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Archiv "Präimplantationsdiagnostik: Im Entscheidungsdilemma" (22.04.2011)

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A 876 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 16

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22. April 2011

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olitiker ändern gern mal ihre Meinung, doch nur selten er- klären sie dies offen. Und auch nur selten werden im routinierten Poli- tikbetrieb des Bundestages ehrliche und persönliche Debatten geführt, die frei von jeglichem parteipoliti- schen Kalkül sind. Die dreistündige Diskussion zur Präimplantations - diagnostik (PID) am 14. April war eine solche Debatte. An diesem Tag ging es um eine Frage, die die Ge- sellschaft emotional spaltet: um die Option auf Selektion. Auf der einen Seite steht das große Leid der be- troffenen Paare, das Ärztinnen und Ärzte durch den Fortschritt der Medizin lindern könnten. Auf der anderen Seite steht das Aussortie- ren von menschlichen Embryonen aufgrund von Krankheitsmerkmalen.

Viele Abgeordnete sehen sich da in einem Entscheidungsdilemma.

SPD-Fraktionschef Frank-Wal- ter Steinmeier bekannte, mit sich selbst intensiv „gerungen“ zu ha- ben. Lange habe er für ein straffes Verbot der PID votiert, über Jahre hinweg habe er jedoch daran ge- zweifelt. Doch: „Das strikte Verbot löst nicht die Fragen der Realität“, betont er jetzt. Man dürfe Hilfe - suchenden – und das seien im Falle der PID verzweifelte Menschen,

denen es nicht um Selektion oder Töten, sondern um das Leben gehe – nicht die Hilfe verweigern. Doch, ob dieses (ärztliche) Gebot auch für die gesetzliche Zulassung der PID in Deutschland gilt, bleibt fraglich. „Jeder von uns ist in die- ser Debatte ein Suchender“, resü- miert der FDP-Abgeordnete Pa- trick Meinhardt – Töne, wie man sie nur selten in der Politik hört.

Und sein liberaler Parteikollege Pascal Kober kommt zu dem Schluss, dass man sich im Zweifel für das Leben und den weiterge- henden Schutz entscheiden müsse.

„PID bedeutet“, sagte er, „dass ein Gremium ermächtigt wird zu be- stimmen, welchen Menschen Schutz zukommt.“

Ein Drittel der Abgeordneten zweifelt noch

Steinmeier und Kober haben für sich eine Entscheidung getroffen. Etwa 200 Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind indes noch un- schlüssig. Sie seien sich bei der Abwägung unsicher, könnten den Ar gumenten jeder Position etwas ab gewinnen, hört man von ihnen.

Dennoch wird es bei der Abstim- mung voraussichtlich am 30. Juni auf sie ankommen, ob die PID in

Deutschland gesetzlich zugelassen wird oder verboten bleibt. Denn zwei der drei zur Diskussion stehen- den Gesetzentwürfe liegen bezüg- lich der Anzahl ihrer Unterstützer fast gleich auf.

Einen etwas größeren Zulauf im Parlament finden momentan die PID-Befürworter. 215 Abgeordnete haben schon den Entwurf unter- schrieben, der die PID begrenzt zu- lassen will. Federführend stammt er von den Abgeordneten Peter Hintze (CDU), Ulrike Flach, Heinz Lanfer- mann (beide FDP), Carola Reimann (SPD), Petra Sitte (Die Linke) sowie Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grü- nen). „Wir wollen nicht alle Türen für die PID öffnen, sondern sie soll nur in Ausnahmefälle erlaubt sein“, betont die stellvertretende Vorsitzen- de der FDP-Bundestagsfraktion, Ul- rike Flach. Nach einer verpflichten- den Aufklärung und Beratung sowie dem positiven Votum einer Ethik- kommission soll die PID dem Ent- wurf zufolge nur dann zulässig sein, wenn ein oder beide Elternteile die Veranlagung für „eine schwerwie- gende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder einer Fehl- geburt zu rechnen ist“. Fehl- und Totgeburten sowie die Weitergabe von besonders schweren Erkrankun- gen an das Kind sollen so bereits vor der Geburt verhindert und schwere Belastungen der Familien abgewen- det werden. „Wir wollen damit den Wertungswiderspruch zum Schwan- gerschaftsabbruch aufheben“, er- klärte Flach. Einen PID-Automatis- mus werde es jedoch nicht geben.

Ernst, emotional und respektvoll diskutierten die Abgeordneten des Bundestages die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik. Für welchen der drei vorliegenden Gesetzentwürfe sich die Mehrheit entscheiden wird, blieb noch ungewiss.

Foto: epd

PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK

Im Entscheidungsdilemma

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22. April 2011 Dabei verweist Flach auf ähnliche

Empfehlungen, wie die des Wissen- schaftlichen Beirats der Bundesärz- tekammer und der Nationalakade- mie Leopoldina sowie auf das Teil- votum des Deutschen Ethikrats, der der PID allerdings engere Grenzen als die Gruppe um Flach setzen will.

In ihrer Argumentation verwei- sen die PID-Befürworter immer wieder auf die Sorgen und Nöte der betroffenen Familien, denen es nicht um ein blondes oder blauäugi ges Kind geht, sondern die lediglich ein Kind möchten, das sie nicht nach kurzer Zeit wieder verlieren.

Der ehemalige Pfarrer und derzeiti- ge Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze (CDU) mahnt, der Gesetz- geber habe die Pflicht, Paaren die Nutzung der medizinischen Chan- cen zu erlauben. Auch Carola Rei- mann (SPD) hält es für „schwer er- träglich“ und „frauenverachtend“, diesen Paaren keine Hilfe anbieten zu dürfen, obwohl sie medizinisch möglich wäre.

PID entspricht nicht einem Schwangerschaftsabbruch Doch am Kern des Entwurfs der PID-Befürworter kommt keiner vorbei: Er legitimiert die Selektion von Leben. Ein Embryo wird zur Implantation ausgesucht, ein ande- rer verworfen. Dies ist auch das Hauptargument der PID-Gegner.

Die stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion Johannes Sing- hammer (CSU) und Günter Krings (CDU), der Vorsitzende des Marbur- ger Bundes, Rudolf Henke (CDU), die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, sowie die frühere Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) fordern deshalb ein striktes Verbot der PID. Ihr Gesetzentwurf, den mittlerweile 192 Abgeordnete unterzeichnet haben, wird ebenfalls von Bundeskanzlerin Angela Mer- kel unterstützt.

Auch diese Abgeordneten erken- nen die schwierige Situation und das Leid der betroffenen Eltern an.

Aber es handele sich bei diesen Fällen eben nicht um existenzielle Konfliktsituationen, wie sie bei ei- nem Schwangerschaftsabbruch auf- träten, meint Schmidt. „Bei der PID

steht die Selektion am Anfang. Den aussortierten Embryonen wird das Recht genommen, sich zu entwi- ckeln.“ Deutliche Unterschiede zum Schwangerschaftsabbruch sieht auch die Grünen-Gesundheitspoliti- kerin Bender. „Manche werden sich wundern, dass ich hier für ein Ver- bot eintrete, schließlich habe ich viele Jahre vehement für die Abtrei- bungsregelung gekämpft“, betont

sie. Doch ein Schwangerschaftsab- bruch sei mit der PID nicht ver- gleichbar. „Die PID ist die bewuss- te Erzeugung von etwa acht Em- bryonen zum Zweck des Aussortie- rens. Diese Option auf Selektion würde unsere Gesellschaft verän- dern. Wie soll sich da noch eine Frau für ein behindertes Kind entschei- den?“ Wie viele ihrer Mitunterzeich- ner sieht Bender die Gefahr des wachsenden sozialen Drucks, sich dem Verfahren der PID zu unterzie- hen, ist diese erst einmal zugelassen.

„Ich kenne viele, die nicht auf der Welt wären, hätte es die PID bereits gegeben“, gab der behindertenpoliti- sche Sprecher der Fraktion Die Lin- ke, Ilja Seifert, zu bedenken, der nach einem Unfall in der Jugend auf den Rollstuhl angewiesen ist. Viele

Behinderte hätten Angst vor einer Abwertung, erklärt Seifert. Für nicht behinderte Menschen sei dies mög licherweise nicht direkt greif- bar. „Doch wer ein solches Leben hat, für denjenigen gibt es nichts Wichtigeres.“ Krings befürchtet zu- dem wachsende Begehrlichkeiten der Forschung nach befruchteten Ei - zellen. „Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass weder Ärzte noch die Gesellschaft über lebenswertes und nicht lebenswertes Leben ent- scheiden“, appelliert er. Ein Embryo sei keine Sache, die man bei Män- geln verwerfen könne.

Als einen Ausweg aus dem Ent- scheidungsdilemma und die „mit- telnde Position“ sehen die Abgeord- neten um den Ethikfachmann der SPD-Fraktion René Röspel und die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz, ihren Gesetz- entwurf an, den bislang 36 Ab - geordnete unterschrieben hatten, darunter auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Die Gruppe will die PID grundsätzlich verbieten, jedoch in jenen Fällen, bei denen die Paare mit einer Tot- und Fehlgeburt ihres Kindes rech- nen müssen, nicht für rechtswidrig erklären. „Wir stellen nicht die Fra- ge: Darf ein Leben gelebt werden?

Sondern: Kann ein Leben gelebt werden?“, erklärt Röspel. „Wir wollen Menschen in die Lage ver- setzen, Eltern zu werden.“ Offen bleibt jedoch noch, wie der Entwurf in der Praxis umgesetzt werden kann. Denn die Lebensfähigkeit und die Dauer des Lebens eines Kindes lassen sich nur in den sel- tensten Fällen genau vorhersagen.

Sollte der Antrag wegen seiner nicht besonders praktikablen Lösung bei der zweiten und dritten Lesung im Juni aus der interfraktionellen Abstimmung genommen werden, könnte es entscheidend werden, wie die Anhänger der bisherigen Kom- promisslösung votieren. Ihren Rede- beiträgen zufolge scheinen zumin- dest Hinz und Röspel im Zweifel zu einem Verbot zu tendieren. Hubertus Heil (SPD) bot ihnen jedoch explizit noch einmal Verhandlungen an, um sie als Unterstützer einer PID-Zu - lassung zu gewinnen. ■ Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Beifall aus allen

Fraktionen erhielt Ilja Seifert: „Jeder und jede von uns ist einmalig, deshalb gehören wir zusam- men. Das mag pathetisch klingen, aber darunter ist diese Debatte nicht zu führen.“

Foto: dpa

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