DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
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Prof. G. Schellong (Münster) hat gewisse Fortschritte zu verzeich- nen: Der M. Hodgkin hat unter den Krebskrankheiten im Kindesalter bei geeigneter Therapie die beste Prognose (Überlebensraten 90 Pro- zent, erkrankungsfreies Überleben 80 Prozent). Für eine weitere Opti- mierung der Behandlung können und müssen jetzt die Risiken von Langzeitfolgen durch die Strahlen- und Chemotherapie sowie durch in- vasive diagnostische Methoden ohne Preisgabe von Heilungschancen re- duziert werden.
Die seit 1978 in der Bundesre- publik von mehr als 50 Kliniken durchgeführten aufeinanderfolgen- den kooperativen Therapiestudien verfolgen dieses Ziel durch schritt- weisen Abbau der Therapieintensi- tät und durch Einschränkung der In- dikationen zur explorativen Laparo- tomie und Splenektomie. Alle Kin- der erhalten initial eine risiko-ange- paßte Chemotherapie in Form von 2,4 oder 6 Zyklen OPPA/COPP (Oncovin-Vincristin, Procarbazin, Predison, Adriamycin, Cyclophos- phamed). Die Exposition gegenüber den für Keimdrüsenschäden und Zweitmalignome hauptsächlich ver- antwortlichen alkylierenden Zyto- statika wurde gegenüber dem klassi- schen DeVita-Schema (6 Zyklen MOPP) erheblich eingeschränkt, in- dem die Dauer der Chemotherapie bei etwa drei Viertel der Patienten verkürzt und Stickstofflost (Mustar- gen) teilweise durch Adriamycin er- setzt wurde.
Da okkulte Mikroherde durch die Chemotherapie vernichtet wer- den, wurde die Strahlentherapie auf
die nachweisbar betroffenen Regio- nen reduziert. Das durchstrahlte Körpervolumen beträgt damit meist nur noch 2 bis 15 Prozent anstatt 15 bis 30 Prozent bei der früher übli- chen Extended-field-Bestrahlung, das heißt der Einbeziehung auch der anscheinend nicht betroffenen lym- phatischen Nachbarstationen. Au- ßerdem konnte die Strahlendosis in Abhängigkeit vom Ausmaß der Chemotherapie herabgesetzt wer- den.
Prof. Peter Gutjahr (Mainz) re- ferierte über den Spätstatus nach Antineoplastischer Therapie: Mehr als 50 Prozent der Kinder mit Krebs- erkrankungen können heute dauer- haft geheilt werden. Die dafür not- wendige Behandlung ist intensiv.
Die Möglichkeit, daß die Behand- lungsmaßnahmen Neben- oder Spät- folgen haben, welche für die geheil- ten Kinder später von Bedeutung sind, macht eine sorgfältige Nach- sorge notwendig. Sie ist für krebs- kranke Kinder inzwischen bundes- weit fest etabliert.
Weniger Therapie
Zu den Spätfolgen nach Be- strahlung wegen bestimmter Bauch- und Nierentumoren zählen Wachs- tumsverzögerungen an einzelnen Knochen und an der Wirbelsäule;
die weiterentwickelte moderne The- rapie hat derartige Folgeerscheinun- gen stetig reduzieren können, ja, es ist durch geeignete andere (medika- mentöse) Behandlungsmaßnahmen inzwischen möglich geworden, bei etlichen der Kinder sogar ganz auf
Bestrahlungen zu verzichten, ohne die Heilungschancen zu verringern.
Das gilt ebenso für viele Kinder mit akuten Leukämien, berichtete Gut- jahr. Zu der stetigen Verminderung unerwünschter Folgeerscheinungen hat auch der erhebliche Erkenntnis- gewinn geführt, der durch die Orga- nisation der Krebsbehandlung bei Kindern in übergreifenden bundes- weiten Behandlungsstudien möglich war. Intensive Nachsorge hat ferner dazu geführt, unerwünschte Begleit- folgen früher zu erkennen und be- handeln zu können.
Nachsorge gut organisiert
Drei besonders wichtige Kom- plexe aus diesem Problemkreis sind die möglichen psychosozialen Fol- gen, die Frage eventueller geneti- scher Folgen von Erkrankungen und Behandlung und das Risiko ehemals kranker Kinder, eine zweite von der ersten unabhängige Krebserkran- kung zu bekommen.
In allen drei Bereichen laufen derzeit intensive Forschungsarbei- ten. Vorläufig läßt sich sagen, daß inzwischen zahlreiche ehemalige krebskranke Kinder selbst Eltern gesunder Kinder geworden sind, daß
— hinsichtlich des psychosozialen Be- reiches — viele der ehemaligen Pa- tienten ihre Erkrankung rückblik- kend oftmals sogar als einen positi- ven Faktor in ihrer Persönlichkeits- entwicklung ansehen und daß — für den dritten Komplex — das Risiko ei- ner zweiten Krebserkrankung nach der Heilung der ersten bei 2 Prozent liegt. Dieses Risiko ist damit wesent- lich geringer, als lange Zeit ange- nommen. Ursache für mehrfache Krebserkrankungen bei einem Kind ist manchmal die frühere Behand- lung; bei anderen liegen genetische Dispositionen für Krebserkrankun- gen vor. Die Mehrzahl der in den letzten zehn Jahren geheilten 5000 krebskranken Kinder kann ein akti- ves Leben ohne nennenswerte Be- einträchtigung führen.
Dr. med. Hans-Peter Legal Orleansstraße 5
8000 München 80
Morbus Hodgkin:
Kinder haben die besten Heilungschancen
Bericht von der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde in Münster
A-212 (54) Dt. Ärztebl. 84, Heft 5, 28. Januar 1987