatzentscheidung mit kaum ab- sehbaren Auswirkungen für den weiteren Umgang mit dem menschlichen Leben.

Literatur beim Verfasser

Rainer Beckmann

Richter am Amtsgericht, Mitglied der

Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages

„Recht und Ethik der modernen Medizin“

Friedenstraße 3 a, 97318 Kitzingen

Schlusswort

Vier Leserzuschriften, eine eher pro, die anderen kontra; drei echte Leserbriefe, ein Gegen-Aufsatz von über fünf Spalten – was lässt sich darauf „kurz“ antworten?

Nun denn: Ich gäbe eine vermittelnde Lö- sung nur vor (Mikolajczyk, Beckmann).

Gewiss vermittle ich nicht zwischen Ja und Nein zur PID, wohl aber zwischen den Extremen „volles Lebensrecht ab Zeugung“ und „erst ab Geburt“. – Dass Haasis nicht einmal Potenzialität gelten lassen will, entzieht seiner eigenen Positi- on „Leben von Anbeginn“ den Boden;

PID-Gegner stützen sich sonst gerade darauf. – Die „Logik des Wachsens“

überschreite die Grenze der Geburt (Beckmann). Ich begründe das gewachse- ne Schutzbedürfnis des Fetus mit Schmerzempfindung und Lebensfähig- keit (etwa 20 Wochen vor der Geburt!) und fordere ein strengeres Abtreibungs- recht zugunsten reifer Feten. – „Unbe- wusste Schmerzempfindung“ (dies zu Scholtz) ist ein sinnvoller Begriff, den der in Fußnote 14 zitierte Wissenschaftliche Beirat der BÄK verwendet.

Letztlich geht es mir um Konsequenz und Ehrlichkeit angesichts unseres (auch vom BVerfG gebilligten) Abtreibungs- rechts. „Menschenwürde“ wird zur Phra- se, wenn man sie für Embryonen in vitro fordert, aber in vivo über 130 000 Ab- brüche im Jahr zulässt. Da wünschte ich mir mehr Einsatz für Leben und Würde lebensfähiger Feten und gegen die Bar- barei der Spätabtreibungen – auch dies ist meine Konsequenz zunehmenden Le- bensrechts!

Dr. jur. Rudolf Neidert Herrengarten 15 53343 Wachtberg D O K U M E N T A T I O N

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 14½½½½6. April 2001 AA903

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