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Archiv "Chirurgische Gesichtspunkte bei Morbus Hodgkin" (13.03.1980)

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Heft 11 vom 13. März 1980

Das Schicksal von Hodgkin- Kranken wird durch die Erken- nung des Ausbreitungsgrades bestimmt. Für die Therapie- planung ist sie Vorausset- zung. Die Erfassung von Hodgkin-Herden oberhalb des Zwerchfells gelingt mit klini- schen nichtinvasiven Metho- den einfach und zuverlässig. Eine korrekte Beurteilung des lymphoretikulären Gewebes unterhalb des Zwerchfells ist jedoch mit klinischen radiolo- gischen. Szintigraphischen und laborchemischen Metho- den nicht möglich. Die sichere Stadienzuordnung gelingt nur durch die Entnahme von Biop- siematerial aus Leber, intraab- dominellen Lymphknoten und durch Splenektomie

Aktuelle Medizin

Chirurgische Gesichtspunkte bei Morbus Hodgkin

Wilhelm Hartel und Willibald Großpietsch*)

Aus der Abteilung Chirurgie

(Leiter: Oberstarzt Professor Dr. med. Wilhelm Hartel) des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz

(Chefarzt: Generalarzt Professor Dr. Dr. med. Franz Gärtner)

Auf 100 000 Einwohner kommen pro Jahr 2 bis 3 Neuerkrankungen an Morbus Hodgkin (Lymphogranulo- matose). Damit ist der Morbus Hodg- kin das häufigste maligne Lymphom in Europa. Seine Ätiologie und Pa- thogenese sind auch heute, 147 Jah- re nach seiner Erstbeschreibung durch Thomas Hodgkin, noch um- stritten.

Klinisches Bild

Die Erkrankung beginnt in der Regel uncharakteristisch. Klinisch stehen Fieber als Continua oder vom Pei- Ebstein-Typ, Nachtschweiß, Juck- reiz und Abgeschlagenheit, bei me- diastinalem Befall Husten, Dyspnoe und retrosternale Schmerzen im Vordergrund.

Die Mehrzahl der Patienten bemerkt als erstes Krankheitszeichen eine schmerzlose Lymphknotenschwel- lung im Halsbereich. Die Lunge ist nur ausnahmsweise die Erstmani- festation des Morbus Hodgkin. Sie wird meist erst im Stadium der Dis- semination mitbefallen.

Eine primäre intraabdominelle Hodgkin-Manifestation findet sich selten, jedoch wird auch vereinzelt ein alleiniger Befall der Milz be-

schrieben. Bei etwa 30 Prozent der Patienten findet sich im Stadium der Generalisation eine Mitbeteiligung des lntestinaltraktes. Hierbei treten etwa gleich verteilt unspezifische bakterielle und virale Entzündungen neben granulomatösem Befall in Form von umschrieben wachsenden oder diffus infiltrierenden Tumoren auf, die zu Exulzeration, Blutung und Perforation neigen.

Die Prognose des Morbus Hogdkin war lange Zeit infaust. Heute ist es durch interdisziplinäre Diagnostik und Therapie möglich, selbst bei fortgeschrittener Erkrankung länge- re Remissionen zu erreichen. Bei frühen lokalisierten Prozessen scheint sogar Heii!.Jng möglich. Die Behandlungserfolge der letzten 20 Jahre beruhen auf einer besseren klinischen und histologischen Klas- sifizierung. Für die Prognose sind bestimmend:

~ Histologie

~ Diagnostisches Vorgehen

~ Stadium der Erkrankung

~ Stadienbezogene Therapie.

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Überlebenszeit in Jahren

Darstellung 1: Die Abhängigkeit der Lebenserwartung vom histologischen Typ (modifiziert nach Keller, Lukes. Rappaport)- LP -~ Lymphocyte predominance - NS

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Nodular sklerosis - MC = Mixed cellularity - LD = Lymphocyte deplet1on

Tabelle 1: Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Morbus Hodgkin

A eingehende klinische Untersuchung

C> Anamnese

C> Palpation peripher Lymphome

C> Palpation von Milz und Leber

Lymphknotenexstirpation

1

Histologische Diagnose

1

: Morbus Hodgkin B Klinische Stadieneinteilung (Ann Arbor-Kiassitikation

1

)

C> übliche laborchemische Untersuchungen

C> Röntgen-Thorax anterior-posterior, seitlich, Tomogramm

C> Milz- und Leberszi-ntigraphie - - ---> eventuell Skelettszinti-

gramm

C> Lymphangiographie (bipedale}

..,. Klinische Stadienklassifikation präoperat

1

iv

1

C Pathologische Stadienklassifikation

C> explorative Laparotomie

C> Palpation und Entnahme verdächtiger Lymphknoten nach

Exploration des Abdomens

C> Milzexstirpation

C> Leberbiopsie

1

..,. Pathologische Stadienklassifikation

652 Heft 11 vom 13. März 1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Histopathologie

Sternberg (1898) und Dorothy Reed (1902) beschrieben als erste die ma- kro- und mikroskopischen Befunde bei Morbus Hodgkin. Das histologi- sche Bild ist variabel. Neben dem elementaren Kennzeichen der Hodg- kin- und mehrkernigen Riesenzellen tinden sich Lymphozyten, Retiku- lumzellen, eosinophile und neutro- phile Granulozyten sowie Plasma- zellen.

Die Korrelierung des histologischen Bildes mit dem klinischen Verlaut hat nach Lukesund Butler (1963) zu folgender Subklassifikation in der Form der Rye-Modifikation (1966) geführt:

0

lymphozytenreiche Form f) noduläre Sklerose E) gemischtzellige Form

0

lymphozytenarme Form.

Die vier histologischen Varianten sind mit unterschiedlicher Lebenser- wartung verbunden (Darstellung 1 ).

Diagnostisches Vorgehen

Das diagnostische Vorgehen bei Verdacht auf Morbus Hodgkin ist in Tabelle 1 zusammengefaßt. Sie läßt die Bedeutung der explorativen La- parotomie für die pathologischen Stadienklassifikationen erkennen.

Im Mittelpunkt der pathologischen Stadieneinteilung steht die explora- tive Laparotomie mit Splenektomie, Leberbiopsie, Entnahme verdächti- ger Lymphknoten und eventuell Beckenkammbiopsie und anschlie- ßender histologischer Beurteilung . Auf ein standardisiertes Vorgehen bei der Exploration des Abdomens kann nicht verzichtet werden. Nur so können die Befunde protokolliert und kontrolliert werden. Das opera- tive Vorgehen bei der explorativen Laparotomie mit Splenektomie bei Morbus Hodgkin zeigen Tabelle 2 und Darstellung 2.

(3)

Die explorative Laparotomie mit Splenektomie wird unter zwei Vor- aussetzungen durchgeführt:

0

Als primäre Laparotomie. Ihr Er- gebnis ist die Grundlage für die in- itiale Stadieneinteilung. Sie wird entweder unmittelbar an die klini- schen Untersuchungen oder nach oberer Mantelbestrahlung vorge- nommen, wenn extrem große media- stinale Tumormassen dies erforder- lich machen.

f) Als sekundäre Laparotomie. Sie ist indiziert bei Patienten, die vorbe- handelt und bei der Erstdiagnose unter Verdacht auf bioplisehe Kon- trolle ungenau eingestuft wurden. Der Befall von Milz und Lymphkno- ten kann jahrelang ruhen oder so langsam verlaufen, daß klinisch kei- ne Zeichen vorhanden sind. Rezidi- ve können aber gerade von diesem lymphatischen Gewebe ausgehen.

Stadium der Erkrankung

Mit zunehmender Generalisation verschlechtert sich die Prognose.

Dies läßt sich aus Darstellung 3 able- sen. Die Stadieneinteilung, die sich allgemein durchgesetzt hat, zeigt Tabelle 3.

Die in Tabelle 3 dargestellte Klassifi- kation von Ann Arbor (1971) ist das Ergebnis einer Entwicklung. Ihr lag eine ältere Einteilung von Rye (1965) zugrunde.

Die erweiternde Modifikation der Rye-Einteilung leitet sich von fol- genden Beobachtungen ab:

..,. Extralymphatischer lokalisierter Befall verschlechtert die Prognose nicht.

..,. Häufiger werdende explorative Laparotomien lassen heute auch ei- ne genauere intraabdominelle Be- stimmung des Ausbreitungsgrades zu.

Neben der klinischen Stadieneintei- lung sind Allgemeinsymptome (un- klares Fieber über 38

o c,

Nacht- schweiß und Gewichtsabnahme von

6. Nadelbiopsie u. Exzision

2. Spleneklarnie hiläre

Lymphknotenexstirpation u. Markierung des Milzstiels mit Metallclips

a) im Bereich des tr. coeliacus u.

mesenterial b) paraaortal

paracaval u. iliacal

Darstellung 2: Schematische Darstellung des Operationsablaufs

Tabelle 2: Operatives Vorgehen bei der Laparotomie mit Splenekto- mie bei Morbus Hodgkin

0

Sorgfältige Inspektion des Bauchraumes und seiner Organe.

f) Palpation der parenchymatösen Organe Leber und Milz, dann der großen abdominellen Lymphknotenstationen.

t) Splenektomie unter Mitnahme der Lymphknoten im Milzhilus und Markierung des Milzstiels mit Metallclips.

0

Entfernen verdächtiger Lymphknoten am Pankreasschwanz im kl.einen Netz, an der großen Kurvatur des Magens, an der Mesenterial- wurzel und im Bereich des Mesenteriums .

0

Nach Inzision des Retroperitoneums Inspektionen der iliakalen und paraaortalen Lymphknoten. Routinemäßige Biopsie aus Lymph- knoten im Bereich zwischen Th. 12 und LWK 2. Entfernen von im Lymphangiogramm verdächtigen paraaortalen Lymphknoten.

0

Exploration der prähepatischen Lymphknoten und routinemäßige Entnahme von BiopsiemateriaL

0

Keilexzision aus dem linken Leberlappen. Mehrere Nadelbiopsien mit der Menghini-Nadel zur Beurteilung des tiefen Leberparenchyms aus dem rechten Leberlappen.

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6 Überlebenszeit in Jahren

Darstellung 3: Die Abhängigkeit der Lebenserwartung vom kl1n1schem Stad1um (modifiziert nach Keller. Lukes. Rappaport)

Tabelle 3: Klassifikation des "Hodgkin Diseases Staging Classifica- tion Committee" Ann Arber 1971

Stadium Befall

I Befall einer anatomischen Lymphknotenregion (I) oder eines loka- lisierten extralymphatischen Herdes (Organ = IE)

II Befall von 2 oder mehr Lymphknotenregionen gleichseitig vom Zwerchfell (II) oder lokalisierter Befall extralymphatischer Herde und von einer oder mehr Lymphknotenregionen auf der gleichen Seite des Zwerchfells (IIE)

III Befall von Lymphknotenregionen auf beiden Seiten des Zwerch- fells (111) und 1 oder begleitet von lokalisiertem Befall extralymphati- scher Herde (IIIE) oder der Milz (1115 ) oder von beiden (lllsEl·

IV Disseminierter Befall extralymphatischer Organe oder Gewebe mit oder ohne Befall von Lymphknoten, z. B.: IVH= Leber, IVL = Lunge, IV0= Knochen, IV0= Haut.

654 Heft 11 vom 13. März 1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

mehr als 10 Prozent des Körperge- wichts in den letzten 6 Monaten vor Klinikaufnahme) von schicksalhafter Bedeutung. Das Fehlen wird mit A, deren Vorhandensein mit B gekenn- zeichnet. Die Prognose in Abhängig- keit von Allgemeinsymptomen zeigt Darstellung 4.

Im Mittelpunkt der Hodgkin-Diagno- se muß heute die Stadieneinteilung stehen. Sie ist undenkbar ohne Mit- hilfe der Chirurgie. Zwar hat sich gezeigt, daß die Ausbreitung der Er- krankung supradiaphragmal mit nichtinvasiven Methoden wie Palpa- tion, Thorax-Röntgen und Torno- gramm relativ einfach zu erfassen ist.

Der Nachweis beziehungsweise Aus- schluß infradiaphragmal ist mit nichtinvasiven Methoden wie Lym- phographie, Szintigraphie von Leber und Milz, Pyelographie und Vena- kavographie jedoch schwierig. Ohne Einsatz chirurgischer Methoden muß die Stadieneinteilung unvoll- kommen bleiben, denn:

..,.. die retroperitonealen Lymphkno- ten sind nicht palpabel,

..,.. die Lymphegraphie stellt zwar ei- ne diagnostische Hilfe dar, jedoch lassen sich Lymphome oberhalb von LWK 2 nicht sicher darstellen. Prä- lienale, prähepatische, perigastri- sche und mesenteriale Lymphkno- ten können mit Hilfe der Lymphegra- phie nicht nachgewiesen werden, ..,.. ein Milzbefall kann klinisch nur aus dem Tastbefund, den Röntgen- und Szintigraphiebefunden abgelei- tet werden. Milzgröße und Speicher- defekte im Szintigramm haben sich jedoch als nicht zuverlässige Para- meter für eine lienale Infiltration er- wiesen,

..,.. ebensowenig korrespondiert ei- ne vergrößerte Leber bei pathologi- schen Funktionsproben und Enzym- aktivitäten mit einem Befall,

..,.. eine Blindpunktion von Leber und Milz ist vom Zufall abhängig und stellt somit keine diagnostische Bereicherung dar.

(5)

2

4 6 Überlebenszeit in Jahren

Übe rle bensra te in %

20 -

Darstellung 4: Die Prognose in Abhängigkeit von Allgemeinsymptomen (alle Stadien)

A: Fehlen von Allgemeinsymptomen E3* Anwesenheit von Allgemeinsymptomen (modifiziert nach Keller, Lukes, Rappaport)

Tabelle 4: Anderung der Stadieneinteilung nach explorativer Lapa- rotomie mit Splenektomie bei Morbus Hodgkin (Literaturübersicht)

Anzahl der Patienten

präoperativ falsch eingestuft

Autor Jahr

Enright 1970 68 34 50

Glatstein 1970 50 15 30

Smith, M. 1970 70 21 30

Meeker 1972 26 16 60

Piro 1972 54 26 31

Nuland 1973 95 22 20

Cannon 1976 400 110 28

Bauters 1977 70 43 60

Bruntsch 1977 275 48 18

Sauer 1977 58 16 27

Eigene Patienten 63 26 43

Total 1229 377 31

Aus diesen Gründen ist die explora- tive Laparotomie mit Splenektomie zu fordern. Den Prozentsatz der Kor- rektur in der Stadieneinteilung nach zusätzlicher Laparotomie zeigt Ta- belle 4 (Literaturübersicht u. eigene Ergebnisse). In Europa wurde dieses

„Surgical Staging" nur zögernd übernommen. Man fürchtete das Operationsrisiko und mögliche im- munologische Folgen der Splenek- tomie.

Welche Gründe machen die explora- tive Laparotomie mit Splenektomie unumgänglich?

1. Beurteilung der Lymphknoten 1.1 Häufig sind Lymphographiebe- funde nicht eindeutig zu interpretie- ren. Lymphome kranial von LWK 2 lassen sich nicht sicher darstellen.

1.2 Mitunter zeigen selbst erheblich vergrößerte Lymphknoten mit pa- thologischem Speichermuster das histologische Bild einer unspezifi- schen Lymphadenitis. Im eigenen Krankengut wurden 40 Prozent der Lymphographiebefunde als suspekt eingestuft. Die bioptische Kontrolle zeigte jedoch, daß nur die Hälfte in dieser Gruppe von Morbus Hodgkin befallen war. Dies unterstreicht die begrenzte Aussagefähigkeit der Lymphographie.

1.3 Die prälienalen, prähepatischen, perigastrischen und mesenterialen Lymphknoten lassen sich durch die Lymphographie nicht darstellen.

1.4 Mit Ausnahme im Milzhilus lie- gen die Lymphknoten außerhalb der üblichen Bestrahlungsfelder. Somit ist die für eine gezielte Bestrahlung erforderliche Markierung durch Me- tallclips nur durch Laparotomie möglich. Diese Markierung erlaubt retrospektiv eine radiologische Kon- trolle des Therapieerfolges.

1.5 Der Befall der Lymphknoten im Milzhilus kann die einzige Abdomi- nallokalisation darstellen. Deshalb sollte bei der Splenektomie minde- stens ein hilärer Lymphknoten histo- logisch untersucht werden. Wir ha- ben beobachtet, daß bei unauffälli-

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Abbildung 1 (oben): Lymphogranulomatose der Milz, makroskopisch.

Typische Porphyrmilz, sogenannte Bauernwurstmilz

Abbildung 2 (rechts oben): Lymphogranulomatose der Milz, mikroskopisch: Teilweise Zerstörung eines Folli- kels der weißen Milzpulpa durch Granulom mit zahlrei- chen Hodgkin-Zellen (Paraffin HE. 40fach)

Abbildung 3 (rechts unten): Granulomatose der Milz, mikroskopisch: Zahlreiche Hodgkin-Zellen in den Pulpa- strängen und den Sinus der roten Milzpulpa (Methacry- lat, Giemsa, 80fach)

656 Heft 11 vom 13. März 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT gern Lymphogramm und makrosko-

pisch normaler Milz die Gefäße am Milzhilus durch zahlreiche Hodgkin- Lymphome ummauert waren.

1.6 Ebenso können prähepatische Lymphome nur bei der Laparotomie entdeckt werden. Im eigenen Kran- kengut hatten 6 von 63 Patienten einen prähepatischen Lyrriphkno- tenbefall, 5 davon eine Leberbeteili- gung.

2. Beurteilung der Milz

2.1 Ein Milzbefall läßt sich bei Ver- größerung des Organs und bei Spei- cherdefekten im Szintigramm nur vermuten: Eine Splenomegalie ist auch bei tiefer Inspiration oft schwer nachweisbar, die Szintigraphie läßt bei diffusem nodulärem Befall keine zuverlässige Aussage zu.

2.2 Eine unverdächtige, nicht ver- größerte Milz schließt einen Befall

nicht aus. In Untersuchungen von Glatstein, Kadin sowie Kärcher wird die erst durch Laparotomie festge- stellte Milzbeteiligung zwischen 12 und 50 Prozent angegeben. Im eige- nen Krankengut waren es 15 Pro- zent. Eine typische stark befallene Hodgkin-Milz zeigt Abbildung 1*).

3. Beurteilung der Leber

3.1 Der klinische Nachweis einer Leberbeteiligung ist schwierig. La- borchemische Funktionsproben, Le- bergröße und Szintigramm haben nur geringe Aussagekraft. In der Li- teratur werden bis zu 90 Prozent falsch positive Laborbefunde ange- geben. Die Angaben über die Häu- figkeit der Leberbeteiligung bei Mor- bus Hodgkin variieren stark und sind abhängig von der diagnostischen Methodik und dem Zeitpunkt der Untersuchung. Bei Frühfällen ist nur ausnahmsweise mit einem Leberbe- fall zu rechnen. Im weiteren Verlauf

muß in einem Drittel bis einem Vier- tel mit einem Leberbefall gerechnet werden. Gleichzeitiger Milzbefall und Allgemeinsymptome sind die Regel.

3.2 Die Chance, einen lymphogra- nulomatösen Leberbefall durch die explorative Laparotomie aufzudek- ken, ist wesentlich größer als bei an- deren Methoden. Die häufig nur no- dulären Hodgkinspezifischen Läsio- nen erklären die schlechte Treffer- quote bei einer einzelnen perkuta- nen Blindpunktion. Nur eine Keilex- zision aus dem linken Leberlappen und mehrere Nadelbiopsien aus bei- den Lappen zur Beurteilung des tie- fen Leberparenchyms lassen die Wahrscheinlichkeit, einen Leberbe- fall nachzuweisen, steigen. Wenn man daher heute die Differenzierung

*) Die Abbildungen 1, 2 und 3 wurden uns freundlicherweise von Herrn Oberfeldarzt Dr. R. Schäfer, Leitender Arzt der Abteilung Pathologie am Bundeswehrzentralkranken- haus Koblenz, überlassen.

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zwischen einem ,.sicheren Befall", ,.sicherem Nichtbefall" und ,.unspe- zifischer Beteiligung" anstrebt, muß dennoch bei der Beurteilung ,.siche- rer Nichtbefall" ein Vorbehalt ange- meldet werden; denn daß kleine sin- guläre Noduli auch bei multipler Biopsie sich dem Nachweis entzie- hen könn~n. muß einleuchten. Bei klinischem Verdacht auf Leberbefall kann primär eine Laparoskopie vor- genommen werden; bestätigt er sich, wird das weitere chirurgische · Vorgehen überflüssig, denn dann ist primär eine kombinierte Chemothe- rapie indiziert.

Risiko des chirurgischen Eingriffs Das Risiko intra- und postoperativer Komplikationen nach explorativer Laparotomie mit Splenektomie bei Morbus Hodgkin ist nach Literatur- angaben und unserer eigenen Erfah- rung gering. Das Letalitätsrisiko liegt nach großen Sammelstatistiken unter 1 Prozent.

Desser et al. berichten, daß nach 1170 Laparotomien mit Splenekto- mie bei Morbus Hodgkin in 16 Fäl- len, vorwiegend Kindern, schwere Infektionen auftraten.

Zumindest für Erwachsene scheint somit die Infektionsanfälligkeit nach Splenektomie geringer zu sein. Sie ist bei Kindern eher zu befürchten.

Bei ihnen sollte daher die Indikation streng gestellt werden.

Die postoperativ auftretende passa- gere Thrombo- und Leukozytose verdient zwar Beachtung, ist bei Frühmobilisation und prophylakti- scher Gabe eines Aggregationshem- mers jedoch unproblematisch. Sie erfordert nur in Ausnahmefällen bei Werten von über 106/mm3 eine gezielte Antikoagulantien-Behand- lung.

Sie ist auch wegen der folgenden Strahlen- oder Chemotherapie nicht unbedingt nachteilig, da der myelo- suppressive Effekt ausgeglichen wird. Auf eine exakte postoperative Überwachung des Gerinnungsstatus sollte aber nicht verzichtet werden.

Dennoch dürfen die intra- und post- operativen Komplikationen nicht vernachlässigt werden. Die Opera- tion ist deshalb nur gerechtfertigt, wenn eine Therapieänderung zu er- warten ist.

Daraus ergibt sich, daß die Indika- tion zur explorativen Laparotomie mit Splenektomie bei Morbus Hodg- kin nach folgenden Gesichtspunk- ten gestellt werden kann:

..,. Fraglich pathologisches Lymph·

angiogramm bei Stadium (I) u. (IE)·

..,. Palpatorisch, röntgenologisch oder szintigraphisch vergrößerte Milz oder Speicherdefekte.

..,. Fraglicher Leberbefall bei palpa- torischer oder szintigraphischer Vergrößerung, bei Speicherdefekten oder pathologischen Funktionspro- ben und Enzymaktivitäten.

..,. Stadium (II)A subdiaphragmal, um eine Infiltration von Milz (115 ), Leber (IVH) und Lymphknoten au- ßerhalb des normalen Strahlenfel- des auszuschließen.

..,. Linksseitige Halslymphome aller histologischer Typen, weil hier die Gefahr einer transdiaphragmalen Ausbreitung erhöht ist.

..,. Stadium (I) und (II)A subdia- phragmal bei histologisch gemischt- zelligem Typ des peripheren Lym- phoms, da hier bevorzugt eine abdo- minelle Beteiligung auch unter Aus- sparung des Mediastinums beob- achtet wird.

..,. Stadium (II) u. (IIE) subdiaphrag- mal mit Mediastinalbeteiligung aller histologischen Typen.

..,. Stadium (I)B und (II)B, um eine Leberbeteiligung auszuschließen.

Die Indikation zur explorativen La- parotomie im klinischen Stadium (I) wird gegensätzlich beurteilt. Wir hal- ten sie auch hieraufgrundder Erfah- rung, daß selbst bei lokalisiertem su- pradiaphragmalen Hodgkin-Befall eine transdiaphragmale Ausbreitung möglich ist, für gerechtfertigt. Das

Risiko intra- und postoperativer Komplikationen sowie der Zeitver- lust bis zur Aufnahme einer spezifi- schen Therapie wird unseres Erach- tens durch den hohen diagnosti- schen Gewinn ausgeglichen.

Darüber hinaus hat die Laparotomie wichtige therapeutische Aspekte:

Mit der Entfernung der Milz wird kausal ein infiltriertes Organ und da- mit ein potentieller Streuherd besei- tigt.

Mit der Splenektomie entfällt die Milzbestrahlung, die eine weitere Vergrößerung des abdominellen Strahlenfeldes bedeuten würde. So- mit wird eine Schädigung des linken oberen Nierenpols und der unteren Lungenabschnitte vermieden. Bei intraabdominellem Befall reicht eine untere Abschnittsbestrahlung in Form eines umgekehrten Y aus, und das durchstrahlte Körpervolumen ist wesentlich kleiner. Lymphknoten, die sich lymphegraphisch nicht dar- stellen lassen, können mit Metall- clips markiert und anschließend be- strahlt werden.

Von besonderer Bedeutung ist dies für diejenigen Lymphknoten, die au- ßerhalb der üblichen Bestrahlungs- felder liegen.

Nach Splenektomie werden Bestrah- lung und Chemotherapie oft besser toleriert! Die gefürchtete Leuko- und Thrombozytopenie, die zum Ab- bruch der Therapie zwingen kann, wird abgeschwächt.

Bei Panzytopenie im peripheren Blut infolge eines Hypersplenie-Syn- droms stellt die Splenektomie in ei- nem großen Prozentsatz eine kausa- le Therapiemaßnahme dar. ln den meisten Fällen können aufgrundder nun wieder möglichen Strahlen- oder Chemotherapie Remissionen erzielt werden.

Einigkeit dürfte darüber bestehen, daß bei Komplikationen durch Hodgkin-Lymphome (Blutung, Per- foration, Penetration, Ileus) die chir- urgische Behandlung ganz im Vor- dergrund steht. Das chirurgische ,.Staging" führt damit durch eine

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Wolfgang Forth

Auf Einladung der Deutschen Ge- sellschaft für medizinische Doku- mentation, Informatik und Statistik e. V. trafen sich im Dezember ver- gangenen Jahres die Arbeitsgrup- pen „Epidemiologie" und „Thera- peutische Forschung" zu einer ge- meinsamen Sitzung im Diabetes- Forschungsinstitut der Universität Düsseldorf. Der Workshop stand un- ter dem Thema „Clofibrat — die Aus- sagefähigkeit klinischer und epide- miologischer Studien".

Die Leiter der beiden Arbeitsgrup- pen, Professor Dr. H. J. Jesdinsky (Therapeutische Forschung) und Privatdozent Dr. E. Greiser (Epide- miologie) führten jeweils abwech- selnd in die Thematik ein und mode- rierten den Workshop.

Um es vorwegzunehmen, die Veran- staltung war ein Erfolg, das vor al- lem deshalb, weil es gelang, Einsicht in die Problematik und in die Gren- zen der Aussagefähigkeit klinischer Studien zu wecken. Vom Thema her waren Kliniker sicherlich in höherem Maße angesprochen, als das ihr Ar- gumentationspotential in der Dis- kussion mit auswies. Das mag am Zeitpunkt der Einladung gelegen ha- ben, es kann aber auch die Folge der theoretischen Orientierung der Ein- ladung gewesen sein. Leider, wie der Referent meint, denn hier war Gelegenheit zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch zwischen den — wie es sich mehr und mehr heraus- stellt — polaren Interessen zweier Gruppen, den Epidemiologen und Statistikern auf der einen Seite und den Klinikern und Ärzten auf der an-

deren Seite gegeben. Außerdem wa- ren Wissenschaftler der interessier- ten pharmazeutischen Industrie und ein Beobachter des Bundesgesund- heitsamtes anwesend.

Die Frage einer Prävention ischämi- scher Attacken am Herzen und von Herzinfarkten durch Clofibrat wurde seit den sechziger Jahren in ver- schiedenen klinischen Studien un- tersucht. Als gesichert gilt, daß das Infarktrisiko mit steigenden Konzen- trationen der Blutlipide, insbesonde- re des Cholesterins, in der sog. LD*)- Lipidfraktion zunimmt. Daraus läßt sich das therapeutische Konzept ab- leiten, daß die Senkung der Konzen- tration der Lipide im Blut das Infarkt- risiko vermindert. Die wichtigsten Studien wurden in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung diskutiert:

• Die „New-Castle-Studie", Dewar, H. A., und Oliver, M. F.: Brit. Med. J.

4 (1 971 ) 784-786 — Dewar, H. A., et al.: Brit. Med. J. 4 (1971 ) 767-775

• Die „Schottische Studie", Oliver, M. F.: Brit. Med. J. 4 (1 9 73) 775-784 (i) Die „United-Airlines-Studie" (Im Rechenzentrum der Fluggesell- schaft wurde die Datenverarbeitung und Auswertung vorgenommen), Krasno, R. L., und Kidera, G. J., J.

AMA. 210 (1972) 845-851

• Die Studie des „coronary drug projects", Coronary drug project re- search group, J. AMA. 231 (1 975) 360-380

) ,,low density"

größere Zuverlässigkeit in der Sta- dieneinteilung zu mehr Sicherheit in der Therapieentscheidung des be- handelnden Radiologen oder Onko- logen.

Literatur

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Anschriften der Verfasser:

Oberstarzt Professor Dr. med.

Wilhelm Harte!

Leitender Arzt

der Chirurgischen Abteilung am Bundeswehrzentralkrankenhaus Rübenacher Straße 170

5400 Koblenz

Oberstabsarzt d. R. Dr. med.

Willibald Großpietsch Chirurgische Klinik Kreiskrankenhaus 4048 Grevenbroich

Clofibrat — oder:

Die Aussagefähigkeit klinischer und epidemiologischer Studien

Bericht über eine Arbeitssitzung am 19. Dezember 1979 in Düsseldorf

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 11 vom 13. März 1980 659

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