P O L I T I K LEITARTIKEL
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ie Nerven liegen blank. Das gilt für die EBM-Macher ebenso wie für die EBM-An- wender. Nachdem die Kritik an der neuen Gebührenordnung und ihren Auswirkungen immer massiver wurde, versuchten KBV und und Krankenkassen, mit nachträglichen Änderungen die Punktwerte so weit zu stabilisieren, daß nicht ganze Arzt- gruppen oder eine Vielzahl von Ärz- ten in existentielle Schwierigkeiten geraten. Diese Notlösung sollte ledig- lich bis zum Ende dieses Jahres die- nen und dann durch fachgrup- penspezifische Praxisbudgets abge- löst werden. Allerdings: Die Not- bremse mit Teilbudgets, Höchst- punktzahlen und Abrechnungsaus- schlüssen scheint selbst aus Sicht des KBV-Vorstandes zu scharf angezogen worden zu sein, denn ein Teil der Änderungen soll wieder rückgängig gemacht werden.Konkret soll mit den Kassen über die Aufhebung der Abrechnungsaus- schlüsse neben der Ordinationsge- bühr (Nr. 1) verhandelt werden. Be- zweckt war mit dieser Regelung eine
„Schutzfunktion“ für die Kassenärz- te, heißt es in einer Erklärung des KBV-Vorstandes. Inzwischen wiegen aber die „Bedenken gegen die Be- grenzung der Abrechnungsfähigkeit erbrachter Beratungs- und Untersu- chungsleistungen neben der Nummer 1“ stärker. Wenn die Kassen zustim- men, soll die Nebeneinanderberech- nung solcher Leistungen ab dem 1. Ju- li dieses Jahres wieder möglich sein.
Auch die rückwirkend eingeführ- te Teilbudgetierung bestimmter Lei- stungen soll, so der KBV-Vorstand, nicht mehr ausnahmslos greifen. Hier gibt es das Problem der Praxen mit Versorgungsschwerpunkten, die mit Teilbudgets nicht zurechtkommen können. Deshalb sollen die Kas- senärztlichen Vereinigungen zur Si- cherstellung der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt werden, auf Antrag eines Arztes im Einverneh- men mit den Krankenkassenverbän- den „im Einzelfall Ausnahmen von der Teilbudgetierung“ zuzulassen, so- weit entsprechende Versorgungs- schwerpunkte nachgewiesen werden:
Ausnahmen bei Praxisschwerpunkten l Gesprächsleistungen – nur für die Nummer 851;
l Verbände, Injektionen, Punk- tionen, Anästhesien zur Schmerz- therapie;
l Kardiologie, Pneumologie, Röntgen-Diagnostik innerer Organe;
l HNO-Heilkunde, Phoniatrie, Pädaudiologie, Röntgen-Diagnostik Nasennebenhöhlen und Schädelteile.
Wenn diese Änderungen im Be- wertungsausschuß mit den Kassen verhandelt werden, wird der Berliner KV-Vorsitzende Dr. Roderich Nehls nicht mehr mit am Tisch sitzen. Nehls legte Anfang Juli sein Mandat im Be- wertungsausschuß nieder. In einer öf- fentlich verbreiteten Erklärung ver-
weist er auf das „imperative Mandat“, das ihn im Bewertungsausschuß an die KBV-Vorstandsbeschlüsse binde. Pro- blematisch würde eine solche Bindung dann, wenn sich die Vorlage im Be- wertungsausschuß nicht mit vorange- gangenen Diskussionen und Beschlüs- sen im KBV-Vorstand decke. Nehls, der zwar Sitz und Stimme im Bewer- tungsausschuß hatte, aber nicht Mit- glied im vorgeschalteten Arbeitsaus- schuß war, sieht „im Niederlegen ei- nes solchen widersprüchlichen Man- dats den einzigen Weg aus diesem Zielkonflikt“.
Angesichts der erneuten Turbu- lenzen um die EBM-Reform erklärte der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung „die Weiterent- wicklung der EBM-Reform zur Chef- sache“. Der KBV-Vorsitzende, Dr.
Winfried Schorre, übernehme die Verantwortung für die sachgerechte Durchführung dieser Reform. „Die dafür zuständigen Ausschüsse“, heißt es weiter, „werden durch weitere Vor- standsmitglieder verstärkt.“ Gemeint sind damit der Zweite Vorsitzende der KBV, Dr. Peter Schwoerer, und sein Vorstandskollege, der nord-würt- tembergische KV-Vorsitzende, Dr.
Wolfgang Mohr. Zugleich bekräftigte der Vorstand seinen Beschluß, zum 1. Januar 1997 arztgruppenspezifi- sche, fallzahlabhängige Praxisbudgets einzuführen. Diese sollen die Teilbud- gets ablösen, die nur als Übergangsre- gelung zur Stützung des Punktwertes für 1996 akzeptiert werden. Bei der Ermittlung der Praxisbudgets will sich A-1937 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 30, 26. Juli 1996 (13)
EBM-Reform
KBV-Vorstand will einige Änderungen revidieren
Die Auseinandersetzungen um die EBM-Reform spitzen sich zu. Mit immer schneller aufeinanderfolgenden Interventionen versucht der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung (KBV), eine tragfähige „Notlösung“ bis zum Ende des Jahres zu schaffen. So soll ein Teil der eben erst beschlossenen Änderungen am EBM wieder rückgängig gemacht werden –
vorausgesetzt, die Krankenkassen stimmen zu. Das Krisenma- nagement hat bereits zu personellen Konsequenzen geführt:
KBV-Vorstandsmitglied Dr. Roderich Nehls legte sein Mandat
im Bewertungsausschuß nieder. Anfang September soll die
Vertreterversammlung der KBV in einer außerordentlichen
Sitzung über die weiteren Reformschritte informiert werden.
der KBV-Vorstand externer Hilfe be- dienen. So soll von einer namhaften Gesellschaft ein umfassendes Gut- achten über die betriebswirtschaftli- chen Grundlagen des neuen Honorar- systems eingeholt werden. Außerdem will die KBV die ärztlichen Berufs- verbände an der Ermittlung der Pra- xiskosten beteiligen.
Wenige Tage nach den KBV-Vor- standsbeschlüssen signalisierte die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufs- verbände (GFB) ihre Bereitschaft,
„sich weiterhin für sachkundige Bera- tungen zur Verfügung zu halten“.
GFB-Präsident Dr. Georg Holfelder sparte indessen nicht mit Kritik am bisherigen Verfahren: „Seit Januar dieses Jahres sind wir Ärzte von die- ser Gebührenordnung gebeutelt. Es gibt so viele Änderungen, daß wir nicht mehr wissen, wo wir dran sind.
Die Umverteilung der Honorare ist für uns nicht mehr nachvollziehbar.“
Fachärzte für stärkere Differenzierung
Sowohl Holfelder als auch Profes- sor Dr. Wolfgang Wildmeister, Präsi- dent des Berufsverbandes Deutscher Internisten, bezweifeln jedoch, daß auf ganze Arztgruppen bezogene Praxis- budgets die Lösung sein können. Bei- de halten dies für zu holzschnittartig, um den besonderen Gegebenheiten der einzelnen Facharztpraxis gerecht werden zu können. Ihre Forderung lautet: weitgehend ausdifferenzierte Praxisbudgets auch innerhalb der ver- schiedenen Fachgruppen.
Der Berufsverband der Allge- meinärzte Deutschlands (BDA) sieht für seine Mitglieder noch eine andere Notwendigkeit: Er fordert von der KBV erneut die Bildung eines eigen- ständigen Gesamtvergütungsanteils für die hausärztliche Versorgung. Oh- ne eine solche Trennung liefen – wie die jüngsten Entwicklungen gezeigt hätten – alle Bemühungen um eine bessere Vergütung der hausärztlichen Leistungen ins Leere. Am 7. Septem- ber soll schließlich die KBV-Vertre- terversammlung in einer außeror- dentlichen Sitzung über die Weiter- entwicklung des EBM – speziell zur Bildung der Praxisbudgets – infor- miert werden. Josef Maus A-1938
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(14) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 30, 26. Juli 1996
In den Streit der Arbeitsgemein- schaft der Spitzenverbände der gesetz- lichen Krankenkassen und der Deut- schen Krankenhausgesellschaft e.V.
sowie des Verbandes der Kranken- hausdirektoren Deutschlands e.V. hat sich auch die Fachabteilung 2 „Ge- sundheitsversorgung, Krankenversi- cherung“ des Bundesgesundheitsmini- steriums eingeschaltet. Wie Ministeri- aldirektor Dr. jur. Manfred Zipperer mitteilte, müßten sich die Abschlußra- ten bei der jüngsten Tarifrunde im öf- fentlichen Dienst „bei der Umsetzung des Stabilisierungsgesetzes 1996 in vollem Umfang zugunsten der Kran- kenhäuser auswirken“. Dem stünde die formale Behandlung als Einmal- zahlung in der Tarifvereinbarung nicht entgegen. Zwar knüpfe § 1, Abs. 1 des Stabilisierungsgesetzes an die lineare BAT-Steigerung in der am stärksten besetzten Personalgruppe der Kran- kenhäuser an. Damit wollte der Ge- setzgeber jedoch nur ausschließen, daß zusätzlich zu einer linearen Steige- rungsrate auch strukturelle Kompo- nenten pflegesatzwirksam werden. Da die Tarifvertragsparteien den linearen Effekt in einer Protokollnotiz ausge- wiesen hätten, werde die Berücksichti-
gung der Steigerungsraten von 0,855 Prozent (West) beziehungsweise 1,106 Prozent (Ost) der Zielset- zung des Stabilisierungs- gesetzes gerecht. Entspre- chend müßten die Pflegesatzvereinba- rungen angepaßt und abgeschlossen werden.
Auch die Bundesärztekammer teilt diese Rechtsauslegung. Der Ge- setzgeber habe lediglich verhindern wollen, daß bei der Umsetzung des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst in den Pflegesatzverhandlun- gen und bei der Budgetrealisierung im Jahr 1996 neben einer linearen Vergü- tungserhöhung auch noch zusätzlich Sockelbeträge oder Einmalzahlungen berücksichtigt werden. Dagegen ha- ben die Krankenkassen den Kosten- trägern auf Landes- und Ortsebene empfohlen, maximal eine „Nullrunde“
bei den Krankenhausbudgets „zu fah- ren“. Sie weigern sich, die Einmalzah- lung von 300 DM in 1996 umgerechnet als lineare Tariflohnanhebung und da- her als pflegesatzfähig anzuerkennen.
Würde die Protokollnotiz der Tarifpar- teien in den Budgets umgesetzt, müß- ten die Krankenkassen zusätzlich 750 Millionen DM „bedienen“ (+ 0,85 Pro- zent der Klinikbudgets). Andererseits schreibt das Beitragsentlastungsgesetz vor, daß ab 1997 die Klinikbudgets um jeweils ein Prozent (800 Millionen
DM) zu kürzen sind. HC
Die vollmundig angekündigte dritte Stufe zur Gesundheitsstruktur- reform ist nach dem Patt im Vermitt- lungsausschuß endgültig gescheitert;
sie wird – mit den „parlamentarischen Insignien“ – voraussichtlich am 29.
August in Bonn beerdigt, wie Bundes- gesundheitsminister Horst Seehofer am 27. Juni auf dem Bonner Peters- berg verkündete. Ein besonderes Thema ist aber unverändert der Streit um die Entgeltfortzahlung im Krank- heitsfall. Hier gab es vor allen Dingen Widerstand aus der SPD und aus Ge- werkschaftskreisen.
So paradox es auch klingen mag, den Krankenstandsre- kord halten ausgerechnet das Bundesgesundheitsministeri- um und seine ihm untergeord- neten Behörden und Institute.
Durchschnittlich 10,5 Tage pro Jahr sind die Beamten im einfachen Dienst, 17,06 Tage die Angestellten und 28,05 Tage die Lohnempfänger krank. Im Seehofer-Ministerium da- gegen feiern die Mitarbeiter im einfa- chen Dienst überdurchschnittliche 36 Tage krank.
Und: Im Deutschen Institut für medizinische Dokumentation (DIM- DI) in Köln, dem Bundesgesundheits- ministerium „nachgeordnet“, fehlen, bedingt wohl durch besondere Um- stände, Beamte im gehobenen Dienst sogar satte 92 Tage . . . rco