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Archiv "Interview mit Dr. med. Mihaly Kökeny" (21.01.2005)

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lungen. Deren Höhe ist abhängig von der Gegend, in der der Arzt praktiziert.

„In einer Hochhaussiedlung bringen die Patienten meistens Naturalien mit, in einer Häusersiedlung zahlen sie bar hinzu“, weiß Pávics von niedergelasse- nen Kollegen.

Angestellte Ärzte an Polikliniken oder in Krankenhäusern werden eben- falls je nach Weiterbildung und Be- rufserfahrung bezahlt. Hinzu kommen meist noch Zuschläge von den Kran- kenhäusern. Diese richten sich danach, ob in einem bestimmten Fach Ärzte- mangel herrscht und welche Verant- wortung der jeweilige Arzt trägt. „Eine Ärztin im dritten Jahr der Facharztwei- terbildung verdient etwa 600 Euro brut- to, ein Assistenzarzt meist 200 Euro mehr“, erzählt Pávics. Das Problem dar- an sei, dass eine medizinisch-techni- sche Angestellte nur circa 200 Euro we- niger Gehalt bekomme als ein Arzt in seinen ersten Berufsjahren. Lediglich Ärzte wie Pávics und Benedek, die schon jahrzehntelang an der Univer- sität arbeiteten und den Rang eines Professors erlangt haben, verdienen et- was mehr. Als Universitätsprofessor für Nuklearmedizin erhält Pávics monat- lich etwa 2 000 Euro brutto, hinzu kom- men Nebenverdienste zwischen 500 und 1 000 Euro durch Vorträge, Publikatio- nen und Privatbehandlungen.

Um ihr Gehalt aufzubessern, arbei- ten manche Ärzte regelmäßig für einige Wochen in Deutschland oder anderen westeuropäischen Ländern. Von dem Geld, das sie dort verdienen, können sie in Ungarn wochenlang sehr gut le- ben. Trotzdem stünden viele Ungarn ei- ner vollständigen Auswanderung gen Westen kritisch gegenüber, meint Pávics.

Schließlich fühle man sich in einem fremden Land oft nicht so angenommen wie in dem eigenen. Pávics und Benedek sind Ausnahmen – beide verbrachten mehrere Monate als Stipendiaten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Deutschland. Trotz ihrer Begeisterung für die Gesundheitssysteme anderer Länder hält sich ihre Begeisterung über den Beitritt der osteuropäischen Staa- ten zur Europäischen Union (EU) in Grenzen. „Wir können uns nichts ande- res leisten, als Mitglied der EU zu sein“, sagt Benedek. „Wir sind schließlich nicht die Schweiz.“ Martina Merten

T H E M E N D E R Z E I T

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A114 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 3⏐⏐21. Januar 2005

DÄ:Herr Kökeny, Sie sind im Okto- ber 2004 von Ihrem Posten als ungari- scher Gesundheitsminister zurückgetre- ten. Welche Gründe gab es?

Kökeny: Die alte Regierung unter Mini- sterpräsident Péter Medgyessy musste aufgrund einer Regierungskrise abdan- ken. An der neuen Regierung unter Mi- nisterpräsident Ferenc Gyurcsàny bin ich leider nicht beteiligt worden. Wäh- rend der Dauer der letzten Regierung haben wir eine Gesundheitsreform vor- bereitet, mit der viele nicht einverstan- den waren. Unser Reformprogramm war eine Mischung aus dem amerikani- schen „managed care“- und dem engli- schen „fund holding“-System. Im Rah- men dieses Reformpro-

gramms wären die Ärzte dazu gezwungen worden, Patienten tatsächlich die Dienstleistungen zu bie- ten, die notwendig sind.

Dies war nicht unumstrit- ten, aber ich bin der Mei- nung, dass dieser Schritt in die richtige Richtung ge-

führt hätte. Es kam außerdem zu Aus- einandersetzungen darüber, wie man die Managed-Care-Systeme privatisie- ren könnte. Dabei prallten die Vorschlä- ge der neuen Regierung und die der al- ten aufeinander. Ich nehme an, dass kein Programm fortgesetzt werden sollte, was mit meinem Namen verbunden ist.

DÄ:Sehen Sie in Ihrer jetzigen Situa- tion Parallelen zu Ihrer Vorgängerin Ju- dith Csehak, die aufgeben musste, weil die Umsetzung ihrer Reformziele durch Budgetkürzungen nicht mehr realistisch schien?

Kökeny: Es gibt Parallelen zu meiner Vorgängerin – ursprünglich haben wir gemeinsam diesen Reformprozess ge- plant, und trotz gegenteiliger Vermu- tungen gibt es auch mit der Gesund- heitspolitik der Rechtsregierung ge- meinsame Schnittpunkte. Das (jetzi-

ge) zehnjährige Volksgesundheitspro- gramm ist von der Rechtsregierung aus- gearbeitet worden, aber letztlich haben wir es vor das Parlament gebracht. So- wohl für meine Vorgängerin als auch für meinen jetzigen Nachfolger war und ist es eine Priorität, die schnelle gesund- heitliche Vorsorge, sprich die Ambulan- zen und die Notarztsysteme, effektiver zu gestalten.

DÄ:Worin liegen die Schwächen des ungarischen Gesundheitssystems?

Kökeny: Als Politiker muss ich zunächst einmal die Stärken herausstellen: Das Gesundheitssystem in Ungarn ist in Ordnung, Epidemien oder Infektions- krankheiten, die sich sehr schnell verbreiten wür- den, kommen in Ungarn nur sehr selten vor. Eine der größten Stärken des gesamten Systems ist zu- dem die Erreichbarkeit ärztlicher Dienstleistun- gen. Es gibt ein hervorra- gend ausgebautes Haus- arztsystem, die Wartezeiten sind im Rah- men des Erträglichen, und die Bevölke- rung hat einen sehr schnellen Zugang zu ärztlichen Dienstleistungen.

DÄ:Was heißt schnell?

Kökeny:Wenn der Hausarzt jemand für komplizierte Operationen in ein Kran- kenhaus einweist, muss der Patient in der Regel nirgendwo länger als ein paar Wochen warten.

Unser Problem ist jedoch, dass wir ein sehr krankenhauszentralistisches Sy- stem haben, dessen Struktur nicht mehr den Bedürfnissen der Bevölkerung ent- spricht. Der größte Teil der Bevölkerung besteht aus älteren Leuten, und die wol- len Rehabilitationsmöglichkeiten oder institutionelle Pflege. Auf diesen Gebie- ten hapert es noch ein bisschen. Die Ärz- te wollen, dass die Leute im Kranken- haus behandelt werden, weil sie daran

„Die Struktur des Gesundheitssystems entspricht nicht mehr den

Bedürfnissen der Bevölkerung.“

I N T E R V I E W

Dr. med. Mihaly Kökeny am Rande einer Veranstaltung der Passauer Verlagsgruppe über

„Gesundheitspolitik im vereinten Europa“ in Freiburg

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T H E M E N D E R Z E I T

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A116 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 3⏐⏐21. Januar 2005

mehr verdienen. Außerhalb der Kran- kenhäuser ist leider nur wenig möglich.

Hinzu kommt, dass die Ärzte durch die- ses System daran gewöhnt sind, ihre „Ta- schengelder“ von den Patienten zu be- kommen. Zu dieser Vorgehensweise ist man bereits in den Fünfzigerjahren übergegangen, weil damals die Gehälter sehr niedrig waren. Diese Last schleppt das System noch heute mit sich herum.

Manche messen diesem Punkt allerdings zu große Bedeutung bei, dabei gibt es von Krankenhaus zu Krankenhaus sehr große Unterschiede. Aber das kann nicht so weitergehen.

DÄ: Stimmen die Korruptionsvor- würfe, die an die Adresse der Selbstver- waltungsgremien der nationalen Kran- kenversicherung gerichtet werden?

Kökeny: Innerhalb des Ministeriums beziehungsweise innerhalb der Ge- sundheitskasse habe ich Korruption ei- gentlich nicht erlebt. Dagegen kam es häufiger vor, dass zum Beispiel Phar- mafirmen sich aus der Gesundheits- kasse des Ministeriums auf illegale Weise bestimmte Daten besorgt haben und im Besitz dieser Daten bestimmte Medikamente bevorzugt verschreiben ließen.

Wichtig ist, dass wir das ganze System transparent machen und die Patienten wagen zu fragen, was mit ihnen passiert.

Sie sollten nicht einfach daliegen und al- les über sich ergehen lassen, sondern wir müssen ihr Bewusstsein stärken, damit sie stärker nachfragen lernen, was ei- gentlich in diesem System passiert, und lernen, dass sie für die Inanspruchnah- me ganz normaler Dienstleistungen kein Geld geben müssen. Eine Verände- rung in den Köpfen der Ärzte kann nur dann gelingen, wenn man ihre Gehälter erhöht. Das haben wir auch vor zwei Jahren getan: um 50 Prozent.

DÄ:Von welchem Geld?

Kökeny: Wir haben die Gehaltser- höhung aus dem Staatshaushalt finan- ziert. Den Ärztemangel konnten wir da- durch zwar nicht lösen, aber es kamen die Personen, die zuvor bei verschiede- nen Einzelhandelsunternehmen gear- beitet hatten, in die Krankenhäuser zurück. Die Durchschnittsverdienste der Fachärzte, die Überstunden und Not- dienste machen, bewegen sich nun zwi-

schen 900 und 1 000 Euro brutto, und damit rangieren wir unter den neuen Beitrittsländern in der oberen Region.

DÄ:Welche weiteren Reformschritte haben Sie versucht umzusetzen?

Kökeny: Wir haben versucht, die Not- arztversorgung so auszubauen, dass nur noch in einem und nicht mehr an ver- schiedenen Krankenhäusern Ressour- cen konzentriert werden. Darüber hin- aus wollten wir die Geldvergabestruk- tur der Kassen an die Krankenhäuser

verändern: Regionen, in denen sich Krankenhäuser spezialisiert haben, sollten verstärkt unterstützt werden, Geld von nicht spezialisierten Häusern dagegen abgezogen werden.

Zudem gibt es bei uns auch Überle- gungen, ein Pflegeversicherungssystem wie in Deutschland einzuführen, jedoch nicht auf sozialversicherungsrechtli- cher, sondern auf Kapitalbasis. In Un- garn wird viel darüber diskutiert, wie man privates Kapital in das Gesund- heitssystem integriert. Dass man es in- tegrieren muss, steht außer Frage. Die Besserverdienenden haben sich mit den Ultrarechten zusammengetan und er- reicht, dass im Dezember 2004 das ge- samte Volk darüber abstimmen wird*.

Ohne privates Kapital könnten wir in Ungarn beispielsweise keine Dialyse- station einrichten oder keine CTs ma- chen. Wir machen all diese Dinge mit Geldern von Privatinvestoren, und das funktioniert auch sehr gut.

DÄ:Um welche Investoren handelt es sich dabei?

Kökeny: Privatinvestoren aus dem Ge- sundheitsbereich, aber auch internatio- nale Investoren und ungarische Firmen.

Es entstehen so genannte PPP(Public Private Partnership)-Modelle. Wir ge- ben den Investoren die Möglichkeit, im Rahmen des Gesundheitssystems mo- derne Instrumente einzubringen, mit ihnen zu arbeiten, und dafür werden sie aus dem Gesundheitsetat finanziert.

Für die Reform des Systems ist es außerdem wichtig, dass wir für alle Mit- arbeiter im Gesundheitswesen eine Le- benswegplanung vorgeben, damit sie sich in diesem System zurechtfinden und damit das brain drain – das Abwan- dern von jungen Ärzten – in den Westen nicht mehr stattfindet. Es ist schon jetzt spürbar, dass junge Leute wegwollen.

Von allen im Gesundheitswesen be- schäftigten Ärzten hat sich in den letz- ten Monaten ein Prozent der Ärzte bereit erklärt, innerhalb der Europäi- schen Union ins Ausland zu wechseln.

Das ist zwar keine große Gefahr, aber ein Zeichen dafür, worauf wir achten sollten. DÄ-Interview: Martina Merten

* Aufgrund der geringen Wahlbeteiligung von 37 Prozent scheiterte das Volksbegehren vom 5. Dezember. Auf die Frage „Sind Sie gegen die Privatisierung von Kranken- häusern?“ antworteten 65 Prozent mit Ja.

Dr. med. Mihaly Kökeny

> 1951 geboren

> 1979: Facharzt für Innere Medizin

> 1981: Facharzt Kardiologie

> 1979 bis 1986: zunächst Referent, dann Abteilungsleiter im Gesundheitsministe- rium

> 1986 bis 1988: Ministerialbüro, verant- wortlich für das Gesundheitsprogramm

> 1988 bis 1990: stellvertretender Gesund- heitsminister

> seit 1991: Mitglied der Ungarischen So- zialistischen Partei (MSZP)

> 1990 bis 1994: Chefarzt am Landesinsti- tut für Kardiologie

> seit 1994: Abgeordneter der MSZP im Parlament

> 1994 bis 1996: Parlamentarischer Staats- sekretär im Gesundheitsministerium

> 1996 bis 1998: Gesundheitsminister

> 1998 bis 2002: Obmann des Gesund- heitsausschusses im Parlament

> 2002 bis September 2003: Parlamentari- scher Staatssekretär

> 16.September 2003 bis Oktober 2004:

Gesundheitsminister

> seit Oktober 2004: weiterhin parlamen- tarischer Abgeordneter; Nachfolger von Kökeny: Dr. Jeno Rács (MSZP)

Foto:Passauer Verlagsgruppe

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