Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 46|
13. November 2009 A 2295 alle Welt verstreuten Nachkommenhatten von dem Projekt erfahren und brachten ihre Erinnerungen ein.
Doch schon die nüchternen Daten sprechen für sich, etwa die Adres- sen. Die lauten zum Beispiel bei dem 1898 geborenen und 1923 ap- probierten Dr. med. Herbert Alfred Jacob bis 1942: Berlin, Alte Schön- hauser Straße 5, dann: Berlin-Mitte, Große Hamburger Straße 26 (Sam- mellager), dann Theresienstadt (102.
Alterstransport, 23. 2. 1944) und schließlich: Auschwitz (15. 5. 1944).
Finanziert wurde das For- schungsvorhaben durch Zuwendun- gen der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung, der Bundesärztekam- mer, des Deutschen Ärzte-Verlages/
Deutschen Ärzteblattes und nicht zuletzt durch Spenden von mehr als 500 Ärzten, zumeist aus Berlin, aber auch von auswärts. Diese Ärz- tinnen und Ärzte brachten die er- staunliche Summe von 80 000 Euro auf. Eine derart große Publikums- unterstützung sei in der Forschung ganz selten, bemerkt Schwoch. Der Hamburger Medizinhistoriker Prof.
Dr. Heinz-Peter Schmiedebach spricht von einer ungewöhnlichen Finanzierung, „die aber auch das Projekt bekannt gemacht hat“.
Die KV Berlin unterstützte die Arbeiten ideell, personell und orga- nisatorisch. Im Foyer ihres Verwal- tungsgebäudes in der Masurenallee 6 A hat sie ein ungewöhnliches Ge- denkbuch installiert, bei dem die Namen der 2 018 Ärztinnen und Ärzte als leuchtende Laufschrift auf
die Fensterfront projiziert werden.
Das Bundesgesundheitsministeri- um steuerte einen Druckkostenzu- schuss für die beiden Buchveröf- fentlichungen bei. Auch persönlich hätten sich Ulla Schmidt, die bishe- rige Ministerin, und ihr Staatssekre- tär Dr. Klaus Theo Schröder stets für das Projekt verwandt, würdigten Prehn und Richter-Reichhelm.
Dankbar für die Initiative Schmidt bemängelte in ihrer Gruß- ansprache einmal mehr, dass die Vertreibung jüdischer Ärzte lange verschwiegen worden sei. Umso
dankbarer müsse man für die Initia- tive der KV Berlin sein. Jede Insti- tution, versicherte Projektleiterin Schwoch, die ihrer Vergangenheit nicht ausweiche, könne an morali- scher Legitimation nur gewinnen.
Schmiedebach bescheinigte For- schungen wie dem Berliner Unter- fangen, sowohl wissenschaftlichen als auch moralischen Erwartungen gerecht zu werden.
Sie kommen zudem einem ganz persönlichen Bedürfnis nach: Die jüdischen Gäste der Gedenkfeier am 3. November kamen immer wieder darauf zu sprechen, wie wichtig es sei, den Opfern ihre Na- men zurückzugeben, wie mit dem Gedenkbuch geschehen. Skoblo schloss denn auch mit der Feststel- lung, „dass mit dem heutigen Tage unseren Kollegen, derer wir hier gedenken, eine letzte Ungerechtig- keit nicht widerfahren wird – näm- lich die des Vergessens“. ■ Norbert Jachertz Etwa zeitgleich zu dem Gedenkbuch über die Ber-
liner jüdischen Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus sind drei weitere sorgfältig recherchierte Bücher erschienen, die sich aus re- gionaler Perspektive mit dem Schicksal jüdischer Ärzte im Nationalsozialismus befassen.
In Bayern war es die Kassenärztliche Vereinigung, in Hamburg die Ärztekammer und in Baden-Würt- temberg die Bezirksärztekammer Nordwürttem- berg, die die jeweiligen Forschungsprojekte finan- ziell unterstützten und so zu ihrer Realisierung beitrugen.
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„Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung ,nicht arischer’ Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945“ lautet der Titel zu der von An- na von Villiez vorgelegten Untersuchung (Döl- ling und Galitz Verlag 2009, broschiert, 24,90 Euro). Über ein Viertel der Hamburger Ärzte- schaft – 432 Ärztinnen und Ärzte – wurde in den Jahren nach 1933 in die Emigration ge-zwungen oder wurde in den Vernichtungsla- gern im Osten umgebracht.
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Gegenstand der Untersuchung von Susanne Rueß sind „Stuttgarter jüdische Ärzte während des Nationalsozialismus“ (Königshausen & Neu- mann, broschiert, 49,80 Euro). Jüdische Medi- ziner gab es zwar in Stuttgart weniger als in Berlin oder Hamburg; dies bietet der Autorin in dieser Dissertationsschrift aber die Gelegenheit, die einzelnen Lebenswege der 86 jüdischen Ärztinnen und Ärzten detaillierter zu verfolgen.●
Ebenfalls im Buchhandel erhältlich ist die von Linda Lucia Damskis als Magisterarbeit vor- gelegte Untersuchung über das Schicksal ins- besondere der bayerischen jüdischen Ärztin- nen und Ärzte im Nationalsozialismus: „Zer- rissene Biographien – jüdische Ärzte zwi- schen nationalsozialistischer Verfolgung, Emi- gration und Wiedergutmachung (Allitera-Ver-lag, 14,90 Euro). TG
ERINNERN AN ANDEREN ORTEN
Ulla Schmidt, Ex-Bundesgesundheitsministerin, nahm persönlich Anteil an dem Projekt. Ne- ben ihr (v.l.n.r.) stehen Roman Skoblo, Angelika Prehn und Manfred Richter-Reichhelm.
Fotos: Reinhold Schlitt
Schwoch, Rebecca (Hrsg.): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im National - sozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hen- trich, Berlin 2009, 973 Seiten, 38 Euro
Hahn, Judith, Schwoch, Rebecca: Anpassung und Ausschaltung. Die Berliner Kassen - ärztliche Vereinigung im Nationalsozialismus.
Hentrich & Hentrich, Berlin 2009, 227 Seiten, 19,80 Euro