• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Berufspolitik in Grado: Der Deckel drückt" (14.06.1990)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Berufspolitik in Grado: Der Deckel drückt" (14.06.1990)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

KTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Berufspolitik in Grado

Ärztezahlen und Ausgabenpolitik, Pflichtweiterbildung und Fortbildung

K

eine frohe Kunde aus Grado. Der Pfingstmon- tag, an dem das berufspo- litische Seminar des dies- jährigen Frühsommerkongresses der Bundesärztekammer stattfand, inspi- rierte Referenten wie Teilnehmer eher zu düsteren Zukunftsgedanken.

Die Ursache ist bekannt und dennoch immer wieder aufs neue be- drückend: Die steigenden Arztzah- len und die nicht in gleichem Maße steigenden finanziellen Ressourcen.

Angewandt zum Beispiel auf die am- bulante kassenärztliche Versorgung heißt das: Die von den Kassen ge- zahlte Gesamtvergütung steigt zwar, verteilt auf den einzelnen Kassenarzt aber bleibt immer weniger übrig.

Denn nach wie vor gilt die Bindung an die Grundlohnsumme, und die wird — trotz einiger mit den Kassen ausgehandelter Abweichungen, etwa bei Besuchen oder beim ambulanten Operieren — bleiben. „Das ist unser Schicksal", so Prof. Dr. Dr. h. c.

Hans Joachim Sewering, der Präsi- dent der Bayerischen Landesärzte- kammer und Vorsitzender der Kas- senärztlichen Vereinigung Bayerns.

Das Auditorium sah es schließ- lich nicht anders. Die Frage eines Zuhörers: „Ist der Deckel denn end- gültig?" glich schon einer resignier- ten Feststellung, und Sewering be- kräftigte: „Die Kassen werden nicht bereit sein, die Ausgaben für den aus steigenden Arztzahlen resultieren- den Leistungsumfang zu zahlen."

Nachhaken aus dem Auditorium:

„Tragen wir also das gesamte Morbi- ditätsrisiko?" Der Referent diploma- tisch: „Eine reine Einzelleistungver- gütung ohne Begrenzung durch den Grundlohn halte ich nicht für denk- bar."

Sewering gab indes zu überle- gen, daß bei Fallpauschalen das Morbiditätsrisiko bei der Kranken- kasse liege. Doch auch Fallpauscha- len lösten das eigentliche Problem nicht — den steigenden Leistungsum- fang, bedingt durch steigende Arzt- zahlen. Womit der Ausgangspunkt und Prof. Sewerings seit Jahren ge-

Der Deckel drückt

predigtes ceterum censeo wieder er- reicht wären.

Tatsächlich sind die Steigerun- gen eindrucksvoll. Ein Ende ist nicht abzusehen. 1970 betrug die Zahl der berufstätigen Ärzte noch 93 000, 1988 waren es 177 000. Niedergelas- sen waren 1970 rund 49 000 Arzte, 1988 schon 72 000. Im Krankenhaus tätig waren 1970 rund 46 000, im Jah- re 1988 bereits 90 000. Die besonders hohe Steigerungsrate bei den Kran- kenhausärzten läßt erwarten, daß auf die freie Praxis demnächst noch einiges aus dem Krankenhaus zu- kommen wird.

Nach wie vor beginnen etwa 12 000 pro Jahr mit dem Medizinstu- dium (ohne Studierende im Aus- land!). Die Zahl der Studienbewer- ber ist zwar drastisch gesunken (von 58 000 im Jahre 1975 auf derzeit et- wa 26 000), übertrifft aber immer noch erheblich die Zahl der Studien- plätze. Mit anderen Worten: jeder Studienplatz wird besetzt. Eine ge- wisse Entspannung dürfte sich ein- stellen, sollten die Kapazitäten, wie von den Gesundheitsministern ge- fordert und von der ZVS jetzt zuge- sagt, auf 9500 Studienanfänger redu- ziert werden.

Prof. Sewering sinnt darüber nach, wie die Ärzte trotz Deckelung etwas Spielraum gewinnen können.

Ihm sind dabei die Arzneimittelaus- gaben ins Visier gekommen. 1989 zahlten die Krankenkassen für Arz- neimittel rund 20,5 Milliarden DM (zum Vergleich: für die kassenärztli- chen Honorare rund 22 Milliarden DM). Die Steigerungsraten bei Arz-

neimitteln sind, gemessen an den jüngsten Zahlen, überdurchschnitt- lich: + 9 Prozent im I. Quartal 1990, während die Kassenärzte mit + 4 Prozent in Höhe der Grundlohnsum- me liegen.

Es werde nicht einfach sein, bei den Arzneimittelausgaben zu einer Reduzierung zu kommen, meinte Se- wering. Die Festbeträge hätten, im Gegensatz zur Selbstbeteiligung, kei- ne erzieherische Wirkung. Hier lasse sich schon jetzt eine ungute Entwick- lung erkennen. Die Festbeträge wür- den nämlich voll ausgeschöpft. Preis- werte Medikamente seien kaum noch an den Mann zu bringen. Auch die Negativliste werde nicht den ge- wünschten kostenwirksamen Effekt haben. Alle Problemfälle seien näm- lich umschifft worden. Sewerings Be- wertung: „Ein Schuß in den Ofen."

Wo wären dann aber die Alter- nativen? Von Ärzten, die des Listen- wirrwarrs müde sind, wird neuer- dings die Positivliste gefordert. Doch die löst das eigentliche Problem, die Menge der Verordnungen, nicht. Se- wering favorisierte in Grado hinge- gen ein Bonussystem. Die Boni sol- len aus den Ersparnissen bei den Arzneimittelausgaben an jene Ärzte gezahlt werden, die sparsam verord- nen — sparsam und dennoch medizi- nisch angemessen. Hier liegt das Problem. Noch ist, so ergab sich in Grado auf kritische Nachfrage, das Bonussystem nicht spruchreif. Doch wird darüber, laut Sewering, „ernst- haft nachgedacht".

Die Arzneimittelstrategie, die beim berufspolitischen Seminar des Grado-Kongresses vom Referenten und vom Auditorium angesprochen wurde, zielt im übrigen nicht so sehr auf die Pharmaindustrie, ja, es fiel auf, daß die Industrie kaum ange-

I Mehr Spielraum trotz der Deckelung?

111 Ärzte und Apotheker - Klima wird schlechter

Dt. Ärztebl. 87, Heft 24, 14. Juni 1990 (19) A-1943

(2)

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DIE REPORTAGE

sprochen wurde, jedenfalls nicht ne- gativ, auch nicht aus dem Publikum.

Prof. Sewering wies wiederholt dar- auf hin, daß vom Arzneimittelpreis nur etwa knapp die Hälfte an die Hersteller geht, über 50 Prozent je- doch an die Verteiler. Er forderte, daß die Apotheker mit den Ärzten

„an einem Strang ziehen müssen".

Bemerkungen aus dem Publikum klangen demgegenüber weit rabia- ter. All das deutet auf eine zuneh- mende Klimaverschlechterung zwi- schen Ärzten und Apothekern hin.

Die Berufspolitiker auf beiden Sei- ten werden einiges Fingerspitzenge- fühl benötigen, wenn sie einerseits der Stimmung der Basis und ande- rerseits dem friedlichen Zusammen- leben der Berufsgruppen Rechnung tragen wollen.

Abschließend zwei den 93.

Deutschen Ärztetag betreffende Punkte. Sie wurden in Grado aus- führlicher besprochen, brauchen an dieser Stelle indes — im Hinblick auf die ausführliche Berichterstattung über den Ärztetag in den letzten Heften — nur angetippt zu werden.

Pflichtweiterbildung: Prof.

Sewering bekräftigte, daß das Wei- terbildungsrecht den Kammern kei- ne Möglichkeit gibt, Ärzte zur Wei- terbildung zu verpflichten. Die For- derung des Ärztetages, vor der Nie- derlassung sei eine mindestens drei- jährige Weiterbildung zu absolvie- ren, könne jedoch über die Zulas- sungsordnung für Kassenärzte ver- wirklicht werden. Der Bundesar- beitsminister müsse eine dreijähri- ge Vorbereitungszeit vorschreiben;

dann könne die Kammer einen ent- sprechenden Weiterbildungsgang anbieten.

Fortbildung: Dr. P. Erwin Odenbach, der Hauptgeschäftsfüh- rer der Bundesärztekammer, stand in Grado noch ganz unter dem Ein- druck der desaströsen Fortbildungs- debatte des Arztetages in Würzburg.

Nach seiner Meinung ging dem Ärz- tetag eine unglaubliche Pressekam- pagne voraus. Dabei sei auch mit verlogenen Argumenten nicht ge-

spart worden. Das habe sich bis in die Beratungen des Ärztetages aus- gewirkt. Ziel der Kampagne sei es gewesen, die Auslandskongresse der Bundesärztekammer zu beseitigen.

Der Ärztetag hat dann ja auch be- schlossen, die Auslandskongresse der Bundesärztekammer abzuschaf- fen. Odenbach kündigte einen Ko-

Rumänien (I)

Ihre kleine Kolonie war wäh- rend der Ceausescu-Diktatur auf keiner Karte zu finden. Ebenso wie Aids existierte Lepra im offiziellen Rumänien nicht. Nun beginnen die 54 Leprakranken der Kolonie Tichi- lesti im Osten Rumäniens ihre Rück- kehr ans Licht der Öffentlichkeit.

Die Wahlen am 20. Mai betrachteten sie als ersten Schritt in Richtung auf ihre Re-Integration.

Der kleine Ort Tichilesti, etwa auf halbem Weg zwischen den ostru- mänischen Donau-Städten Galat und Tulcea an der Grenze zur So- wjetunion gelegen, ist eine der letz- ten Leprakolonien Europas. Bis zur Revolution im Dezember war die kleine Ortschaft offiziell inexistent.

Nur wer bewußt danach suchte und langsam fuhr, hatte eine Chance, die Abzweigung nach Tichilesti zu fin- den — Straßenschilder gab es keine.

Die Kolonie liegt in einem klei- nen Tal. Die Gebäude sind nach ih- ren Funktionen getrennt unter Bäu- men verstreut: Blauweiße Häuser für die Leprakranken, Verwaltungs- und Krankenhausgebäude und die Häu- ser der Angestellten. Insgesamt 43 Angestellte leben in der Kolonie, darunter ein Arzt und vier Schwe- stern.

Im Garten spielen Kinder. „Die Kinder der Angestellten", wie Dok- tor Gheorghe Popa erklärt. Aber auch einige der Kranken haben Kin- der. Sie verlassen aber die Kolonie, sobald sie groß genug sind, erklärt Popa, der die Kolonie seit 14 Mona- sten leitet. Nach seinen Angaben ha- ben von den 27 Männern und 27 Frauen in der Kolonie nur zwei an- steckende Lepra. Alle anderen wur-

stenvergleich zwischen den Aus- landskongressen und den laut Ärzte- tagsbeschluß zu planenden Inlands- kongressen an.

Uberflüssig zu erwähnen, daß die Kongreßteilnehmer in Grado über den Beschluß des Ärztetages, die Auslandskongresse baldmög- lichst einzustellen, empört waren. NJ

den mit Medikamenten „stabili- siert", viele zeigen aber das eine oder andere deutliche Zeichen der Er- krankung: Blindheit, deformierte Gesichter oder zu Stümpfen redu- zierte Hände. Aufgrund dieser Merkmale werden sie von der Ge- sellschaft ausgestoßen.

Diejenigen, die Tichilesti einmal verlassen haben, kamen schnell wie- der zurück, nachdem sie diese Ab- lehnung zu spüren bekamen Den- noch gibt es nach Auskunft des Arz- tes in Rumänien etwa 40 Leprakran- ke, die zu Hause bei ihren Verwand- ten oder Ehepartnern leben. Sie müssen nur von Zeit zu Zeit in Buka- rest im Bercen-Krankenhaus zu ei- ner Untersuchung erscheinen.

Die Kolonie in Tichilesti ist wie eine Bauerngemeinde aufgebaut. Je- der Kranke hat ein Stück Land, das er bearbeitet. Auf ihrem Land bauen sie Wein und Obst an und züchten Schafe oder Geflügel. Nur wenig un- terscheidet sie von den anderen Bau- ern der Umgebung. Trotz ihrer ban- dagierten Handstümpfe fahren eini- ge der Leprakranken auch mit Trak- toren aufs Feld hinaus.

Der letzte Leprakranke, der in die Kolonie kam, war 1987 der heute 21jährige Lucian. Er hatte in einem Waisenhaus gelebt, als bei ihm die Krankheit festgestellt wurde. Heute dürfte er die Kolonie verlassen — wie alle, die drei Jahre in der Kolonie ge- lebt haben und dabei „stabilisiert"

werden konnten. „Aber wohin ge- hen?" ist die Frage.

Also bleibt Lucian, aber wie die anderen Leprakranken will auch er nicht von der Öffentlichkeit verges- sen werden. Pierre Dayle (afp)

I

Pflichtweiterbildung;

Fortbildungskongresse

Lepra-Kranke kehren aus der Vergessenheit zurück

A-1944 (20) Dt. Ärztebl. 87, Heft 24, 14. Juni 1990

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Podiumsgespräche — Der Arzt als Bezugsperson in der Umweltkatastrophe: Biesing, Henschler, Holczabek, Schlatter; Moderator: Höfer. — Theologie und

Labormedizin mit Prakti- kum: Dipl.-Chem. Fritz Kanter, Mannheim, und Mit- arbeiter; Leitung: Prof. Manuelle Medizin: Dr. Hans Tilscher, Wien. Pädiatrie: Prof. Klaus-Ditmar

Sewering wies darauf hin, daß die Kassenverbände in ihren Posi- tionspapieren zur Strukturreform im Gesundheitswesen einen direkten Zusammenhang zwischen Kassen-

Moderne Therapie von Lebererkrankungen: Interni- stische und chirurgische Aspekte (10.00-10.45 Uhr) (Univ.-Prof. Arnulf Fritsch und Univ.-Prof. Georg Grabner, beide

Kar- sten Vilmar, mehr als bisher um das Rettungswesen kümmern. Notfallmedizin sei eine originäre ärztliche Aufgabe, betonte Vil- mar auf dem 17. Fortbildungs- kongreß

Aber angesichts der Umwelt- schäden, die auf die Kinder ein- wirken und über deren Ausmaß und Intensität die Ärzte die beste Kenntnis haben, ist dies, gemes- sen an der Tatsache,

DM 140 c) Tageskarte DM 30 Die Gebühren zu a) und b) werden für Angehörige der folgenden Gruppen um 50 Prozent ermäßigt: Beamtete Ärzte, Assistenzärzte, in der Praxis

(7. Erich Kattler, Tuttlingen; Prof. Klaus-Ditmar Bachmann, Prof. Erwin Brug, Münster; Dipl.- Chem. Fritz Kanter, Mann- heim; Dr. Bernd Koßmann, Ulm; Prof. Hans Joachim