DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
D
er meistzitierte Aus- spruch Horst Seehofers (42), des in Aussicht ge- nommenen Bundesgesundheits- ministers, ist der vom „rigorosen Sparkurs". Nach Seehofers Auf- fassung ist das Gesundheitssy- stem „ausgabengesteuert". Beim Sparen gelte es nun, die Lasten gerecht zwischen Beitragszah- lern und den Gesundheitsdien- sten zu verteilen. Setzt man das Zitate-Puzzle sinnvoll zusam- men, dann ergibt sich, daß ein Gesundheitsminister Seehofer Gesundheitspolitik im Sinne von Norbert Blüm betreiben will.Auch in Sachen Pflegesicherung vertrat Seehofer, der parlamen- tarischer Staatssekretär im Ar- beitsministerium war, schon ein- mal die bekannte Blüm-Auffas- sung: die Pflege sei durch Spa- ren in der Krankenversicherung mitzufinanzieren.
Blüm kann sich somit durch die Ernennung Seehofers im nachhinein bestätigt fühlen. In gewisser Weise wird ihm Genug- tuung dafür getan, daß ihm die Kompetenz für die Krankenver- sicherung bei der Kabinettsbil- dung im Dezember 1990 genom- men und in fremde Hände über- tragen wurde.
G
erda Hasselfeldt (41) hat die ihr übertragene Auf- gabe nicht gepackt. Ihr kurzes Wirken als Gesundheits- ministerin hinterläßt kaum Spu- ren. Ihr fehlte das Konzept; so sie eines hatte, hat sie versäumt, es zu propagieren. Zuletzt schien es so, als wolle sie die ver- unglückte Blümsche Gesund- heitsreform fortführen. Es war nicht allein eigenes Unvermö- gen, was sie scheitern ließ. Frau Hasselfeldt fand einbetonierte politische Prämissen vor: die Struktur der sozialen Kranken- versicherung darf nicht geändert werden, Kostendämpfung steht obenan. Dazu machte ihr das neu zugeschnittene Ministerium zu schaffen. Es war, als sie es übernahm, organisatorisch in ei- nem desolaten Zustand. Ihr ge- lang es auch nicht, sich der Loyalität des Apparates zu versi-Gesundheitsministerium
Vor einem
härteren Kurs
chern. Eine Reihe von Unge- schicklichkeiten, die der in der großen Politik wie im kleinen Bonner Intrigenspiel wenig er- fahrenen Ministerin widerfuh- ren, wird man nicht nur ihr per- sönlich, sondern auch ihrem Hause anzulasten haben. Zum Schluß gab dann eine leidige persönliche Affäre — ihr Ver- trauensmann geriet unter Spio- nageverdacht — den Ausschlag:
Rücktritt aus mehr oder weniger freien Stücken.
Im Zusammenhang mit Hasselfeldts Rücktritt ist häufig die Lobby der Interessenten im Gesundheitswesen angespro- chen worden. Jene Lobby sei stärker als in anderen Bereichen der Politik. Das ist ein Märchen.
Es wurde besonders von Norbert Blüm gepflegt, um damit Mißer- folge seiner Gesundheitsreform zu entschuldigen. Realiter ist die Lobby im Gesundheitswesen nicht einflußreicher oder ein- flußloser als in anderen Politik- bereichen, als etwa die Indu- strieverbände gegenüber dem Wirtschaftsministerium oder gar die Landwirtschaft gegenüber dem Landwirtschaftsministeri- um. Im Gesundheitswesen gibt es nur einen wesentlichen Un- terschied: Interessenpolitik fin- det unter großem öffentlichen Getöse statt, während anderswo Interessen diskreter vertreten und befriedigt werden.
D
ie Wahrheit über die Ma- laise der Gesundheitspo- litik ist nicht im Walten finsterer Interessenten zu su- chen, sondern in der herrschen- den sozialpolitischen Ideologie.Im Gesundheitswesen, speziell der sozialen Krankenversiche- rung, wird alles und jedes gesetz- lich geregelt. Die Selbstverwal- tungen haben wenig Handlungs-
spielraum, die Versicherten so gut wie keine Wahlmöglichkei- ten. Nahezu die gesamte Bevöl- kerung gehört — Folge eines falsch verstandenen Solidarver- ständnisses — der gesetzlich re- glementierten Krankenversiche- rung an. Eine Konkurrenz der Systeme gibt es nur in Randbe- reichen. Der Leistungskatalog ist tabu, lediglich Marginalien dürfen geändert werden. Die meisten Beteiligten — vom Ge- setzgeber über die Träger der Krankenversicherung bis zu den sogenannten Leistungsanbietern
— haben sich mit diesen Gege- benheiten gut arrangiert. Und es scheint auch, daß der Bürger die Rundumversorgung will und ihm wenig daran liegt, in einen freien Markt des Gesundheitswesens entlassen zu werden.
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eil das so ist, wird auch ein neuer Gesundheits- minister, selbst wenn er wollte, wenig ändern können.Bei Horst Seehofer darf man zu- dem bezweifeln, ob er wirklich durchgreifende Reformen will.
Er ist von den Sozialausschüssen der Union geprägt, und die ha- ben seit Hans Katzers Zeiten maßgeblichen Anteil daran, daß die soziale Krankenversicherung so ist, wie sie ist. Wenn Seeho- fer seine „rigorose Sparpolitik"
betreiben will, dann kann das folglich nur mittels weiterer Reglementierungen geschehen.
Selbstbeteiligung etwa, um nur ein reformerisches Stichwort zu erwähnen, liegen nicht auf der bisher erkennbaren Linie See- hofers.
Die schnellen Minister- wechsel der jüngsten Zeit rufen Erinnerungen wach an das En- de der sozialliberalen Koalition.
Auch Parallelen zur Lage im Jahre 1966, vor Beginn der gro- ßen Koalition, lassen sich erken- nen. In der Bonner Gerüchtekü- che kocht es wie in jenen Zeiten.
Horst Seehofer würde zu einem
„Mehr an Zusammenarbeit mit der SPD" passen. Bleibt es bei der Koalition mit der FDP, wird er sich auf Koalitionsstreit ein- stellen müssen. NJ
Dt. Ärztebi. 89, Heft 19, 8. Mai 1992 (1) A1-1673