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Archiv "Fallpauschalen: Die australische Realität" (23.06.2006)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 25⏐⏐23. Juni 2006 AA1729

D

as Fallpauschalensystem (Diagno- sis Related Groups, DRGs) belastet die tägliche Arbeit von Ärztinnen und Ärzten im stationären Sektor. Die nach „australischem System“ entwickel- ten DRGs entfalten eine enorme Ei- gendynamik und beeinflussen die Kran- kenhauswelt maßgeblich. DRG-Visi- ten, Abrechnungsmeetings oder eigens zur Kodierung abgestellte Oberärzte gehören zum deutschen Klinikalltag, um eine leistungsgerechte Abbildung der Leistungen zu ermöglichen. In Australi- en – dem Vorbild für das deutsche DRG-System – sieht die Realität jedoch anders aus: Eine direkte Einbindung der Ärzte in die Fallpauschalen und Kodie- rung gibt es dort nicht.

Die Vergütung stationärer Aufent- halte erfolgt in keinem der acht austra- lischen Bundesstaaten ausschließlich über die Pauschalen. Es ist zwar in Aus- tralien gesetzlich vorgeschrieben, für al- le Krankenhauspatienten bei Entlas- sung eine Diagnose zu kodieren. Aller- dings läuft nur ein Teil der Finanzierung über die DRGs, ansonsten erfolgt die Abrechnung anhand „historischer Bud- gets“. Die Situation in den Staaten ist dabei uneinheitlich. „Das australische System“ gibt es folglich nicht.

Die Bundesstaaten unterscheiden sich in ihren Abrechnungsmodalitäten.

Im Staat Victoria mit rund fünf Millio- nen Einwohnern und der Großstadt Melbourne sowie in South Australia mit etwa 2,5 Millionen Menschen läuft die Abrechnung stationärer Leistungen zu etwa 60 Prozent anhand der DRGs. Der übrige Teil ist von den Fallpauschalen ausgenommen. Darunter fallen die

Krankenhausambulanzen, spezialisierte Servicedienste, die auch krankenhaus- übergreifende Dienstleistungen anbie- ten (zum Beispiel Humangenetik) oder auch hoch spezialisierte Programme (beispielsweise Dialyse). Die Abrech- nung komplexer Fälle, etwa der Inten- sivpatienten, erfolgt in South Australia anhand eines Tagessatzmodells. Anson- sten wäre keine adäquate Finanzierung möglich. Weiterhin sind die meisten pädiatrischen Zentren in diesen beiden Bundesstaaten aus den Fallpauschalen ausgenommen, da diese im DRG-Sy- stem nur unzureichend abgebildet sind.

Unterschiede in den Bundesstaaten

In New South Wales mit der Metropole Sydney leben etwa sieben Millionen Menschen. Die Abrechnungssituation stellt sich hier ganz anders dar. Die Ver- teilung des Gesundheitsetats funktio- niert nach einem komplizierten Vertei- lungsmuster auf acht Verwaltungsbezir- ke. Berücksichtigt werden dabei unter anderem das Alter der Population, Da- ten des Vorjahres und geographische Besonderheiten. Ein ähnliches System gilt in Western Australia (rund zwei Mil- lionen Einwohner) und dem Australian Capital Territory (etwa 500 000 Ein- wohner) mit der Hauptstadt Canberra.

Hier wird allerdings vermehrt mit den

„historischen Budgets“ gearbeitet. Die Abrechnung medizinischer Leistungen für die rund vier Millionen Menschen im Bundesstaat Queensland sowie Tas- manien (etwa 300 000 Einwohner) und den Northern Territories (Einwohner- zahl rund 400 000) wird ausschließlich mit historischen Budgets gemeistert.

Somit erfolgt für die Mehrheit der et- wa 19 Millionen Australier die Finan- zierung eines Krankenhausaufenthaltes anhand von historischen Budgets. Die Kosten des Vorjahres werden mit den erbrachten Leistungen verglichen, die Planung für das folgende Jahr einge- bracht und dementsprechend ein Zu- wachs des Budgets eingefordert.

Doch es gibt noch weitere Unter- schiede: In deutschen Krankenhäusern ist es die Regel, dass Ärzte für die Ver- schlüsselung der Diagnosen verant- wortlich sind. Das ist in Australien grundsätzlich nicht der Fall. Vielmehr ist das Analysieren der Daten und Ko- dieren der Patientendiagnosen und Therapien durchweg eine nichtärztliche Tätigkeit. Die Kodierung der Fälle er- folgt anhand der Akten nach Entlas- sung der Patienten. Sie wird von pro- fessionellen Kodierern vorgenommen.

Diese verfügen entweder über eine ein- jährige Ausbildung in medizinischer Ter- minologie (Clinical Coders) oder haben sich als „Medical Health Information Management Officers“ qualifiziert. Die Kodierer durchforsten die Akten und geben die DRGs anhand der Aktenlage in das Computersystem ein. Ein Feed- back zu den behandelnen Ärzten oder Rückfragen zur Plausibilität erfolgen nicht. Wer einen australischen Arzt da- nach fragt, wird Kopfschütteln ernten und die Frage: „Was haben wir denn da- mit zu tun? Das ist Verwaltungssache.“

Eine Situtation wie in Deutschland würde vermutlich seitens der australi- schen Ärzteschaft nicht akzepiert.

Kodiert wird in Australien nicht nur zu Abrechnungszwecken, sondern auch aus statischen Gründen. Ein Beispiel: In einem Zentrum soll eine neue Therapie angeboten werden, durch die mehr Ko-

Fallpauschalen

Die australische Realität

Die deutschen DRGs entstanden nach dem Vorbild Australiens.

Dort aber wird nur ein geringer Teil der Leistungen nach Pau- schalen abgerechnet. Kodieren ist keine ärztliche Aufgabe.

Nikolaus Haas*

*Der Autor war von Ende 2002 bis Anfang 2006 Leiter ei- ner pädiatrischen Intensivstation in Brisbane, Australien.

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sten entstehen. Die mittels Kodierung erfassten Fälle liefern den Krankenhäu- sern eine Argumentationshilfe für die alljährliche Verhandlung der Budgets.

In Australien existiert ein gutes öffent- liches Gesundheitswesen, das einen Großteil der Kosten übernimmt. Doch die Politik der australischen Regierung zielt immer mehr darauf ab, die öffentli- che Versorgung einzuschränken und die Krankenkassenleistungen zu reduzieren.

Diese Entwicklung ist nicht ohne Folge geblieben: Etwa 30 Prozent der Austra- lier sind privat krankenversichert.

Jeder berufstätige Australier bezahlt 1,5 Prozent seines Bruttolohns in die öf- fentliche Gesundheitskasse „Medicare“.

Dieser Beitragssatz erscheint zunächst einmal sehr gering.Allerdings deckt Me- dicare viele Leistungen nicht ab. Finan- ziert werden ärztliche Leistungen und Physiotherapie. Grundsätzlich nicht übernommen werden zahnärztliche Lei- stungen. Voll abgesichert über Medicare ist jedoch die stationäre Versorgung in

öffentlichen Krankenhäusern. Diese werden von den Bundesstaaten unter- halten. Die zahlreichen privaten Klini- ken sind von der finanziellen Unterstüt- zung des Medicare-Systems ausgenom- men und folgen marktwirtschaftlichen Überlegungen. Bietet aber ein privates Krankenhaus eine Basisversorgung in einem Gebiet an, in dem es kein öffentli- ches Krankenhaus gibt, erhält es Zu- schüsse aus dem öffentlichen Budget.

Die ambulante ärztliche Versorgung ist nur teilweise über Medicare abge- deckt. Der Patient zahlt bei einem Arzt-

besuch eine Gebühr – je nach Behand- lung zwischen 40 und 60 australische Dollar (etwa 25 bis 35 Euro). Dieser Be- trag wird teilweise von Medicare über- nommen, derzeit rund 28 Dollar (etwa 17 Euro). Zwar gibt es auch in Australi- en eine Gebührenordnung (Medicare Schedule of Fees Book), doch viele Ärzte verlangen von Kassenpatienten eine höhere Bezahlung für diagnosti- sche und therapeutische Prozeduren als in dem Katalog ausgewiesen. Für die Medikamente existiert eine Positivliste.

Sie ist im „Pharmaceutical Benefit Scheme“ dokumentiert und wird regel- mäßig durch ein Expertengremium bewertet. Nicht gelistete Arzneimittel bezahlt Medicare nicht.

Die Finanzierung der öffentlichen Krankenhäuser erfolgt auf dualer Basis:

Einerseits wird ein Teil der Kosten durch die australische Regierung (Medicare und Steuern) finanziert, der zweite Teil ist Sache der einzelnen Bundesstaaten (Steuern). Um die Verteilung des öffent-

lichen Budgets wird alljährlich heftig ge- stritten, und es erfolgt prinzipiell eine Festlegung anhand des bereits erwähn- ten „historischen Budgets“. Der Zu- schuss der Bundesstaaten zu den Bud- gets ist ebenfalls stets Diskussionspunkt.

So verwundert es nicht, dass Privatpa- tienten für die öffentlichen Kranken- häuser willkommene Einnahmequellen sind. Zwar muss für jeden Krankenhaus- aufenthalt eine Diagnose kodiert wer- den,die Abrechnung mit der privaten Ver- sicherung erfolgt jedoch völlig unabhän- gig von den Fallpauschalen. Im privaten

Sektor kann somit frei verhandelt wer- den. Dazu existiert ein Katalog, der von der Australian Medical Association jähr- lich erstellt wird und eine Richtschnur darstellt. Bindend ist er jedoch nicht und die privaten Krankenkassen finanzieren oftmals nur einen Teil der privatärztli- chen Forderungen. Den Rest muss der Patient aus eigener Tasche bezahlen.

Lange Wartelisten

Für die Krankenhäuser sind die Privat- patienten finanziell wichtig und ge- nießen häufig Vorrang. Dadurch erklärt sich auch die oftmals sehr lange Warte- zeit für Medicare-Patienten bei Spezia- listen für elektive Therapien. Für eine Katarakt-OP liegt sie bei etwa drei Jah- ren, ebenso für die operative Behand- lung einer Varikosis der Beine.

Aufgrund der geographischen Beson- derheit Austaliens sind die Regierungen der Bundesstaaten dazu verpflichtet, die zur medizinischen Versorgung der Bevöl- kerung notwendigen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Dieser Sicherstel- lungsauftrag bezieht sich auch auf Kran- kenhäuser. So wird gewährleistet, dass auch in entlegenen Gebieten eine Basis- versorgung besteht. In der Praxis bedeu- tet dies: Die eigentliche Krankenhausfi- nanzierung erfolgt unabhängig von den Fallpauschalen. Auch ein entlegenes Krankenhaus wird aufgrund des Versor- gungsauftrages selbstverständlich mit den nötigen Gerätschaften und Räum- lichkeiten ausgestattet, etwa mit einer Notaufnahme, ein oder zwei Operations- sälen. Auch die Möglichkeit zur Entbin- dung oder Erstellung einer Computerto- mographie mit dem entsprechenden Per- sonal wird durch den Versorgungsauftrag vorgeschrieben. Ein weit entlegenes Krankenhaus anhand der DRG-Fallpau- schalen zu finanzieren oder es mit einer Klinik in einem Ballungszentrum zu ver- gleichen, wäre realitätsfern.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(25): A 1729–30 Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Nikolaus A. Haas

Associate Professor, University of Queensland Oberarzt der Klinik für Angeborene Herzfehler Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen Georgstraße 11, 32545 Bad Oeynhausen E-Mail: nhaas@hdz-nrw.de

T H E M E N D E R Z E I T

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A1730 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 25⏐⏐23. Juni 2006

Für australische Ärzte unvorstellbar: In Deutschland verbringen Krankenhausärzte einen großen Teil ihrer Arbeitszeit mit dem Kodieren.

Foto:Peter Wirtz

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