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Archiv "Psychologische Betreuung von Krebspatienten in der Klinik" (28.02.1992)

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Psychologische Betreuung

von Krebspatienten in der Klinik

Ergebnisse telefonischer Erkundigungen bei Tumorzentren, onkologischen Stationen und Nachsorgekliniken

Andrea Liebers und Rudolf Süss

Eine telefonische Nachfrage bei den Tumorzentren in den alten Bundes- ländern erbrachte traurige Resultate (Oktober bis Dezember 1991):

Während immer mehr wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Veröffentlichungen sich mit dem Zusammenhang von Krebserkrankung und Psyche beschäftigen, sucht man auf den onkologischen Stationen deutscher Kliniken oft vergeblich nach ausreichender psychologischer Betreuung für die Krebspatienten.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Befremdlich ist, daß bei den Tu- morzentren telefonisch in vielen Fäl- len niemand erreichbar ist. (So ge- lang es uns bei einigen Zentren erst nach mehrfachen Versuchen, telefo- nisch Kontakt zu bekommen, obwohl wir zwischen neun Uhr und 16 Uhr anriefen). Ebenso befremdlich ist, daß die Tumorzentren oft nicht dar- über Bescheid wissen, was an den onkologischen Kliniken ihres Be- treuungsbereichs geschieht.

Aufgabe der Tumorzentren soll- te es eigentlich sein, die „optimale Versorgung der Tumorpatienten zu gewährleisten"; das Tumorzentrum hat interdisziplinär zu koordinieren und vor allem über onkologische Diagnostik, Therapie und Nachsorge auf dem neuesten Stand zu sein. Es soll fähig sein, die mit ihm kooperie- renden klinischen und niedergelasse- nen Ärzte über die neuesten Er- kenntnisse zu informieren (so jeden- falls wird es in der Schriftenreihe des Tumorzentrums Heidelberg/Mann- heim formuliert). Es erstaunt, daß die Hälfte der erreichten Tumorzen- tren nichts von psychotherapeuti- schen Interventionen (noch in der Klinik) hielt, obwohl es heute sehr wahrscheinlich ist, daß nicht nur Le- bensqualitätsverbesserungen, son- dern auch deutliche Lebensverlänge- rungen durch Psychotherapie mög- lich sind. Auch das „antizipatorische Erbrechen" bei der Chemotherapie wäre durch Entspannungsübungen

und Hypnose nachweislich zu redu- zieren.

Der geringe Stellenwert einer psychotherapeutischen Behandlung läßt sich auch an den „Grünen Hef- ten" des Tumorzentrums Heidel- berg/Mannheim (Schriftenreihe des Tumorzentrums HD/MA) ablesen, bei deren Erstellung Kliniker, nie- dergelassene Ärzte und Naturwis- senschaftler zusammenarbeiten, um interessierten Ärzten „Richtlinien für eine interdisziplinäre standardi- sierte onkologische Diagnostik, The- rapie und Nachsorge" zu geben. Ein- zig in dem Bändchen „Diagnostik und Therapie des Tumorschmerzes"

(HD/MA 1990) finden sich Empfeh- lungen zur „Psychischen Betreuung des Krebspatienten mit chronischen Schmerzen". In den anderen Heften zu spezifischen Krebserkrankungen wird auf psychologische Betreuung nicht eingegangen. Therapieempfeh- lungen werden also rein somatisch verstanden.

Es hat sehr erstaunt, daß sich die Hälfte der erreichten Kontakt- personen, mit denen wir schließlich ihrer Zuständigkeit wegen verbun- den wurden, sich selbst keineswegs zuständig fühlten. Zitat eines Sozial- arbeiters: „Die Tumorzentren ko- chen ihre eigene Suppe, was parallel läuft, kriegen sie nicht mit. Die Sozi- alstationen wissen besser Bescheid."

So wird man in den meisten Fällen an die onkologischen Stationen wei-

terverbunden, um oft von dort wie- der weiterverbunden zu werden. Für psychologische Betreuung scheinen sich die Ärzte nicht verantwortlich zu fühlen. „Wir haben einen Seelsor- ger", „Das tut die Sozialstation", „Es ist nicht Aufgabe der Klinik, psycho- logisch zu betreuen", solche und ähnliche Antworten lassen vermu- ten, daß sich Ärzte ausschließlich als Handwerker verstehen, die wirklich

„nur" die Reparatur ausführen, den restlichen Menschen aber delegie- ren.

Zwei Gruppen von Ärzten

Bei telefonischer Kontaktauf- nahme mit den Stationsärzten und -ärztinnen ergab sich ein leicht diffe- renziertes Bild. Es scheint zwei ver- schiedene Ärztegruppen zu geben:

einerseits diejenigen, die psychologi- sche Betreuung strikt ablehnen — ja, sie sogar mit psychiatrischer Be- handlung gleichsetzen („Viele ver- binden Psychologie mit Psychiatrie", Zitat einer Ärztin) —, und anderer- seits solche, die psychotherapeuti- sche Maßnahmen für wünschenswert erachten und sich auch für die Schaf- fung von Stellen für Psychologen ein- setzen.

Diese aber scheinen bis jetzt im- mer den kürzeren gezogen zu haben („Für die Erwachsenenstation gibt es keine Mittel für Psychologen, alle Versuche sind gescheitert", eine Ärztin). Hauptargument für die Nicht-Schaffung von (festen) Stellen für Psychologen bzw. Psychologin- nen ist ein finanzielles: Wenn Gelder für die Neuschaffung einer Stelle be- reitgestellt werden, sei diese Stelle zuerst mit einem „richtigen" Arzt/

beziehungsweise einer Ärztin zu be- setzen, denn eine solche Kraft werde dringlicher benötigt als „nur" ein Psychologe beziehungsweise eine Psychologin. Vor der Besetzung ei- ner neuen Stelle durch einen Psycho- logen rangiert noch die Neuschaf- fung einer Stelle für zusätzliches Pflegepersonal. Die Ärzte, die den Nutzen einer psychologischen Be- treuung erkennen und sich eine Ein- bindung von Psychologen in das Ärz- teteam wünschen, sehen sich einem schier unüberwindbaren Widerstand A1-674 (38) Dt. Ärztebl. 89, Heft 9, 28. Februar 1992

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____ Es ist eine seit langem geführte Klage, daß sich die „Schulmedizin"

zu wenig um den ganzen Menschen kümmert — weshalb ja auch die „Al- ternativärzte" so großen Zuspruch finden, nicht zuletzt wegen der Zeit, die sie ihren Patienten widmen. Es ist nicht einzusehen, warum gerade bei Krebserkrankungen kein Wert

Klagen über

(r_ „Schulmedizin"

von andersdenkenden Ärzten und andersartiger Finanzplanung gegen- über. Falls Psychologen auf Statio- nen arbeiten, so handelt es sich fast nur um ABM-Stellen auf Zeit oder um Stellen, die im Rahmen eines (zeitlich begrenzten) Pilotprojektes geschaffen wurden und die nach Ab- lauf des Projektes — trotz Erfolg und

„überwältigender Akzeptanz auf sei- ten der Patienten" (Zitat einer Ärz- tin) — wieder gestrichen werden.

Patienten, die um psychologi- sche Betreuung nachfragen, werden an die Sozialstation verwiesen, an den Seelsorger, den Hausarzt oder die Nachsorgeabteilung. Doch dies ist keineswegs unproblematisch: Die Sozialstationen sind bereits ausgela- stet mit der Unterstützung der Patienten und Patientinnen auf praktischem Gebiet: Hilfen bei der Beschaffung von Haushaltshil- fen, Krankenhauskostenabwicklung, Lohnfortzahlung, Behindertenaus- weis.

Seelsorger haben ihre eigenen Schwierigkeiten; Menschen, die den Kirchen fremd gegenüberstehen, lehnen oft den Kontakt mit einem Klinikpfarrer ab.

Die Hausärzte fühlen sich mit der psychologischen Betreuung ihrer Patienten überlastet, da sie sowieso immer zuwenig Zeit haben und auch nur für wenige Minuten Beratungs- gespräch bezahlt werden. Da die psy- chologische Ausbildung der nieder- gelassenen Arzte „gleich Null" ist, sind auch hier Probleme zu erwar- ten, „haarsträubende Beratungsge- spräche" sind bekannt. Solche Eröff- nungen sind sicher nur die „Spitze eines Eisbergs".

Laut einer Studie von Hofer und Streicher an fast 500 chirurgischen Patienten haben nur 18 Prozent durch das ärztliche Gespräch „Risi- ko und Gefahren der Krankheit und Operation richtig verstanden. 49 Prozent wußten noch, daß darüber gesprochen worden war, und hatten verstanden, daß die Operation not- wendig und mit Gefahren verbunden war. Das übrige Drittel hatte keiner-

lei Erinnerung an den Inhalt der Aufklärung oder hatte etwas völlig Falsches im Gedächtnis." Angesichts solcher Untersuchungsergebnisse ist es unverständlich, warum kein ge- schultes Personal zum Beispiel bei der Diagnosemitteilung eingesetzt wird. Vor allem junge Arzte und Ärztinnen tun sich auf Grund man- gelnder Erfahrung besonders schwer und richten großes seelisches Unheil an. Worte können heilen, aber eben- so vernichten.

Es gibt zwei Ausnahmen: die Nachsorgekliniken und die Kinder- onkologie. In den Kurkliniken beste- hen meist schon sehr lange psycho- therapeutische Angebote, etwa Au- togenes Training und Gesprächsthe- rapie. (Auf Anfrage bei 14 Nachsor- gekliniken, die wir nach dem Zufalls- prinzip auswählten, antworteten uns allerdings nur vier.)

Die einzigen onkologischen Sta- tionen, auf denen Psychologen arbei- ten, sind die pädiatrischen. Psycholo- gen kümmern sich um die Kinder, versuchen, ihnen in einfachen Wor- ten zu erklären, welche Krankheit sie haben, beschäftigen sie mit Spielen, kümmern sich um die Sorgen der El- tern. Die Kinderonkologie, ist die einzige Abteilung in deutschen Kli- niken, in denen Psychologen akzep- tiert sind und zu einer festen Ein- richtung wurden.

Warum hält man nur auf der Kinderabteilung die psychologische Betreuung der Angehörigen für not- wendig? Ehepartner und Kinder der Betroffenen sind oft vollkommen überfordert und am Rand der Ver- zweiflung, wenn die Diagnose des Vaters oder der Mutter unheilbarer Krebs lautet. Doch hierum scheint sich keiner zu kümmern.

auf psychologische Betreuung gelegt wird, stellt doch diese Krankheit ein ganz komplexes leiblich-seelisch-so- ziales Problem dar. So zerstört eine Krebserkrankung nicht nur körper- lich, sondern auch sozial und see- lisch. Seelisch haben Krebserkrankte mit Schuldgefühlen, Depressionen und Todessehnsüchten zu kämpfen.

Geschickt angewandte Psychothera- pie kann hier unterstützend eingrei- fen und den Patienten helfen, „das Beste aus ihrer Erkrankung zu ma- chen", was in manchen Fällen zu be- wußten Lebensänderungen führt, zu.

Ausbrüchen aus schon lange ertrage- nen unglücklichen Lebensumstän- den.

Angesichts des Todes traut man sich plötzlich das zu, zu dem man jahrelang nicht den Mut hatte, und ist fähig, ein bewußtes und erfülltes Leben zu führen — trotz der Krank- heit, oder gerade deswegen? Hier könnte behutsame psychologische Betreuung ungeheure Dienste erwei- sen — keine Therapie hat den An- spruch, Krebs zu heilen, aber sie kann Menschen innerlich heiler ma- chen helfen und versuchen, ihn mit seinem Schicksal auszusöhnen.

Daß sogar Überlebenszeit durch psychosoziale Intervention erheblich verlängert werden kann, wurde durch eine prospektive und randomi- sierte Studie 1989 von David Spiegel bestätigt. Spiegel hat vor allem mit Gruppentherapie und hypnothera- peutischen Methoden gearbeitet.

Die wissenschaftliche medizinische Welt ist zwar noch zurückhaltend, wartet aber gespannt auf weitere Be- stätigung dieser ermutigenden Re- sultate. Aber sollten sich auf längere Sicht hin Spiegels Studienergebnisse bewahrheiten, würde es gegen das ärztliche Ethos verstoßen, Patienten diese oder eine ähnliche Therapie vorzuenthalten.

Dt. Arztebl. 89 (1992) A 1 -674-676 [Heft 9]

Anschrift der Verfasser

Dr. Andrea Liebers und Dr. Rudolf Süss

Deutsches Krebsforschungszentrum Postfach

W-6900 Heidelberg

I „Haarsträubende Beratungsgespräche"

Dt. Ärztebl. 89, Heft 9, 28. Februar 1992 (41) A1-677

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