F.21
Entwicklung und Sozialisation
Resilienz – Was Kinder stark macht
Ulrike Rader
Lange Zeit dominierte in der Entwicklungsforschung der Defizitansatz. Ausgehend von den Ursachen für eine negative Entwicklung suchte man Leitlinien für eine gelingende Erziehung zu entwickeln.
Die Resilienzforschung geht umgekehrt vor. Sie schaut, was Kinder stark macht. Warum gelingt es manchen, sich trotz schwierigster Entwicklungsbedingungen zu psychisch gesunden Menschen zu entwickeln? Dieser Paradigmenwechsel öffnet in der Pädagogik den Weg vom traditionellen Blick auf Defizite hin zu einem kompetenz- bzw. ressourcenorientierten Ansatz.
KOMPETENZPROFIL
Klassenstufe: Jahrgangsstufen 10–13
Kompetenzen: theoretische Ansätze darlegen und vergleichen; Hypothesen entwickeln und überprüfen; Texte interpretieren; Fallbeispiele analysieren; pädagogische Maßnahmen entwickeln und erörtern Methoden: Textanalyse; Fallanalyse; Conceptmap erarbeiten; Internetrecher-
che; Präsentation; kooperatives Lernen; Erörterung; Diskussion Thematische Bereiche: Entwicklung und Sozialisation in Kindheit und Jugend; Resilienz
versus Vulnerabilität; Bindung; Urvertrauen; Risiko- und Schutz- faktoren; pädagogische Prinzipien und Programme
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Inhaltsverzeichnis
Einstieg: Was versteht man unter Resilienz? 11
M 1a Was ist Resilienz? – Fallbeispiele erörtern 11 M 1b Wie alles begann – Die Kauai-Studie von Emmy Werner 13
M 1c Wie definiert man Resilienz? 14
Was sind die Charakteristika von Resilienz? 15
M 2a Was sind mögliche Schutzfaktoren? – Empirische Ergebnisse 15
M 2b Amys Geschichte – Ein Fallbeispiel 17
M 2c Schutz- und Risikofaktoren – Eine Grafik analysieren 19
Auf den Anfang kommt es an 19
M 3a Still-Face-Experiment 19
M 3b Alice Miller: Säuglinge brauchen „Spiegelung“ 20 M 3c Bruno Bettelheim: „Die Geburt des Selbst“ 20
Ein guter Start ins Leben – Urvertrauen 21
M 4a Eriksons Theorie der psychosozialen Entwicklung – Urvertrauen 21
Gute Bindungen geben Halt – Ergebnisse der Bindungsforschung 23
M 5a „Mit einem Jahr schon Pokerface“ 23
M 5b „Gute Bindungen machen selbstständig“ 24
M 5c Eine Bildgeschichte interpretieren 26
Bedingungen einer Resilienz-fördernden Erziehung 27
M 6a „Mehr Respekt für die Kleinen“ von Christoph Schrader 27
M 6b Die fünf Säulen einer guten Erziehung 30
M 6c Wir erstellen eine Conceptmap 33
Pädagogische Konsequenzen – Wie gelingt die Förderung von Resilienz? 34
M 7a Erziehungsziele und pädagogische Maßnahmen im Kindergarten 34 M 7b Programme zur Förderung von Resilienz im Kita- und Schulbereich 38
Klausur 39 M 1
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Einstieg: Was versteht man unter Resilienz?
Was ist Resilienz? – Fallbeispiele erörtern
Arbeitsauftrag
1. Stellen Sie Hypothesen auf, was Kinder, allgemein Menschen, stark macht. Notieren Sie dazu zunächst für sich allein, dann mit Ihrem Sitznachbarn oder Ihrer Sitznachbarin, anschließend in einer Vierergruppe in Stichworten auf Plakaten, welche Faktoren eine positive Entwicklung fördern können. Heben Sie diese Plakate auf. Prüfen Sie Ihre Hypothesen am Ende der Reihe.
Andreas Nikolaus „Niki“ Lauda (1949–
2019) war ein erfolgreicher Autorenn- fahrer. Bei einem Rennunfall auf dem Nürburgring im Jahr 1976 wurde er le- bensgefährlich verletzt. Sein Auto ging in Flammen auf. Obwohl sein halbes Gesicht und seine Kopfhaut verbrannten, fuhr er bald wieder Rennen. Zwei Mal wurde er nach dem Unfall Weltmeister in der For- mel 1. Später gründete er, selbst Pilot, eine Fluglinie und wurde Unternehmer.
Arnold Schwarzenegger (geb. 1947) wurde täglich von seinem Vater verprü- gelt. Dennoch erlangte er international Berühmtheit als Bodybuilder, Holly- wood-Schauspieler, Unternehmer und Politiker. Von 2003 bis 2011 war er Gou- verneur von Kalifornien. Aufgrund seines erfolgreichen und turbulenten Lebens gilt er als Paradebeispiel für das Gelingen des
„amerikanischen Traums“.
Bill Clinton, US-amerikanischer Präsi- dent von 1993 bis 2001, verlor seinen Va- ter bereits vor der Geburt. Seine Mutter heiratete erneut. Der Stiefvater entpuppte sich als ein gewalttätiger Trinker.
Christina Aguilera wurde als Kind von ihrem Vater verprügelt und misshandelt.
Heute verarbeitet sie ihre schweren Kind- heitserlebnisse in ihren Songs.
Die Grammy-Preisträgerin Rihanna hat- te einen drogenabhängigen, gewalttäti- gen Vater, der ihre Mutter verprügelte.
Sie musste sich schon früh um ihre jün- geren Geschwister kümmern.
Der Physiker Stephen Hawking (1942–
2018), britischer theoretischer Physiker und Astrophysiker, erkrankte 1963 an der Nervenkrankheit ALS, die den Kör- per nach und nach lähmt. Seit 1968 war er auf den Rollstuhl und später auch auf einen Sprachcomputer angewiesen. Er beschäftigte sich vor allem mit Quanten- physik und schwarzen Löchern.
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Was sind die Charakteristika von Resilienz?
Was sind mögliche Schutzfaktoren? – Empirische Ergebnisse
Arbeitsaufträge
1. Arbeiten Sie aus dem Text heraus, worauf Resilienz basiert.
2. Erarbeiten Sie aus den empirischen Ergebnissen schützende Faktoren „innerhalb und außer- halb des Kindes“, die Resilienz befördern können. Legen Sie dazu eine Tabelle an.
[…] Im Vergleich zu früheren Ansätzen ist es heute erwiesen, dass Resilienz kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal be- zeichnet, sondern eine Kapazität ist, die im Verlauf der Entwicklung im Kontext der Kind-Umwelt-Interaktion erworben wird. Resilienz bedeutet auch keine sta- bile Immunität: Sie kann über Zeit und Situationen hinweg variieren. […]
Heute weiß die Forschung, dass Kinder zu einem Zeitpunkt resilient, zu einem späteren Zeitpunkt aber auch verletzbar erscheinen können. Ausschlaggebend dafür sind u.a. Phasen erhöhter Verletz- barkeit, Entwicklungsübergänge, bei denen Kinder besonders anfällig sind, weil sie hierbei mit völlig neuen Ent- wicklungsaufgaben konfrontiert werden, z.B. beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule oder in der Pubertät.
Während dieser Phasen können Risiko- bedingungen eine stärkere Wirkung auf das psychosoziale Funktionsniveau des Kindes ausüben. Resilienz umfasst nach heutigen Erkenntnissen ein hochkom- plexes Zusammenspiel sowohl aus Merk- malen des Kindes als auch seiner Lebens- umwelt. […]
Empirische Forschungsergebnisse Obwohl es große Unterschiede in den jeweiligen Risikobelastungen und me- thodischen Vorgehensweisen der Unter- suchungen gibt, kamen dennoch viele Forscher zu relativ übereinstimmenden Befunden hinsichtlich jener Faktoren, die
Resilienz charakterisieren bzw. an der Entstehung maßgeblich beteiligt sind.
Als bedeutsame Untersuchung [kann]
hier insbesondere die […] sogenannte Pionierstudie der Resilienzforschung, die Längsschnittstudie unter Leitung von Emmy Werner und Ruth Smith (2001) auf der hawaiianischen Insel Kauai, hervor- gehoben werden. […]
Personale Ressourcen des Kindes Im Kleinkindalter erschienen die resilien- ten Kinder der Kauai-Längsschnittstudie als selbstständiger, selbstbewusster und unabhängiger im Vergleich zu den nicht- resilienten Kindern gleichen Alters und Geschlechts. Sie waren sowohl in ihren Kommunikations- und Bewegungsfähig- keiten weiterentwickelt als auch mehr in das soziale Spiel mit Gleichaltrigen integriert. Sie verfügten einerseits über gut entwickelte Selbsthilfefertigkeiten, andererseits besaßen sie aber auch die Fähigkeit, Hilfe zu erbitten […]. Im Alter von zehn Jahren verfügten die resilienten Kinder über besser entwickelte Problem- löse- und Kommunikationsfähigkeiten sowie ein positives Selbstkonzept. Die Haltung der resilienten Kinder war in Problemlösesituationen weniger reaktiv als […] proaktiv. Sie übernahmen selbst- ständig Verantwortung in der jeweili- gen Situation und waren aktiv um eine Problemlösung bemüht: D.h., sie warte- ten nicht erst ab, bis ihnen jemand von außen […] das Problem abnahm […].
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Schutz- und Risikofaktoren – Eine Grafik analysieren
Arbeitsaufträge
1. Sie haben mehrere Schutz- und Risikofaktoren kennengelernt. Erörtern Sie, ob die genannten Risikofaktoren generell eine Bedrohung für eine resiliente Entwicklung darstellen und welche Bedeutung den einzelnen Schutz- bzw. Risikofaktoren Ihrer Meinung nach zukommt.
2. Erläutern Sie dann die folgende Grafik.
– Beschreiben Sie die Wechselwirkung zwischen Schutz- und Risikofaktoren.
– Legen Sie dar, wie diese die Entwicklung des Kindes beeinflussen.
3. Erörtern Sie die folgende These: „Das Beste, was einem Menschen in seiner Entwicklung pas- sieren kann, sind Probleme, die er bewältigen muss!“
E t i klu gs- aufga e Beso dere Belastu ge
Bala e aus S hutz- u d Risikofaktore - perso al - sozial - eitere
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Resilie z
Be ältigu g
Bezugsperso I stitutio e
Graik aus: http://www.resilienz-freiburg.de/index.php/was-ist-resilienz/das-risiko-und-schutzfaktorenkonzept, Abbildung 4, 10.01.2020, Copyright ZfKJ 2012.
Auf den Anfang kommt es an Still-Face-Experiment
Arbeitsaufträge
1. Beschreiben und interpretieren Sie das Still-Face-Experiment von Edward Tronick.
Folgen Sie dazu dem Link:
https://raabe.click/rp_still_face
2. Vergleichen Sie das Experiment mit den Aussagen von Alice Miller und Bruno Bettelheim.
3. Erörtern Sie, ob man das Baby nicht zu sehr verwöhnt, wenn man es nicht schreien lässt.
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Eine Bildgeschichte interpretieren
Arbeitsaufträge
1. Betrachten Sie die nachfolgende Zeichnung. Erzählen Sie die Szene aus dem Leben eines Schweinchens,
a) wie ein sicher gebundenes Kind im Alter von ca. sechs bis zehn Jahren sie erzählen würde.
b) wie ein ambivalent-gebundenes Kind und
c) wie ein unsicher-vermeidendes Kind sie erzählen würde.
2. Stellen Sie dar, wie diese Kinder Alleinsein, neue Herausforderungen und Konflikte erleben.
3. Stellen Sie begründete Hypothesen auf für das Verhalten solcher Kinder in Kindergarten, Schu- le und womöglich als Erwachsene.
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Zeichnung: Katharina Friedrich.