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Archiv "Aspirin zur Prävention der koronaren Herzkrankheit: Kann die Primärprophylaxe allgemein empfohlen werden?" (27.06.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aspirin zur Prävention

der koronaren Herzkrankheit

Kann die

Primärprophylaxe allgemein

empfohlen werden?

Matthias Manz und Berndt Lüderitz

D

er vorläufige Bericht der „Physi- cians Health Study" (PHS) sowie die Ergebnisse einer britischen Untersuchung zur Wirksamkeit von Aspirin in der Primärprophy- laxe der koronaren Herzkrankheit wurden kürz- lich veröffentlicht (1, 4). Der Studienabbruch aus ethischen Gründen bei überzeugender Wirk- samkeit von Aspirin in der amerikanischen Stu- die, die nahezu gleichzeitige Präsentation der Studiendaten sowie die Verbreitung über die Nachrichtenagentur Reuter haben in der Fach- und Publikumspresse für ein breites Echo ge- sorgt ( „Herzens-Geschäfte" , Die Zeit; „Herz- infarkt-Prävention durch Aspirin nicht bestä- tigt", Die Neue Ärztliche; „Harvard belegt: As- pirin schützt vor Herzinfarkt", Die Welt; „Stu- dy says Aspirin cuts heart attacks", Herald Tri- bune; „What you should know about heart at- tacks" , Newsweek).

In beiden Untersuchungen wurde die Mög- lichkeit der medikamentösen Primärprophylaxe der koronaren Herzkrankheit mittels niedrig do- sierter Acetylsalicylsäure getestet. Während die PHS-Studie eine deutliche, statistisch signifikan- te Senkung der Myokardinfarktinzidenz nach- weisen konnte, konnte in der britischen Unter- suchung ein solcher Effekt nicht gesichert wer- den. In beiden Studien fand sich ein Trend zur Zunahme von Schlaganfällen unter Acetylsali- cylsäure.

Welche therapeutischen Konsequenzen können aus den Studiendaten abgeleitet wer- den? Ist der weitgestreute Einsatz von Acetylsa- licylsäure für die Primärprophylaxe der korona- ren Herzkrankheit gerechtfertigt? Zur Beant- wortung dieser Fragen sollen die beiden Inter- ventionsstudien dargestellt und miteinander ver- glichen werden. Des weiteren wird nach der Ubertragbarkeit der Studiendaten auf gefährde-

te Patientengruppen und nach der Praktikabili- tät einer solchen prophylaktischen Therapie mit Aspirin® zu fragen sein.

Vergleich der

amerikanischen und britischen Therapiestudien

Studiendesign:

Teilnehmer beider Studien waren männliche Ärzte. Die britische Untersuchung wurde als of- fene Studie geplant; Teilnehmer der Kontroll- gruppe sollten Aspirin lediglich meiden. Im Ge- gensatz hierzu wurde die amerikanische Unter- suchung als doppelblinde, placebo-kontrollierte Untersuchung durchgeführt. Dem Vergleich der Verum- mit der Kontrollgruppe kommt dem- nach bei der PHS-Studie größere Sicherheit zu, da Aussagen insbesondere zu subjektiven Sym- ptomen durch das offene Studiendesign im Falle der britischen Untersuchung beeinflußt werden können.

Rekrutierung der Studienteilnehmer:

Von den über 260 000 amerikanischen Ärz- ten, die zur Studienteilnahme aufgefordert wur- den, nahmen am Ende lediglich 8,5 Prozent an der Untersuchung teil. Die hohe Auslese kam einmal durch Berücksichtigung zahlreicher Aus- schlußkriterien zustande, so daß nur noch „Ge- sunde" Aspirin erhielten. Durch das Vorschal- ten einer Vorstudie von ca. 18 Wochen Dauer konnte nochmals der Gesundheitszustand, die Verträglichkeit und Compliance überprüft wer- den. Dies führte zum Ausschluß von weiteren 11 152 Ärzten vor dem eigentlichen Studienbe- ginn; dies entspricht einem Drittel der ursprüng- Dt. Ärztebl. 85, Heft 25/26, 27. Juni 1988 (41) A-1909

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lich möglichen Studienteilnehmer, wobei die de- taillierte Analyse der Gründe für den Ausschluß in der Vorphase noch aussteht.

Diese hohe Selektion führte dazu, daß nur die „Gesundesten der Gesunden" zur Bewer- tung gelangten. Dies fand seinen Niederschlag in der außerordentlich niedrigen Gesamtmorta- lität der Studiengruppe und in der niedrigen Ausfallsrate von ca. 17 Prozent. Diese hohe Se- lektion wirkt sich auf die Beweiskraft der Unter- suchung in zweierlei Weise aus: Ein Therapieef- fekt ist bei der Seltenheit der primären Thera- pieziele nur schwer zu sichern; durch die niedri- ge Ausfallsquote kann dies wieder wettgemacht werden. Nebenwirkungen werden andererseits seltener erfaßt, so daß eine hohe Behandlungssi- cherheit vorgetäuscht werden kann.

Im Vergleich hierzu nahmen von den ur- sprünglich angeschriebenen britischen Ärzten ca. 25 Prozent an der eigentlichen Untersuchung teil. Während der Studiendauer schieden jedoch 26 Prozent wegen Nebenwirkungen oder aus an- deren Gründen aus. Andererseits nahmen in der Kontrollgruppe 2 Prozent pro Jahr die regelmä- ßige Aspirin-Behandlung auf. Berücksichtigt man die Therapieabbrüche in der Aspirin-Grup- pe und die Aufnahme einer Aspirin-Therapie in der Kontrollgruppe, so wurde mit der Studie die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse in einer Gruppe, in der zwei Drittel Aspirin einnahmen, mit einer zweiten Gruppe verglichen, in der ca.

90 bis 95 Prozent kein Aspirin zu sich nahmen.

Dies macht verständlich, daß ein Vorteil der Aspirin-Therapie von ca. 16 Prozent in der briti- schen Studie nicht ausgeschlossen werden kann In bezug auf den Therapieeffekt ist dem- nach der amerikanischen Studie, in bezug auf unerwünschte Wirkungen und Therapiesicher- heit der britischen Studie mehr Glauben zu schenken.

Dosis: Könnte weniger mehr sein?

In den beiden Untersuchungen kamen un- terschiedliche Dosen von Acetylsalicylsäure zur Anwendung. Während in der PHS-Studie 325 mg gepufferte Acetylsalicylsäure jeden zweiten Tag gegeben wurde, erhielten die briti- schen Studienteilnehmer 500 mg Acetylsalicyl- säure täglich. Dieser Unterschied berührt die Frage der optimalen Dosis von Acetylsalicyl- säure.

Maßgeblich für die Wirksamkeit der Acetyl- salicylsäure dürfte die irreversible Acetylierung der Zyklooxygenase im Arachidonsäurestoff- wechsel sein. Dies schränkt die Produktion von Thromboxan-A2 der Blutplättchen ein. Gleich-

zeitig wird die Bildung von Prostazyklin-I 2 der Gefäßwand vermindert, dem Gegenspieler von Thromboxan-A2 im homöostaseologischen Gleichgewicht. Die Freisetzung von Thrombo- xan-A2 der Blutplättchen bewirkt eine Throm- bozytenaggregation und Vasokonstriktion, Pro- stazyklin-I2 hingegen inhibiert die Thrombozy- tenanlagerung und hat gleichzeitig eine gefäßer- weiternde Wirkung. Unter der Acetylsalicylsäu- re soll nun das Prostazyklin-Thromboxan- Gleichgewicht zugunsten einer Inhibierung der Thrombozytenaggregation beeinflußt werden, da die Blutplättchen nur zu einer begrenzten Proteinsynthese befähigt und damit funktionsfä- hige Blutplättchen erst nach Neubildung nicht- acetylierter Plättchen erreicht werden können.

Die Gefäßwand scheint zur Neusynthese der Zyklooxygenase befähigt zu sein, so daß hieraus das beschriebene Ungleichgewicht in der Bezie- hung von Thromboxan-A2 und Prostazyklin-I 2

entstünde (6). Es konnte kürzlich gezeigt werden, daß niedrige Dosen von Acetylsalicylsäure (20 bis 40 mg täglich) nach wenigen Tagen zu einer 90prozentigen Inhibierung von Thromboxan-A 2 führt; diese Wirkung war unter höher dosierter Acetylsalicylsäuretherapie nicht steigerbar. Die Prostazyklin-I2-Synthese der Gefäßwand (Aor- ta, Vena saphena) war unter der „low dose`

nur um ca. 50 Pro- zent inhibiert; dieser Effekt war 24 Stunden nach Substanzeinnahme nicht länger nachweis- bar. Diese Befunde zeigen, daß durch eine nied- rige Aspirin-Dosis eine „nahezu selektive" In- hibition der Thrombozytenfunktion möglich wird (6, 7).

Die These, daß der niedrigeren Acetylsali- cylsäuredosis in der PHS-Studie entscheidende Bedeutung für das unterschiedliche Therapieer- gebnis im Vergleich zur britischen Studie zu- kommt, muß zum jetzigen Zeitpunkt spekulativ bleiben, da in bisherigen klinischen Studien zur Anwendung von Aspirin in der Sekundärpro- phylaxe des Herzinfarktes Tagesdosen zwischen 324 mg und 1500 mg Acetylsalicylsäure gegeben wurden. Bei Patienten nach aortokoronarer By- pass-Operation konnte bereits gezeigt werden, daß eine niedrig dosierte Acetylsalicylsäurebe- handlung (100 mg täglich) zur Prävention des Bypass-Verschlusses wirksam sein kann (2, 5).

Fazit:

Faßt man den Vergleich der beiden Studien zusammen, so erscheint ein durch einseitige Se- lektion vorgetäuschter Aspirin-Effekt in der PHS-Studie wenig wahrscheinlich. Gerade die A-1910 (42) Dt. Ärztebl. 85, Heft 25/26, 27. Juni 1988

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niedrigere Dosierung könnte sich günstig auf das Prostazyklin-Thromboxan-Gleichgewicht und damit auf die Thrombozytenaggregationsfähig- keit ausgewirkt haben, so daß die Entstehung und das Fortschreiten von Endothelläsionen zur Ausbildung arteriosklerotischer Plaques ge- hemmt werden konnte (3, 6). Dies steht im Ein- klang mit bisherigen Therapiestudien, in denen ein günstiger Effekt von Aspirin bei instabiler Angina pectoris, nach aortokoronarer Bypass- Operation, bei Patienten mit transienten ischä- mischen Attacken und bei Niereninsuffizienz mit Kunststoffshunts gesichert und für die Se- kundärprophylaxe nach Myokardinfarkt wahr- scheinlich gemacht werden konnte (3). Die Be- funde der PHS-Studie sind demnach pathophy- siologisch begründet; sie fügen sich in bekannte Therapiestrategien mit Thrombozytenaggrega- tionshemmern ein.

Der fehlende Nachweis eines Vorteils in der britischen Studie wirft allerdings Fragen zur quantitativen Bedeutung einer solchen Primär- prohylaxe auf. Geht man von der günstigen An- nahme einer 47prozentigen Myokardinfarktre- duktion der PHS-Studie aus, so müßten für je- den verhinderten Myokardinfarkt 130 sonst ge- sunde Personen ca. sechs Jahre lang 325 mg Acetylsalicylsäure jeden zweiten Tag einneh- men (unter Berücksichtigung der Zunahme der Schlaganfälle steigt diese Zahl auf 147 an). Die- se Mitbehandelten bleiben subjektiven wie ob- jektiven Nebenwirkungen ausgesetzt. Die beob- achtete Zunahme hämorrhagischer Insulte oder solcher mit ausgeprägten Symptomen spricht ge- gen den weitgestreuten oder gar unkritischen Einsatz von Acetylsalicylsäure, zumal hämor- rhagische Insulte für die Patienten mit wesent- lich ausgeprägteren Beschwerden einhergehen können als nicht fatale Myokardinfarkte.

Therapeutische Folgerungen

Bei der Indikationsstellung zur Behandlung mit Aspirin muß der Patientenauswahl demnach höchste Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Analog den Ausschlußkriterien sind folgende Gegenanzeigen zu beachten: Ulcera ventriculi und duodeni, erhöhte Blutungsneigung, Be- handlung mit Cumarinderivaten oder anderen Antiphlogistika, Asthma bronchiale, Überemp- findlichkeit gegen Salicylate, Glukose-6-Phos- phat-Dehydrogenasemangel, vorgeschädigte Niere, Schwangerschaft. Den Studienergebnis- sen folgend sollte von einer Behandlung von Pa- tienten mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen hämorrhagischen Insult abgesehen werden.

Demnach käme eine präventive Acetylsalicyl- säuretherapie in erster Linie für anderweitig ge- sunde, jüngere Patienten mit erhöhtem kardio- vaskulärem Risiko in Betracht. Für diese Grup- pe kann von der Aspirin-Behandlung eine Sen- kung der Herzinfarktrate erwartet werden.

Nachbemerkung

Die Aspirin-Studie, auf die sich Herr Pro- fessor Lüderitz unter anderem bezieht, hat zu ausführlichen und zum Teil kontroversen Leser- briefen im New England Journal of Medicine vom 7. 4. 1988, Seite 922-926, geführt. Beson- dere Interessenten seien auf diese ungewöhn- liche Korrespondenz aufmerksam gemacht. Fer- ner sei auf die kritische Bewertung von Joung et al. im J. Am. Med. Ass. (JAMA), Vol 259, No.

21, vom 3. 6. 1988, Seite 3158 ff. hingewiesen. — Zur Primärprophylaxe mit Metoprolol verwei- sen wir auf das in einem der nächsten Hefte er- scheinende Editorial von Professor Lydtin, Starnberg. Rudolf Gross

Literatur

1. Preliminary report: Findings from the aspirin component of the ongoing physicians' health study. N. Engl. J. Med. 318 (1988) 262-264

2. Fuster, V.; Chesebro, J. H.: Role of platelets and platelet in- hibitors in aortocoronary artery vein-graft disease. Circulation 73 (1986) 227-232

3. Harker, L. A.: Clinical trials evaluating platelet-modifying drugs in patients with atherosclerotic cardiovascular disease and thrombosis. Circulation 73 (1986) 206-223

4. Peto, R.; Gray, R.; Collins, R.•

'

Wheatley, K.; Hennekens, C.; Jamrozik, K.; Warlow, C.; Hafner, B.; Thompson, E.;

Norton, S.; Gilliland, J.; Doll, R.: Randomised trial of pro- phylactic daily aspirin in British male doctors. Br. Med. J. 296 (1988) 313-316

5. Weber, M.; v. Schacky, C.; Lorenz, R.; Meister, W.; Kotzur, J.; Reichart, B.; Theisen, K.; Weber, P. C.: Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (100 mg/Tag) nach aortokoronarer Bypass- operation. Klin. Wochenschr. 62 (1984) 458-464

6. Wehmeier, A.; Schneider, W.: Thrombozytenfunktionshem- mung als therapeutisches und prophylaktisches Prinzip. Inn.

Med. 12 (1985) 187-203

7. Weksler, B. B.; Tack-Goldman, K.; Valvanur, B. A.; Subra- manian, A.; Gay, W. A.: Cumulative inhibitory effect of low- dose aspirin an vascular prostacyclin and platelet thrombo- xane production in patients with atherosclerosis. Circulation 71 (1985) 332-340

Anschrift der Verfasser:

Privatdozent Dr. med. Matthias Manz Professor Dr. med. Berndt Lüderitz Medizinische Universitätsklinik Innere Medizin — Kardiologie Sigmund-Freud-Straße 25 5300 Bonn 1

Dt. Ärztebl. 85, Heft 25/26, 27. Juni 1988 (45) A-1913

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