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Archiv "Reproduktionsmedizin - Zwischen Trauma und Tabu: Wohlergehen der Paare im Vordergrund" (08.03.2002)

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Dies ließe sich rechtfertigen, wenn die Behandlung mit ICSI komplikati- onsfrei und kostengünstig wäre. Die Kosten, teilweise von den Paaren selbst, teilweise von den Krankenkassen getra- gen, betrugen circa 4 000 A pro Ver- such. Dazu kommen die Zusatzkosten durch Komplikationen.

Die an dem von mir gewählten Zen- trum erzielte Schwangerschaftsrate pro Behandlung (die nicht der Baby-take- home-Rate entspricht!) betrug maximal 35 Prozent (25). Bei 65 Prozent erfolglo- sen Behandlungen werden 164 Frauen – die sich aufgrund einer Fehldiagnose der Behandlung unterzogen und nicht schwanger wurden – dem Östrogen- mangel als übliche Folge der Behand- lung mit Blutungen, Bauchschmerzen und schlechtem Allgemeinbefinden ausgesetzt. Damit wird 164 Frauen defi- nitiv geschadet, ohne ihnen zu nutzen.

Nach meiner Behandlung durch- suchte ich neben der Laien zugängli- chen Literatur mehrere Datenbanken (Medline, Pub Med, Cochrane) zu dem Thema „Depression infolge der IVF“.

Die IVF wird als stressreichstes Le- bensereignis nach Tod eines Familien- mitglieds beschrieben (26, 27). Eine Ar- beit aus dem Jahr 1990 zeigt eine De- pressionsrate von 52 Prozent bei Frau- en nach IVF (26, 28, 29). 13 Prozent der Frauen berichten über Selbstmordge- danken (27). Die Depressionsrate ist übrigens unabhängig vom Ergebnis der Behandlung (26, 30, 31). Leider wurde dieser signifikante Hinweis auf psychi- sche Nebenwirkungen durch die IVF in den letzten Jahren kaum weiterver- folgt, sodass neuere Daten nicht zur Verfügung stehen. Immerhin wird das Thema 1999 in einem Review wieder aufgegriffen (32).

Legt man die bekannten Daten zu- grunde, erleiden 130 Frauen aufgrund ei- ner Therapie, die auf einer Fehldiagnose basiert, eine Depression. Insgesamt ent- wickeln 316 Frauen, denen eine ICSI-Be- handlung nahe gelegt wurde, eine De- pression, davon 110 Frauen nach Thera- pieerfolg während der Schwangerschaft.

604 von 1 000 sterilen Paaren wird ei- ne ICSI-Behandlung nahe gelegt, bei 352 Paaren zu Recht und bei 252 Paaren auf- grund einer Fehldiagnose. Damit wird die Indikation zur ICSI-Behandlung in 41,7 Prozent der Fälle fälschlicherweise

gestellt. Neben der erheblichen medizi- nischen Problematik ergibt sich dadurch auch eine beträchtliche Verschwendung finanzieller Ressourcen.

Zusammenfassend kann man nach diesen Beispielen vermuten, dass der- zeit in der Reproduktionsmedizin im Vergleich mit anderen medizinischen Disziplinen eine zu hohe Risikobereit- schaft an den Tag gelegt wird und Indi- kationen zu invasiven und komplikati- onsträchtigen Behandlungen aufgrund zu ungenauer diagnostischer Tests ge- stellt werden.

Forderungen

Aus den Ausführungen ergeben sich die folgenden Forderungen, um die Be- reiche „Aufklärung“ und „Nachsorge“

in der Reproduktionsmedizin zu ver- bessern:

1. Aufklärung über die gynäkologi- schen Risiken (Zystenbildung und ihre gegebenenfalls operative Behandlung, postinterventioneller Östrogenmangel mit seinen Symptomen, Karzinomrisi- ko) unter Verwendung verständlicher Zahlen,

2. Aufklärung über die psychischen Nebenwirkungen (insbesondere De- pression),

3. aktuelle Studien über psychische und gynäkologische Nebenwirkungen zur exakten Abschätzung dieser Risiken, 4. gynäkologische, psychiatrische und allgemeinmedizinische Nachsorge nach erfolgloser Stimulationsbehandlung,

5. Aufklärung über die teilweise Un- genauigkeit der zurzeit verfügbaren diagnostischen Möglichkeiten in Bezug auf die Sterilität, insbesondere bei der männlichen Subfertilität, und die sich daraus ergebende hohe Fehlerquote bei der Stellung der Indikation invasiver Behandlungsmethoden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 617–619 [Heft 10]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über das Internet (www.aerzteblatt.de) und über die Redaktion erhältlich ist.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. med. Ina Zuber-Jerger

Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie Medizinische Universitätsklinik

Hugstetterstraße 55, 79106 Freiburg

Wohlergehen der Paare im

Vordergrund

Seit gut 20 Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema der Reproduktions- medizin, das heißt mit der Kinderlosig- keit von Mann und Frau. Dabei ist natürlich die Patientin und ihr Partner stets im Mittelpunkt der Diskussion.

Alle wissenschaftlichen, klinischen, psychischen und ethischen Diskussio- nen drehen sich letztlich nur um die Pa- tientin. . . .

Medizinische und rechtliche Fakten sowie alle dabei entstehenden mensch- lichen Belange müssen von unseren Re- produktionsmedizinern immer berück- sichtigt werden. Die Worte von Frau Dr. Magda Telus sehe ich als Beleidi- gung an und darf nur entgegnen, dass jede ärztliche Behandlung zusammen mit Biologen und Genetikern immer mit Einwilligung der Patientin und des Partners im gemeinsamen Gespräch mit beiden durchgeführt wird. Auf alle Risiken und Gefahren wird in unseren Aufklärungsbroschüren und in den täg- lichen Gesprächen ausführlich hinge- wiesen. Es handelt sich gerade bei der reproduktionsmedizinischen Behand- lung um eine ständige lebendige Dis- kussion mit der Patientin, um deren Wohl es geht. . . .

Glücklicherweise hält die Reproduk- tionsmedizin mit der modernen techni- schen und medizinischen Entwicklung Schritt und ermöglicht, den Fortschritt für unsere Patienten einzusetzen. Jede medizinische Behandlung hat auch Ri- siken, die wir kennen, mit den Patien- ten diskutieren und zu vermeiden ver- suchen.

Leider ist dies nicht immer möglich.

Eine psychotherapeutische Behand- lung innerhalb der reproduktionsmedi- zinischen Behandlung bieten wir den Patientinnen an, damit sie bessere Chancen zur Erfüllung des Kinderwun- sches haben. Natürlich versuchen wir, den Erfolg zu verbessern und die Not und das Leid vieler Kinderwunsch-Paa- re zu vermindern.

Prof. Dr. med. Liselotte Mettler, Universitäts-Frauenklinik Kiel, Michaelisstraße 16, 24105 Kiel T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 10½½½½8. März 2002 AA619

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Keine differenzierte Darstellung

Ärztlicherseits ist es sehr beklagens- wert, wenn eine Patientin infolge einer therapeutischen Maßnahme Schaden nimmt und gleichzeitig das Ziel der the- rapeutischen Maßnahme nicht erreicht wird. Insofern bedauern wir das persön- liche Schicksal der Autorin, Frau Dr.

Magda Telus. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es im Bereich der Fortpflanzungsmedizin auch andere Be- handlungskonzepte gibt, die einen inter- grativen und interdisziplinären Ansatz verfolgen; insofern ist der von der Auto- rin beklagte „Aktionismus“ nicht kenn- zeichnend für den Alltag der Fortpflan- zungsmedizin. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn hier eine differenzierte Darstellung erfolgt wäre.

Darüber hinaus sind noch folgende allgemeine Anmerkungen zu machen:

1. Es muss klar sein, dass alle Inter- ventionen in der Fortpflanzungsmedizin auf einer klaren Indikationsstellung be- ruhen müssen. „Kinderlosigkeit“ per se stellt keine solche Indikationsstellung dar. Nur wenn sichergestellt ist, dass in einer bestimmten konkreten Situation keine andere Maßnahme als die vorge- nommene möglich ist, können unver- meidbare Komplikationen vom Arzt vertreten werden. Komplikationen, die bei nicht indizierten Eingriffen oder Techniken auftreten, entsprechen hinge- gen nicht der ärztlichen Sorgfaltspflicht.

2. Das Deutsche IVF-Register (DIR) stellte eine – auch weltweit – fast einmali- ge Selbstinitiative zur Qualitätssicherung dar. Mittlerweile werden die durchge- führten IVF-, ICSI-, Kryo- und GIFT- Zyklen prospektiv erfasst, der Erfas- sungsgrad nähert sich den 100 Prozent.

Gegenstand der alljährlichen Präsentati- on der Ergebnisse sind sehr wohl Neben- wirkungen, wie zum Beispiel Probleme bei den Eizellentnahmen, das Übersti- mulationssyndrom und auch die Fehlbil- dungsrate der geborenen Kinder. Dar- über hinaus ist es Usus, bei dieser jährli- chen Präsentation – im Rahmen eines Symposiums – stets verschiedene Aspek- te der Fortpflanzungsmedizin kritisch darzustellen – wie dies zuletzt im vergan- genen Jahr in Magdeburg der Fall war (in Anwesenheit von Pressevertretern).

3. Der Öffentlichkeit liegt mittler- weile ein Diskussionspapier der ein- schlägigen Fachgesellschaften vor, in dem unter anderem gefordert wird, im Rahmen eines zukünftigen Fortpflan- zungsgesetzes eine zentrale Prüf- und Lizenzierungsstelle zu schaffen – nach dem Vorbild der britischen HFEA. Da- mit soll die Qualitätssicherung auch über eine gesetzliche Grundlage sicher- gestellt werden, was bisher nur un- zulänglich der Fall ist. Bedauerlicher- weise wird diese Forderung bei den Politikern kaum wahrgenommen; die frühere Gesundheitsministerin, Frau Fischer, lehnte eine solche gesetzliche Grundlage oder die Schaffung einer solchen Stelle gar rundweg ab.

4. Eine qualifizierte fortpflanzungs- medizinische Versorgung setzt auch einen Facharzt für Fortpflanzungsme- dizin voraus. Ihn gibt es allenfalls in An- sätzen, nämlich im Rahmen der fakulta- tiven Weiterbildung „Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungs- medizin“, einer mindestens zweijähri- gen Zusatzausbildung im Anschluss an den Frauenarzt. Wünschenswert und seit langem von den Fachgesellschaften gefordert wäre hier eine noch stärker gegliederte Ausbildung, zum Beispiel im Sinne eines Schwerpunkts, vor allem aber interdisziplinär. So sinnvoll das ist, zum Teil beobachtet man Gegenteiliges:

So bemüht sich zum Beispiel die Kas- senärztliche Vereinigung Bayerns seit geraumer Zeit, die unabdingbar notwen- dige Partnerbehandlung in der Fort- pflanzungsmedizin, die heute eigentlich zum Standard gehört, zu unterlaufen, und lehnt sogar neuerdings die Vergü- tung von Aufklärungs- und Informa- tionsgesprächen mit den Partnern ab.

Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF e.V.),Prof. Dr. Dr. Wolfgang Würfel, Bodenseestraße 7, 81241 München

Täter-Opfer-Szenario

Sicherlich ist es wichtig, die seelischen und körperlichen Belastungen einer Kinderwunschbehandlung offen zu be- nennen. Der Beitrag von Frau Telus scheint mir allerdings eher ein Täter- Opfer-Szenario zu entwerfen. Es wird der Eindruck vermittelt, der Frauenkör- per werde von den Reproduktionsmedi-

zinern ausgebeutet. Dem ist entgegen- zuhalten, dass die Frauen freiwillig nach einer in der Regel umfassenden Auf- klärung in die Behandlung einwilligen.

Problematisch erscheinen mir unreali- stische Erwartungen an die Reprodukti- onsmedizin. Wenn die Behandlung er- folglos bleibt, resultiert aus der Ent- täuschung heraus häufig eine Entwer- tung der vorher idealisierten Bilder.

Der Wunsch nach Wiedergutmachung von „Schäden“, die ursprünglich als mögliche Komplikationen in Kauf ge- nommen wurden, ist verständlich. Be- dauerlicherweise wird hierdurch not- wendige Trauerarbeit verhindert.

Wir sollten nicht vergessen, dass erst eine Generation von Frauen die Lei- stungen der Reproduktionsmedizin für sich nutzen konnte. Mit Sicherheit müs- sen sowohl die Patientinnen als auch ihre Behandler aus den bisher gewon- nenen Erfahrungen noch lernen.

Dr. med. Christel Kuhn, Kyllblick 19, 54531 Manderscheid

Kritische Distanz wahren

Wir Ärzte, die wir in der „Gesundheits- industrie“ groß geworden sind, laufen nach meiner Einschätzung Gefahr, wichtige Orientierungspunkte ärztli- chen Handelns zu verlieren, wenn wir nicht versuchen, verheißungsvollen Zu- kunftstechnologien gegenüber zugleich kritische Distanz zu wahren. Dies gilt besonders für die Reproduktionsmedi- zin, in der sich zurzeit wie in fast keiner anderen ärztlichen Fachrichtung die Grenzen zwischen wünschenswerten neuen Techniken und ethisch nicht ver- tretbaren Menschenversuchen zu ver- wischen drohen. Hier gilt es, dem per- sönlichen Ehrgeiz, dem Machtstreben und der Gewinnsucht Einzelner allge- mein von der Gesellschaft getragene, rechtskonforme, ethische Grundwerte entgegenzustellen. Die Ärzte sollten den Auftrag des Heilens nicht aus den Augen verlieren. Die Reproduktions- medizin und an sich hilfreiche Me- thoden der PID sollten nicht in den Verdacht geraten, den Bedarf an embryonalen Stammzellen für For- schungszwecke decken zu helfen!

T H E M E N D E R Z E I T

A

A620 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 10½½½½8. März 2002

(3)

So wie derzeit bei genetischen Unter- suchungen eine psychologische Betreu- ung der Betroffenen erfolgt, halte ich dies auch bei Fertilitätsbehandlungen zusätzlich zur ärztlichen Beratung für erforderlich, umso mehr als verschiede- ne Faktoren wie langjährige Kinderlo- sigkeit, mögliche vererbte Behinderun- gen, andere physische und psychische Belastungsfaktoren oder auch das fort- geschrittene Lebensalter des Paares als weitere Stressoren wirken können. So- wohl die Eltern wie das zu gebärende Wunschkind würden davon profitieren.

Ich wage zu behaupten, dass einige Paa- re hierdurch auch von einer Fertilitäts- behandlung Abstand nehmen und ein Kind adoptieren würden. . . .

Yvonne Suttor-Bräutigam, Gorch-Fock-Straße 13, 24229 Strande

Ernüchternde Bilanz

Die Verfasserin schildert die körperli- chen und psychischen Belastungen für die Frau und die vielfältigen Risiken ei- ner IVF ausführlich und überzeugend.

Die geringe Erfolgsaussicht einer IVF streift sie nur am Rande. Dabei dürfte ge- rade die Kenntnis der internationalen Statistik (veröffentlicht in Human Repro- duction 15/12, 2000) für eine freie Ent- scheidungsfindung unverzichtbar sein.

Bei 886 dokumentierten Fällen wur- den über 10 000 Eizellen entnommen, von diesen 9090 inseminiert, davon über 5 000 biopsiert. Pro Frau werden etwa vier Keimlinge „ausgesondert“, die übrig gebliebenen 1 300 transferiert und am Ende 162 Kinder von 123 Frauen ge- boren. Die Erfolgsquote liegt damit bei 14 Prozent der Frauen und 1,8 Prozent der inseminierten Eizellen. Dafür wurde in neun Fällen während der Schwanger- schaft eine Mehrlingsreduktion vorge- nommen, und sieben Schwangerschaf- ten wurden nach Pränataldiagnostik ab- gebrochen. In 49 Fällen kam es zu post- natalen Komplikationen, in drei Fällen endeten sie mit dem Tod des Kindes.

Diese ernüchternde Bilanz dürfte viele Frauen ihren Traum vom Kind mithilfe der Reproduktionsmedizin noch einmal überdenken lassen. Es besteht auch keine Reproduktionspflicht, wie die zi- tierte Patientenbroschüre nahe zu legen scheint. Das Recht auf Fortpflanzung ist

zunächst als Abwehrrecht zu verstehen, das heißt, der Staat hat nicht das Recht, Menschen zu hindern, Kinder zu zeugen.

Auch wenn die deutsche Regelung Kin- derwunsch de facto als positives Recht behandelt, das die Förderung durch die Solidargemeinschaft verdient, lässt sich daraus noch nicht im Umkehrschluss ab- leiten, dass ungewollte Kinderlosigkeit eine Krankheit darstellt. . . .

Dr. Rolf Klimm, Bach 2, 83093 Bad Endorf

Schlusswort

Reproduktionsmedizin macht schlech- te Zahlen – das zeigt auch unsere Dis- kussion. Der Anteil an Fehldiagnosen und iatrogenen Schädigungen ist hoch, die Geburtenrate gering. Trotzdem steigt die Zahl der Behandelten. War- um bloß? Ich möchte auf drei Aspekte aus der Diskussion besonders eingehen:

1. Der Schlüsselsatz ist in meinen Au- gen die Feststellung von Frau Dr. Zu- ber-Jerger, sie habe sich gut informiert gefühlt, hätte aber in Wirklichkeit keine Ahnung gehabt, was auf sie zukommen sollte. Diese Feststellung bringt die Tat- sache auf den Punkt, dass die Gefahren der Reproduktionsmedizin für Frauen im öffentlichen Diskurs über Repro- duktionsmedizin und die einschlägige Forschung wie im Fachdiskurs der Re- produktionsmedizin selbst weitgehend ausgeblendet werden. Ungewollt kin- derlose Frauen können sich anschei- nend frei für oder gegen eine Sterilitäts- behandlung entscheiden, aber sie fällen ihre Entscheidung in einem bestimmten diskursiven Raum. In diesem Raum fungieren Reproduktionstechnologien zunehmend als eine medizinisch unbe- denkliche Normalität, wozu die durch sprachwissenschaftliche Analyse sicht- bar werdenden Verdrängungs- und Ver- harmlosungsverfahren sicherlich beitra- gen. So gesehen fragt man sich, inwie- fern der informed consent der Kinder- wunschpatientinnen wirklich einer ist.

2. Veröffentlichte Frauenberichte wie der von Frau Dr. Zuber-Jerger sind selten, aber es gibt sie in den diskursi- ven Nischen wie Frauenzeitschriften, Leserbriefe, feministische Studien, al- ternative Presse. Dieses Material muss- te ich aus Platzgründen im Deutschen

Ärzteblatt auslassen, aber ich berück- sichtige es in meinem in Vorbereitung befindlichen Buch „Kulturtheorie der Reproduktionsmedizin“. Alle mir be- kannten Frauenberichte betonen die außerordentlichen Belastungen der Be- handlung. Dieser Tatsache werden sol- che Erklärungsansätze nicht gerecht, die diese Frauenerfahrungen als „per- sönliches Schicksal“ (so in dem Beitrag von Prof. Dr. Würfel) oder als „Entwer- tung der vorher idealisierten Bilder“, sprich Enttäuschung über die ausge- bliebene Schwangerschaft (Dr. Kuhn), darstellen. Solche Erklärungen haben, vielleicht unabhängig von den Intentio- nen derjenigen, die sie ausformulieren, die Funktion, die Geschädigten zu Einzelfällen zu marginalisieren bezie- hungsweise von der Realität der Be- handlung mit einem Schwenk auf den unerfüllten Kinderwunsch abzulenken.

In meinen Augen ist hier weniger die individuelle „Trauerarbeit“ als viel- mehr ein guter Anwalt vonnöten.

3. Es wird sicher so sein, dass sich vie- le Reproduktionsmediziner aufrichtig um das Wohl der Behandelten be- mühen. Aber ebenfalls ist für einen Re- produktionsmediziner die Zahl der Kunden ein Maßstab des Erfolgs. Bei dieser Definition des Erfolgs steht defi- nitiv nicht das „Wohlergehen der Paare im Vordergrund“, wie das Frau Prof.

Dr. Mettler postuliert, sondern eben ih- re Zahl. Dies ist möglich, weil sich Re- produktionsmedizin als Diskursforma- tion an der Spitze des Fortschritts ima- giniert und in dieser Position auf eine massenhafte Anwendung und eine ständige Indikationserweiterung für die von ihr angebotenen Verfahren drängt.

Abschließend möchte ich mich für die etwa 60 erhaltenen Zuschriften und Anrufe bedanken. Manche der Rück- meldungen waren persönlich, manche beschrieben einschlägige klinische Er- fahrungen. Alle enthielten wichtige In- formationen für meine weitere Arbeit.

Insbesondere danke ich Frau Dr. Astrid Bühren, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, sowie Frau Prof. Dr.

Gabriele Kaczmarczyk, 2. Vorsitzende des Arbeitskreises Frauen und Gesund- heit, für ihre Hinweise auf die wichtigen Initiativen ihrer Organisationen.

Dr. phil. Magda Telus,

Josephstraße 11, 44791 Bochum, M.Telus@web.de T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 10½½½½8. März 2002 AA621

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