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Archiv "Embryonenforschung und PID: „Ethik des Heilens“ versus „Ethik der Menschenwürde“" (25.01.2002)

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T H E M E N D E R Z E I T

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ur wenige haben in ihrem Beruf unmittelbar mit menschlichen Em- bryonen zu tun. Ontogenetisch ge- sehen bedeuten diese jedoch für alle gleichsam den dunklen Urgrund der in- dividuellen Existenz, das „absolut Un- bewusste“, wie der romantische Ge- burtshelfer, Naturforscher und Maler Carl Gustav Carus (1789 bis 1869) for- mulierte (2). Wir alle sind in unserem Leben selbst einmal Embryonen gewe- sen. Insofern handelt die Thematik auch von uns selbst – und nicht nur von Zygo- ten, Zellhaufen, Blastozyten.

Die experimentelle Forschung in der naturwissenschaftlich-biologischen Me- dizin folgt einer logischen Strategie. Im ersten Schritt werden bestimmte diagno- stische oder therapeutische Methoden durch Tierversuche (Tiermodell) eta- bliert. Im zweiten Schritt folgt die Über- tragung tierexperimentell gewonnener Fähigkeiten und Erkenntnisse auf den Menschen. Einem solchen Humanexpe- riment können im gesetzlich vorgegebe- nen Rahmen gesunde Versuchspersonen oder Kranke (Heilversuch) unterzogen werden. Bei positiven Forschungser- gebnissen ist dann die klinisch- praktische Medizin um eine neue Methode oder ein neues Heilmittel berei- chert, die in einem dritten Schritt in die klinische Pra- xis eingeführt werden.

Die Bonner Neurowis- senschaftler Otmar Wiest- ler und Oliver Brüstle woll- ten gerade den üblichen konsequenten Schritt vom Tier- zum Humanexperi- ment machen: nämlich von der nachweisbaren Rekon- struktion defekter Ratten- hirne mit Stammzellen aus

Mäuseembryonen zur eventuellen mög- lichen Rekonstruktion defekter mensch- licher Gehirne mit Stammzellen aus menschlichen Embryonen. Was für die Forscher einen wissenschaftlich innovati- ven und therapeutisch viel versprechen- den Schritt bedeutet, wird jedoch in der breiten Öffentlichkeit von vielen als Skandal empfunden, was zu schwerem Geschütz in den Feuilletons, heftigen Debatten in den Medien, programmati- schen Manifesten und Reden und vor al- lem zu einer Hochkonjunktur der profes- sionellen Bioethik geführt hat. Diese hat sich zu einer Art „bioethics industry“

entwickelt. Nicht nur staatliche Großfor- schungsprojekte, sondern gerade auch die Privatunternehmen planen inzwi- schen von vornherein einen prozentua- len Anteil der Investitionen für eine „be- gleitende“ Ethik ein.

So ist der renommierte Moraltheologe Ronald M. Green Leiter der Ethikkom- mission der US-amerikanischen Firma Advanced Cell Technology (ACT), die durch ihre jüngste Klonierung eines menschlichen Embryos weltweit Aufsehen erregt hat. Green vertritt eine liberale Eugenik: „Was wollen die Leute mit ihrem privaten Geld machen? Das soll ihnen überlas- sen bleiben.“ Die Mitglieder seien, wie er sagt, von der Fir- ma ACT unabhängig und

arbeiteten quasi „ehrenamtlich“. Jedes Mitglied des Ethikrates habe aber von vornherein gewusst, was die Firma vor- gehabt habe, nämlich das therapeutische Klonen. Insofern sei es um eine ethische

„Begleitung“ gegangen: „Ich habe nie- manden in den Beirat berufen, der die Nutzung von Embryonen oder die ge- samte Forschungsrichtung grundsätzlich ablehnt. Das würde keinen Sinn ma- chen.“(8)

Patt-Situation

Die menschlichen Embryonen sind nicht nur wegen der Stammzellfor- schung in den Mittelpunkt der gegen- wärtigen Kontroverse gerückt, sondern auch wegen der Präimplantationsdia- gnostik (PID). In beiden Fällen geht es letztlich um die Frage, ob menschliche Embryonen unter bestimmten Voraus- setzungen getötet werden dürfen: Im er- steren Fall werden zur Gewinnung von Stammzellen Embryonen „verbraucht“, im letzteren Fall defiziente Embryonen nach genetischer Testung

„verworfen“. Die Debat- te hat inzwischen eine typische Pro-und-

Kontra-Struktur angenommen.

Embryonenforschung und PID

„Ethik des Heilens“

versus „Ethik der Menschenwürde“

Eine kritische Betrachtung jenseits von Pro und Kontra

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Foto: Stiftung deutsches Schulschach

Heinz Schott

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❃❃Pro-Argumentation:Die Befürwor- ter sagen, es gehe bei der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzel- len um hochrangige Ziele. Wer diese Forschung unterbinden wolle, mache sich schuldig. Er verhindere ungeahnte Chancen des medizinischen Fortschrit- tes und verstoße gegen den „therapeuti- schen Imperativ“ beziehungsweise die

„Ethik des Heilens“ (3). So haben für den Rechtsphilosophen Reinhard Mer- kel die mit der Embryonenforschung

„verfolgten Ziele der Hilfe für schwer- kranke Menschen . . . ein so erhebliches Gewicht, dass sie die Verweigerung der Solidarität gegenüber frühesten Em- bryonen . . . rechtfertigen können“ (13).

Demgegenüber tritt der Vorwurf, die Freiheit der Wissenschaft werde durch generelle Restriktionen der verbrau- chenden Embryonenforschung verletzt, zunehmend in den Hintergrund.

❃❃ Kontra-Argumentation:Die Geg- ner der Forschung an menschlichen Em- bryonen stützen sich auf eine „Ethik der Menschenwürde“: Wer menschliche Embryonen – direkt oder indirekt – tö- tet, verstoße gegen die Menschenwürde, die dem menschlichen Embryo mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle zukomme. Dies bedeute einen Damm- bruch, das Überschreiten des Rubikon.

Der Begriff „Menschenwürde“ wird von drei dogmatischen Säulen gestützt: der Gottebenbildlichkeit im Sinne der Bibel (Gen. 1, 27), Kants Rede vom Person- Sein des Menschen als „Zweck an sich selbst“ (12) sowie dem einleitenden Satz des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“).

„Ethik des Heilens“ versus „Ethik der Menschwürde“: Im Schachspiel nennt man eine solche Situation „Patt“. Zug um Zug wird das Ja der einen Seite durch das Nein der anderen gekontert, annulliert und vice versa.

Angst und Schuld: die Macht von Metaphern

Woher kommt die starke Emotionalität in dieser Kontroverse? Achten wir hier zunächst auf ihre Metaphorik. Die Geg- ner der verbrauchenden Embryonenfor- schung und der PID orientieren sich an der zentralen Metapher des Damm- bruchs. Diese setzt Assoziationen zum

Terminus „Tabubruch“ frei und impli- ziert das Schreckensbild einer Über- schwemmung mit der Gefahr des Ertrin- kens. Ähnliches meint auch die Rede vom Überschreiten des Rubikon, der schiefen Ebene (slippery slope), einer

„Bahn ohne Halt“ (Johannes Rau).

Dementsprechend prognostiziert der Bonner Zellbiologe Volker Herzog eine

„Kaskade zur Klonierung des Men- schen“: von der Freigabe vorhandener menschlicher embryonaler Stammzell- Linien, über die Verwendung überschüs- siger Embryonen, Schaffung von Em- bryonen zu Forschungszwecken bis hin zum therapeutischen und schließlich re- produktiven Klonen (10).

Die Vorstellung eines unaufhaltsa- men Eroberungszugs (Stichwort: Rubi- kon) oder die eines automatischen Ab- rutschens in finstere Abgründe (Stich- wort: schiefe Ebene) erzeugen Angst:

Angst vor einer entfesselten Men- schenzüchtung mit dem Verlust traditio- neller Ideale unseres kulturellen Selbst- verständnisses, die im Begriff der Men- schenwürde verankert sind. Abgesehen davon, dass wohl auch manch ein Befür- worter der verbrauchenden Embryo- nenforschung beziehungsweise der PID insgeheim Angst oder Unbehagen ange- sichts der neuen Zugriffsmöglichkeiten verspüren dürfte, kommt in der „Ethik des Heilens“ noch eine andere Angst zum Vorschein: nämlich schwer kranke Menschen ohne mögliche Hilfe ihrem Schicksal zu überlassen, „erbarmungs- los“ oder „unbarmherzig“ an ihrer Not vorbeizugehen.

Die Schuld des Menschen an seiner Krankheit, die Krankheit als Folge der Sünde ist auch in unserer gegenwärtigen Medizin ein wirksamer, verborgener To- pos, denken wir nur an alltägliche Be- merkungen über die krank machenden Folgen des übermäßigen Fettverzehrs oder des Zigarettenrauchens. Doch nir- gends war und ist die Schuldfrage so bri- sant wie bei der Eugenik. Dies lässt sich historisch an der Propagierung der Zwangssterilisation illustrieren: Das Missachten der erbbiologischen Natur- gesetze, etwa durch die Weitergabe krankhafter Erbanlagen an die Nach- kommen, wurde in NS-Propagandafil- men vor Millionenpublikum wortwört- lich als Schuld der Eltern, als Sünde wi- der die Natur gebrandmarkt. Dies lässt

sich aber auch aktuell belegen: In Frank- reich haben Gerichte entschieden, dass Kinder mit pränatal absehbaren (mehr oder weniger schweren) Behinderungen ein Recht auf Nichtexistenz haben, ihr Geborenwerden also unter Umständen schuldhaft (durch fehlerhafte Pränatal- diagnostik) zustande kommt.

Es gibt auch Metaphern der Angst, die den politökonomischen Bereich be- treffen: etwa die Metapher vom Verpas- sen des Zuges, vom Zuspätkommen, von der Vertreibung von Wissenschaftlern und Forschungskapital ins Ausland.

Hier meldet sich die Angst zu Wort, im neoliberalen Überlebenskampf zu kurz zu kommen und der Konkurrenz zu un- terliegen, vom Ausland abhängig zu werden, den Standort Deutschland zu ruinieren et cetera.

Im Schatten von Darwinismus und Biologismus

Nach dem Philosophen Robert Spae- mann setzt der Gedanke des Menschen- rechts voraus, „dass jeder Mensch als geborenes Mitglied der Menschheit kraft eigenen Rechts den anderen ge- genübertritt, und dies wiederum bedeu- tet, dass die biologische Zugehörigkeit zur Spezies homo sapiens allein es sein darf, die jene Minimalwürde begründet, welche wir Menschenwürde nennen“

(16). Die „Instruktion“ des Vatikans

„Donum Vitae“ von 1987 formulierte unmissverständlich: „Die in vitro er- zeugten menschlichen Embryonen sind als menschliche Geschöpfe und rechts- fähige Wesen zu betrachten: Ihre Wür- de und ihr Recht auf Leben sind vom ersten Augenblick des Lebens an zu achten.“ (4)

Die „Ethik des Heilens“, auf die sich die biomedizinische Forschung beruft, relativiert diesen Status menschlicher Embryonen. Sie versucht, Vorstufen zur Menschwerdung zu definieren, et- wa einen „Prä-Embryo“ (17), dem noch keine unantastbare Menschenwürde zuzubilligen sei – zum Beispiel solange noch keine Einnistung erfolgt oder so- lange noch die Zwillingsbildung mög- lich sei. Wolfgang Frühwald, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, hat angesichts der gegensätzlichen Standpunkte einen „Kulturkampf“ – T H E M E N D E R Z E I T

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„christlich, zumindest kantianisches Menschenbild“ einerseits versus „szien- tistisch-sozialdarwinistisches Menschen- bild“ anderseits – diagnostiziert (6, 7).

Ohne Zweifel begegnen wir heute – im Verbund mit dem wirtschaftlichen Neo- liberalismus – einem wieder belebten (sozial)darwinistischen Denken, das an- gesichts gentechnologischer Möglichkei- ten die evolutionäre Leiter vom Affen zum Menschen nach oben für ausziehbar hält. Die Vision von der gentechnologi- schen Verbesserung des Menschen (en- hancement) spukt in vielen Köpfen. So erklärte der Nobelpreisträger James D.

Watson, „dass menschliches und anderes Leben nicht von Gott geschaffen wurde, sondern durch einen evolutionären Pro- zess entsteht, den Darwinschen Prinzipi- en der natürlichen Auslese folgt“ (18).

Atmen wir heute wirklich noch oder wieder den Geist des darwinistischen Zeitalters (der ja seinerzeit unter ande- rem auch Nationalismus und Imperialis- mus beflügelte)?

Natur und Geist: der vergessene Kontext

Im gesamten Diskurs über den Status menschlicher Embryonen fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Natur und dem des Geistes. So ver- misse ich als Medizinhistoriker vor allem die klassischen Fragen der Naturphilo- sophie – beispielsweise: Was bedeutet ir- disches Leben im Kosmos? Wie verhal- ten sich organische und anorganische Natur zueinander? Wie ist das Verhält- nis von Mensch und Welt (Mikrokosmos und Makrokosmos) beschaffen? Wie be- gegnen sich tierische und geistige Natur im Menschen?

Ist schon der Begriff der Natur für die Biomedizin ein blinder Fleck, so gilt dies umso mehr für den Begriff des Geistes.

Der Bonner Philosoph Wolfram Hogre- be hat dies polemisch auf die Formel ge- bracht: „Im Stile einer Renaissance des 19. Jahrhunderts propagiert man heute, nur um dem Geist ausweichen zu kön- nen, Life Sciences, Lebenswissenschaf- ten. Sie sollen die Geisteswissenschaften unnötig machen. . . . Was braucht man Geist, wenn man die Gene hat, mit de- nen Geld zu machen ist? . . . Wenn wir je- manden fragen: ‚Wer bist du?‘, dann fra-

gen wir nicht nach seinen Genen, son- dern nach seiner geschichtlichen Iden- tität, über die er zugleich immer auch hinaus ist.“ (11) Der Begriff des Geistes ist für den Diskurs der Biomedizin offen- sichtlich bedeutungslos.

Die Leitbegriffe der Ethikdebatte, wie Menschenwürde, Lebensrecht, Hei- len, Güterabwägung et cetera, können keine konstruktive gesellschaftskritische Kraft entfalten, da weder die histori- schen Quellen noch der globale Kontext ins Auge gefasst werden. Ein Kant-Zitat zur Würde der Person und der Verweis auf Artikel 1 des Grundgesetzes oder die Rede vom „therapeutischen Imperativ“

und dem „Kinderwunsch“ als Postulat der Autonomie bedeuten noch keine kritische Analyse unserer geistigen Si- tuation, unseres Aufenthaltsortes in der Natur- und Menschheitsgeschichte. Erst wenn wir uns mit diesem Kontext der modernen Biomedizin auseinanderset- zen, können wir in historischer Perspek- tive durch „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ (Freud) eine Gemein- schaft verändernde Orientierung für die Zukunft gewinnen. Können, dürfen wir uns schon jene Freiheit herausnehmen, welche die liberale Eugenik gegenwärtig bereits einfordert? Oder müsste sie nicht erst durch disziplinierte Bildungsarbeit an uns selbst errungen werden?

Sexualität – Eros – Liebe

1978 wurde das erste Kind nach In-vitro- Fertilisation in England geboren. Vor dem „Retortenbaby“ Louise Brown wurden alle Babys der Welt durch In- vivo-Fertilisation gezeugt. Diese Zeu- gung geschieht bekanntlich im Span- nungsfeld von Sexualität und Liebe – und in schlimmen Fällen im Spannungsfeld von Sexualität und Gewalt. Embryonen werden heute – unabhängig von ihrer ethisch-rechtlichen Bewertung – als iso- lierte biologische Monaden dargestellt und imaginiert, abgelöst von ihren orga- nischen Ursprungsorten im Körper der Frau und des Mannes, abgelöst vom Zeu- gungsakt, der sich in einen Herstellungs- akt verwandelt hat. Solche biotechni- schen Eingriffe würden die „intuitive Unterscheidung zwischen Gewachse- nem und Gemachtem“ verwirren, be- klagte kürzlich Jürgen Habermas (9).

Die Begriffe Sexualität, Eros, Liebe haben im bioethischen Diskurs keine nennenswerte Bedeutung, sieht man einmal von der Position der katholischen Kirche ab, welche – gemäß der Enzykli- ka „Humanae vitae“ von Paul VI. – die

„biologische Integrität des Geschlechts- aktes“, gewissermaßen also die „Würde des Sex“ (4), verteidigt. Dafür stoßen wir auf den Begriff des Kinderwunsches, der die Prozeduren der Reproduktionsme- dizin unter dem Vorzeichen der Autono- mie der Patienten beziehungsweise Kli- enten legitimiert. Doch inwiefern ist Ste- rilität überhaupt als Krankheit zu defi- nieren? Und inwiefern ist der Kinder- wunsch und seine reproduktionsme- dizinische Realisierung tatsächlich als Rechtsanspruch „autonomer“ Personen auf ihre gesundheitliche Integrität zu be- greifen?

Der Traum vom Menschenmachen

Wahrscheinlich ist in unserer angeblich säkularen, pluralen, liberalen Gesell- schaft der Druck, Kinder zu bekommen, keineswegs geringer als etwa in traditio- nellen Kulturen oder Entwicklungslän- dern mit Großfamilien beziehungsweise unkontrolliertem Kinderreichtum. Die- ser Druck tritt bei uns im Gegensatz zu früheren Zeiten und anderen Kultur- kreisen nur zeitverschoben auf: Relativ junge Frauen sollen bis zum Erreichen einer bestimmten Stufe ihrer Berufs- und Lebenskarriere keine Kinder be- kommen, dann aber umso gesicherter.

Der Druck, zunächst keine Kinder zu bekommen, verkehrt sich in den Druck, um jeden Preis noch Kinder zu be- kommen. Was bedeutet da eigentlich der Kinderwunsch als Rechtsanspruch auf reproduktionsmedizinische Behand- lung?

Hybris bezeichnete ursprünglich den Hochmut, die Selbstüberhebung des Menschen gegenüber den Göttern und ist im Diskurs der „life sciences“ durch- aus virulent. So meinte James D. Wat- son: In der Vergangenheit „konnten nur die Götter die Zukunft vorhersagen und unserem künftigen Schicksal eine gute oder schlechte Wendung geben.

Heute liegt dies zum Teil in unseren ei- genen Händen.“ (17) Namhafte Fach- T H E M E N D E R Z E I T

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leute wie Peter Propping (15) oder die Nobelpreisträgerin Christiane Nüss- lein-Volhard (14) sind gegenüber sol- chen Allmachtsfantasien skeptisch und mahnen zur Bescheidenheit. Doch die Hoffnung, einen Quantensprung der wissenschaftlichen Medizin vollziehen zu können, ist wohl für alle Beteiligten ein starkes Motiv.

Ein kurzer Einblick in Kultur- und Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass es offenbar einem uralten Menschheits- traum entspricht, die Rolle des Schöp- fergottes zu übernehmen und selbst ei- nen Menschen zu schaffen. In Mythen, Sagen und in der Literatur begegnen uns Golems, Homunculi und Roboter, von der jüdischen Kabbala bis hin zu roman- tischen Schauerromanen. Merkwürdi- gerweise liegt auf den überlieferten Vi- sionen, künstlich einen Menschen zu schaffen, kein Segen. Zumeist werden nämlich durch gotteslästerliche, teufli- sche Akte Zerrbilder des Menschen ge- schaffen, die angst- und ekelerregend sind und der Menschheit sehr gefährlich werden können, wie zum Beispiel Mary Shellys Frankenstein-Roman zeigt. Ve- rena Wetzstein, die diesen mythischen Stoffen des Menschenmachens nachge-

gangen ist, kommt zum Schluss: „Diese zumindest im Unterbewusstsein der Öf- fentlichkeit noch präsenten Mythen sind in der heutigen öffentlichen Diskussion über Stammzellenforschung mitzube- denken, will man die Hitze der Debatte verstehen. . . . Die Klonierung von Men- schen erscheint als die Verwirklichung des Homunculus. Wer sollte da nicht an die zügellosen Geschöpfe und die Be- strafung des blasphemischen Schöpfer- tums denken, die uns Mythen und Sagen jahrtausendelang erzählt haben?“ (19)

Hybris versus Selbstreflexion

In unserem Selbstverständnis gehen wir davon aus, in einer so genannten säkula- ren und pluralistischen Gesellschaft zu leben, die zu religiöser Neutralität und den universalen Menschenrechten ver- pflichtet ist. Inwiefern kann man dann überhaupt noch im herkömmlichen Sinn von Hybris sprechen, wenn die Vorstel- lung von Gott oder den Göttern unver- bindliche Privatmeinung ist, wenn die Freiheit eines „Nichtchristenmenschen“

(Markl) gleichermaßen gilt? Zumindest eine Hybris besteht darin, die Geschich- te der Menschheit mit ihren Mythen und Sagen, die Geschichte der Wissenschaft mit ihren Aufbrüchen und Irrwegen, die Geschichte der eigenen Person mit ihren Träumen und Intuitionen zu ignorieren, das heißt, ihnen keine wissenschaftliche

Bedeutung für das eigene Wissenschaft- Treiben zuzubilligen.

Diese Hybris besteht aus einer histo- rischen Selbstvergessenheit: nämlich der Idealisierung des Selbst-machen-Kön- nens, der Vorstellung einer eigenen Ver- fügungsgewalt über die Zukunft, ge- paart mit der Abwehr des Gedankens ei- ner unaufhebbaren Nicht-Autonomie des Menschen, seiner Abhängigkeit, Hilflosigkeit und Verletzbarkeit auf die- ser selbst wiederum vergänglichen Erde, nur einer von „unendlich vielen Erden“, wie Giordano Bruno vor mehr als 400 Jahren spekulierte (1).

Was jenseits von Pro und Kontra, jen- seits von Kant- und Darwin-Zitaten, jen- seits von tagespolitischen Aufgeregthei- ten von allen gefordert wird, ist das In- fragestellen von gewohnten Gewisshei- ten, das Heraushören leiser Zwischentö- ne aus dem menschheitsgeschichtlichen und transkulturellen „Hintergrundrau- schen“, die kritische und vor allem wis- senschaftskritische Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Menschen- und Weltbildern. Vor Hybris schützt nur kritische Selbstreflexion, die – salopp ge- sprochen – „Dekonstruktion“ und De- mut zusammenbringt.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 172–175 [Heft 4]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. phil. Heinz Schott Medizinhistorisches Institut der Universität Bonn Sigmund-Freud-Straße 25

53105 Bonn T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 4½½½½25. Januar 2002 AA175

In der Schrift „De natura rerum“

meint Paracelsus in Hinblick auf die

„generation [Erzeugung] der homun- culi“: Die „alten philosophi“ hätten sich gefragt. „ob auch der natur und kunst möglich sei, das ein mensch außerthalben weiblichs leibs und einer natürlichen muter [Gebärmutter] möge geboren werden? darauf gib ich [Paracelsus] die ant- wort das es der kunst spagirica und der natur in keinem weg zuwider, sonder gar wol möglich sei. Wie aber solches zugang und geschehen möge, ist nun sein pro- ceß also, nemlich das der sperma eines mans in verschloßnen cucurbiten [Kol- ben] per se mit der höchsten putrefaction . . . putreficirt werde auf 40 tag oder so lang bis er lebendig werde und sich beweg und rege . . . so . . . wird ein recht le- bendig menschlich kint daraus mit allen glitmaßen wie ein ander kint, das von ei- nem weib geboren wird, doch vil kleiner. dasselbi wir ein homunculum nennen und sol hernach nit anders als ein anders kint mit große fleiß und sorg auferzo- gen werden . . ..“(19) Diese Paracelsische Fantasie – von Goethe im zweiten Teil des „Faust“ ausgestaltet – ist auch unserer Zeit noch voraus, da sie buchstäblich das „Retorten-Baby“ antizipiert, das heißt ohne organische Zwischenstation in der Gebärmutter.

Foto: dpa

Berichtigung

Durch ein technisches Versehen hat sich in den Beitrag

„Krankenhäuser: Integrierte Versorgung – nur Utopie?“

(DÄ, Heft 3/2002) ein Fehler eingeschlichen. Dort heißt es im Fazit: „Bei einer Zusammenarbeit von niedergelas- senen Ärzten und Krankenhausärzten in einer Rettungs- stelle ist keine kompetente Versorgung gewährleistet.“

Richtig ist folgende Fassung: „Bei einer Zusammenar- beit von niedergelassenen und Krankenhausärzten in ei- ner viel frequentierten Rettungsstelle kommt es zur kompetenten Versorgung der Patienten.“ Stark gekürzte und überarbeitete Fassung eines Vortrags zum Schwerpunkt „Bioethik“ beim Dies Academicus des Studium Universale der Universität Bonn am 5. Dezember 2001

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