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Archiv "Psychosoziale Betreuung Krebskranker im Krankenhaus" (06.04.1984)

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Psychosoziale Betreuung Krebskranker

im Krankenhaus

Jan Blumenstock und Karlheinz Ortmann

Im Rahmen- des Projekts „Selbsthilfe im Krebsnachsorgebereich"

(1980 bis 1983) hat ein Arbeitskreis aus Delegierten von zehn Ber- liner Selbsthilfegruppen und Mitarbeitern des Instituts für Soziale Medizin der Freien Universität Berlin über Probleme Krebskran- ker und über Verbesserungsmöglichkeiten der gesundheitlichen Versorgung engagiert diskutiert.') Dabei zeigte sich vor allem, daß das medizinische Versorgungssystem für Tumorpatienten zu- wenig psychische und soziale Unterstützung bietet, weil das ärzt- liche Bemühen hauptsächlich auf die Therapie des erkrankten Körpers gerichtet ist. Im vorliegenden Beitrag werden aus der Sicht der Betroffenen über Erfahrungen von Patienten im Kran- kenhaus berichtet und Perspektiven zur Verbesserung der psychosozialen Betreuung aufgezeigt.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT

A

IS besonders belastend im Krankenhaus wurden folgen- de Situationen empfunden e).

> Warten auf den Befund:

Diese Zeit ist geprägt von der Angst, daß es sich doch um Krebs handeln könnte und der gleichzei- tigen Hoffnung, „daß es etwas an- deres ist". In der Vorstellung des Patienten wird Krebs häufig mit einem Todesurteil gleichgesetzt.

(„Wenn ich Krebs habe, muß ich sterben!") In dieser Zeit des War-

tens fühlen sich die Patienten meist allein gelassen, denn auf ih- re Befürchtungen wird nicht ein- gegangen. Eine Vorbereitung auf die eventuelle Diagnose findet nicht statt, und nur selten werden Mut und Zuversicht zugespro- chen.

> Mitteilung der Diagnose:

Längst nicht allen Patienten wird die Diagnose Krebs mitgeteilt. In vielen Fällen werden Umschrei- bungen gewählt, die dem Patien- ten das Gefühl vermitteln, „es ist etwas Gutartiges". Manchmal er- fahren nur die Angehörigen die Diagnose. Die Folgen sind quälen- de Ahnungen des Kranken. Es droht ein schwerer Vertrauens- bruch zwischen ihm und den be- teiligten Ärzten und daraus resul- tierend die Gefährdung eines möglichen therapeutischen Erfol- ges.

Die Mitglieder der Selbsthilfe- gruppen berichten, daß sie sich eine ausführliche ärztliche Aufklä- rung oft haben erkämpfen müs- sen. Es habe Aufklärungssituatio- nen gegeben, in denen Ärzte bei- läufig („ ... ach, was ich Ihnen noch sagen wollte ...") erwähnt hätten, daß es sich um Krebs han- delte. Einige wurden zwischen

„Tür und Angel" informiert. Und wieder andere sahen sich mit

„Holzhammermethoden" kon- frontiert.

Die Diagnosemitteilung ist für die Patienten der Moment, in dem

sich ihre schlimmsten Befürch- tungen bestätigen („was soll nun werden?"). Dieser Augenblick birgt trotz der überwiegenden be- lastenden Momente jedoch gleichzeitig die Chance, den Kampf gegen den Krebs und für das Leben aufzunehmen.

> Operation:

Eine Operation bedeutet meistens den Verlust eines Körperteils oder die Einschränkung einer Körper- funktion. Damit stellt sich für den Patienten das Problem der Behin- derung oder Verstümmelung (Am-

') Außer den Autoren haben folgende Insti- tutsmitglieder am Projekt mitgearbeitet: E.

Fink; M. Kriescher-Fauchs; H. A. Paul t und D. Schaeffer.

2) Bei den als wörtliche Rede gekennzeichne- ten Textstellen handelt es sich um Zitate, die Gesprächen mit Krebskranken entnom- men sind.

putation der Brust, Anlage eines Anus praeter oder ähnliches). Es stellen sich Fragen nach der künf- tigen Leistungsfähigkeit (Beruf, Haushalt), der Vollwertigkeit und Identität („bin ich auch ohne Brust eine vollwertige Frau?"). Beson- ders belastend ist die Situation, in der Patienten aus der Narkose er- wachen und vor „vollendete Tat- sachen" gestellt werden. Dies ist besonders bei den Schnellschnitt- verfahren der Fall, wo Patienten dem Operateur per Unterschrift eine Vollmacht erteilen, ohne daß ihnen die Konsequenzen hinrei- chend bekannt wären.

> Bestrahlung:

Allein die Vorstellung, daß die Er- krankung mit „gefährlichen Strah- len" behandelt werden soll, ist mit Bedenken verbunden („ist das Gerät richtig eingestellt? Treffen die Strahlen?"). Diese Vorbehalte Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 14 vom 6. April 1984 (31) 1057

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Krebsnachsorge

drücken sich schon in der Rah- menbezeichnung aus: „Strahlen- bunker" ist die gängige Bezeich- nung der Bestrahlungsräume unter den Patienten. Die Minu- ten werden ihnen dort zur Ewig- keit.

Die psychische Belastung ist manchmal so stark, daß Patienten die Therapie abbrechen. Schließ- lich wirkt die Strahlentherapie auch auf die allgemeine körper- liche Verfassung.

Chemotherapie:

Die Heilkraft der Chemotherapie ist nicht unmittelbar erfahrbar.

Anstatt sich besser zu fühlen, geht es den Kranken zunächst schlech- ter (die Haare fallen aus, sie füh- len sich körperlich geschwächt, Übelkeit tritt ein, usw.). Die Vor- stellung, daß dem Körper über ei- nen langen Zeitraum kontinuier- lich Gift zugeführt wird (Ärzte tra- gen Handschuhe als Schutz vor

Erkrankungen der Haut), und die enormen Nebenwirkungen wek- ken oftmals Zweifel an der Thera- pie.

Diese Zweifel werden noch ver- stärkt, wenn Patienten miterle- ben, daß sich der Zustand Mitbe- troffener trotz Bestrahlung oder Chemotherapie häufig nur kurzfri- stig bessert oder gar verschlim- mert („man verliert die Hoffnung, daß das hilft").

Aufgrund der gebotenen Kürze wurden schwerpunktmäßig nega- tive Erfahrungen dargestellt. In bezug auf die baulichen Rahmen- bedingungen sowie die körper- lichen und seelischen Folgen der Therapieverfahren wurden tat- sächlich nur solche berichtet. Das Verhalten der Ärzte und des medi- zinischen Personals wurde dage- gen teilweise positiv erlebt. Die kritischen Äußerungen waren je- doch zahlreich, wurden von vielen bestätigt; sie weisen auf die Not- wendigkeit hin, die „Zustände"

abzustellen und Verbesserungen einzuleiten.

Das Ausmaß und die Auswirkun- gen der Erkrankung werden dem Patienten meist erst durch die Therapien bewußt. Inwiefern es gelingt, die Krankheitsfolgen zu bewältigen und den Kampf für das Leben aufzunehmen (Le Shan 1982), hängt von der Persönlich- keit des Betroffenen, von seiner Ehe beziehungsweise Partner- schaft, von seinem sozialen Um- feld sowie von der Lokalisation und dem Stadium der Erkrankung ab. Die muß auch der Arzt erken- nen und darauf eingehen.

Perspektiven

Trotz der angespannten Finanzla- ge muß überlegt werden, welche Veränderungen zur Humanisie- rung des Krankenhauses vorge- nommen werden können. Eine menschlichere Bauweise und Ausstattung der Therapieräume wäre sicherlich hilfreich, die Be- handlung durchzustehen. Psycho- soziale Maßnahmen zum festen Bestandteil der Therapie von Krebserkrankungen zu machen, wird zur Zeit nicht geplant. Doch gibt es bereits heute Möglich- keiten, mit bestehenden Institutio- nen, Gruppen und Organisationen zusammenzuarbeiten. Kooperati- onspartner sind:

I> der Krankenhaussozialdienst.

Denkbar wäre, daß die Mitarbeiter des Krankenhaussozialdienstes auf den Stationen besondere Sprechstunden für Krebskranke anbieten oder Gesprächsgruppen anregen. Sie können auch die psychosoziale Weiterbetreuung der Patienten nach der Entlas- sung organisieren.

die Krebsberatungsstellen. Die freien Wohlfahrtsverbände, aber auch die Kommunen haben mit der Einrichtung von psychosozia- len Krebsberatungsstellen begon- nen. Hier können sich Patienten in allen Fragen, die mit ihrer Erkran- kung in Verbindung stehen, bera- ten lassen und — sofern angebo- ten — an Gesprächsgruppen teil- nehmen.

Die Zusammenarbeit mit Einrich- tungen der psychosozialen Ver- sorgung darf jedoch nicht dazu führen, daß sich das medizinische und pflegerische Personal für die psychosozialen Aspekte der Krebserkrankung nicht mehr zu- ständig fühlt.

Von Mitgliedern Berliner Selbst- hilfegruppen wurden hierzu fol- gende Wünsche geäußert:

EI> Ein häufiger Wechsel der Ärzte („mal der, mal der") auf den Kran- kenhausstationen sollte vermie- den werden. Vielmehr müßte möglichst ein Arzt als Vertrauens- person, an die sich die Patienten wenden können — die Patienten für die Dauer des Krankenhaus- aufenthalts und/oder der ambu- lanten Nachbehandlung beglei- ten.

D Ärzte sollten sich Zeit für Ge- spräche lassen, die Therapie, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen erläutern und den Patienten offen über seinen Zustand informieren.

> Der psychosozialen Problema- tik ist mehr Bedeutung beizumes- sen. Dies könnte durch Einfüh- lung in die Lage der Patienten — etwa durch Eingehen auf geäu- ßerte Probleme und Beachtung verbal nicht klar geäußerter Be- schwerden — erreicht werden.

Mögliche Auswirkungen der Er- krankung auf Partnerschaft, kör- perliches und seelisches Befin- den des Patienten sollen dabei besonders berücksichtigt werden.

> Informationen über Rehabilita- tionsmöglichkeiten und in Fragen geeigneter Prothetik sollten zum festen Bestandteil der Behand-

lung und Nachsorge gehören.

Es ist zu erwarten, daß Vorschläge dieser Art zukünftig häufiger und nachhaltiger an die Ärzteschaft gestellt werden.

Die Ärzte werden sich mehr als bisher der Vielschichtigkeit der Probleme der Krebserkrankungen 1058 (32) Heft 14 vom 6. April 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Krebsnachsorge KURZBERICHTE

stellen müssen, an der zuneh- mend mehr — inzwischen 21 Pro- zent der Bundesbürger — sterben.

Daß dies bislang nicht ausrei- chend geschehen ist, mag im Krankenhausbereich zunächst an der zunehmenden Arbeitsintensi- tät bei steigenden Patienten- und sinkenden Bettenzahlen liegen.

Es ist aber zu beachten, daß unge- nügendes Eingehen auf Fragen und Ängste der Betroffenen zu ei- ner schlechteren Verträglichkeit der Therapie führt und damit eventuell die Erfolgsquote senkt.

Werden die Kranken in die Thera- pie eingeführt, leiden sie nach Be- obachtungen deutlich weniger unter Nebenwirkungen. Wichtig ist die Förderung der Mitarbeit der Patienten durch eine stufenweise Aufklärung über ihre Krankheit, wobei der Arzt sich von den Ah- nungen und Befürchtungen der Kranken leiten lassen sollte.

Nach Berichten von Klinikpsycho- logen wissen etwa 90 Prozent der nicht aufgeklärten Patienten, daß sie Krebs haben. Die Befürchtun- gen, daß eine Aufklärung über die Diagnose die Suizidgefahr erhöht, haben sich nicht bestätigt (Meer- wein 1981). Die Frage, ob die Wahrheit gesagt werden kann, sollte nicht mehr im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Die Art, wie die Wahrheit vermittelt wird, zeichnet die ärztliche Kunst und das gegenseitige Vertrauensver- hältnis aus.

Die niedergelassenen Ärzte ha- ben zum großen Teil wegen der zunehmenden Spezialisierung der Behandlung die Versorgung der Krebspatienten oftmals an Kli- niken und Tumorzentren abgege- ben. Der Rückgang der Schein- zahlen könnte mehr Spielraum für die Verbesserung der Beratungs- qualität bieten. Die Hausärzte könnten insbesondere im Nach- sorgebereich eine größere Rolle bei der Begleitung von Krebspa- tienten übernehmen.

Der Schlüssel für eine verbesserte Begleitung von Tumorpatienten

liegt in der Arzt-Patienten-Bezie- hung. Vom Arzt wird nicht erwar- tet, auf alle Fragen eine Antwort und für jedes Problem eine Lö- sung zu haben. Nicht der „Su- per"-Arzt, der gleichzeitig Sozial- arbeiter, Psychologe und Seelsor- ger ist, wird verlangt, sondern ein Arzt, der den Patienten aufrichtig gegenübertritt und der einen grundlegenden Respekt vor den Ängsten und Problemen der Kran- ken hat. Auch Ärzte benötigen da- zu begleitende Maßnahmen, die ihnen helfen, den Anforderungen dieses schwierigen Arbeitsfeldes gerecht zu werden.

Dazu wären folgende Schritte denkbar:

> Einführung von Balint- be- ziehungsweise supervisierten Selbsterfahrungsgruppen für Ärz- te und das pflegerische Personal, die mit der Krebsproblematik kon- frontiert werden.

> Ausbau von Fortbildungsange- boten für ambulant und klinisch tätige Ärzte, in denen hier ange- führte und darüber hinaus gehen- de Anliegen angesprochen und Informationen vermittelt werden.

> Regelmäßige Einrichtung von Diskussionsveranstaltungen und Foren, die einen Dialog zwischen Ärzten und Patienten (auch Selbsthilfegruppen) ermöglichen.

Literatur

Le Shan, L.: Psychotherapie gegen den Krebs. Stuttgart, 1982; Meerwein, F.

(Hrsg.): Einführung in die Psycho-Onko- logie. Bern, Stuttgart, Wien, 1981.

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Jan Blumenstock Karlheinz Ortmann, Sozialpädagoge (grad.) Freie Universität Berlin Institut für Soziale Medizin Thielallee 47

1000 Berlin 33

Pharmaindustrie fordert längeren Patentschutz

Die pharmazeutische Industrie befürchtet, infolge der sich ver- kürzenden effektiven Patent-Nut- zungszeit immer mehr ins Hinter- treffen zu geraten: Während sich die Entwicklungsdauer eines Arz- neimittels zwischen 1964 und 1981 von drei auf 12 Jahre erhöht hat, ist die wirtschaftliche Nutz- ungsdauer eines Patents von 15 auf sechs Jahre geschrumpft. Und in Zukunft dürfte sich dieser Ne- gativtrend noch verstärken. An neue pharmazeutische Spezialitä- ten werden immer strengere An- forderungen (Toxikologieprüfun- gen, klinische Tests, behördliche Auflagen und Kontrollen) gestellt.

Die forschende Industrie befürch- tet, daß an der Jahrtausendwende kaum noch industrielle Arzneimit- telforschung betrieben werden kann, falls sich an den gegen- wärtigen Verhältnissen nichts ändert.

Auflagen für die „Nachahmer"

der forschenden Industrie Vor der Presse in Bonn appellier- ten Sprecher der Medizinisch- Pharmazeutischen Studiengesell- schaft (MPS), der sieben Großun- ternehmen der forschenden phar- mazeutischen Industrie des Bun- desgebietes und aus West-Berlin angehören, an den Gesetzgeber, den Patentschutz auch für die so- genannte zweite Indikation zu ver- bessern. „Nachahmer" dürften nicht wie bisher kostenlos und in einer wettbewerbswidrigen Weise in den Genuß der Vorleistungen und „Früchte" der innovativen In- dustrie kommen. Die forschende Großindustrie sieht die Gefahr, falls der Patentschutz nicht in ab- sehbarer Zeit rigoroser gefaßt würde, daß notwendige Innovatio- nen unterblieben. Ein Stillstand auf dem Gebiet der Arzneimitte- lentwicklung hätte nicht nur nega- tive Begleiterscheinungen für die Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 14 vom 6. April 1984 (35) 1059

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