DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
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as Saarländische Ärzte- Syndikat konnte nicht ahnen, mit welchem Glück es sich für seine 40.Hauptversammlung den Fest- redner schon vor Wochen aus- gesucht hatte: Otto Graf Lambsdorff, der sich allerdings auf „Anmerkungen zur Ge- sundheitsreform" beschränken wollte — nämlich am 16. April, einen Tag nach der „Elefanten- runde" in Bonn, in der die Ko- alitionsspitzen den Entwurf des Gesundheits-Reformgesetzes wieder einmal überarbeitet hat- ten (zum Ergebnis siehe „Aktu- elle Politik" in diesem Heft).
Lambsdorffsche „Anmer- kungen" haben in der letzten Zeit bei den anderen Koalitions- partnern nicht immer eitel Freu- de über seine FDP ausgelöst. In Saarbrücken stichelte er eben- falls gegen die CDU und den Bundesarbeitsminister; anderer- seits versuchte er natürlich, die FDP den Ärzten als diejenige Partei anzudienen, bei der frei- berufliche Interessen noch am besten aufgehoben seien. Etli- che „Entschärfungen" des Re- ferentenentwurfes seien nur der
Strukturreform
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FDP-Anmerkungen
Hartnäckigkeit der FDP zu ver- danken. Einiges mache die FDP auch nur „mit Bauchschmer- zen" mit, wie etwa den Einstieg in die Pflegeversicherung, die nicht originäre Aufgabe einer Krankenversicherung sei. An sich sei aber die Strukturreform einfach notwendig, sagte Graf Lambsdorff, unter anderem schon deswegen, damit die Steu- ererleichterungen für die Ar- beitnehmer nicht durch höhe- re Sozialversicherungsbeiträge wieder aufgezehrt würden.
Wäre Graf Lambsdorff fünf Stunden früher gekommen, so hätte er bei derselben Veran- staltung aus dem Munde des Zweiten Vorsitzenden der Kas- senärztlichen Bundesvereini- gung, Dr. Ulrich Oesingmann, hören können: Eine echte Strukturreform müßte das Überangebot an Ärzten, die Überversorgung im Kranken- hausbereich und die vom Ge-
setzgeber initiierten Leistungs- ausweitungen der gesetzlichen Krankenversicherung anpak- ken. Der vierte Punkt ist die Entwicklung der Altersstruktur, die zu überproportionalen Aus- gabensteigerungen führen muß.
Graf Lambsdorff dagegen:
die Grenzen der Finanzierbar- keit seien erreicht. Im Prinzip sei es zumutbar, daß der Versi- cherte nur die zweckmäßige, ko- stengünstigste Leistung erhält und für Aufwendigeres zuzahlen muß. Selbst in England und Schweden gebe es Selbstbeteili- gungen, und er betrachtete es als großen Erfolg der FDP, daß wenigstens für einen Teil der Arzneimittel ab 1991 eine pro- zentuale Selbstbeteiligung ein- geführt werden soll.
Nach all dem kann man ei- gentlich nur staunen, daß selbst Otto Graf Lambsdorff noch von einer „Strukturreform" spricht.
Er beklagte ausdrücklich, daß es in dem mehr als hundert- jährigen Bestehen der gesetz- lichen Krankenversicherung in Deutschland noch keine wirk- liche Reform gegeben habe. — Nur: Dies wird auch keine. gb
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rogrammentwürfe haben bei den Sozialdemokra- ten zur Zeit Hochkon- junktur. Neuerliches Beispiel:der Entwurf ihrer Kommission
„Sozialpolitik" für ein „Sozial- politisches Programm der SPD" , das der Parteitag im Au- gust beschließen soll. Die SPD- Kommission setzt ganz auf zen- trale Handlungsanleitungen, für die Leistungsträger im Gesund- heitswesen.
Der Entwurf definiert die Gesundheitspolitik als eine „ei- genständige gesellschaftspoliti- sche Aufgabe" , die nicht auf ei- ne Kostendämpfungs- und Krankenversicherungspolitik re- duziert werden dürfe. Die bis- her bedingungslos unterschrie- bene Parole von der „ein- nahmenorientierten Ausgaben- politik" wird jetzt in eine pro- pagandistisch wirkungsvollere
„aufgabenorientierte Einnah-
SPD-Gesundheitspolitik
Fetischismus der Sparplaner
men- und Ausgabenpolitik`
Die Zielrichtung dieser Me- thode: Die SPD plädiert durch- gängig für ein technokratisch zentral gesteuertes Gesund- heitswesen unter Vorgabe poli- tisch sanktionierter Gesund- heitsziele und Orientierungsda- ten. Die Gesundheitsberichter- stattung soll in eine politische Steuerungs- und Bedarfspla- nung umfunktioniert werden.
Die Krankenkassen, Leistungs- erbringer, Länder und Kommu- nen sollen auf regionaler Ebene den Bedarf für die Gesundheits-
leistungen „verbindlich" ermit- teln und planen. Die Zahl der Ärzte, die in Zukunft an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmen dürfen, soll auf den so festgelegten „Bedarf" fixiert werden. Alle Leistungsanbieter sollen unter das Kaudinische Joch von „Leistungs- und Lie- ferberechtigungsverträgen" mit den Krankenkassen gespannt werden.
Von Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Stärkung der Spielräume der gemeinsa- men Selbstverwaltung von Krankenkassen und Leistungs- trägern ist im SPD-Programm, Handschrift Anke Fuchs, keine Rede, dafür um so mehr von fremdbestimmter Planung. In einem solchen System steht die Freiberuflichkeit der Ärzte nur noch auf dem Papier; der Arzt wird vollends zur Schachfigur der Sparplaner. HC
Dt. Ärztebl. 85, Heft 17, 28. April 1988 (1) A-1153