• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Psychosoziale Betreuung in Sarajewo: Kinder leiden besonders an psychischen Kriegsfolgen" (16.08.1996)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Psychosoziale Betreuung in Sarajewo: Kinder leiden besonders an psychischen Kriegsfolgen" (16.08.1996)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

N

ach einer Besprechung kom- me ich aus der kleinen kin- derpsychiatrischen Abteilung der Universitätsnervenklinik der Kosevo-Kliniken in Sarajewo.

Das Kopfsteinpflaster der engen Straßen ist teilweise aufgerissen. Ich bin auf dem Weg zur Ärztewohnung der deutschen Hilfsorganisation

„Help“ und sehe plötzlich vor mir vier Kinder: Ein Junge und ein Mädchen, beide etwa acht Jahre alt, bedrohen mit vorgehaltenen Plastik- gewehren zwei gleichaltrige Mäd- chen. Es gibt keinen Streit, nur eine deutliche Abwehrhaltung der beiden bedrohten Mädchen. Die Kinder pro- testieren nicht, sie schreien nicht, sie sprechen mit ihrem Körper. Die bei- den „Angreifer“ drücken ihre Ge- wehre in die Rücken ihrer „Opfer“.

Die beiden Mädchen gehen mit hän- genden Schultern langsam die Straße hinunter, in ihren Gesichtern spiegelt sich Angst. So führen zwei Soldaten gefangene Frauen ab, lautlos, zweck- voll. Die Kinder bemerken mich nicht.

Frontlinie verläuft durch die eigene Familie

Kinder wie diese waren es, die mich als Kinder- und Jugendpsychia- ter bewegten, nach Sarajewo zu kom- men. Die Berichte über humanitäre Hilfsaktionen beziehen sich meist auf körperliche Verletzungen durch Kugeln, Granatsplitter und Landmi- nen, aber nie auf die psychischen Verletzungen des Krieges. Dabei

müssen die psychischen Folgen gera- de dieses Krieges erheblich sein, da es sich um einen Krieg gegen Nach- barn, mitunter sogar gegen Familien- angehörige handelte. Rund 80 000 Kinder erlebten den Krieg in Saraje- wo, und oft wurde der Tod eines El- ternteils oder anderer Angehöriger verursacht von einem Menschen, den sie kannten.

So schildern Prof. Dr. med. Ismet Ceric, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Kosevo- Klinikum, und Dr. med. Vera Danes, einzig verbliebene Oberärztin der Klinik, die Situation der Kinder und Jugendlichen. Neben den körperli- chen Bedrohungen, den Hunger- schmerzen, den Verlustängsten seien die Kinder vor allem dadurch trauma- tisiert, daß sie sich seit 1992 fast aus- schließlich innerhalb der Wohnungen aufhalten mußten. Sie waren inkarze- riert, hatten keine Möglichkeit, sich draußen zu bewegen und zu spielen.

Vor allem die heute Fünfjährigen ha- ben nie ein anderes Leben kennenge- lernt.

Die Zahl der jungen Patienten der Klinik für Kinder- und Jugend- psychiatrie war während der Kriegs- jahre stark zurückgegangen. Die Ärz- te gehen davon aus, daß sich die Fa- milien in dieser Zeit aufgrund der ständigen Gefahr, der mühsamen Su- che nach Nahrung, aber auch auf- grund der Propaganda emotional sehr stark nach innen gerichtet ha- ben. Die Kinder hätten ihre Familien aus diesem Grund als außerordent- lich beschützend erlebt. Dieses Ge- fühl sei allerdings immer dann gestört

worden, wenn Tod und Verletzung Verlust brachten. Nun, in den ersten Monaten ohne das ständige Krachen von Schüssen und Granaten und nach der sogenannten ethnischen Säube- rung, veränderten sich die Familien – nicht nur die ethnisch oder religös ge- mischten. Mit zunehmender Destabi- lisierung und emotionaler Distanzie- rung werde die emotionale Schutz- hülle der Kinder durchlöchert. Klinik- leiter Ceric spricht von einer „durch- dringenden Kälte des Mißtrauens“, das die gesamte Bevölkerung durch- zieht und sich nicht auf den ethni- schen oder religiösen Gegner be- schränkt.

Psychisch auffällig:

die „Kinder-Soldaten“

Psychische Manifestationen oder Symptomenbildung bei den Kindern bis etwa zum zwölften Lebensjahr un- terscheiden sich deutlich von denen der Adoleszenten etwa bis zum 20.

Lebensjahr. Eine Gruppe von Ju- gendlichen verhält sich besonders auffällig: Von 1992 an meldeten sich 15- bis 17jährige Jungen freiwillig zum Dienst an der Front, die oft bizarr und ungenau zwischen Häusern und eth- nischen Gruppen verlief. Diese „Kin- der-Soldaten“, wie es sie in Ruanda, Mozambique und Angola gab, leben auch in Sarajewo. Sie sind mittlerwei- le 20 Jahre alt. Sie stehen in deutlich kampferprobten Tarnanzügen auf den Straßen, einige mit einem ampu- tierten Arm oder einem bewegungs- eingeschränkten Bein. Die meisten A-2080 (28) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 33, 16. August 1996

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Vor allem bei Kindern und Jugendlichen hat der Krieg im ehemaligen Jugoslawien tiefe seelische Wunden hinter- lassen. Die Fronten dieses Krieges verliefen zwischen Nachbarn und häufig auch innerhalb von Familien.

Dr. med. Eugen E. Jungjohann, Begründer und ehemaliger

Leiter der ärztlichen Kinderschutzambulanz am Evangeli- schen Krankenhaus Düsseldorf, schildert im folgenden die Bemühungen der vor Ort verbliebenen Kinder- und Jugend- psychiater am Kosevo-Klinikum, die psychosoziale Betreu- ung der betroffenen Kinder zu sichern und auszubauen.

Psychosoziale Betreuung in Sarajewo

Kinder leiden besonders an

psychischen Kriegsfolgen

(2)

von ihnen sind arbeitslos, viele bet- teln. Sie sprechen nur mit Gleichaltri- gen, ihre Gesichter und die Körper- haltung sind mürrisch depressiv oder verhalten aggressiv.

Die Mädchen dieses Alters ha- ben andere Probleme. So behandelt eine Nervenärztin eine 14jährige Pati- entin wegen einer neurotisch depres- siven Entwicklung und Suizidnei- gung. Das Mädchen ist während des Krieges auf die sexuellen Forderun- gen von Männern eingegangen mit der Begründung: „Wenn ich jetzt nicht erlebe, was mein Kör-

per sexuell empfindet, wer- de ich es morgen nicht mehr erleben können, weil ich tot bin.“

Besonders häufig tritt den Ärzten zufolge bei Kin- dern bis zur Pubertät hyste- risch geprägte Konversions- symptomatik auf. Sie geht einher mit partiellen Läh- mungen, Aphonien, psycho- genen Anfällen und Atem- störungen. Häufig sind auch herzphobisch geprägte Sym- ptome, depressive Sympto- matik mit sozialem Rückzug oder in der Reaktivierung Suizidtendenzen. Das soge- nannte posttraumatische

Streßsyndrom, das sich durch psycho- motorische Unruhen, Panik, den Flash-back von Kampfszenen, aggres- sive Episoden (vor allem in der Fami- lie) oder mutistisch geprägten Rück- zug äußert, wurde während des Krie- ges immer wieder bei Soldaten beob- achtet. An diesem Syndrom litten Sol- daten an der Frontlinie, die dann un- ter Umständen entlassen wurden, oder es trat während ihres Heimatur- laubs auf.

Einer der Ärzte des Klinikums beobachtete diese psychischen Auf- fälligkeiten an seinem Sohn, der von der Front nach Hause kam, Gewehr und Gepäck krachend auf den Boden warf, in sein Zimmer ging, die Tür zu- schlug und oft Tage nicht herauskam.

Wollte seine Mutter ihm Essen anbie- ten, wies er sie barsch zurück. Nach seiner Rückkehr an die Front verän- derte er sich so, als ob der Krieg für ihn eine Art Therapie sei. Mittlerwei- le sind diese Kinder-Soldaten wieder in der Stadt.

Psychosoziale Hilfe verbessern

In einer Psychotherapie-Gruppe, die aus 15 Mädchen und Jungen im Alter von 14 Jahren besteht, können leicht etwa fünf bis sechs Kinder iden- tifiziert werden, die deutlich aggressi- ve Bedürfnisse gegenüber den ande- ren, eher depressiv-zurückhaltenden Kindern haben. Die Gruppe wird von zwei Frauen professionell und gut ge- leitet. Glücklicherweise ist in Saraje- wo eine Reihe von Menschen dazu

bereit, diesen Kindern entweder un- entgeltlich oder für ein monatliches Einkommen zwischen 50 und 100 DM die notwendige psychosoziale Hilfe zukommen zu lassen.

Die psychiatrische Klinik des Ko- sevo-Klinikums hat ein Projekt ge- startet, das die sozialpsychiatrische Versorgung der Region Sarajewo re- organisieren soll. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation unter- stützt, deren Hilfsmittel von Ceric als leitendem Klinikarzt organisiert und verwaltet werden. Auch die psychia- trische Klinik soll umstrukturiert wer- den. Ebenso soll durch die Einrich- tung von Ambulanzen oder Sozialsta- tionen die Versorgung der einzelnen Stadtteile gewährleistet werden.

Ceric ist vor allem daran interes- siert, das Platzangebot in der kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung zu erweitern. Es ist geplant, eine

„halbstationäre“ Abteilung mit 15 Plätzen sowie eine Tagesklinik einzu- richten. Als Spiel- und Sportgelände

muß eine große Terrasse genügen. In der halboffenen Abteilung sollen die Patientenzimmer mit ein bis drei Bet- ten und jeweils einem abschließbaren Nachttisch ausgestattet werden, so daß jedes Kind seinen eigenen Raum bestimmen kann. Zur Zeit haben die Zimmer noch bis zu sechs Betten. Es gibt weder Schränke noch Stühle und Tische. Außerdem sind Gruppen- und Spielzimmer geplant. Ähnliches gilt für die Tagesklinik.

Nach Ansicht der Ärzte sind Zimmer für die Spiel- und Werkthe- rapie unbedingt erforderlich.

Die Gestaltung der Räume soll kindgerecht sein, wobei die optischen, akustischen und haptischen Erfahrungen der Kinder eine Rolle spie- len. Die Grundsätze der the- rapeutischen Gemeinschaft sind an Maxwell Jones ange- lehnt. Dabei steht die Patien- ten-Personal-Konferenz im Vordergrund, die zum Ziel hat, die kindlichen Patienten den Gruppenalltag mit- bestimmen zu lassen.

Die Verwirklichung die- ses sozialpsychiatrischen Kon- zepts in Sarajewo scheint der- zeit möglich, weil die WHO das Projekt finanziell unter- stützt. Auch die Bonner Organisation

„Help“ leistet dem Klinikum Hilfe.

Trotzdem bedarf es weiterer Mittel für Spielzeug, therapeutisches Mate- rial, Mal- und Zeichenpapier, Hefte, Stifte, Wasserfarben usw. Außerdem fehlt noch die gesamte Ausstattung für das Spieldiagnostik- und das Werktherapiezimmer. Besonders hilf- reich wäre es, wenn die Oberärztin Dr. Danes sowie eine Assistentin und eine Diplom-Psychologin für einige Wochen an einer deutschen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie hospi- tieren könnten.

Anfragen beantwortet „Help“, Kaiserplatz 3, 53113 Bonn, Telefon 02 28/91 52 90, Fax 02 08/9 15 29 99.

Spendenkonto: Dresdner Bank, Bonn, BLZ: 380 800 55, Kontonum- mer: 44 44.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Eugen Jungjohann Kaiser-Friedrich-Ring 7 40445 Düsseldorf

A-2081 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 33, 16. August 1996 (29)

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Ein Kinder-Soldat im ehemaligen Jugoslawien Foto: Visum/Wolfgang Bellwinkel

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

• Entsprechende Unterstützung wird durch Hebammen, Fachärztinnen und -ärzte für Kinder- und Jugendmedizin geleistet sowie durch weitere Netzwerkpartner. •

WIE JUDEN, MUSLIME, SERBEN UND KROATEN WÄHREND DES BOSNIENKRIEGS (1992 –1995) ZUSAMMENARBEITETEN EINE CENTROPA WANDERAUSSTELLUNG.. ULRIKE LACKNER, KAREN ENGEL, M.A.:

Seit Jahren beschäftigt sich der Arzt und Psychothe- rapeut Hans Hein aus Hanno- ver mit einem 50 Millionen DM teuren Projekt: Er will für die Weltausstellung Expo 2000 ein

Für eine gründliche Überarbeitung des aktuellen Diskussions- entwurfs einer achten Novel- le zur Änderung der Appro- bationsordnung für Ärzte hat sich die Arbeitsgemeinschaft

Es geht einem der Gedanke durch den Kopf, ob sich die ausländi- schen Soldaten nicht wie eine Besat- zungsmacht vorkommen und sich auch so gerieren: Sie sind körperlich

Nicht nur die Patienten selbst, sondern auch ihre Ange- hörigen stehen unter enormem Druck – De- pressivität, Angst, Anspannung oder Desorien- tiertheit können die Folge

Das Lebenswerk dieses Ostpreußen wurde v o n vielen, die nacn i h m kamen, als Grundlage für ihre Arbeiten benutzt, aber als eigen- ständig wurde Herder von der Nach-

Eduard Ackermann: Politiker - vom richtigen und vom falschen Han- deln. Ihre Spuren aber sind bis heute sichtbar. In einer n u r schwach besiedelten Landschaft inmitten von