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Archiv "Entwicklungsverzögerungen bei Kindern: Screening als Grundlage für eine gezielte Förderung" (17.02.2012)

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A 308 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 7

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17. Februar 2012

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ie Ergebnisse der Ein - schulungsuntersuchungen in Mecklenburg-Vorpommern (M-V) aus den vergangenen Jahren zeigen einen erheblichen Anteil an Kin- dern mit Entwicklungsverzögerun- gen. So wies bei den Einschulungs- untersuchungen im Jahr 2009/2010 jedes fünfte Kind (20,3 Prozent) Verzögerungen in der motorischen Entwicklung auf. Im Bereich der Sprache waren 17,1 Prozent der potenziellen Schulanfänger von Ent - wicklungsverzögerungen betroffen, und bezüglich der emotional-sozia- len Entwicklung wurden bei 12,0 Prozent der Kinder Verzögerungen diagnostiziert (1). Ein erster Schritt, um dieser Entwicklung entgegen- zuwirken, wurde durch die Novel- lierung des Kindertagesförderungs- gesetzes (KiföG M-V vom 12. Juli 2010) unternommen (2). Die ent- sprechende Verordnung über die in- haltliche Ausgestaltung und Durch- führung der individuellen Förde- rung trat zum 1. Januar 2011 in Kraft. Danach gewährt das Land Mecklenburg-Vorpommern den ört- lichen Trägern der öffentlichen Ju- gendhilfe eine jährliche Zuweisung in Höhe von fünf Millionen Euro zur Weiterleitung an die Träger von Kindertageseinrichtungen und Kin- dertagespflegepersonen. Diese fi- nanziellen Mittel sind ausschließ- lich für die gezielte individuelle Förderung von Kindern gemäß Kin- dertagesförderungsgesetz (§ 1 Ab- satz 6) einzusetzen.

Eine frühzeitige gezielte indivi- duelle Förderung soll wesentlich zur Vermeidung von Defiziten im Rahmen der späteren Einschu- lungsuntersuchung beitragen. Die- ser settingorientierte Ansatz wird

speziell in Mecklenburg-Vorpom- mern durch die hohe Inanspruch- nahme von Kindertageseinrichtun- gen begünstigt. So nehmen 94,1 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen Kindertageseinrichtungen oder Ein- richtungen der Kindertagespflege in Anspruch (Bundesdurchschnitt:

91,6 %) (3). Es besteht somit eine hohe Wahrscheinlichkeit, durch In- terventionen im Bereich der Kin- dertageseinrichtungen eine große Anzahl an Kindern zu erreichen.

Für die bedarfsgerechte Verwen- dung der Fördergelder ist deren Be- reitstellung an die Anwendung des

„Dortmunder Entwicklungsscree-

nings für den Kindergarten DESK 3–6“ gebunden (4).

Die Politik folgte damit der Empfehlung von Wissenschaftlern, insbesondere des Instituts für Community Medicine (Abteilung Versorgungsepidemiologie und Com - munity Health) der Universitäts- medizin Greifswald sowie Vertre- tern der Universität Rostock und der Hochschule Neubrandenburg, ergänzend zur alltagsintegrierten Beobachtung und Dokumentation ein standardisiertes, valides und re- liables Verfahren einzusetzen, an- hand dessen der Entwicklungs- stand von drei- bis sechsjährigen Kindern in den Bereichen Motorik, Sprache, sozial-emotionale Ent- wicklung sowie in der Gesamtent- wicklung zuverlässig objektiviert werden kann.

Die Eignung und Akzeptanz des DESK 3–6 wurden im Rahmen von

„Kinder in Kitas (KiK)“, einem Modellprojekt zur Stärkung der Kindergesundheit und Weiterent- wicklung der individuellen Förde- rung in Mecklenburg-Vorpommern, intensiv überprüft (5). Mit dem Pro- jekt, durchgeführt von November 2008 bis Mai 2011, sollte ein In- strument ausgewählt und erprobt werden, das eine frühzeitige Identi- fizierung von Entwicklungsgefähr- dungen ermöglicht. Insgesamt wur- den bei dem Modellprojekt „KiK“

887 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren hinsichtlich ihres Entwicklungsstands gescreent. Er- gänzend wurden Erzieherinnen in Kindertageseinrichtungen zu den Rahmenbedingungen und zur Ak- zeptanz des Screeningverfahrens befragt. Eine weitere Befragung zur gesundheitlichen Situation der Kin- ENTWICKLUNGSVERZÖGERUNGEN BEI KINDERN

Screening als Grundlage für eine gezielte Förderung

In Mecklenburg-Vorpommern wurden mit der Einführung eines Screeningverfahrens die Rahmenbedingungen für eine gesunde Entwicklung von Kindern deutlich

verbessert. Dabei wurden Empfehlungen aus der Präventionsforschung umgesetzt.

Je früher Auffällig- keiten in der Ge- sundheitsentwick- lung erkannt wer- den, desto besser kann noch gegen- gesteuert werden.

Foto: Your Photo Today

T H E M E N D E R Z E I T

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A 310 Deutsches Ärzteblatt

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17. Februar 2012 der sowie zu den sozioökonomi-

schen Verhältnissen innerhalb der Familie richtete sich an die Eltern.

Die Ergebnisse dieses Projekts flos- sen in verschiedene Stellungnah- men zur Novellierung des Kinder- tagesförderungsgesetzes ein.

Im Vergleich zu anderen von Kindertageseinrichtungen einge- setzten Beobachtungsverfahren er- füllt das DESK 3–6 in hohem Maße sowohl wissenschaftliche Gütekri- terien als auch Kriterien der Prakti- kabilität (6). Hierzu trägt vor allem die frühzeitige Einbindung der Er- zieher(innen) bei der Verfahrens- entwicklung bei. Das DESK 3–6 wurde an einer Stichprobe von

1 492 Kindergartenkindern im Alter von 33 bis 85 Monaten normiert (4). Es erlaubt eine Diagnostik in Hinblick auf erste Anzeichen für ei- ne Entwicklungsgefährdung von Vorschulkindern. Aus ihm können die Notwendigkeit einer weiterfüh- renden Diagnostik und ein indivi- dueller Bedarf an Frühfördermaß- nahmen abgeleitet werden. Ebenso ist ein Vergleich individueller Test- ergebnisse mit den Normwerten des DESK 3–6möglich.

Das Screeningverfahren um- fasst Beobachtungs- und kindge- rechte, in ein Rollenspiel (Zirkus- spiel) integrierte Durchführungs- aufgaben zu den Entwicklungsbe- reichen Fein- und Grobmotorik, Sprache sowie zur sozial-emotio- nalen Entwicklung. Zudem liefert es einen Befund zur Gesamtent- wicklung. Die Aufgaben sind al- tersadäquat gestaltet. Innerhalb der Normtabellen, die zur Auswer- tung herangezogen wurden, wird zudem eine genauere, halbjährli- che Altersunterscheidung der Kin- der vorgenommen. Das DESK 3–6 wird von den Erziehern eigenstän- dig durchgeführt. In Mecklenburg- Vorpommern erhalten sie zum Zweck der Qualitätssicherung im Vorfeld eine entsprechende Schu- lung und werden in Hinblick auf die Verfahrensanwendung und Klärung von Fragen einer geziel-

ten individuellen Förderung fach- lich betreut.

Als Ergebnis liefert das DESK 3–6 sogenannte Stanine-Werte (aus dem Englischen Standard Nine) zwischen 1 und 9. Ein Stanine-Wert von 1 impliziert einen auffälligen Screeningbefund. Das bedeutet, es besteht ein begründeter Verdacht auf eine Entwicklungsgefährdung des Kindes. Hier sollte unbedingt eine differenziertere Entwicklungs- diagnostik durch einen Fachdienst, in der Regel zunächst den Kinder- arzt, erfolgen. Daher ist es wichtig, dass Kinder-, Haus- und Amtsärzte des Landes über den flächende- ckenden Einsatz des DESK 3–6 in-

formiert sind, um die objektiven Screeningbefunde richtig einordnen und bei Erfordernis entsprechende Interventionen einleiten zu können.

Zudem sind die Ärzte in der Lage, medizinische Gründe als Ursache erheblicher Abweichungen vom kindlichen Entwicklungsprozess aus- zuschließen.

Ein Stanine-Wert von 2 bedeutet, dass die Anzeichen für eine Ent- wicklungsgefährdung des Kindes nicht eindeutig sind und eine weite- re Beobachtung und spätere Wie- derholung des DESK 3–6 sinnvoll sind. Screeningbefunde zwischen 3 und 9 sprechen für eine altersgemä- ße Entwicklung des Kindes.

Das DESK 3–6 zielt somit nicht auf eine Erfassung von Defiziten ab, sondern ermöglicht vor allem die Identifizierung kindlicher Stär- ken in den einzelnen Entwicklungs- bereichen. Die Erzieher(innen) er- halten eine objektive Basis für die Gestaltung einer effektiven (Klein-)Gruppenförderung. Des Weiteren liefert das DESK 3–6 Hinweise für Elterngespräche und auf weitere individuelle Förder- möglichkeiten.

Das jährliche Entwicklungs- screening in Mecklenburg-Vor- pommern zeigt, bei welchen Kin- dern eine gezielte individuelle För- derung erforderlich ist. Die Scree- ning-Ergebnisse werden aber auch

ein wichtiger Indikator zur Nach- haltigkeit verschiedener Interven- tionsstrategien sein. Umso begrü- ßenswerter ist es, dass die Politik auch dahingehend der wissen- schaftlichen Empfehlung gefolgt ist, das DESK 3–6 als einziges In- strument für die Inanspruchnahme der Zuweisungen vorzusehen. Nur so ist ein regionen- und kinderta- gesstättenbezogener Vergleich un- terschiedlicher Rahmenbedingungen und Förderstrategien im Kontext einer umfassenden Evaluationsfor- schung sinnvoll beziehungsweise überhaupt erst möglich. Die Teil- nahme der Kindertagesstätten an einer wissenschaftlichen Prozess- begleitung und Evaluation ist ein weiteres zentrales Kriterium für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Sie umfasst neben der Aus- wertung des Screenings für die Kindertageseinrichtungen umfas- sende Befragungen zur Durchfüh- rung, Akzeptanz und Ergebnisver- wertung.

Die gesetzliche Neuregelung in Mecklenburg-Vorpommern ist ein positives Beispiel für die Integrati- on von Ergebnissen der Präventi- onsforschung in die Gesetzgebung.

Die Befunde aus dem „Dortmunder Entwicklungsscreening für den Kindergarten“ sollen nicht nur den Kindergärten als Basis für eine ge- zielte individuelle Förderung die- nen, sondern auch den konsultierten Ärzten wichtige Anhaltspunkte für eine weiterführende Diagnostik und erforderliche therapeutische Inter- ventionen liefern. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit verschiedener an der Entwicklung von Kindern be - teiligten Institutionen im Land ist die Voraussetzung für eine Senkung der hohen Prävalenzen im Bereich der Entwicklungsverzögerungen bei

Schulanfängern.

Annika Gottschling M. A., Dr. phil. Marco Franze, Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann MPH Institut für Community Medicine, Abteilung Versorgungsepidemiologie und

Community Health, Universitätsmedizin Greifswald, Ellernholzstraße 1–2, 17487 Greifswald,

annika.gottschling@uni-greifswald.de

Neuregelung ist ein positives Beispiel für die Integration von Ergebnissen der Präventionsforschung in die Gesetzgebung.

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Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit0712

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17. Februar 2012 [3]

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 7/2012, ZU:

ENTWICKLUNGSVERZÖGERUNGEN BEI KINDERN

Screening als Grundlage für eine gezielte Förderung

In Mecklenburg-Vorpommern wurden mit der Einführung eines Screeningverfahrens die Rahmenbedingungen für eine gesunde Entwicklung von Kindern deutlich

verbessert. Dabei wurden Empfehlungen aus der Präventionsforschung umgesetzt.

LITERATUR

1. Prävalenzraten für das Schuljahr 2009/2010; Angaben des Ministeriums für Soziales und Gesundheit Mecklenburg-Vor- pommern, 2011.

2. Ministerium für Gesundheit und Soziales.

http://www.regierungmv.de/cms2/Regie rungsportal_ prod/Regierungsportal/de/sm/

Themen/ Kindertagesfoerderung/index.jsp [zuletzt abgerufen am 25.07.2011]

3. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme. Gütersloh:

2009.

4. Tröster H, Flender J & Reineke D: DESK 3–6. Dortmunder Entwicklungsscreening für den Kindergarten. Göttingen: Hogrefe 2004.

5. Franze M, Gottschling A & Hoffmann W:

Das Dortmunder Entwicklungsscreening für den Kindergarten (DESK 3–6) als Basis ge- zielter individueller Förderung in Kinderta- ges-einrichtungen in Mecklenburg-Vorpom- mern: Erste Ergebnisse des Modellprojekts

„Kinder in Kitas (KiK)“ zur Akzeptanz des DESK 3–6 bei Erziehenden. Bundesge- sundheitsblatt 2010; 5: 1290–7.

6. Kliche T, Wittenborn C, Koch U: Was leisten Entwicklungsbeobachtungen in Kitas? Ei- genschaften und Verbreitung verfügbarer Instrumente. Praxis Kinderpsychologie &

Kinderpsychotherapie 2009; 58: 419–33.

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Referenzen

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