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er schützt die Bürger vor der„vierten“ Gewalt? Wer hilft ihnen, wenn sensationslüster- ne Journalisten in ihr Privatleben ein- dringen, die Intimsphäre ausschnüf- feln, sich wie Einbrecher Informatio- nen beschaffen? Wer bewahrt uns vor so geschmacklosen Titelbildern? Und wer hilft jenen, über die schlicht Un- wahrheiten verbreitet werden?
Man mache sich nichts vor. Ein Privatmann, der sich mit der Presse anlegt, sitzt an einem armselig kurzen Hebel. Zwar lassen sich Gegendar- stellungen verhältnismäßig leicht er-
wirken. Aber nichts hindert den be- troffenen Verlag daran, an gleicher Stelle durch entsprechende Kommen- tierung erneut „zuzuschlagen“. Wer prozessiert, muß vor allem bei Groß- Verlagen damit rechnen, von einer Heerschar hochspezialisierter Anwäl- te durch alle Instanzen gezogen zu werden.
Was bleibt, ist der Gang zum Deutschen Presserat, gegründet vor gut 40 Jahren im durchaus ehrenwer- ten Gedanken, daß die Macht der Presse eine berufsständische Selbst- kontrolle vertragen könnte.
Opfer der publizistischen Ver- wilderung, die ihre Hoffnung auf den deutschen Presserat richten, set- zen freilich auf einen Papiertiger. So kann der Presserat nur „rügen“. So rügte er jüngst die „Bild-Zeitung“ we- gen ihrer Berichterstattung über den Selbstmord eines Arztes – Dachzeile:
„Der schreckliche Krebs-Arzt“. Dazu hatte „Bild“ ein Foto veröffentlicht, das die verbrannte Leiche des Arztes zeigte. Das verstoße gegen die gebo- tene Zurückhaltung bei der Bericht- erstattung über Suizide. Außerdem stelle die Überschrift eine Vorverur- teilung dar.
Das Organ der Selbstkontrolle der Presse erscheint zur Zeit nur noch als Fassade, hinter der erbitterte Schlachten zwischen Verlagen und Verbänden, zwischen Verlegern und Journalisten geschlagen werden.
Journalisten trugen die Parteipolitik in die Arbeit des Presserates hinein;
auf der Verlegerseite zeigte man sich solidarisch mit schwarzen Schafen unter den Verlagen, die derartige Rückendeckung beim besten Willen nicht wert waren.
Nichts ist kennzeichnender für die Machtlosigkeit dieser Institution
als die Tatsache, daß es ohne jede Konsequenzen bleibt, wenn sich bei- spielsweise ein Großkonzern hart- näckig weigert, in einer seiner Gazet- ten eine Rüge zu veröffentlichen, die ihm der Presserat – verdientermaßen nach allgemeiner Ansicht – verpaßt hatte.
Ein Armutszeugnis auch, daß sich der Presserat mehr darüber un- terhält, wie er einen höheren Staats- zuschuß für die laufenden Geschäfte ergattern könnte, als darüber, wie sich eine derartige Kostgängerei eigent- lich mit der inneren Selbstachtung der Presse verträgt.
Dieser Papiertiger wäre schlacht- reif – es sei denn, die Beteiligten raf- fen sich in einer letzten Kraftanstren- gung zur Rettung ihrer berufsständi- schen Ehrengerichtsbarkeit auf, in- dem sie Verbands- und Gewerk- schaftsfunktionäre auf ihre Plätze verweisen und statt dessen unabhän- gige Persönlichkeiten an ihre Stelle wählen, die keineswegs alle aus der gleichen Branche sein müssen. Pres- sefreiheit kann nicht bedeuten, daß alles erlaubt ist. Und wirkungsvolle Selbstkontrolle ist allemal besser als Staatskontrolle. Rolf Combach A-3160 (28) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 47, 21. November 1997
P O L I T I K KOMMENTAR