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Archiv "Klinik und medikamentöse Therapie der koronaren Herzkrankheit: Teil I: Pathophysiologische Aspekte — Klinische Aspekte — Verlauf der koronaren Herzkrankheit — Herzinfarkt)" (26.08.1983)

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Aktuelle Medizin

Heft 34 vom 26. August 1983

ARTERIOSKLEROSE-SERIE

Klinik

und medikamentöse Therapie der koronaren Herzkrankheit

Teil I: Pathophysiologische Aspekte — Klinische Aspekte — Verlauf der koronaren Herzkrankheit — Herzinfarkt*)

Paul R. Lichtlen

Aus der Abteilung Kardiologie

(Direktor: Professor Dr. med. Paul R. Lichtlen) Zentrum Innere Medizin und Dermatologie der Medizinischen Hochschule Hannover

Unsere Vorstellungen über die ischämische Herzkrankheit haben sich in den letzten 10 Jahren erheblich gewandelt;

so ist neben den Begriff der stabilen, vorwiegend bela- stungsabhängigen Angina, derjenige der unstabilen Angi- na getreten, welcher vor allem die frisch aufgetretene Bela- stungs- und Ruhe-Angina beinhaltet. Der ersteren liegt eine hochgradige (> 75 Pro- zent), anatomisch fixierte, der letzteren in der Regel eine in ihrem Grad sich funktionell ändernde Stenose extramura- ler Koronaräste zugrunde.

Beide Formen haben unter- schiedliche Prognosen und verlangen auch verschiedene medikamentöse Behandlun- gen. Erstmals stehen sekun- där-präventive Maßnahmen zur Verfügung, die eine Sen- kung der tödlich verlaufen- den Fälle erwarten lassen.

In den folgenden Ausführungen wird versucht, einige der in den letzten Jahren in den Vordergrund getretenen neueren, für das Ver- ständnis der heutigen diagnosti- schen und therapeutischen Mög- lichkeiten unerläßlichen Aspekte der koronaren Herzkrankheit kurz darzustellen.

Dabei wird davon ausgegangen, daß die schweren Komplikationen der koronaren Herzkrankheit, Herzinfarkt und plötzlicher Herz- tod, in der Bundesrepublik Deutschland noch immer im Zu- nehmen begriffen sind und deren wirksame Bekämpfung nur durch die Aufklärung möglichst vieler, in der Erstversorgung der Bevölke- rung tätiger Ärzte erreicht werden kann.

Der Begriff der koronaren Herz- krankheit umfaßt all jene klini- schen Zustände und Ereignisse, welche sich auf der Basis einer Koronarsklerose ausbilden, bzw.

die klinischen Äquivalente der

Krankheit, Angina pectoris, Herz- infarkt, plötzlicher Herztod usw.

(Darstellung 1).

1. Pathophysiologische Aspekte

Zum Verständnis des breiten klini- schen Spektrums, vor allem aber auch der therapeutischen Mög- lichkeiten, sollen zunächst einige pathophysiologisch entscheiden- de Begriffe dargestellt werden.

1.1 Ischämie

Die Ischämie wird als ein Zustand myokardialer Minderdurchblutung zu dem Punkt definiert, wo die Energiebereitstellung auf zellulä- rer Ebene nicht mehr aerob, son- dern nur noch anaerob, und damit auf wesentlich niedrigerer Stufe

*) Teil II „Stabile Angina pectoris" erscheint im nächsten Heft. Aus technischen Grün- den mußte in diesem Ausnahmefall eine Aufteilung vorgenommen werden.

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 34 vom 26. August 1983 19

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Latente koronare Herzkrankheit (subkritische Stenosen)

Jr

stabile Angina

unstabile Präinfarkt Angina -± Syndrom 4—

—■

akuter Infarkt

Arrhythmie VES

1

chronischer Infarkt

Linksherz- Insuffizienz

-

plötzlicher Herztod

Re-Infarkt Tod

kardiogener Schock Tod

2 3 4 5 Minuten

10—

P M

Angina pectoris

EKG

Arbeits- beginn mmHg 30—

20—

Darstellung 1: Übersicht über den Verlauf des koronaren Herzkrankheit. Die Pfeile bezeichnen die wichtigsten Verlaufsrichtungen

Darstellung 2: Verlauf der wichtigsten Parameter bei Belastungsischämie. Am frühe- sten zeigt sich ein Anstieg des enddiastolischen Druckes als Ausdruck der abnormen diastolischen Compliance bzw. Versteifung der Wand im poststenotischen Areal aufgrund der lschämie. Zweites, später auftretendes Zeichen ist die ST-Strecken- senkung als Ausdruck der lnnenschichtischämie bzw. der veränderten Potentialver- hältnisse transmural (siehe Darstellung 3). Erst als letztes Zeichen tritt in der Regel der anginöse Schmerz auf. Schmerz ohne Angina oder Dyspnoe als Ausdruck der Linksinsuffizienz bzw. ohne ST-Senkung ist selten ischämisch bedingt, während die ST-Senkung ohne Schmerz sich relativ häufig vorfindet

Koronare Herzkrankheit

der Energiefreisetzung möglich ist. Aufgrund der Verzweigung des Koronarsystems in Endarterien ist dies in der Regel ein regionaler Vorgang. lschämie entsteht somit immer dann, wenn entweder das

Koronargefäßsystem nicht mehr in der Lage ist, bei erhöhtem myo- kardialem Sauerstoffbedarf (kör- perliche Belastung, Aufregung usw.) die Sauerstoffzufuhr bzw.

den Koronarfluß entsprechend

dem Sauerstoffverbrauch zu stei- gern, oder wenn andererseits pri- mär die Sauerstoffzufuhr bzw. der Koronarfluß durch direkte, am Ge- fäßsystem sich abspielende Pro- zesse gedrosselt oder sogar unter- bunden wird, häufig bei normalem Sauerstoffbedarf bzw. in Ruhe.

Im ersteren Fall entsteht eine so- genannte Belastungsangina, im letzteren resultieren Attacken von Ruheangina oder unter Umstän- den sogar ein Herzinfarkt. Die Ursache der Belastungs-Ischämie ist die proximale, hochgradige (> 75prozentige) Koronarstenose;

bei niedriggradigeren Einengun- gen durch atherosklerotische Pla- ques kann die proximale Wider- standserhöhung durch arterioläre Dilatation bzw. Widerstandssen- kung im peripheren, intra-myokar- dialen Strombereich häufig noch wettgemacht und der Koronarfluß aufrechterhalten werden.

Bei höhergradigen Stenosierun- gen ist dies nicht mehr möglich, die arterioläre Dilatation und da- mit der für diese Stenose mögli- che Fluß erreichen rasch ihr Maxi- mum (Koronarreserve).

Tierexperimentelle Untersuchun- gen, aber auch in letzter Zeit am Menschen durchgeführte Messun- gen des regionalen Koronarflus- ses haben gezeigt, daß für die gro- ßen extramuralen Arterien die kri- tischen Einengungen bei etwa 75 Prozent beginnen oder, in absolu- ten Werten ausgedrückt, bei ei- nem engsten Durchmesser der Ko- ronarstenosen extramuraler Gefä- ße von weniger als 1,5 mm (z. B.

normaler Durchmesser des proxi- malen Ramus interventricularis anterior ungefähr 3,0 bis 3,5 mm).

Ischämiezustände entwickeln sich um so schneller, je mehr Äste von der Koronarsklerose hochgradig befallen, bzw. je mehr Stenosen vorhanden sind. — Die Ursachen der Ruhe-lschämie sind vielfältig (siehe unten); sie entsteht entwe- der durch akuten Verschluß eines großen zuführenden Koronar- astes, sei es durch „Spasmus"

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oder ,.Thrombus", oder- seltener - durch belastungsunabhängige primäre Steigerung des Sauar- stoffbedarfes (z. B. Frequenz- oder Blutdruckanstieg).

1.2 Belastungs-Ischämie

Bei Belastungs-Ischämie besteht ein Flußgradientvon epi- nach en- dokardial, wobei häufig epikardial der Koronarfluß noch normal, während er endokardial schon weitgehend zum Stillstand gekom- men ist; dies ist heute tierexperi- mentell durch regionale transmu- rala Flußmessungen eindeutig nachgewiesen und kann auch beim Menschen aufgrund zahlrei- cher, allerdings indirekter Hinwei- se als gesichert angesehen wer- den. Bislang läßt sich allerdings mit keiner Technik der endokar- diale Fluß beim Menschen, ähn- lich wie beim Tier, getrennt mes- sen, sondern nur immer der globa- le transmurale Fluß.

Entsprechend zeigt sich zum Bei- spiel bei Belastung in der Regel als erstes eine ST-Streckensen- kung als Zeichen der Innen- schicht-Ischämie; gleichzeitig läßt sich entsprechend, z. B. bei einer durch Frequenzsteigerung (Vor- hofsstimulation) ausgelösten Ischämie (ST-Streckensenkung und Angina pectoris), eine Abnah- me des transmuralen Koronarflus- ses beobachten, was auf eine star- ke Reduktion des endokardialen Flusses schließen läßt.

Bei Ruhe-Ischämie resultiert um- gekehrt häufig eine ST-Strecken- hebung als Ausdruck einer trans- muralen Ischämie, z. B. bei zusätz- lichem spastischen Verschluß im Bereich einer proximalen Stenose oder auch bei beginnendem In- farkt.

Jeder regionale Ischämiezustand führt sehr bald zum Sistieren der Kontraktionen im betreffenden Herzmuskelabschnitt (Akinesie); dieser wölbt sich sogar häufig nach außen vor (Dyskinesie). Die Ursachen des Kontraktionsausfal- les liegen einerseits in dem durch

mV 1

+ 20

I

...

I I I I I I I I I I I I

---

...

,,

\ I

I I I I I I I I I I L-

3

4+

-normal ----Ischämie

Ischämie

1111 Systole

lllil

•1111--- Diastole

lllil

Darstellung 3: Erklärung der ST-Streckensenkung als Ausdruck der Innenschicht- ischämie bei Belastung. ln den ischämischen Zellen ist das Aktionspotential ernied- rigt bzw. die Phase 1 erreicht eine niedrigere positive Spitze, in Phase 4 dagegen ist das Aktionspotential weniger negativ. Dies bedingt, daß in Systole ein Gradient vom gesunden, positiveren Gewebe zum ischämischen besteht, während in Diastole umgekehrt ein Gradient vom ischämischen, weniger negativen zum gesunden, negati- veren Gewebe besteht. Daraus resultiert in Systole eine ST-Streckensenkung (der Strom ist von der Elektrode weg nach innen gerichtet, negativer Ausschlag im EKG);

in Diastole wäre umgekehrt ein positiver Ausschlag zu erwarten; dieser wird jedoch durch das EKG-Gerät ausgeglichen bzw. mit der Nullinie überlagert

Sauerstoffmangel bedingten Aus- fall der Produktion von ATP, wel- ches für den Ablauf des Kontrak- tionsprozesses unerläßlich ist, so- wie andererseits in der vermehrten Akkumulation von H-lonen, wel- che die Ca-Ionen vom kontraktilen Apparat verdrängen. Der Kontrak-

tionsausfall bedingt überdies eine erhebliche Versteifung des Herz- muskels im ischämischen Bereich und damit eine massive Erhöhung des myokardialen Widerstandes, was zu einer zusätzlichen regiona- len Flußabnahme, vor allem ende- kardial, führt. [>

Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 34 vom 26. August 1983 21

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Progression der Koronar-Sklerose Verschluß der RCA

Koronare Herzkrankheit

Gleichzeitig resultiert — je nach Größe des ischämischen Areals — eine erhebliche Abnahme der Pumpfunktion des Herzens, vor al- lem der Auswurffraktion (definiert als der prozentuale Anteil des Schlagvolumens am enddiastoli- schen Volumen: SV/EDV [Pro- zent], normalerweise > 65 Pro- zent), bedingt durch eine Zunah- me des enddiastolischen Volu- mens. Die abnorme Steigerung des enddiastolischen Druckes ist eine Folge sowohl der Zunahme der diastolischen Wandsteifigkeit wie des enddiastolischen Volu- mens. Diese abnorme Steigerung des linksventrikulären enddiastoli- schen Druckes während lschämie, häufig auf Werte weit über 25 mmHg, stellt meist das erste Zei- chen der lschämie dar (häufig schon eine halbe Minute nach Bela- stungsbeginn), ist stets vorhanden und äußert sich klinisch häufig in einer Belastungsdyspnoe, manch- mal das einzige klinische Ischämie- Äquivalent (Darstellung 2).

Wesentlich ist, daß im Einzelfall die Höhe des linksventrikulären enddiastolischen Druckanstiegs unter Belastung (Höhe des Lun- gen-Kapillardrucks bzw. diastoli- schen Pulmonalarteriendrucks) nur bedingt Rückschlüsse auf die Schwere der lschämie zuläßt, da der enddiastolische Druck noch von wesentlich anderen Faktoren mitbestimmt wird (z. B. Ausmaß des venösen Rückflusses, diastoli- sche Steifigkeit und Compliance, Perikarddruck, Atemlage bzw.

Pleuradruck usw.). Die typische ST-Streckensenkung, Ausdruck der Verkürzung und Erniedrigung der Aktionspotentiale im ischämi- schen subendokardialen bzw. In- nenschichtbereich, stellt sich erst später als lschämie-Äquivalent ein (z. B. zwei Minuten nach Bela- stungsbeginn) (Darstellung 3).

Die Erklärung der ST-Strecken- senkung liegt darin, daß wegen der Verkürzung und „Negativie- rung" des ischämischen Aktions- potentials in Systole der Strom von den nichtischämischen, epi-

kardialen Arealen mit noch norma-

Abbildung la): Voll- ständiger Verschluß der rechten Kranzar- terie im oberen Drit- tel (rechts) bei einer vorher subtotalen Stenose (links). Am 7. 3. 80, ca. 4 Wo- chen nach kleinem Hinterwandinfarkt, subtotale Stenose rechts, keine Kolla- teralen von links (unten: linke Koro- nararterie). Am 10, 12. 80 Auftreten einer unstabilen An- gina, ST-Hebungen inferior, jedoch kein CK-Anstieg. Die An- giographie am 22. 12. ergibt jetzt einen vollständigen Verschluß rechts mit retrograder Füllung der distalen Partien von links (Pfeil, un- terstes Bild rechts)

lem Aktionspotential zu den isch- ämischen endokardialen fließt;

der ST-Streckenvektor ist von der außen aufliegenden positiven Elektrode weg nach innen gerich- tet, was einer ST-Streckensen- kung entspricht (Darstellung 3).

Der anginöse Schmerz tritt in der Regel als letztes Phänomen auf; er ist bedingt durch Reizung der effe- renten sensiblen Nervenfasern durch saure Metaboliten und Pro- jektion des Schmerzes in die dem Herzen entsprechenden linkstho- rakalen Dermatome, die Innensei- te des linken Armes, den Unterkie- fer, den Rücken usw.

1.3 Ruhe-lschämie

Den transitorischen Attacken von Ruhe-Ischämie liegt — wie aus zahlreichen klinischen Beobach- tungen erwiesen ist — in der Regel eine rasche, abnorme Steigerung des Vasomotorentonus bzw. eine Kontraktionssteigerung der glat- ten Muskelfasern der epikardialen Arterien zugrunde; dies kann im prästenotischen oder sogar im stenotischen Bereich selbst ge- schehen, insbesondere in hoch- gradigen exzentrischen Stenosen;

diese verfügen über noch „norma- le" Wandanteile unterschiedli- chen Ausmaßes, in welchen schon 22 Heft 34 vom 26. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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Februar 2, 1978 B. W., m, 1936 Juni 2, 1982

Abbildung 1b): Am 2. 2. 78 bei Status nach Hinterwandinfarkt, subtotale Stenose der rechten Koronararterie im oberen Drittel, keine Kollateralen von links. l'n den folgen- den 4 Jahren unauffälliger Verlauf, keine Angina, voll belastbar; bei Reangiographie am 2. 6. 82 jetzt weitgehend vollständiger Verschluß rechts mit retrograder Füllung der distalen Partien von links (Pfeile: Bild links oben)

geringe Steigerungen des Tonus bzw. Verkürzungen der glatten Muskelfasern zu einer erheblichen zusätzlichen Einengung führen können.

Da bei hochgradigen Stenosen, d. h. bei einem engsten Durch- messer unter 1,5 mm, die Relation zwischen Stenosedurchmesser (Stenosegrad) und Koronarflu ß nicht linear, sondern exponentiell verläuft, ist es verständlich, daß

schon relativ geringe Änderungen des Durchmessers von z. B. 1,0 auf 0,5 mm oder darunter zu einer erheblichen Flußabnahme führen müssen; nicht selten resultiert so- gar ein vollständiger funktioneller Verschluß (sogenannter Spas- mus).

Je nach vorhandenem Stenose- grad und zusätzlicher funktionel- ler Einengung wird somit eine transmurale lschämie mit ST-He- bung oder noch eine vorwiegend

auf die Innenschichten beschränk- te lschämie (ST-Streckensenkung) resultieren.

Dieses Konzept der „dynamischen Stenose" hat die klinischen Vor- stellungen über die Angina pecto- ris erheblich erweitert, insbeson- dere, nachdem anatomisch-patho- logische Untersuchungen gezeigt haben, daß etwa die Hälfte der proximalen Stenosen exzentri- scher Natur ist bzw. über noch

mehr oder weniger große normale Wandanteile verfügt.

So werden heute zahlreiche klini- sche Zustände, vor allem die un- stabile Phase der Angina pectoris, aber auch die häufig täglich wech- selnde Belastungstolerenz bei sta- biler Angina pectoris darauf zu- rückgeführt. Schließlich wird so- gar erwogen, daß Koronarspas- men selbst aufgrund einer eventu- ellen Endothel-Verletzung „skle- rosefördernd" wirken können.

1.4 Anatomisch fixierte, irreversible

ischämische Vorgänge

Neben diesen „funktionellen" re- versiblen Vorgängen im Stenose- bereich spielen aber auch die ana- tomisch-fixierten, irreversiblen ei- ne wesentliche Rolle.

Der akute Infarkt ist in der Regel bedingt durch einen sich rasch formierenden Plättchenthrombus, welcher sich im Bereich einer hochgradigen, in der Regel über 80prozentigen Stenose (engster Durchmesser unter 1 mm) ausbil- det, meist auf dem Boden der Rup- tur einer atherosklerotischen Pla- que und damit einer Verletzung des Endothels.

Auch diese Vorgänge sind heute sowohl durch postmortale Unter- suchungen wie auch durch die Frühangiographie beim Infarkt im Hinblick z. B. auf die intrakorona- re Streptolyse weitgehend bestä- tigt, zeigt sich doch bei etwa 90 Prozent der das Infarktgebiet ver- sorgenden Koronararterien in den ersten Stunden ein vollständiger Verschluß, welcher sich häufig auflösen läßt, wobei dann in der Regel eine hochgradige organi- sche Stenose zurückbleibt.

Dabei ist davon auszugehen, daß das Infarktareal in der Regel nicht von präformierten größeren Kolla- teralen versorgt wird und diese sich erst in den folgenden Tagen ausbilden.

Umgekehrt kann der Übergang von der subtotalen zur vollständi- gen Stenose bei vorbestehenden Kollateralen klinisch auch völlig unbemerkt verlaufen (Abbildung 1 a und b) bzw. sich lediglich als unstabile Phase von Angina pecto- ris äußern. — Wieweit überdies

„spastische" bzw. funktionelle Momente beim frischen Infarkt mit im Spiele sind, ist noch wenig ge- klärt, aber aufgrund zahlreicher Beobachtungen nicht auszu- schließen. Schließlich haben neuere Untersuchungen gezeigt, daß auch beim frischen Infarkt ein Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 34 vom 26. August 1983 23

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Koronare Herzkrankheit

Flußgradient vom normalen zum ischämischen bzw. nekrotischen Gewebe vorliegt, und zwar von epi- nach endekardial und nicht vom Zentrum nach lateral. Im Ge- genteil, die seitliche Begrenzung des Infarktes ist in der Regel rela- tiv scharf und verläuft sogar oft zwischen einzelnen Kapillaren, in Abhängigkeit vom Perfusionsbe- reich.

Dementsprechend wird die ln- farktgröße weitgehend vom Perfu- sionsgebiet bestimmt, betrifft nor- malerweise jedoch nicht dessen ganze Ausdehnung.

1.5 Störungen der intramyokardialen Erregungsausbreitung

Schließlich ist darauf hinzuwei- sen, daß die meisten ischämi- schen Ereignisse von tiefgreifen- den Störungen der intramyokar- dialen Erregungsausbreitung be- gleitet sind, wobei sowohl Störun- gen der Reizbildung (Automatis- mus) wie der Reizausbreitung (Überleitung) eine Rolle spielen, die ersteren vor allem im akuten Stadium der Ischämie (primäres Kammerflimmern in den ersten Stunden des Infarktes), die letzte- ren im subakuten und chroni- schen Infarktstadium (Re-entry im Narbenbereich), wobei sie dann als selbständiges Ereignis, also nicht ausgelöst durch ein akutes ischämisches Geschehen, in Er- scheinung treten.

EKG

2. Klinische Aspekte

Die Klinik wird geprägt durch die ischämischen Ereignisse bzw.

die Ischämie-Äquivalente, wobei aber schon hier betont werden muß, daß viele Ischämiezustände ohne entsprechendes klinisches Ereignis, z. B. ohne anginösen Schmerz, bzw. ,stumm' ablaufen oder, daß dieses Ereignis häufig atypisch ist. Dieser Umstand be- dingt unter anderem die enormen Schwierigkeiten in der Diagnostik, ermöglicht es andererseits aber

auch, trotz schwerer Koronarskle-

rose häufig noch lange fast be- schwerdefrei zu leben.

..,. Diese fehlende Korrelation zwi- schen Ausdehnung der Korona~

sklerose und klinischem Äquiva- lent erklärt auch, warum z. B.

kurzdauernde Zustände von trans- muraler Ischämie mit ST-Strek- kenhebung mit nur geringen oder sogar ohne Schmerzen einherge- hen können.

Überdies verläuft die Progression der Koronarsklerose, das ,Wachs- tum' von atherosklerotischen Pla- ques, in der Regel ohne jegliche klinische Zeichen, bis die Steno- sierung einen hohen Grad erreicht hat.

Des weiteren muß darauf hinge- wiesen werden, daß die bislang zur Verfügung stehenden diagno- stischen Methoden sowohl zum Erfassen der Ischämie und ihrer Folgen (z. B. Infarkt) wie auch der

Koronare- LV Angiographie graphie

Koronarsklerose selbst nach wie vor eine relativ niedrige Sensitivi- tät aufweisen.

2.1 Wesentliche

diagnostische Maßnahmen Da die Klinik stets auf die Bestäti- gung durch unabhängige diagno- stische Maßnahmen angewiesen ist, sollen die wesentlichen Unter- suchungstechniken hier kurz be- wertet werden (Tabellen 1 und 2).

2.1.1 Ruhe-EKG

Die Wertigkeit des Ruhe-EKG ist beschränkt. Sowohl der frische und vor allem der alte Infarktwer- den im Ruhe-EKG -je nach stati- stischen Kriterien- lediglich in 75 Prozent der Fälle erkannt, wobei das EKG bei Vorderwandinfarkt ei- ne größere Treffsicherheit (bis zu 90 Prozent) als bei Hinter- oder Lateralwandinfarkt (ca. 70 Pro- zent) aufweist. Bestimmend sind, neben den angewandten statisti- schen Kriterien, Infarktgröße und -Iokaiisation (z. B. projizieren sich inferiore Infarkte schlechter auf die Routine-EKG-Ableitungen als anteriore usw.).

Die transmurale Ischämie läßt sich, unter differentialdiagnosti- scher Berücksichtigung epikardia- ler bzw. perikardialer Prozesse (z. B. Virusperikarditis) mit großer Zuverlässigkeit diagnostizieren;

nicht zu unterscheiden ist jedoch

Hohlraum- 201 TL-

szintigraphie Szintigraphie Ruhe Belastung Ruhe Belastung Ruhe Belastung Ruhe Belastung

Ischämie (+) +++ 0 (+) ++++ (+) ++ (+) +++

Infarkt ++ 0 0 ++ + + (+) ++ (+)

Anatomie:

Vorhandensein von

Stenosen/Ko I lateralen 0 0 +++ 0 (+)• 0 (+)• +• ++•

• indirekter Nachweis-0 kein direkter Nachweis

Tabelle 1: Diagnostische Maßnahmen bei koronarer Herzkrankheit, bezogen auf Anatomie und Funktion 24 Heft 34 vom 26. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

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+ (Infarkt, lschämie) 0

Ruhe-EKG

Belastungs-EKG

+++

201 TL-Szintigraphie Ruhe

Belastung

(+) (bei Infarkt) ++

0

(+)

Frühdiagnose KHK

klinisch nicht bekannt

„Spätdiagnose"

KHK klinisch manifest Koronarographie ++++ (screening) ++ (Bestätigung)

Echokardiographie LV Angiographie Ruhe

Belastung

0

(+)

0

(+)

+ ++

Tabelle 2: Wertigkeit diagnostischer Maßnahmen bei koronarer Herzkrankheit der akute Infarktbeginn von rever-

siblen Anfällen von Ruhe-Angina, z. B. bei Spasmus (Prinzmetal-An- gina).

Bei ST-Streckensenkung läßt sich eine Innenschicht-Ischämie oder ein Innenschicht-Infarkt nur dia- gnostizieren bei Abwesenheit ei- ner Links-Hypertrophie sowie feh- lender Digitalisierung. Unspezifi- sche Ischämiezeichen wie die prä- terminale T-Inversion, aber auch die unspezifische „spitze" T-Inver- sion als Ausdruck der intramura- len lschämie können, müssen aber nicht lschämie-Äquivalente dar- stellen.

Dementsprechend ist das Ruhe- EKG zur Früherkennung vor allem der klinisch noch latenten korona- ren Herzkrankheit nicht geeignet.

2.1.2 Belastungs-EKG

Obwohl ursprünglich zur „Früh- diagnostik" eingeführt, hat sich aus dem Vergleich mit koronaro- graphischen Befunden ergeben, daß die Sensitivität und Spezifität des Belastungs-EKG je nach Kran- kengut (Prävalenz der koronaren Herzkrankheit) deutlich unter 100 Prozent liegen.

Für Eingefäßerkrankungen findet sich in den meisten Untersuchun- gen eine Sensitivität von 40 bis 60 Prozent, für Zweigefäßerkrankun- gen von ca. 65 bis 75 Prozent und Dreigefäßerkrankungen von ca. 70 bis 85 Prozent, je nach Technik und statistischen Kriterien.

Isolierte, auch höhergradige Ste- nosierungen, insbesondere der rechten Koronararterie und des Ramus circumflexus sinister, aber auch des Ramus interventricularis anterior werden somit häufig, wahrscheinlich in mindestens der Hälfte der Fälle, verpaßt. Aller- dings liegt dann oft auch eine un- genügende Belastung vor, meist mit ungenügendem Frequenzan- stieg, welcher sein Maximum erst bei etwa 160 und mehr Schlägen pro Minute erreicht.

Belastungen sollten deshalb nur noch quantitativ und stufenweise auf dem Fahrrad-Ergometer unter gleichzeitiger EKG-Registrierung und Blutdruckmessung durchge- führt werden. Eine gleichzeitige invasive Messung des Lungenka- pillardrucks mittels Einschwemm- katheter zur Festlegung der Be- lastbarkeit, insbesondere nach In- farkt, halten wir in den meisten

Fällen für überflüssig, da — wie weiter oben dargelegt — bei Ischä- mie, aber auch bei größeren In- farkten der PC-Druck ohnehin im- mer abnorm ansteigt und aus der Höhe desselben im Einzelfall kei- ne sicheren Rückschlüsse auf die Ausdehnung der Koronarsklerose oder die Größe und Lokalisation des Infarktes gezogen werden können. Eine gleichzeitige Pulmo- nalarteriendruckmessung scheint nur dann indiziert, wenn z. B. bei starker Belastung zwar typische anginöse Beschwerden angege- ben werden, aber im EKG keinerlei Ischämiezeichen vorliegen.

2.1.3 201-Thallium- Myokardszintigraphie

In Ruhe läßt sich daraus die In- farktlokalisation und -größe relativ genau feststellen, insbesondere, wenn die Szintigraphie „tomogra-

phisch" („7-Pin-hole-tomogra- phy") durchgeführt wird. Unter Belastung kann sie mit noch grö- ßerer Sensitivität als das alleinige Belastungs-EKG den Ischämien- nachweis und vor allem deren Lo- kalisation erbringen. Die Sensitivi- tät liegt dann bei ca. 90 Prozent oder mehr, insbesondere auch bei Eingefäßerkrankungen. Schwie- rigkeiten der Interpretation beste- hen vor allem bei Mehrgefäßer- krankungen bzw. multiplen isch- ämischen Arealen.

2.1.4 Linksventrikuläre Hohlraumszintigraphie mittels Isotopen

Die Darstellung des Iinksventriku- lären Cavums endsystolisch und enddiastolisch mittels Isotopen er- möglicht sowohl die Berechnung der Auswurffraktion wie auch eine qualitative bzw. semiquantitative Darstellung der regionalen Wand- beweglichkeit. Diese Technik weist deshalb besonders unter Be- lastung ebenfalls eine relativ hohe Sensitivität auf, vor allem, da bei Auftreten einer Ischämie aufgrund der damit verbundenen Ein- schränkung der Pumpfunktion sich stets eine Abnahme der Aus- wurffraktion einstellt, während normalerweise diese eine Zunah- Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 34 vom 26. August 1983 25

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Koronare Herzkrankheit

me verzeichnet. Diesem Test kommt somit heute eine ebenso große Wertigkeit wie der 201-Thal- lium-Szintigraphie zu, wobei je- doch unterschiedliche Funktionen angesprochen werden.

Alle bisher diskutierten Untersu- chungen stellen „Provokationste- ste" dar und setzen das Vorhan- densein einer oder mehrerer hö- hergradiger Stenosen voraus, wel- che in der Lage sind, eine Bela- stungsischämie zu induzieren; sie können deshalb nicht als eigentli- che „Früherkennungsteste" ange- sehen werden. Überdies sind sie stark von der individuellen Belast- barkeit und natürlich auch von den statistischen Erkennungskri- terien abhängig. Schließlich stel- len sie nur „indirekte" Teste dar, welche zwar eine Aussage über das Vorhandensein, nicht aber be- züglich der Lokalisation und Aus- dehnung der Koronarsklerose ma- chen können.

2.2 Koronarangiographie Im Gegensatz zu den bisher disku- tierten Möglichkeiten handelt es sich hier um eine invasive Tech- nik, wobei der apparative Aufwand deutlich größer ist. In der Regel wird eine kurzfristige Hospitalisa- tion notwendig sein. Die Risiken können heute, bei erfahrenen Un- tersuchern und bei „unkomplizier- ten" Fällen (z. B. stabile Angina pectoris, Fehlen einer hochgradi- gen linken Hauptstammstenose, gute linksventrikuläre Funktion bzw. Auswurffraktion größer als 50 Prozent, keine diffuse Koronar- sklerose, Alter unter 65 Jahren usw.), als niedrig angesehen wer- den (Letalität bei diesen Fällen deutlich unter 0,1 pro Mille). Die Komplikationen steigen erst bei höhergradigen linken Haupt- stammstenosen (Letalität ca. 1 Prozent) oder bei massiv einge- schränkter linksventrikulärer Funktion (Auswurffraktion kleiner als 30 Prozent, Letalität 0,5 Pro- zent) bzw. bei Herzinsuffizienz im Stadium IV (Letalität 0,5 Prozent) (siehe Bericht der: Society for Car-

diac Angiography 1982 , insge- samt 53 581 Angiographien; Ken- nedy J. W.: Complications associ- ated with cardiac catheterization and angiography. Catheterization and cardiovascular Diagnosis 8 (1982) 5-11).

Die Koronarographie stellt heute — und wahrscheinlich noch auf längere Zeit — nach wie vor die einzige Technik dar, welche es er- laubt, die abnorme koronare Anatomie auch in EinZelheiten ex- akt zu objektivieren bzw. sichtbar zu machen, den Schweregrad und die Lokalisation von Koronar- stenosen genau festzulegen und damit auch über die Ausdehnung der Koronarsklerose genaue Aus- sagen zu machen. Sie ist damit die unbedingte Voraussetzung für jede invasive bzw. Revas- kularisationsbehandlung, sei es Bypass-Chirurgie oder Ballondila- tation.

Die frühere und auch heute noch vielerorts geübte Zurückhaltung gegenüber dieser Technik ist daher nicht mehr am Platze; im Gegenteil, man sollte sich dieser diagnostischen Technik wegen ihrer großen Aussagekraft frühzeitig im Verlauf der korona- ren Herzkrankheit bedienen, d. h.

nicht nur bei bekannter koronarer Herzkrankheit, wo der Entscheid über eine Revaskularisationsthe- rapie möglichst bald gefällt wer- den sollte, sondern bei allen un- klaren Fällen, fraglich positivem Arbeitsversuch, bei atypischen Beschwerden, vor allem frisch auf- getretener Angina pectoris mit und ohne positivem Arbeitsver- such, unstabiler Angina, Präin- farkt-Angina (I), nach dem ersten Infarkt, insbesondere bei Jugend- lichen usw.

Man kann davon ausgehen, daß zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland jährlich etwa 50 000 Koronarographien durchgeführt werden, daß die Zahl stetig im Steigen begriffen ist, die Kom- plikationen auf ein Minimum abgesunken sind und daß, bei rechtzeitiger Durchführung, die

gewonnenen Erkenntnisse häufig lebensrettend oder zum minde- sten wesentlich lebensverlän- gernd wirken, da sie rasch zu den klinisch erforderlichen Maß- nahmen führen.

2.2.1 Linksventrikuläre Angiographie

Die I inksventri ku läre Angiogra- phie stellt einen integrierten Teil in der angiographischen Unter- suchung dar und geht in der Regel der Koronarographie voraus. Be- sonders in zwei Ebenen durchge- führt, hat sie einen sehr großen

Informationswert und ist — dank ihres hohen Auflösungsvermö- gens bzw. der relativ exakten Randabgrenzung — der nichtin- vasiven Hohlraum-Szintigraphie (siehe 2.1.4) überlegen.

Die linksventrikuläre Angiogra- phie gibt Auskunft über die Volu- menverhältnisse des linken Ven- trikels (enddiastolisches, end- systolisches Volumen, Auswurf- fraktion), vor allem aber auch über die regionale Wandbeweglichkeit und damit übei. Vorhandensein, Lokalisation und Ausdehnung von Infarktarealen, aber auch, beson- ders wenn unter Belastung durch- geführt, von ischämischen Be- zirken.

2.2.2 Digitale

Subtraktionsangiographie

Die Entwicklung der digitalen Subtraktionsangiographie wird es zukünftig erlauben, mit noch kleineren Kontrastmittelmengen zu arbeiten und damit das Risiko noch weiter zu verringern, ins- besondere bei Patienten mit schlechter Ventrikelfunktion.

Vor allem wird es möglich sein, linksventrikuläre Angiogramme nach intravenöser und/oder in- trapulmonaler Kontrastmittel-In- jektion (bei Rechtsherzkatheteris- mus) durchzuführen und damit die diagnostischen Möglichkeiten wesentlich zu erweitern.

26 Heft 34 vom 26. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

(9)

mit akutem In- farkt in CCU

Letal ität Definition

Klasse

Schock

IV 80-100

(77,5) Killip-Klassifizierung des frischen Herzinfarktes

keine RGs über beiden Lungen, kein S3 RGs über 50% oder

weniger der Lungen oder S 3

30-40 (46,1) 30-50 (36,1) RGs über mehr als 50%

der Lungen, Lungenödem

III 45

(30,8) 5-10

(8) 10 (9,8)

8 (7,3)

30 (20,6)

Tabelle 3: Schweregrade bei akutem Infarkt — Nach Killip, T., and Kimball, J.T.: Am. J.

Cardiol. 20 (1967) 457; () = Resultate der Coop. Study of ESC, März 1982; n = 2312

3. Verlauf der koronaren Herzkrankheit

Aufgrund der sehr komplexen Pathophysiologie ist auch der Krankheitsverlauf durch eine Viel- zahl von Syndromen gekennzeich- net, welche zum Teil fließend in- einander übergehen und häufig auch transitorischen Charakter haben (Darstellung 1). Im Mittel- punkt, sowohl wegen ihrer pro- gnostischen wie auch therapeuti- schen Bedeutung, stehen die klinischen Äquivalente der akuten lschämie, die unstabile Angina pectoris bzw. das Präinfarkt-Syn- drom und der frische Infarkt.

3.1 Unstabile Angina pectoris Diese Form der Angina pectoris hat sich in den letzten Jahren als für den weiteren Verlauf der koronaren Herzkrankheit und damit für das Schicksal des Patienten entscheidend herausge- stellt. Sie wird definiert als ein Zustand von rasch an Heftigkeit und Intensität zunehmenden pekt- anginösen Schmerzen, wobei einerseits gehäuft Ruhe-Angina auftritt, andererseits die Schmerzschwelle bei Belastung sich plötzlich — innerhalb von Ta- gen — massiv senkt. Aber auch die neu bei einem bislang beschwer- defreien Patienten auftretende An- gina ist dazuzurechnen, wenn- gleich diese Form sich sogar häufig als echtes Präinfarkt-Syn- drom erweist.

Die unstabile Angina kann sich somit aus einem Zustand über lange Zeit anhaltender stabiler An- gina, aber sogar auch aus nicht- manifester koronarer Herzkrank- heit entwickeln.

Die Pathophysiologie dieses aku- ten, transitorischen Ischämiesyn- droms wurde weiter oben be- schrieben: entweder liegt eine Steigerung des Vasomotorento- nus in einer hochgradigen exzen- trischen Stenose bis zum Spas- mus vor, oder es finden sich zu- sätzliche anatomische, den Steno-

seg rad steigernde Veränderun- gen, z. B. ein rapides Anschwellen einer Plaque aufgrund von Hä- morrhagien innerhalb derselben, oder ein vollständiger Verschluß einer subtotalen Stenose durch ei- nen Plättchenthrombus, wobei durch bereits vorhandene Kollate- ralen ein Infarkt verhindert wird.

Nicht selten ist die Ursache auch im plötzlichen Auftreten von Koro- narspasmen bei nur minimal ver- änderten Koronargefäßen, wie von Prinzmetal 1957 erstmals be- schrieben (Prinzmetal-Angina), zu suchen.

Bei der klinischen Überwachung bzw. bei exakter fortlaufender EKG-Registrierung, z. B. im kar- dialen Intensiv-Wachsaal, lassen sich häufig ST-Streckenverände- rungen, zum Teil Hebungen, zum Teil auch Senkungen mit oder oh- ne begleitende Ruhe-Angina als transitorische Ischämie-Äquiva- lente beobachten. Die schwere lschämie kann überdies zu ventri- kulären Extrasystolen, zu Kam- mertachykardien oder sogar zu Kammerflimmern und plötzlichem Herztod führen.

Bei etwa 15 Prozent der Patienten mit unstabiler Angina entwickelt sich schließlich ein Infarkt; diese Fälle sollten deshalb retrospektiv

dem eigentlichen Präinfarkt-Syn- drom zugeordnet werden. Infolge des durch lschämie ausgelösten Automatismus versterben 5 bis 10 Prozent der Patienten plötzlich an Kammerflimmern. Bei den übrigen Patienten flaut das Krankheitsbild schließlich ab bzw. geht innerhalb von Tagen in eine stabile Angina pectoris über, wobei in der Regel die Schmerzschwelle jetzt jedoch deutlich niedriger ist als zuvor.

Angiographisch gesehen findet sich die gleiche Verteilung von Ein, Zwei- und Mehrgefäßerkran- kungen wie bei der stabilen Angi- na; überdies weisen 15 Prozent der Patienten angiographisch noch normale Koronargefäße auf, vor allem bei der sogenannten

„Prinzmetal-Angina".

Von praktisch wichtigster Bedeu- tung ist jedoch die Beobachtung, daß bei etwa 10 bis 20 Prozent der Fälle eine hochgradige (größer als 75prozentige) linke Hauptstamm- stenose vorliegt, welche ein ra- sches Handeln erfordert, da sich hier unoperiert eine jährliche Leta- lität von etwa 20 bis 30 Prozent, operiert jedoch von weniger als 5 Prozent findet. Klinisch lassen sich diese verschiedenen anatomi- schen Zustände nicht differenzie- ren, so daß in der Regel eine früh- zeitige Angiographie unumgäng- lich ist.

Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 34 vom 26. August 1983 27

(10)

Koronare Herzkrankheit

Stadium

0

Präinfarkt-Syndrom

8

Akuter Infarkt:

1. Tag

Stunden 1-6

e

Stunden 7-24

0

2.-4. Tag

0

ab 5. Tag

subakuter Infarkt

0

ab 20. Tag

chronisches Stadium

Angina Arrhythmien VES, KT, KF*

+(+) (+)

+++ +++

VES,KT,KF (Automatie) +(+) VES, KT,KF (Automatie)

(+) VES

KT, KF + (Automatie) u. Re-entry)

0 VES

KT, KF + (Re-entry)

(+) VES

KT KF (Re-entry++)

Pumpfunktion CK-Werte EKG

Ischämie Nekrose normal normal +++ ST j 0

(vorüber- gehend)

erniedrigt (+) +++ ST jj (q) (permanent)

erniedrigt +++ ++ ST j +(q)

erniedrigt ++ + ST (j) ++ Q normal

normal 0 (+) +++ Q

erniedrigt

normal 0 0 +++ Q

erniedrigt

• VES = Ventrikuläre Extrasystolen- KT = Kammertachykardie- KF = Kammerflimmern Tabelle 4 a): Infarktverlauf (siehe auch Tab. 4 b))

3.2 Präinfarkt-Syndrom

Dieser Unterform der unstabilen Angina, welche unseres Erachtens in vielen Fällen davon abgegrenzt werden kann, wird zu wenig Be- achtung geschenkt, ließen sich doch bei rechtzeitiger Diagnose- stellung viele tödlich verlaufende Infarkte durch rasche Revaskulari- sation (Ballondilatation oder By- pass-Chirurgie) vermeiden. Etwa die Hälfte aller Infarktpatienten weist vor dem Infarkt typische oder atypische anginöse Schmer- zen (nur Schmerzen in der linken Schulter, im Rücken usw.) über Stunden, Tage bis Wochen auf, wobei dies sowohl Ruheschmer- zen als auch meist belastungsab-

hängige Schmerzen, schon bei niedriger Belastungsstufe, sein können. Im Gegensatz zur typi- schen unstabilen Angina sind die- se Patienten vorher mehrheitlich beschwerdefrei gewesen. Eine ko- ronare Herzkrankheit war nicht bekannt oder konnte lediglich an- hand von sehr atypischen Be- schwerden vermutet werden. in der Regel fehlt eine längere Phase von stabiler Angina. Oftmals ist ein noch kurz vorher durchgeführter Arbeitsversuch negativ verlaufen. Wie bei der unstabilen Angina fin- den sich bei den Ruheanfällen häufig ST-Streckenhebungen. Bei sämtlichen dieser Patienten bildet sich definitionsgemäß ein frischer

Infarkt aus, etwa ein Viertel der Patienten erliegt bei Infarktbeginn dabei einem plötzlichen Herztod.

~ Die Erkennung dieses Krank- heitsbildes ist von entscheidender Bedeutung, weil durch frühzeitige Revaskularisation sich der Infarkt in der Regel vermeiden läßt und- da oft eine Eingefäßerkrankung vorliegt- damit auf lange Zeit die Situation behoben ist.

3.3 Vorgehen bei unstabiler bzw. Präinfarkt-Angina

Bei beiden Zuständen ist die so- fortige Hospitalisation in einem

"koronaren Wachsaal" wün- 28 Heft 34 vom 26. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

(11)

Thrombozyten- 0 aggregations-

hemmer (Aspirin®, Asasantin® usw.) Revaskularisation: ACVB, PTCA*

Koronarrelaxation: Nitrate,

Ca-Antagonisten

++ Prophylaxe 0 und Akuttherapie Heparin

Koronarrelaxation Verbesse-

Nitroglycerin i.v. rung der

Ca-Antagonisten Pump-

funktion

Marcumar 0 Nitrite, Nitrate per os

Ca-Antagonisten

Anti-ischämisch Anti-Koagulation Anti-arrhythmisch Stadium

Reperfusion: Streptokinase, PTCA Infarkt- Koronarrelaxation: Ca-Antagonisten größen- Nitrite i.v. (Vorbelastung) limi-

Schmerzbekämpfung tierung

0

Heparin +++ Prophylaxe (?)

Nitrate (ISDN) Adalat®

Ca-Antagonisten

3-4 x 40-60 mg/die per os 3 x 10-20 mg/die per os

0

Marcumar

(+

)

idem

bei neuer Angina: ? Revaskularisation

idem für 4-6 Wochen

evtl. Prophylaxe 6 Monate bis 1 Jahr

evtl. Dauertherapie

0

* ACVB = Aortokoronarer Venen-Bypass — PTCA = Perkutane transluminale Koronardilatation Tabelle 4 b): Konservative Therapie des Herzinfarktes

schenswert. Darüber hinaus müs- sen eine invasive Abklärung durch Koronarographie und eventuell ei- ne nachfolgende Revaskularisa- tionstherapie unter Umständen ra- schestens zur Verfügung stehen.

Handelt es sich aufgrund der Ana- mnese um eine typische unstabile Angina, so ist heute eine primär medikamentöse Therapie zu ver- antworten. Aufgrund der patho- physiologischen Beobachtungen sollte eine massive „antispasti- sche", koronar-relaxierende bzw.

-erweiternde Therapie eingeleitet werden.

Als Mittel der Wahl haben sich hier die Calcium-Antagonisten erwie-

sen (z. B. Verapamil, Nifedipin, Dil- tiazem), wobei relativ hohe Dosie- rungen notwendig sind, z. B. 20 mg Nifedipin (Adalat®), zweistünd- lich per os bis zur Schmerzfreiheit oder 80 mg Verapamil (Isoptin®) alle drei Stunden.

Bei ungenügender Beschwerde- freiheit empfiehlt sich eine zusätz- liche Infusion mit Nitroglycerin (5 bis 10 mg pro Stunde) oder z. B. 5 mg Isosorbiddinitrat sublingual al- le 1 bis 2 Stunden. Da Nifedipin und Nitroglycerin an der glatten Gefäßmuskulatur der epikardialen Arterien bzw. exzentrischen Ste- nosen eine potenzierende Wir- kung aufweisen, hat sich die kom- binierte Verabreichung dieser bei-

den Medikamente als besonders günstig erwiesen. Beta-Blocker sollten zuletzt, und auch dann nur zusätzlich, d. h. gemeinsam mit Nifedipin und/oder Nitroglycerin verabreicht werden, und zwar mit großer Vorsicht, da durch die Be- ta-Blockade ein Überwiegen des Alphatonus — und damit eine zu- sätzliche Koronarkonstriktion — hervorgerufen werden kann').

Mit einer solchen Therapie lassen sich bei über SO Prozent der Pa- tienten die akuten Schübe been- den bzw. verhindern und rasch (in-

1) Siehe auch Kubier, W.: Calcium-Antagoni- sten bei koronarer Herzerkrankung, Dt. Ärz- tebl. 80 (1983) Heft Nr. 29

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 34 vom 26. August 1983 29

(12)

a) Kardial — unstabile Angina, Präinfarktsyndrom

— akute (Virus)-Perikarditis

— tachykarde Rhythmusstörungen (VHF, VHFL, KT)

— Hypertone Krise, Lungenödem

— Angina bei Aortenstenose

— Lungenembolie

— Cor pulmonale b) Extrakardial — skelettogen-muskulär:

Spondylarthrose, Xyphoiditis; M. Tietze, Herpes zoster, Coxsackie-Virus-Infekt

— Dissezierendes Aortenaneurysma

— Ösophagus-Dysphagie, Ösophagitis

— akute Pankreatitis

— Gallenblasen-Affektionen

— Ulcus duodeni

Tabelle 5: Differential-Diagnose beim akuten Herzinfarkt (VHF = Vorhofflimmern, VHFL = Vorhofflattern, KT = Kammertachykardie)

Koronare Herzkrankheit

nerhalb von 1 bis 2 Tagen) Be- schwerdefreiheit erreichen. Bei Übergang in eine stabile Phase der Angina kann eine weitere me- dikamentöse Therapie folgen; al- lerdings sollte sich bald eine Koro- narographie zur Ermittlung der zu- grunde liegenden anatomischen Veränderungen anschließen.

Ist dagegen die medikamentöse

„Koronar-Relaxation" ohne Er- folg, so sollte noch unter maxima- ler medikamentöser Therapie ra- schestens eine Angiographie durchgeführt werden mit dem Ziel einer baldigen Revaskularisation, welche bei der überwiegenden Mehrzahl dieser Patienten erfolg- reich ist, da in der Regel dann eine hochgradige Koronarsklerose vor- liegt, meist eine ausgedehnte Drei- gefäßerkrankung, eventuell sogar eine linke Hauptstammstenose.

Dieses Vorgehen hat sich auf- grund zahlreicher Studien, insbe- sondere aber seit der Einführung der Calcium-Antagonisten, vor al- lem des Nifedipins, in die Therapie der koronaren Herzkrankheit als erfolgversprechend erwiesen.

Wie verschiedene Studien gezeigt haben, ist bei der typischen unsta- bilen Angina die frühe Bypass- Operation mit einer ebenso hohen Infarktrate behaftet wie die kon- servative Therapie; im Gegenteil,

durch die letztere läßt sich heute häufig eine frühe Revaskularisa- tion vermeiden. Günstigere Resul- tate scheint die Ballondilatation nach Grüntzig aufzuweisen, wel- che hier besonders indiziert ist, da nicht selten eine Eingefäßerkran- kung vorliegt; allerdings fehlen dazu noch die Langzeitresultate, und Rezidive scheinen relativ häu- fig zu sein [15-30 Prozent].

Beim typischen Präinfarkt-Syn- drom sollte unverzüglich die glei- che medikamentöse, koronar-rela- xierende Therapie wie bei der un- stabilen Angina durchgeführt wer- den, doch ist hier gleichzeitig eine Koronarographie notfallmäßig in- diziert, um, wenn nötig und mög- lich, raschestens eine Revaskulari- sation anzuschließen, sei es auf chirurgischem Weg oder durch Ballondilatation, die erstere bei Mehr-, die letztere bei Eingefäß- befall.

Da in diesen Fällen in der Regel eine hochgradige Stenose vor- liegt, deren Durchmesser überdies meistens rapide abnimmt (z. B.

Plättchen-Thrombus), sollte hier keine Zeit durch längere medika- mentöse Versuche verloren wer- den, da es bis heute noch kein Medikament gibt, welches einen vollständigen Koronarverschluß bzw. die Ausbildung eines Infark-

tes mit nur annähernder Wahr- scheinlichkeit verhindern könnte;

nur die rascheste Wiederherstel- lung der Durchblutung führt hier zum Ziel! Diese Patienten sollten deshalb auch sofort in eine Klinik mit den Möglichkeiten zur Notfall- Angiographie und raschen Revas- kularisation überwiesen werden.

4. Herzinfarkt

4.1 Stadien und Verlauf

Der Übergang von der Präinfarkt- Angina zum frischen Infarkt läßt sich häufig nur schlecht abgren- zen; lediglich die längerdauernde ST-Streckenhebung, der protra- hierte und heftige, sich häufig stei- gernde anginöse Schmerz, jetzt in der Regel an typischer Stelle, das Fehlen oder nur schwache An- sprechen auf Nitroglycerin oder Calcium-Antagonisten und Be- gleitsymptome wie Präschock, Kaltschweißigkeit, eventuell mul- tiple ventrikuläre Extrasystolen oder sogar das Auftreten kurzer Salven von Kammertachykardien weisen auf die Ausbildung eines

Infarktes hin.

Einen Schnelltest zur Differenzie- rung zwischen einem irreversi- blen, zur Nekrose führenden Ver- schluß, z. B. durch einen Plätt- chen-Thrombus, und einer transi- torischen, z. B. durch Spasmus bedingten, transmuralen lschämie gibt es zur Zeit nicht; die Werte der Kreatinkinase (CK) sind an- fangs noch im Normbereich und deshalb in der Initialphase des In- farktes unzuverlässig. Im Frühsta- dium läßt sich diese Frage gegen- wärtig nur mit Hilfe der Koronar- angiographie klären.

Bei etwa zwei Drittel der Patienten geht der akute Infarkt mit typi- schen Schmerzen in den bekann- ten Lokalisationen einher; ein Drit- tel der Fälle weist eine atypische Schmerzausbreitung auf, oder die Beschwerden fehlen gänzlich bzw. werden vom Patienten nicht beachtet. Allerdings sind echte

„stumme" Infarkte selten; mehr- 30 Heft 34 vom 26. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

(13)

heitlich liegt eine ungenügende Anamneseerhebung bzw. -Wieder- gabe vor, und durch eine genaue- re Befragung läßt sich häufig doch ein Schmerzereignis eruieren.

~ Die Stadieneinteilung der In- farkte nach Killip (siehe Tabelle 3) hat noch immer ihre Gültigkeit und ist von wesentlicher progno- stischer und damit auch therapeu- tischer Bedeutung. Über den Ver- lauf des Infarktes orientiert Tabel- le 4a). Tabelle 4b) enthält einen Überblick über die konservative Therapie des Herzinfarktes.

Die ersten Stunden und der erste Tag sind vorwiegend durch die zu- nehmende Ischämie gekennzeich- net und den dadurch bedingten mehr oder weniger ausgeprägten Verlust der Pumpfunktion des Her-

zens. Zum anderen ist den schwe-

ren, lebensbedrohenden ventriku- lären Rhythmusstörungen, ausge- löst durch den Automatismus der im ischämischen Gebiet überle- benden Purkinje-Zellen, die höch- ste Aufmerksamkeit durch eine permanente EKG-Überwachung in der kardiologischen Intensivsta- tion zu widmen. Im EKG zeigen sich lokalisiert vor allem die Zei- chen der transmuralen Ischämie (ST -Streckenhebu ng), während die CK-Werte erst mit zunehmen- der Nekrosebildung ansteigen. Irreversible Zellschädigungen, vor allem eine Zerstörung der Zell- membranen und der Mitochon- drien, sollen nach tierexperimen- tellen Untersuchungen häufig schon in der ersten halben Stunde auftreten. Das gesamte minder- perfundierte Areal soll nach den ersten drei Stunden weitgehend global irreversibel geschädigt

sein. Nach den ersten sechs Stun-

den geht die akute Ischämie dann allmählich in das eigentliche "Ne- krosestadium" über. Gleichzeitig bildet sich die Angina rasch zu- rück, die Arrhythmieneigung bleibt dagegen noch bestehen, wenn auch in geringerem Maße.

Der 2., 3. und 4. Tag sind in der Regel durch eine rasche Erholung

Infarktverlauf

komplikationslos Komplikationen

~----

1

I

I I I I I I I

..

I

Entwicklung von Kollateralen

+

I Erholung I

+ I

Angina pectoris

+

schwere Arrhythmien

Herzinsuffizienz

Schock Thromboembolien Papillarmuskeldysfunktion

Mitralinsuffizienz Aneurysma

Pseudoaneu rysma, Ruptur Tamponade

I

Exitus

I

Darstellung 4: Komplikationen beim akuten Infarkt der Pumpfunktion gekennzeich-

net; gleichzeitig kommt es im EKG zur Ausbildung de.r typischen Ne- krosezeichen (pathologische Q- Zacke, R-Verlust), die CK-Werte erreichen ihr Maximum und sin- ken bis zum 4. Tag, je nach Infarkt- größe, wieder auf die Norm zu- rück. Ab dem 5. Tag, bei Übergang in das subakute Stadium, überwie- gen die Nekrosezeichen im EKG, die Arrhythmiehäufigkeit nimmt weiter ab, die Pumpfunktion ist wieder weitgehend normalisiert.

Der Eintritt ins chronische Sta- dium ab dritter Woche ist gekenn- zeichnet durch eine erneute Zu- nahme der Arrhythmiehäufigkeit, jetzt aber in der Regel aufgrund eines Re-entry-Mechanismus. Da- bei bilden die im Bereich der Nar- be überlebenden, subendekardial gelegenen Purkinje-Zellen ein Netz von Bahnen unterschiedli- cher Leitfähigkeit, so daß heran- getragene Impulse in der Narbe

zum Teil blockiert (unidirektiona- ler Block) bzw. erheblich verzö- gert weitergeleitet werden. Somit bildet sich innerhalb der Narbe ein Re-entry-Kreis, aus welchem Im- pulse an das umliegende Gewebe abgegeben werden. Bei einmali- gem Reizaustritt ins umliegende Gewebe resultiert eine ventrikulä- re Extrasystole, bei mehrfachem Aus- und Wiedereintritt entstehen kurze Salven von Kammertachy- kardie, welche eventuell zu Kam- merflimmern degenerieren.

~ Das Risiko des plötzlichen Herztodes ist deshalb im ersten halben Jahr nach Infarkt noch deutlich erhöht.

Auch im weiteren Verlauf des chronischen Infarktstadiums bleibt für das erste Jahr, strengge- nommen zumindest potentiell für das restliche Leben, das erhöhte Risiko eines plötzlichen Herztodes bestehen (gegenwärtig etwa 12 bis Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 34 vom 26. August 1983 31

(14)

Koronare Herzkrankheit

15 Prozent im ersten halben Jahr nach Infarkt, etwa 10 Prozent in- nerhalb des ersten Jahres und in den weiteren Jahren nach Infarkt etwa 5 Prozent). Das Linksherzver- sagen ist abhängig von der Aus- dehnung des Infarktes; überdies kann wieder eine Angina pectoris auftreten (Postinfarktangina).

4.2 Differentialdiagnostik

Über die Differentialdiagnose des akuten Infarktes orientiert die Ta- belle 5. Im Vordergrund steht die Abgrenzung gegenüber der aku- ten Virusperikarditis, nicht zuletzt, da hier eine Therapie mit Antikoa- gulantien wegen der Gefahr der Perikardblutung und Tamponade eventuell verheerend wäre. Das dissezierende Aortenaneurysma, insbesondere des Ascendens-Be- reichs, kann mit gleicher Sympto- matik verlaufen: Auch hier ist eine Antikoagulation und vor allem ei- ne sofortige Behandlung mit Streptokinase kontraindiziert, da dies zu weiteren Hämorrhagien und damit zum Fortschreiten der Dissektion führen würde und eine chirurgische Korrektur unmöglich macht.

Die akute Lungenemboliestellt ein weiteres, relativ häufiges, leider aber oft vergessenes Geschehen dar. Hier unterscheidet sich die Therapie allerdings nur unwesent- lich von derjenigen des akuten In- farktes, es sei denn, akute invasive Maßnahmen (Embolektomie) wür- den notwendig.

4.3 Komplikationen

Auf das Auftreten von Komplika- tionen ist beim akuten Infarktfrüh- zeitig zu achten (Darstellung 4).

Dies betrifft vor allem die Ausbil- dung eines Herzwandaneurysmas mit drohender Ruptur, was unter Umständen ein rasches chir- urgisches Eingreifen notwendig macht.

Die persistierende ST-Strec.kenhe- bung in den ersten Tagen, beglei-

tet von rezidivierenden Thorax- schmerzen, eventuell Perikardrei- ben und zunehmende Zeichen ei- nes Aneurysmas im zweidimensio- nalen Echokardiogramm sowie eventuell auch im Thoraxbild ma- chen eine rasche Angiographie notwendig, nicht zuletzt auch, um bei chirurgischem Vorgehen die Frage eines zusätzlichen aorta- koronaren Venen-Bypasses zu klären.

Nicht immer geht die Ausbildung eines Aneurysmas jedoch mit ei- ner Verschlechterung der Pump- funktion und/oder massiven Rhythmusstörungen einher. Das Auftreten einer massiven, die Pumpfunktion stark beeinträchti- genden Mitra/insuffizienz oder so- gar eines Ventrikelseptumdefek- tes (VSD), beide in der Regel mit dem Auftreten eines lauten systoli- schen Geräusches von allerdings unterschiedlicher Lokalisation verbunden, bedingen eine baldige chirurgische Korrektur.

Bei VSD wird- wenn möglich- in der Regel so lange zugewartet, bis eine Konsolidierung der Narbe er- wartet werden kann.

4.4 Infarkt-Prognose

Die Prognose des akuten Infarktes wird durch mehrere Faktoren be- stimmt. ln den ersten Stunden sind es die ischämisch bedingten ventrikulären Rhythmusstörun- gen, welche zu Kammerflimmern und plötzlichem Herztod führen;

sie sind vor allem verantwortlich für die hohe Gesamtletalität von 30 und mehr Prozent im akuten lnfarktstadium. Etwa 60 Prozent der Todesfälle der ersten drei ln- farktwochen ereignen sich in den ersten vier Stunden und damit häufig noch außerhalb des kardia- len Intensivwachsaales oder sogar vor Eintreffen des Notarztwagens.

...,.. Nach wie vor gilt deshalb bei frischem Infarkt die Devise: sofor- tige Anforderung des Notarztwa- gens und schnellste Einweisung in einen kardialen IntensivwachsaaL

Bis zum Eintreffen des Notarztwa- gens hat der erstbehandelnde Arzt beim Patienten zu verbleiben. ln der Regel empfiehlt es sich, soge- nannte karonarrelaxierende bzw.

erweiternde Medikamente zu ver- abreichen, wie zum Beispiel:

...,.. Nitroglyzerin-Kaukapseln, Ni- trate und/oder Calcium-Antagoni- sten (z. B. Nifedipin). sofern diese keinen Einfluß auf das Reizlei- tungssystem haben;

...,.. je nach Rhythmussituation an- tiarrhythmische Medikamente, et- wa bei gehäuften ventrikulären Extrasystolen Lidocain (2 mg/min/

kg als Infusion) oder bei Bradykar- die Atropin.

Die Einweisung in einen Wachsaal betrifft obligat vor allem alle jün- geren Patienten, z. B. unter 65 Jahren. Aber auch im höheren Al- ter (über 70 Jahre) stellt sie oft eine Notwendigkeit dar, da mit zu- nehmendem Alter die Infarktletali- tät erheblich wächst und durch kontinuierliche Überwachung im- mer noch deutlich gesenkt werden kann. Etwa 15 Prozent der Patien- ten versterben in den ersten zwei Tagen, in der Regel noch im Wachsaal, sei es an schweren pri- mären oder sekundären Rhyth- musstörungen oder im kardioge- nen Schock, wobei die ersteren sich heute durch kontinuierliche EKG-Überwachung vermeiden bzw. beheben lassen. Die Schock- Fälle haben in den letzten Jahren, wahrscheinlich dank früherer Ein- weisung, deutlich an Häufigkeit abgenommen. Die weiteren To- desfälle verteilen sich auf die übri- gen Tage bis Klinikaustritt in etwa gleichem Maße. Spättodesfälle noch während der Hospitalisation kommen leider weiterhin vor; sie würden sich wohl nur durch eine längerdauernde kontinuierliche EKG-Überwachung auch außer- halb des Wachsaales vermeiden lassen, ein Vorgehen, welches er- hebliche logistische Probleme mit sich bringt.

Auf jeden Fall empfiehlt es sich bei Risikopatienten, relativ frühzeitig 32 Heft 34 vom 26. August 1983 80. Jahrgang DEUfSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

(15)

durch Langzeit-EKG die Arrhyth- mieinzidenz zu überprüfen. Wie- weit eine antiarrhythmische Dau- ertherapie schon hier etabliert werden sollte, steht noch offen.

Eine Senkung der Letalität im aku- ten Stadium des Infarktes könnte somit vor allem noch erreicht wer- den durch intensivere Bekämp- fung des plötzlichen Herztodes

vor Spitaleinweisung.

Dies würde jedoch bedingen, daß größere Bevölkerungsteile in der Reanimation bzw. Mund-zu-Mund- Beatmung und äußeren Herzmas- sage angelernt werden müßten, als dies zur Zeit der Fall ist.

Auch im chronischen Stadium bzw. im ersten Jahr nach Infarkt ist eine Senkung der gegenwärtig noch relativ hohen Letalitätsrate anzustreben. Indiziert ist — vor al- lem bei jungen Patienten — eine baldige Abklärung der anatomi- schen Situation durch Koronar- und linksventrikuläre Angiogra- phie im ersten halben Jahr nach Infarkt, um den genannten Risiken eines plötzlichen Herztodes, schwerer Rhythmusstörungen, ei- nes Re-Infarktes, der Linksherzin- suffizienz sowie der eventuell wie- der auftretenden Angina pectoris, begegnen zu können.

Nur so ist eine Verbesserung der Prognose und damit letztlich eine Wiederherstellung der Arbeitsfä- higkeit zu gewährleisten.

Der Beitrag wird mit Teil II, „Stabi- le Angina pectoris", im nächsten Heft fortgesetzt und abge- schlossen.

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Paul R. Lichtlen Abteilung Kardiologie Zentrum Innere Medizin und Dermatologie Medizinische Hochschule Hannover

Konstanty-Gutschow-Straße 8 3000 Hannover 61

Sonographisch gezielte Feinnadelbiopsie abdomineller und

retroperitonealer Organe

Tumoröse Veränderungen in- traabdomineller und retroperito- nealer Organe können mit der So- nographie ohne größeren Auf- wand relativ einfach und rasch lo- kalisiert und feinnadelpunktiert werden. Diese Untersuchung fin- det immer weitere Anwendung, weil sie eine rasche morphologi- sche Abklärung ermöglicht. Mikuz und Mitarbeiter haben am Patho- logischen Institut Innsbruck 203 sonographisch gezielte Feinnadel- biopsien untersucht. In 110 Fällen konnte die Diagnose auch histolo- gisch und in 77 Fällen anhand der klinischen Befunde bzw. des Ver- laufes verifiziert werden. Es zeigte sich, daß falsch positive zytologi- sche Befunde kaum vorkamen, falsch negative dagegen etwas häufiger waren. Insgesamt waren 2,5 Prozent falsch positiv (3 von 120) und 16,9 Prozent falsch nega- tiv (11 von 65).

Eine Leberpunktion wurde 112- mal vorgenommen; es handelte sich dabei vorwiegend um Fälle, bei denen Metastasen- oder Hepa- tomverdacht bestand. Nur ein Fall war falsch positiv. Pankreaspunk- tionen wurden vorwiegend bei Verdacht auf Tumor oder Pseudo- zysten, insgesamt 29mal durchge- führt. Nach der histologischen und klinischen Kontrolle waren die negativen Befunde alle richtig diagnostiziert, allerdings wurde ein falsch positiver Befund beob- achtet. Auch bei der Feinnadel- biopsie der Niere ließ sich eine ho- he Treffsicherheit erzielen.

Insgesamt zeigten die Untersu- chungen, daß die sonographisch gezielte Feinnadelbiopsie eine lei- stungsfähige und risikoarme dia- gnostische Methode darstellt. Die größte Fehlerquelle dürfte aller- dings die morphologische Diagno- stik durch ungeübte Untersucher sein. Denn es handelt sich meist

nur der Verarbeitung des Mate- rials nach um eine zytologische Methode, da der Untersucher meist größere Zellkomplexe be- gutachtet („Trümmerhistologie").

Dies erfordert größte Kenntnisse auf dem gesamten Gebiet der kli- nischen Pathologie! res

Mikuz, G.; Hochstädter, F.; Aufschnaiter, M., und Judmaier, G.: Erfahrungen mit der sono- graphisch gezielten Feinnadelbiopsie abdomi- neller und retroperitonealer Organe, Der Pa- thologe 4 (1983) 142-148

Colon irritabile —

eine sichere Diagnose?

Die Diagnose eines Colon irritabile wird per exclusionem gestellt; die Liste der zur Ausschlußdiagnostik erforderlichen Untersuchungen variiert allerdings, je nach gastro- enterologischen Ambitionen, be- trächtlich. Über die Langzeitpro- gnose dieses, dem Formenkreis der vegetativen Labilität zuzuord- nenden Krankheitsbildes existie- ren nur wenige Daten, die überein- stimmend zu dem Schluß kom- men, daß die Prognose quoad vi- tam hervorragend ,quoad sanatio- nem jedoch wenig zufriedenstel- lend ist.

Die englischen Autoren haben 77 von 84 Patienten mit der Diagnose irritabler Darm nach mindestens 7jähriger Krankheitsdauer nach- untersucht. Nur in 4 Fällen mußte die Diagnose revidiert werden. 44 Patienten wiesen trotz einer Viel- zahl therapeutischer Bemühun- gen dieselben Symptome wie zum Zeitpunkt der Diagnosestellung auf, 29 Patienten hatten keine Pro- bleme von seiten des Verdauungs- traktes her zu beklagen. Die Auto- ren kommen zu dem Schluß, daß es sich beim Colon irritabile um eine chronisch rezidivierende Be- findlichkeitsstörung handle und daß sich eine weitere Diagnostik erübrige, es sei denn, es träte ein nachhaltiger Symptomenwandel ein.

Holmes, K. M., Satter; R. H.: Irritable bowel syndrome — a safe diagnosis?, Br. med. J. 285 (1982) 1533-1534, Department of Medicine, Cumberland Infirmary, Carlisle CA2 7HY

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 34 vom 26. August 1983 33

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