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Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Hendrik Lehnert, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) „Die Therapien sollten den Lebensphasen angepasst sein“" (06.05.2011)

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A 1004 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 18

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6. Mai 2011

„Die Therapien sollten den

Lebensphasen angepasst sein“

Die differenzierte Berücksichtigung der Lebensperioden wird für den Internisten eine immer wichtigere Aufgabe und war Thema beim Internistenkongress in Wiesbaden.

Kongresspräsident Hendrik Lehnert erläutert die Perspektiven des Fachgebiets.

Erstmals gab es beim Internistenkon- gress nicht nur Hauptthemen, sondern ein übergeordnetes Leitthema: Lebens- phasen. Welche Botschaft soll diese Veränderung des Kongresskonzeptes vermitteln?

Lehnert: Das Lebensphasen-Kon- zept ist grundlegend für das Ver- ständnis der Pathophysiologie von internistischen Erkrankungen. Bei der Prävention und Behandlung von chronischen Krankheiten sollte das Konzept der Lebensphasen stärker in den Fokus rücken.

Was bedeutet dies konkret?

Lehnert: Die Berücksichti- gung der verschiedenen Le- bensphasen spielt bei der Behandlung des Patienten in der Inneren Medizin eine sehr wichtige Rolle. Die Grundlagen für viele chro- nische Erkrankungen im Er- wachsenenalter werden früh in der Entwicklung gelegt, teilweise in der Pränatal- phase. Ein Stichwort ist die sogenannte fetale Pro - grammierung. Beispielswei- se kann die Fehlernährung einer schwangeren Frau dazu füh- ren, dass der Fetus zum Risikophä- notyp für Adipositas und Insulin - resistenz biologisch programmiert wird. Über alle Lebensphasen hin- weg wird unsere Erbsubstanz als Folge von biografischen Ereignis- sen und Umweltfaktoren modifi- ziert. Dieses Wissen hat große Be- deutung für die Beratung des Pa-

tienten durch den Internisten. Auch bei der Etablierung präventiver Maßnahmen fließt diese Erkenntnis ein. Handlungsstrategien sollten den Lebensphasen angepasst sein. Und um dieses Ziel zu erreichen, müs- sen wir Strukturen optimieren.

Können Sie ein Beispiel für eine Anpassung der Therapie nennen?

Lehnert: Übergewicht beim jungen Erwachsenen zum Beispiel ist unter dem Aspekt der Prävention chro - nischer Erkrankungen strenger zu kontrollieren als im höheren

Lebensalter. Das Ziel für Menschen, die nach dem 70. bis 75. Lebensjahr übergewich- tig sind oder werden, ist die Ge- wichtsstabilität zur Senkung des Mortalitätsrisikos. Für die Thera- pien im höheren Lebensalter gibt es allerdings zu wenig evidenzbasierte Leitlinien. Dieser Aufgabe müssen wir uns in Zukunft stellen.

Welche strukturellen Verbesserungen wären notwendig, damit bei der ärztli- chen Versorgung Lebensphasen stärker berücksichtigt werden?

Lehnert: Zu den Strukturverbesse- rungen gehören vor allem eine ver- besserte Versorgung von Patienten am Übergang von einer Lebenspha- se in die andere, also vom Jugend- ins Erwachsenenalter und von dieser Phase in die Seneszenz. Diese Über- gänge nennen wir Transition. Die medizinische Bedeutung solcher Transitionen ist spezifisch für die

verschiedenen Erkran- kungen. Für den Über- gang von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin sollten Transitionssprech- stunden etabliert werden, in denen der Pädiater und der Internist mit dem Pa- tienten den bisherigen Ver- lauf und die weitere Be- handlung besprechen. An einigen großen Universi- tätskliniken gibt es solche Transitionssprechstunden, aber längst nicht an allen.

Wären Transitionssprech- stunden auch im ambulan- ten Bereich sinnvoll?

Lehnert: Unbedingt. Die Förderini- tiative „Versorgungsforschung“ der Bundesärztekammer greift ja derzeit dezidiert das Problem Transitions- medizin und damit den Übergang vom ehemals pädiatrischen zum in- ternistischen Patienten im ambulan- ten Bereich auf. Zu dieser Frage

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Hendrik Lehnert, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)

Prof. Dr. med. Hendrik Lehnert (57) hat Psychologie und Medizin stu- diert und sich nach der Facharzt- ausbildung zum Internisten auf En- dokrinologie und Stoffwechseler- krankungen spezialisiert. Seit 2007 ist er Direktor der 1. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck.

ZUR PERSON

Foto: privat

M E D I Z I N R E P O R T

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Jg. 108

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Heft 18

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6. Mai 2011 muss auch ein enger Kontakt mit den

Krankenkassen aufgebaut werden.

Übergewicht und Adipositas waren weitere Schwerpunkte. Warum?

Lehnert: Wir müssen die Kompli- kationen der Adipositas und damit die Bedeutung der Prävention we- sentlich mehr in den Vordergrund rücken als bisher, auch in der Ärzte- schaft. Starkes Übergewicht und Adipositas sind nicht nur Risiko - faktoren für Diabetes und vaskuläre Erkrankungen, sondern auch für zahlreiche Malignome. Die- ser Zusammenhang wird noch zu wenig berücksichtigt.

Durch eine Gewichts reduk - tion von zehn Kilogramm kann sich das Risiko, an ei- nem Mamma-, Endometri- um- oder kolorektalen Karzinom zu erkranken, um bis zu 40 Prozent re- duzieren. Bei bestehender Krebs - erkrankung senkt Übergewicht die Heilungschancen durch Therapie.

Jeder zweite Erwachsene ist überge- wichtig und jeder sechste adipös. Ist wirksame Prävention eine Utopie?

Lehnert: Sie ist natürlich vor allem eine gesamtgesellschaftliche Auf- gabe und bedarf systemischer Stra- tegien, denn Adipositas hat eine hochrelevante sozioökonomische Komponente. Sie ist aber nicht nur selbstverschuldet. Eine zentrale Fehl - steuerung des Essverhaltens und eine bestimmte genetische Aus - stattung können für Adipositas dis- ponieren. Individuelle Polymorphis- men spielen eine Rolle. Eine Her - ausforderung für den Arzt ist, The- rapieentscheidungen entsprechend den aktuellen Erkenntnissen weiter zu individualisieren, also abzuwä- gen, ob diätetische Maßnahmen im Vordergrund stehen sollten, Bewe- gungsprogramme oder medikamen- töse Therapien, und diese Optionen gut zu kombinieren.

Die personalisierte Therapie speziell in der Onkologie war ein weiterer The- menschwerpunkt. Das Verhältnis des poten ziellen Nutzens und der Kosten wird, im Gegensatz zur anfänglichen Euphorie, heute kritischer gesehen.

Lehnert: Der wissenschaftliche Gedanke hinter der personalisier-

ten Therapie ist extrem wichtig, und er sollte beim Kongress ver- tieft werden. Wir beginnen zu ver- stehen, warum Medikamente bei bestimmten Tumoren und deren Subgruppen wirken oder nicht.

Große Fortschritte gibt es bei- spielsweise beim Kolonkarzinom, gastrointestinalen Stromatumoren und hämatologischen Neoplasien wie dem multiplen Myelom, wo ei- ne bislang kaum differenzierte Therapie mit Hilfe von Biomar- kern zielgerichteter wird. Dies ist

sowohl für onkologisch tätige In- ternisten als auch für Hausärzte mit Krebspatienten in der Nachsorge von großer Bedeutung.

Je individualisierter medikamentöse Therapien werden sollen, desto kleiner würden die Patientenzahlen. Eine aus- geprägte Spezifizierung erschwert, vor allem in der Frühphase, die Bewertung des medizinischen Nutzens und die Festsetzung von Höchstbeträgen.

Lehnert: Gerade auf dem Gebiet der Onkologie kommen in der Tat immense Kosten auf uns zu. Wir werden kritisch diskutieren müssen, welche Kosten für wenige Monate Lebensverlängerung adäquat sind.

Auf längere Sicht aber erwarten wir von der personalisierten Medizin einen dramatischen Fortschritt, weil sich mit zunehmender Erkenntnis die Gruppe von Patienten, die für die differenzierten Therapien infra- ge kommen, erweitern werden.

Der Nationale Krebsplan ist ins Stocken geraten, weil sich ein Teil der versor- genden Zentren gegen flächendecken- de Krebsregister wehrt. Gibt es dazu eine Haltung der DGIM?

Lehnert: Mit dieser Frage be- schäftigen sich vor allem die onko- logischen Fachgesellschaften und die Deutsche Krebsgesellschaft.

Meine persönliche Meinung: Wir kommen ohne solche Register nicht aus. Wenn wir die Behand- lung verbessern möchten, brauchen

wir genaue Daten über Inzidenzen, über das progressionsfreie und das Gesamtüberleben, damit wir wis- sen, ob die Maßnahmen greifen.

Ich unterstütze auch den Aufruf der Deutschen Krebsgesellschaft, die zur deutschlandweiten Etablierung des Krebsregisters nach einheitli- chem Standard gemäß Nationalem Krebsplan die Verabschiedung ent- sprechender Datenschutzrichtlini- en und die Bereitstellung finanziel- ler Ressourcen für die Qualitätssi- cherung fordert.

Für niedergelassene Internis- ten haben Disease-Manage- ment-Programme bei der Ver- sorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen große Bedeutung. Die Effekti- vität der Programme wird im- mer wieder bezweifelt. Wie sehen Sie die Perspektiven?

Lehnert: Grundsätzlich sehe ich Vorteile in den Programmen. Aber wir haben Probleme an den Schnitt- stellen: Welche Patienten sollen auf- genommen werden, wann sollen wir mit welchen Maßnahmen beginnen?

Aber die vorgesehenen Maßnahmen spiegeln nicht das Arsenal der the - rapeutischen Möglichkeiten wider.

Auch sind die Disease-Management- Programme nicht immer optimal den Leitlinien angepasst.

Der Internistenkongress dient immer auch der Standortbestimmung des Fachgebiets. Was ist Ihnen wichtig?

Lehnert: Die Schwerpunkte der Inneren Medizin haben extrem viele Schnittmengen und Gemein- samkeiten miteinander. Aber die Innere Medizin ist eben mehr als nur die Summe dieser Schwer- punkte. Dennoch wird es künftig den Generalisten in der In neren Medizin mit einem umfas senden Anspruch nicht mehr geben kön- nen – entscheidend ist eine „grenz- überschreitende“ und sachorientier- te Kommunikation zwischen den Schwerpunkten. Es ist unsere große Aufgabe für die Zukunft, den Nach- wuchs für das Fach zu begeistern und dafür zu sorgen, dass die Kern- bereiche ärztlicher Tätigkeit ge-

stärkt werden. ■

Interview:

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

Den Generalisten in der Inneren Medizin mit einem umfassenden Anspruch

wird es nicht mehr geben können.

M E D I Z I N R E P O R T

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