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Archiv "Regelungsprobleme der Humangenetik" (28.08.1989)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

TUELLE MEDIZIN

Regelungsprobleme der Humangenetik

In drei Bereichen der Humangenetik wird ein rechtlicher Re- gelungsbedarf diskutiert: dem Schwangerschaftsabbruch nach pränataler Diagnostik, der Gentherapie besonders an Keimzellen, und der Genom-Analyse. Vom Standpunkt des mit den praktischen Problemen befaßten Arztes empfiehlt sich Zurückhaltung bei der Ausgestaltung gesetzgeberi- scher Maßnahmen; denn die Probleme sind sehr komplex, und eine voreilige, zu enge Reglementierung könnte uner- wartete, negative Folgen haben.

Friedrich Vogel

n diesem Beitrag sollen Pro- bleme besprochen werden, die durch Fortschritte der Human- genetik für unsere Rechtsord- nung aufgeworfen werden. Human- genetik ist die Wissenschaft von den biologischen Mechanismen der Ver- erbung beim Menschen; sie umfaßt die Erforschung dieser Mechanis- men und die Anwendung von Ergeb- nissen dieser Forschung zum Wohle des Menschen. Die Biologie und Pa- thologie der Fortpflanzung als sol- cher ist nicht Gegenstand humange- netischer Forschung.

Zunächst zwei Gesichtspunkte, die mir wichtig erscheinen:

• Man sollte sehr zurückhal- tend sein, konkret überlieferte ethi- sche Normen ungeprüft als allge- mein und jederzeit gültig anzusehen und als verbindliche Rechtsnormen zu formulieren.

• Es ist oft unnötig, auftreten- de Probleme durch Recht und Ge- setz zu lösen. Andere Wege können zweckmäßiger sein.

In drei Bereichen vor allem be- rührt die Humangenetik die Rechts- ordnung und wirft Rechtsprobleme auf: C) Vorgeburtliche Diagno- se und Schwangerschaftsabbruch,

© Gentherapie und „Genmanipula- tion", 0 Genomanalyse.

Institut für Anthropologie und Human- genetik (Direktor: Prof. Dr. med.

Dr. h. c. Friedrich Vogel) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

1. Vorgeburtliche Dia- gnostik und Schwanger- schaftsabbruch

Der Schwangerschaftsabbruch aus sogenannter „kindlicher" Indika- tion ist seit dem 18. Mai 1976 gere- gelt durch den § 218 a, Abs. 2 Nr. 1 StGB (Vgl. 10). Diese Vorschrift hebt erstens auf die Zumutbarkeit des Austragens der Schwangerschaft für die Schwangere ab. Zweitens knüpft sie die konkrete Entschei- dung, ob diese Zumutbarkeit anzu- nehmen ist, an die ärztlichen Er- kenntnisse und an unbestimmte Rechtsbegriffe, also eine Art Gene- ralklausel. So wird darauf verzichtet, eine Liste von Anomalien und Krankheiten anzugeben, die als nicht zumutbar angesehen werden; auch wird kein Zahlenwert für die Höhe des Risikos genannt. Drittens gilt das Ende der 22. Schwangerschaftswo- che als letzter Termin für die Straf- freiheit. Da der Konzeptionstermin meist unbekannt ist, ist das praktisch das Ende der 24. Woche nach dem Beginn der letzten Regelblutung.

In der Praxis hat sich dieser Teil des § 218 StGB bewährt. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr in der Bundesrepublik, die auf Grund „kindlicher" Indikation nach pränataler Diagnostik durchgeführt werden, wird auf zirka 600 geschätzt.

Nach Schroeder-Kurth und Hübner (17) ist allerdings die Gesamtzahl der aus „kindlicher" Indikation ab-

gebrochenen Schwangerschaften deutlich höher; für das Jahr 1985 wurde sie auf 1,3 Prozent von zirka 260 000 geschätzt; das wären etwa 3400. Über 98 Prozent der Abbrüche erfolgen auf Grund der „Notlagen- Indikation".

Die mit pränataler Diagnostik befaßten Arzte und Institutionen ha- ben gelernt, daß es notwendig ist, im Rahmen des Freiheitsraumes, den das Gesetz läßt, sensibel mit den Problemen der Klienten umzugehen (5, 9, 14, 16). Man ist sich über fol- gende Punkte einig:

1. Genetische Beratung und pränatale Diagnostik sollen freiwillig sein. Sie sollen allgemein angeboten werden, aber niemand darf gezwun- gen oder genötigt werden, dieses An- gebot zu nutzen.

2. Aufgabe des Arztes ist es, die Probleme und die möglichen Optio- nen mit den Ratsuchenden zu be- sprechen; er soll aber nicht in eine bestimmte Richtung drängen.

Das gilt natürlich besonders, wenn eine Untersuchung beim Kind einen von der Norm abweichenden Befund ergeben hat. Hier kann es für ein Paar sehr gute Gründe geben, die Geburt auch eines sehr schwer

Gekürzte Fassung eines im Rahmen des Sympo- siums „Regelungsprobleme der Gen- und Bio- technologie sowie der Humangenetik", Veran- stalter: Heidelberger Akademie der Wissen- schaften, am 9. März 1989 gehaltenen Vortrags (mit freundlicher Genehmigung der Veranstal- ter)

Dt. Ärztebl. 86, Heft 34/35, 28. August 1989 (61) A-2365

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behinderten Kindes zu akzeptieren;

der Arzt darf hier auch nicht den ge- ringsten Druck in Richtung auf ei- nen Abbruch ausüben. Insbesondere dürfen mit der Beratung im all- gemeinen und dem eventuellen Schwangerschaftsabbruch erst recht keine „eugenischen" Ziele verfolgt werden. Was wir im Auge haben müs- sen, ist das Wohl der einzelnen Fami- lie, nicht eine genetische Verbesse- rung der Bevölkerung als Ganzer.

Schwieriger wird das Problem — das nach unseren Erfahrungen häu- figer auftritt —, wenn die beim Em- bryo gefundene Anomalie nach Mei- nung des Arztes so wenig schwerwie- gend ist, daß der Arzt das Austragen der Schwangerschaft als zumutbar ansieht, während das ratsuchende Paar sich nicht vorstellen kann, wie es das Problem anders als durch ei- nen Abbruch bewältigen könnte.

Hier haben wir lernen müssen, daß Grundsätze wie „Patientenautono-

2. Gentherapie und

„Genmanipulation"

an somatischen Zellen und an Keimzellen

Dieser Bereich wird in der Öf- fentlichkeit am meisten diskutiert;

für die Humangenetik, insbesondere ihre praktische Anwendung, bietet er dagegen die geringsten Probleme.

Schon vor einigen Jahren ist es in ei- nigen Fällen gelungen, DNA nicht nur in somatische Zellen, sondern auch in befruchtete Keimzellen der Maus nicht nur künstlich hineinzu- schleusen, sondern dort auch zur Ex- pression zu bringen (7). Die Riesen- mäuse, deren abnormes Wachstum durch das künstlich in den Stamm

„Linie" hineingebrachte Gen für Wachstumshormon verursacht wur- de, haben weltweite Berühmtheit er- langt; denn der genannte Versuch ist das erste Beispiel einer Gentherapie auf Zygoten-Ebene bei einem Säuge- tier. Auch das Einbringen von Ge- nen in bestimmte somatische Zellen der Maus und ihr „Anschalten" in diesen Geweben ist wiederholt ge- lungen (13).

Damit eröffnen sich theoretisch Möglichkeiten einer Gentherapie

mie" nicht bedeuten können, daß der Arzt sich gewissermaßen zum verlängerten Arm des Ratsuchenden machen läßt. Sondern auch der Arzt ist autonomer, gleichberechtigter Partner. Auch er darf — und muß zur Not — „Nein" sagen, wenn der Ver- such, im Gespräch zu einem Konsens zu kommen, scheitert.

Auf den Rat der zuständigen Fachgesellschaft hin weigern sich zum Beispiel bei uns die Arzte, eine pränatale Diagnose zum Zweck der Geschlechtsbestimmung durchzu- führen oder das Geschlecht des Kin- des vor der vierzehnten Woche mit- zuteilen, um Mißbräuche zu verhin- dern. Dieses Beispiel zeigt, wie Pro- bleme, für die man zunächst nach dem Gesetzgeber rufen möchte, durch verantwortungsbewußtes Han- deln im Konsens der beteiligten Wis- senschaftler und Ärzte manchmal viel leichter und auch schneller ge- löst werden können.

und „Genmanipulation" an somati- schen Zellen und an Keimzellen. Die Voraussetzungen für eine somati- sche Gentherapie wurden umfassend dargestellt (4). Den folgenden Weg hat man vor allem ins Auge gefaßt:

Zunächst entnimmt man dem Kör- per des Kranken Zellen, in denen das defekte Gen normalerweise ex- primiert wird und wirkt, bei diesen Kranken aber nicht. Diese Zellen züchtet man dann in einem Kultur- medium an, und es wird die ge- wünschte DNA in sie hineinge- schleust. Die so behandelten Zellen werden nun in den Organismus zu- rückgebracht; die neuen Gene sollen dann aktiv bleiben und die betreffen- de Krankheit heilen. Obwohl dieser Ansatz schon vor Jahren konzipiert wurde, ist, soweit bekannt, somati- sche Gentherapie noch bei keinem einzigen Beispiel gelungen. Am aus- sichtsreichsten erscheint ein solcher Versuch zur Zeit beim Adenosin- Deaminase(ADA)-Mangel, einem sehr seltenen Immundefekt (1). Ich bin davon überzeugt, daß die somati- sche Gentherapie kommen wird. Sie ist aus gründsätzlichen Erwägungen heraus kaum je kritisiert worden. Be- sondere Rechtsprobleme wirft sie meines Erachtens nicht auf.

Ganz anders sieht es mit der Gentherapie an Keimzellen und frü- hen Zygoten aus. Man müßte dazu eine extrakoporale Befruchtung vor- nehmen. Kurz danach und vor der Implantation in den Uterus müßte man die gewünschten Fremdgene in die Zygote hineinbringen, und schließlich müßte man die so behan- delte Zygote in den Uterus der Mut- ter implantieren. Wie die meisten meiner humangenetischen Kollegen, so bin auch ich — wenigstens für die absehbare Zukunft — ein Gegner derartiger Versuche. Ich betrachte sie als zu gefährlich. Außerdem sind sie überflüssig. Es gibt für sie keine ärztliche Indikation. Genetische Er- krankungen treten nämlich als Er- gebnis einer Mendelschen Aufspal- tung auf. Bei autosomalrezessivem Erbgang erwartet man zum Beispiel homozygot Kranke nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent.

Bevor man eine Gentherapie be- ginnt, müßte man also an der Zygote feststellen, ob sie tatsächlich homo- zygot ist und sich damit einmal zu ei- nem kranken Menschen entwickeln würde. Denkbar ist, daß das einmal möglich werden wird. Aber wenn man schon einmal so weit ist, wäre es da nicht viel einfacher und ungefähr- licher, die kranke Zygote zu verwer- fen, und eine gesunde Zygote von dem gleichen Elternpaar zu verwen- den?

Bedeutet das, daß man Gen- therapie an Keimzellen gesetzlich verbieten sollte? Hier habe ich Be- denken: Würde uns ein gesetzliches Verbot Wege verbauen, die später neue Therapiemöglichkeiten er- schließen könnten? Ich halte viel mehr von Empfehlungen durch Standes-Organisationen, wie etwa die Bundesärztekammer oder Fach- gesellschaften. Sie sind elastischer und mindestens genau so wirksam.

3. Genomanalyse

Der dritte Problemkreis umfaßt alle diejenigen Untersuchungen, die man unter dem Oberbegriff der „Ge- nomanalyse" zusammenfaßt. Das Genom des Menschen, also das En- semble aller seiner Erbanlagen, ist heute gut bekannt. Von den etwa A-2366 (62) Dt. Ärztebl. 86, Heft 34/35, 28. August 1989

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50 000 bis vielleicht 100 000 Genen, die wir besitzen, wurden schon meh- rere tausend an jeweils einer be- stimmten Stelle auf einem der 23 Chromosomenpaare lokalisiert (11, 12); von einer geringen, wenn auch rasch zunehmenden Zahl kennt man auch den genauen strukturellen Auf- bau. Einige tausend Gene kennen wir indirekt dadurch, daß Merkmale existieren, die einem Mendelschen Erbgang folgen. Genomanalyse ist auf drei Ebenen möglich: Auf der Ebene des Phänotyps; der des bio- chemisch charakterisierten Genpro- duktes; und der Ebene der Chromo- somen und der Gene selbst.

Eine Genomanalyse auf der Ebene des Phänotyps und der Bio- chemie ist die Untersuchung von Neugeborenen mit Hilfe eines Blut- tests auf einige erbliche Stoffwech- selerkrankungen, die Phenylketon- urie, Galaktosämie und Hypothyreo- se (20). Obwohl kein gesetzlicher Zwang besteht, nehmen die aller- meisten Eltern diese Untersuchung für ihre Kinder in Anspruch; denn bei diesen Krankheiten hängt das Lebensschicksal davon ab, daß man mit einer spezifischen Behandlung wenige Wochen nach der Geburt be- ginnt, noch bevor die ersten klini- schen Symptome deutlich werden.

So hat jedes Elternpaar ein unmittel- bares Interesse daran, daß bei sei- nem Kind die Diagnose rechtzeitig gestellt wird.

Es gibt auch Situationen, in de- nen ein unmittelbarer Nutzen für den Betroffenen zunächst nicht ersicht- lich ist, und in denen eine Untersu- chung vor allem im Interesse anderer erfolgt, so etwa die Untersuchung von zukünftigen Lokomotivführern oder Piloten auf Farbentüchtigkeit. Das sind zwei Elemente, die bei der öf- fentlichen Diskussion über Genom- analyse immer wieder auftauchen:

Das „Screening" auf erbliche An- omalien bereits kurz nach der Geburt oder später im Leben; und © der Schutz Dritter durch Ausschaltung von Menschen mit bestimmten erbli- chen Eigenschaften von manchen Tä- tigkeiten. Als dritter Aspekt kommt noch zum Schutze des Betroffenen die Untersuchung vor Eintritt in ei- nen Beruf hinzu, der besondere Bela- stungen mit sich bringt.

Wie die genannten Beispiele zei- gen, wird ein Screening durch die Gesellschaft dann akzeptiert, wenn der gesundheitliche Nutzen für den einzelnen unmittelbar einzusehen ist. Einstellungsuntersuchungen zum rechtzeitigen Erkennen einer geneti- schen Schwäche dagegen haben in den letzten Jahren besonderes Miß- trauen auf sich gezogen. Oft ist der Eindruck entstanden, als ob Arbeit- geber auf diesem Wege bestimmte Menschen auf Grund ihrer Veranla- gung von bestimmten beruflichen Chancen fernhalten wollten, weil sie die damit verbundenen gesundheit- lichen Risiken nicht mitzutragen be- reit seien. Auch ist damit gelegent- lich der Verdacht verbunden, man wolle sich auf diesem billigen We- ge der Notwendigkeit entziehen, die Bedingungen am Arbeitsplatz menschlicher zu gestalten.

In der Bundesrepublik — wie in anderen Ländern — hat man sich mit diesen Problemen auseinanderge- setzt; bei uns zum Beispiel in der Benda-Kommission (2) und der En- quete-Kommission (3). In den Emp- fehlungen der letztgenannten Kom- mission heißt es unter anderem:

„Die Anwendung genetischer Analy- se an Arbeitnehmern kann Chancen zur Verbesserung der arbeitsmedizi- nischen Vorsorge bieten." Dann folgt jedoch eine Reihe von recht restriktiven Vorschlägen an den Ge- setzgeber: So soll die Begrenzung seines Rechtes auf Fragen, die die unmittelbare Eignung des Bewerbers für den Arbeitsplatz betreffen, in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenom- men werden. Es sollen alle Testver- fahren ausgeschlossen werden, die ein umfassendes Persönlichkeits- oder Gesundheitsprofil erheben.

Auch seien genanalytische Verfah- ren auszuschließen, die Krankheits- Anlagen oder zukünftige Krank- heiten des Arbeitnehmers diagnosti- zierten. Testverfahren, die eine be- sondere genetische Anfälligkeit ge- genüber Arbeitsstoffen anzeigen, müßten durch Rechtsvorschrift aus- drücklich zugelassen werden.

Schließlich sei das ganze Gebäude von Einschränkungen und Verboten mit Strafandrohungen zu bewehren.

Daß die Analyse nicht ohne wei- teres erkennbarer genetischer Dis-

positionen tatsächlich — neben den unbestreitbar großen Chancen für die Lebensführung des einzelnen — auch erhebliche soziale und psycho- logische Probleme mit sich bringt, ist schon seit längerem bekannt (18).

Die Öffentlichkeit wurde erst auf- merksam, als eine vom amerikani- schen Präsidenten eingesetzte Korn- mission vor Mißbräuchen warnte (15). In den USA gibt es ein „positi- ves" und ein „negatives" Beispiel.

Das „positive" Beispiel ist das Screening der ashkenazisch-jüdi- schen Bevölkerung auf das Tay- Sachs-Gen mit dem Ziel, heterozy- goten Paaren von vornherein eine pränatale Untersuchung anzubieten;

diese Methode ist voll akzeptiert.

Dem steht als „negatives" Beispiel das Screening der schwarzen Bevöl- kerung auf das Sichelzell-Gen gegen- über — mit dem gleichen Ziel. Es ge- riet in den Verdacht der Rassen-Dis- kriminierung und scheiterte vollstän- dig (20).

In der Bundesrepublik ist das Problem noch nicht wirklich akut; es kommt aber auf uns zu. Ein Beispiel:

Die Chorea Huntington beginnt ir- gendwann im mittleren Lebensalter und führt dann über ein zirka 10 bis 15 Jahre anhaltendes Siechtum zum Tode (21). Jedes Kind eines solchen Patienten hat ein Risiko von 50 Pro- zent, früher oder später zu erkran- ken. Nun gibt es eine Methode, mit Hilfe von DNA-Proben bei geeigne- ter Konstellation herauszubekom- men, ob ein Gefährdeter später er- kranken wird oder nicht (6). Diese Diagnose ist schon sehr früh, ja mit den Methoden der pränatalen Dia- gnostik schon vor der Geburt mög- lich.

Für einige Zeit war es eine offe- ne Frage, ob man diese Methode nicht selbst dann verweigern müsse, wenn die Betroffenen sie ausdrück- lich wünschten (19). Heute scheint sich ein Konsens zwischen Ärzten und Selbsthilfegruppen der Kranken und ihrer Familien dahingehend zu entwickeln, daß man die Methode dann anwenden darf, wenn sie es wünschen, und wenn sie vorher gründlich psychologisch vorbereitet und nach Erfahren einer negativen Diagnose auf angemessene Weise aufgefangen und betreut werden. >

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Aber wie verhält sich ein solcher Mensch gegenüber anderen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, sein besonderes Risiko zu erfahren?

Folgen wir der Empfehlung der En- quete-Kommission, dann braucht er einem Arbeitgeber gegenüber sein Risiko nicht bekanntzugeben. Aber wie verhält er sich richtig und der Rechtsordnung gemäß, wenn er etwa in eine private Krankenversicherung eintritt? Darf er dort das Ergebnis seiner Untersuchung verschweigen?

Und wenn nicht — darf ihn die Versi- cherung ablehnen oder ihm beson- ders hohe Beiträge auferlegen? Und dazu kommen dann noch viele pri- vatrechtliche Fragen. Gewiß, die Chorea ist eine seltene Erkrankung.

Aber ähnliche diagnostische Mög- lichkeiten werden heute für eine zu- nehmende Zahl anderer Erbkrank- heiten entdeckt.

Andere genetische Dispositio- nen verursachen nur im Zusammen- wirken mit bestimmten Umweltfak- toren gesundheitliche Schäden. So gibt es zahlreiche Enzymsysteme, die uns helfen, uns mit Giftstoffen aus der Umwelt auseinanderzusetzen, et- wa dem Rauchen oder dem Alkohol.

Für mehrere von ihnen hat man ge- netische Variabilität beobachtet (8).

Diese genetischen Varianten unter- scheiden sich von den vorhin er- wähnten Fällen in zwei wesentlichen Eigenschaften:

• Die genetische Variante hat eine bestimmte Krankheit nicht mit Sicherheit zur Folge, sondern ihre Träger haben nur ein erhöhtes Ri- siko.

Q Dieses Risiko kann nicht durch einen raschen und einfachen Eingriff behoben, sondern es kann nur herabgesetzt werden, und selbst diese Herabsetzung erfordert oft eigene Bemühungen über lange Zeit hin.

Dies sind Beispiele, in denen ei- ne Genomanalyse auf phänotypi- scher oder biochemischer Ebene, teilweise auch auf der Genebene möglich ist. Dabei ergibt sich eine Reihe von Problemen, die im we- sentlichen in einer Frage zusammen- gefaßt werden können: Welchen Nutzen kann es bringen, und welcher Schaden ist zu befürchten, wenn man über die individuelle genetische Konstitution mehr weiß?

Ein Vorteil ist es offenbar für je- den einzelnen, wenn er über die Ver- anlagung zu einer Krankheit Be- scheid weiß, deren Ausbruch durch einfache Maßnahmen sicher verhin- dert werden kann. Dagegen kann es sehr belasten, über eine solche Krankheits-Disposition aufgeklärt zu werden, wenn nichts Rechtes dage- gen zu tun ist.

Ein allgemeines Screening — auch auf freiwilliger Grundlage — sollte deshalb nur dann empfohlen werden, wenn die Betroffenen einen unmittelbaren Nutzen davon haben, entweder, indem das Auftreten der Krankheit durch einfache Maßnah- men verhindert werden kann, oder wenn es möglich wird, etwa durch gezielte vorgeburtliche Diagnostik eine zusätzliche Belastung durch die Geburt geschädigter Kinder zu ver- meiden. Hierher gehört auch der Schutz besonders empfindlicher Ar- beitnehmer vor speziellen Belastun- gen am Arbeitsplatz. Schwieriger wird es dann, wenn nicht der Arbeit- nehmer vor sich selbst, sondern Drit- te vor ihm geschützt werden sollen.

Wie weit aber ist der einzelne verpflichtet, sich durch eine geeigne- te Lebensweise gesund zu erhalten?

Und noch schwieriger: Wie weit muß die Solidargemeinschaft aller für ihn eintreten, wenn er es nicht tut? An- genommen, jemand wisse, daß er in besonders hohem Maße durch Lun- genkrebs bedroht ist, wenn er Ziga- retten raucht; und er raucht trotz- dem. Kann dann von der Solidarge- meinschaft der Krankenversicherten erwartet werden, daß sie für ihn ein- tritt?

Derartige Probleme gehen über den Bereich der Medizin weit hinaus und reichen in den Bereich ethischer Entscheidungen — auch in den Be- reich des Rechtes — tief hinein. Hier ist der Diskurs zwischen den Diszi- plinen gefordert, damit wir lernen, mit den Problemen menschlich und fair umzugehen. Noch weniger als auf den anderen beiden Problemge- bieten — genetische Beratung und Gentherapie — kann es hier einfache Ja-Nein-Antworten geben. Mit rechtlichen Regelungen sollte man sich Zeit lassen. Man hat mit den tat- sächlich und konkret auftretenden Situationen noch so wenig Erfah-

rung, daß übereiltes Ankurbeln der Gesetzgebungsmaschine leicht Scha- den anrichten kann.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. h. c.

Friedrich Vogel

Direktor des Instituts für

Antropologie und Humangenetik der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 328 6900 Heidelberg

Zerebrale Malaria:

Phenobarbital gegen Krämpfe

48 Patienten über 6 Jahre mit eindeutig diagnostizierter zerebraler Malaria erhielten in einer randomi- sierten placebo-kontrollierten Dop- pelblindstudie entweder einmalig ei- ne intramuskuläre Phenobarbital-In- jektion (3,5 mg/kg) oder ein Placebo.

Phenobarbital reduzierte das Auftreten späterer Konvulsionen von 54 auf 12,5 Prozent ohne schädi- gende Wirkungen. Eine einmalige intramuskuläre Phenobarbital-Injek- tion ist eine einfache, preiswerte und effektive Methode zur Verhütung von Konvulsionen bei zerebraler Ma- laria. Der Langzeitnutzen effektiver Krampf-Prophylaxe kann jedoch nicht eingeschätzt werden, da detail- lierte Nachsorge-Studien zur Fest- stellung neurologischer Konsequen- zen bei zerebraler Malaria bislang nicht vorliegen.

Da keine offensichtlichen Kon- traindikationen gegeben sind, schla- gen die Autoren vor, allen Patienten mit zerebraler Malaria unmittelbar nach Bestätigung der Diagnose eine einmalige Dosis Phenobarbital i. m.

zu verabreichen. Jhn

White, N. J. et al.: Single Dose Phenobar- bitone Prevents Convulsions in Cerebral Malaria, Lancet II (1988) 64-66.

Dr. N. J. White, Faculty of Tropical Medi- eine, Mahidol University, 420/6 Rajvithi Road, Bangkok 10400, Thailand.

Dt. Ärztebl. 86, Heft 34/35, 28. August 1989 (65) A-2369

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