• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Blüm setzt sein Pflege-Modell durch" (10.10.1991)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Blüm setzt sein Pflege-Modell durch" (10.10.1991)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Blüm setzt sein Pflege-Modell durch

-15■1■1•11111.-

Zunächst in der Union/Vor dem Tauziehen mit der FDP

Der CDU-Bundesvorstand hat eine wichtige Vorentscheidung für die Ausgestaltung der von allen Parteien angestrebten Pflegeversi- cherung getroffen. Er hat sich jetzt darauf festgelegt, daß das Risiko der Pflegebedürftigkeit der Sozialversicherung zugeordnet und da- mit durch einkommenbezogene Beiträge gedeckt werden soll.

AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

undesarbeitsminister Blüm hat LP sich mit seinen Plänen zur Pfle- geversicherung in seiner eigenen Partei durchgesetzt. Sein stärkster Verbündeter war dabei der frühere CDU-Generalsekretär Geißler. Mit Hilfe seines parlamentarischen Staatssekretärs Seehofer hat Blüm auch die CSU auf die von ihm vorge- zeichnete Linie gebracht. Nicht zu unterschätzen ist aber die Tatsache, daß der CDU-Mittelstand das Blüm- Modell entschieden ablehnt.

Für Blüm beginnen aber erst jetzt die entscheidenden Verhand-

lungen. Er muß einen Kompromiß mit der FDP finden, die nach wie vor eine privatwirtschaftliche Absiche- rung des Pflegefallrisikos anstrebt.

Lambsdorff, Cronenberg und Mölle- mann sagen bislang strikt nein. Sie werden Mühe haben, diesen Kurs durchzuhalten. Die FDP operiert in dieser Frage nicht ganz geschlossen.

Dennoch dürfte sie wohl nicht vor dem Parteitag in Suhl Anfang No- vember bereit sein, Kompromißsi- gnale auszusenden. Blüm hat sich bislang keinen Zentimeter auf seine Kritiker im Lager der FDP und der Wirtschaft zubewegt, während FDP und Wirtschaft inzwischen bereit sind, alle Bürger zu verpflichten, ei- ne private Pflegeversicherung abzu- schließen. Bleibt Blüm bei seinem Konzept, so könnte sich für die FDP die Koalitionsfrage stellen. Dies wä- re vor allem dann unvermeidlich, wenn Teile der Union versuchen soll- ten, die SPD gegen die FDP auszu- spielen. Aber so weit ist es (noch?) nicht.

Ursprünglich wollte Blüm die Pflegeversicherung auf den Kreis der gesetzlich Krankenversicherten be- schränken Nunmehr will er, wie die SPD, alle Bürger versicherungs-

pflichtig machen, also auch Beamte, Freiberufler und andere Selbständi- ge. Diesen soll jedoch die Möglich- keit gegeben werden, sich von der Versicherungspflicht zu befreien.

Blüm hat erkannt, daß dies mehr Geld in die Sozialkasse bringt, und zwar vor allem dann, wenn die Be- messungsgrenze für die Beiträge sich an jener in der Rentenversicherung (derzeit 6500 Mark Monatseinkom- men) orientiert und damit erheblich über der Beitragsgrenze in der Kran- kenversicherung (4875 Mark monat- lich) liegt. Wer auch höhere Einkom- men mit Beiträgen belastet, kann die vorgesehenen Leistungen mit einem niedrigeren Beitragssatz finanzieren.

Eine höhere Beitragsbemessungs- grenze bedeutet also mehr Umvertei- lung, vor allem dann, wenn für alle einheitliche Leistungen gewährt wer- den. Die CDU hat der höheren Bei- tragsgrenze noch nicht zugestimmt, aber Blüm und Geißler wollen sie.

Viele Ungereimtheiten

Der Beschluß der CDU steckt voller Ungereimtheiten. So heißt es, daß eine über die Grundsicherung hinausgehende Vorsorge privat ver- sichert werden müsse. Schon heute kann sich jeder, der es will, privat ge- gen das Risiko der Pflege versichern.

Dazu bedarf es nicht eines Beschlus- ses der CDU. Auch soll mit einem Beitragszuschlag von etwa 0,3 Pro- zent eine Kapitalrückstellung ange- sammelt werden. Diesem Fonds wird die Aufgabe zugewiesen, in späteren Jahrzehnten die Beitragsbelastung zu verringern. Das macht jedoch nur Sinn, wenn dieses Kapital dem Zu- griff des Gesetzgebers entzogen wer- den könnte. Die CDU sieht dieses Problem. Deshalb schreibt sie, daß

die Rückstellungen „privateigen- tumsrechtlich" geschützt werden sol- len. Das ist ein Widerspruch in sich.

Einkommensbezogene Beitragsum- lagen, die in ein öffentlich-rechtli- ches Sozialsystem mit einheitlichen Leistungen fließen, sind einer späte- ren Generation nicht als Eigentum oder eigentumsähnliche und damit verfassungsrechtlich geschützte An- sprüche zuzuordnen. Dies in ein CDU-Papier zu schreiben, schafft noch keine Rechtstitel.

Auch wird der Wirtschaft, die mit dem halben Beitragssatz belastet werden soll, die Zusage gegeben, daß ihre Gesamtbelastung durch die Pflegeversicherung nicht steigen soll.

Da wird man gespannt auf die Vor- schläge warten müssen. Ursprünglich war einmal vorgesehen, den Aus- gleich in der Sozialversicherung zu suchen. Davon ist man abgekommen, offensichtlich in der Erkenntnis, daß man zum Beispiel in der Kranken- versicherung nicht zweistellige Milli- arden-Beträge einsparen kann. So erinnerten sich die Akteure gerade noch rechtzeitig daran, daß die Un- ternehmen steuerlich entlastet wer- den sollen. Diese Entlastungen wer- den nun nicht, wie ursprünglich vor- gesehen, dafür verwandt, die Unter- nehmen für den EG-Markt zu stär- ken, sie sollen bei den Unternehmen die Mehrbelastungen für die Pflege- versicherung ausgleichen.

Blüm hat sich nach einigem Zö- gern damit einverstanden erklärt, daß bei häuslicher Pflege vor allem Geldleistungen gewährt werden. Da- bei wird jetzt an Beträge bis zu 1200 oder 1500 Mark gedacht. Bei statio- närer Pflege sollen nur Sachleistun- gen geboten werden, und zwar be- grenzt auf die Pflegeleistung der Heime bis zu 2000 Mark.

Den Vorstellungen der Union stehen die Pläne der Sozialdemokra- ten, der Freien Demokraten und der Wirtschaftsverbände gegenüber.

Blüm hat seine Vorschläge in den letzten Monaten immer mehr denen der SPD angepaßt. Die Überlegun- gen der Freien Demokraten und das

„Zwei-Komponenten-Modell" der Wirtschaft zielen auf die privatwirt- schaftliche Absicherung des Pflege- fallrisikos. Die wichtigsten Punkte dieser Konzepte, um die es in den Dt. Ärztebl. 88, Heft 41, 10. Oktober 1991 (19) A-3387

(2)

nächsten Wochen geht, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

SPD: Fünf von der SPD regierte Bundesländer haben im Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht, nach dem eine gesetzliche Pflegever- sicherung als selbständige Säule der Sozialversicherung geschaffen wer- den soll. Diese Versicherung wird der gesetzlichen Krankenversiche- rung angegliedert; die Leistungen und Beiträge sollen jedoch von bei- den Versicherungszweigen getrennt erfaßt und abgerechnet werden.

Versicherungspflichtig sollen alle Bürger werden, also auch Beamte und Selbständige. Auf dieser Linie bewegt sich inzischen auch Blüm. Al- lerdings will er den Bürgern mit Ein- kommen oberhalb der Beitragsgren- ze ein Befreiungsrecht einräumen, was die SPD ablehnt. Alle Pflegebe- dürftigen sollen ein Wahlrecht zwi- schen ambulanter und stationärer Pflege erhalten. Bei häuslicher Pfle- ge von erheblich Pflegebedürftigen ist ein Pflegegeld von 500 Mark mo- natlich vorgesehen. Versicherte, die außergewöhnlich pflegebedürftig oder schwerstpflegebedürftig sind, haben Anspruch auf häusliche Pfle- gehilfe. Darunter werden bis zu 60 Einsätze professioneller Helfer mo- natlich verstanden; die Ausgaben da- für werden auf 1800 Mark begrenzt.

Der Pflegebedürftige kann sich aber auch für Pflegegelder von 1200 Mark oder von 1500 Mark – je nach der Schwere des Falles – entscheiden.

Bei stationärer Hilfe soll die Versi- cherung alle Pflegekosten als Sach- leistung übernehmen. Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung hat der Versicherte zu tragen.

Die „Modelle" von SPD .. . Die SPD veranschlagt die Ko- sten ihres Modells auf knapp 26 Mil- liarden Mark. Dies könne mit einem Beitragssatz von 1,4 Prozent des Ar- beitsentgelts finanziert werden. Die SPD hat sich auf die höhere Bei- tragsbemessungsgrenze der Renten- versicherung von derzeit 6500 Mark festgelegt; sie verstärkt damit den Umverteilungseffekt zugunsten der Bezieher kleinerer Einkommen Ar- beitnehmer und Arbeitgeber sollen jeweils mit dem halben Beitrag bela-

stet werden. Selbständige haben ih- ren Beitrag alleine zu tragen. Pflege- personen sollen die Pflegezeiten auf die Rente angerechnet werden.

. . . Liberalen . . .

FDP: Die Freien Demokraten treten dafür ein, daß alle Bürger vom Eintritt in das Berufsleben, späte- stens jedoch vom 25. Lebensjahr an verpflichtet werden, eine private Versicherung abzuschließen. Versi- cherungspflichtig sollen auch Rent- ner, Beamte und Selbständige wer- den. Die Versicherungen sollen auf der Grundlage des Kapitaldeckungs- verfahrens arbeiten. Den Versicher- ten soll die Wahl gegeben werden, sich entweder bei den gesetzlichen Krankenkassen oder privaten Unter- nehmen zu versichern. Auch die Kassen sollen Kapitalansammlung betreiben. Das Pflegegeld wird nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit gestaffelt. Es soll im Höchstfall 2100

— ZITAT

Pflicht aufgedonnert

... Natürlich kann man, wie Arbeitgeberpräsident Murmann am Montag in der „WELT" und auch BDI-Chef Weiss, diesen Be- schluß der CDU in Bausch und Bogen verdammen Das ist Aufga- be der Verbände. Mit ihren be- rechtigten Maximalpositionen ha- ben sie schon vorher sozialistische Tendenzen in die Gesellschaftspo- litik wenn nicht gänzlich verhin- dert, so doch zumindest abge- bremst.

Aber hier sieht es etwas anders aus. Schon früh haben sich Wirt- schaft und FDP wie Blüm darauf festgelegt, daß die Deutschen sich gegen dieses Risiko pflichtversi- chern müssen, obwohl es auf 100 Beitragszahler nur drei Pflegebe- dürftige gibt und dies im Jahre 2030 gerade 3,8 werden. Dieses Risiko hätten die Deutschen wohl auch freiwillig versichern können.

Wenn ihnen aber eine Pflicht auf- gedonnert wird, hat Blüm mit sei- nem Modell Vorteile. Bleibt die Chance der FDP, dieses Modell mit freiwilliger Vorsorge zu ergän- zen.

Thomas Linke in „Die Welt"

Mark betragen, und zwar unabhän- gig davon, ob der Pflegebedürftige im Heim oder in der Familie versorgt wird. Die FDP hat für alle Versi- cherten einen Einheitsbeitrag von 35 Mark vorgeschlagen. Allgemein wird bezweifelt, daß dieser ausreichen könnte. Auch stößt der Einheitsbei- trag auf Kritik; er paßt nicht so recht zur privaten Versicherung, weil da- mit eine Umverteilung von den jün- geren zu den älteren Versicherten verbunden wäre. Dem Risikogedan- ken trägt nur ein nach dem Eintritts- alter in die Versicherung gestaffelter Beitrag Rechnung. Maßstab für ei- nen Solidarausgleich kann eigentlich nicht das Lebensalter, sondern nur das Einkommen sein.

. . . und Arbeitgebern

Arbeitgeber-Modell: Auch da- nach sollen alle Bürger verpflichtet werden, vom 25. Lebensjahr an eine private Pflegeversicherung, die nach dem Kapitaldeckungsprinzip arbei- tet, abzuschließen. Dies soll wie bei der FDP auch bei den gesetzlichen Krankenkassen möglich sein. Die Prämie wird nach dem Eintrittsalter bemessen. Der Versicherte, der mit 25 Jahren der Versicherung beitritt, hätte 22 Mark monatlich zu zahlen, während der über 60jährige Versi- cherte mit 88 Mark belastet würde.

Die Leistungen an bereits Pfle- gebedürftige sollen über einen Fonds finanziert werden, an dem sich Kommunen und Krankenkassen beteiligen müßten. Die Arbeitgeber bieten einen degressiv ausgestalteten Zuschuß an, und zwar im ersten Jahr von 11 Milliarden Mark. Für einen Zeitraum von zehn Jahren würde sich der Betrag auf rund 55 Milliar- den Mark summieren. Der Fonds müßte im ersten Jahr mit 23 Milliar- den Mark ausgestattet werden. Die- ser Betrag verminderte sich relativ rasch. Die FDP sympathisiert mit dieser Lösung. Sie dürfte allerdings kaum zu verwirklichen sein, da die Zuwendungen an solche Fonds nicht willkürlich nach den zu erwartenden Entlastungen zu bemessen sind. Die Fonds-Idee ist der schwache Punkt im Arbeitgeber-Konzept, trotz des Angebots eines hohen Zuschusses.

Walter Kannengießer A-3388 (20) Dt. Ärztebl. 88, Heft 41, 10. Oktober 1991

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Es ist vorgesehen, daß der Bun- desausschuß der Ärzte und Kran- kenkassen über Richtlinien (nach Anhörung von Sachverständigen der medizinischen und pharmazeuti- schen

In diesem Sinne hatte sich bei der Kreuther Tagung auch Staats- sekretärin Barbara Stamm vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung — die auch sonst dem

I> Schließlich soll die Reichsversicherungsordnung dahingehend geändert werden, daß die Krankenkassen Leistun- gen zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs in

Es war schon lange außerhalb jeden Zweifels, daß zur Erhaltung des sozialen Charakters der gesam- ten gesundheitlichen Versorgung wirksame und auch erzieherisch

Wenn der Hartmannbund die Kostendämpfung bekämpft mit Anzeigen, mit Coupons, auf de- nen Ärzte eintragen sollen, wie viele Mitarbeiter entlassen wer- den, wenn Kostendämpfung

Der Terminus „Kostenver- ursacher" ist eine Diffa- mierungsvokabel, solange nicht — wie angeblich im al- ten Ägypten — die Ärzte von vornherein dafür be- zahlt werden,

Blüm überbrachte die Einlö- sung einer Zusage: Die Ände- rung der Regelung der kas- senärztlichen Bedarfsplanung mit der Möglichkeit, bei einer örtlichen Überversorgung die

Damit hat das Gericht be- stätigt, daß die Preisver- gleichsliste auf einer aus- reichenden Rechtsgrundla- ge beruht , die auch bewer- tende Aussagen über Arz- neimittel