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Archiv "Reproduktionsmedizin - Zwischen Trauma und Tabu: Ernüchternde Bilanz" (08.03.2002)

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So wie derzeit bei genetischen Unter- suchungen eine psychologische Betreu- ung der Betroffenen erfolgt, halte ich dies auch bei Fertilitätsbehandlungen zusätzlich zur ärztlichen Beratung für erforderlich, umso mehr als verschiede- ne Faktoren wie langjährige Kinderlo- sigkeit, mögliche vererbte Behinderun- gen, andere physische und psychische Belastungsfaktoren oder auch das fort- geschrittene Lebensalter des Paares als weitere Stressoren wirken können. So- wohl die Eltern wie das zu gebärende Wunschkind würden davon profitieren.

Ich wage zu behaupten, dass einige Paa- re hierdurch auch von einer Fertilitäts- behandlung Abstand nehmen und ein Kind adoptieren würden. . . .

Yvonne Suttor-Bräutigam, Gorch-Fock-Straße 13, 24229 Strande

Ernüchternde Bilanz

Die Verfasserin schildert die körperli- chen und psychischen Belastungen für die Frau und die vielfältigen Risiken ei- ner IVF ausführlich und überzeugend.

Die geringe Erfolgsaussicht einer IVF streift sie nur am Rande. Dabei dürfte ge- rade die Kenntnis der internationalen Statistik (veröffentlicht in Human Repro- duction 15/12, 2000) für eine freie Ent- scheidungsfindung unverzichtbar sein.

Bei 886 dokumentierten Fällen wur- den über 10 000 Eizellen entnommen, von diesen 9090 inseminiert, davon über 5 000 biopsiert. Pro Frau werden etwa vier Keimlinge „ausgesondert“, die übrig gebliebenen 1 300 transferiert und am Ende 162 Kinder von 123 Frauen ge- boren. Die Erfolgsquote liegt damit bei 14 Prozent der Frauen und 1,8 Prozent der inseminierten Eizellen. Dafür wurde in neun Fällen während der Schwanger- schaft eine Mehrlingsreduktion vorge- nommen, und sieben Schwangerschaf- ten wurden nach Pränataldiagnostik ab- gebrochen. In 49 Fällen kam es zu post- natalen Komplikationen, in drei Fällen endeten sie mit dem Tod des Kindes.

Diese ernüchternde Bilanz dürfte viele Frauen ihren Traum vom Kind mithilfe der Reproduktionsmedizin noch einmal überdenken lassen. Es besteht auch keine Reproduktionspflicht, wie die zi- tierte Patientenbroschüre nahe zu legen scheint. Das Recht auf Fortpflanzung ist

zunächst als Abwehrrecht zu verstehen, das heißt, der Staat hat nicht das Recht, Menschen zu hindern, Kinder zu zeugen.

Auch wenn die deutsche Regelung Kin- derwunsch de facto als positives Recht behandelt, das die Förderung durch die Solidargemeinschaft verdient, lässt sich daraus noch nicht im Umkehrschluss ab- leiten, dass ungewollte Kinderlosigkeit eine Krankheit darstellt. . . .

Dr. Rolf Klimm, Bach 2, 83093 Bad Endorf

Schlusswort

Reproduktionsmedizin macht schlech- te Zahlen – das zeigt auch unsere Dis- kussion. Der Anteil an Fehldiagnosen und iatrogenen Schädigungen ist hoch, die Geburtenrate gering. Trotzdem steigt die Zahl der Behandelten. War- um bloß? Ich möchte auf drei Aspekte aus der Diskussion besonders eingehen:

1. Der Schlüsselsatz ist in meinen Au- gen die Feststellung von Frau Dr. Zu- ber-Jerger, sie habe sich gut informiert gefühlt, hätte aber in Wirklichkeit keine Ahnung gehabt, was auf sie zukommen sollte. Diese Feststellung bringt die Tat- sache auf den Punkt, dass die Gefahren der Reproduktionsmedizin für Frauen im öffentlichen Diskurs über Repro- duktionsmedizin und die einschlägige Forschung wie im Fachdiskurs der Re- produktionsmedizin selbst weitgehend ausgeblendet werden. Ungewollt kin- derlose Frauen können sich anschei- nend frei für oder gegen eine Sterilitäts- behandlung entscheiden, aber sie fällen ihre Entscheidung in einem bestimmten diskursiven Raum. In diesem Raum fungieren Reproduktionstechnologien zunehmend als eine medizinisch unbe- denkliche Normalität, wozu die durch sprachwissenschaftliche Analyse sicht- bar werdenden Verdrängungs- und Ver- harmlosungsverfahren sicherlich beitra- gen. So gesehen fragt man sich, inwie- fern der informed consent der Kinder- wunschpatientinnen wirklich einer ist.

2. Veröffentlichte Frauenberichte wie der von Frau Dr. Zuber-Jerger sind selten, aber es gibt sie in den diskursi- ven Nischen wie Frauenzeitschriften, Leserbriefe, feministische Studien, al- ternative Presse. Dieses Material muss- te ich aus Platzgründen im Deutschen

Ärzteblatt auslassen, aber ich berück- sichtige es in meinem in Vorbereitung befindlichen Buch „Kulturtheorie der Reproduktionsmedizin“. Alle mir be- kannten Frauenberichte betonen die außerordentlichen Belastungen der Be- handlung. Dieser Tatsache werden sol- che Erklärungsansätze nicht gerecht, die diese Frauenerfahrungen als „per- sönliches Schicksal“ (so in dem Beitrag von Prof. Dr. Würfel) oder als „Entwer- tung der vorher idealisierten Bilder“, sprich Enttäuschung über die ausge- bliebene Schwangerschaft (Dr. Kuhn), darstellen. Solche Erklärungen haben, vielleicht unabhängig von den Intentio- nen derjenigen, die sie ausformulieren, die Funktion, die Geschädigten zu Einzelfällen zu marginalisieren bezie- hungsweise von der Realität der Be- handlung mit einem Schwenk auf den unerfüllten Kinderwunsch abzulenken.

In meinen Augen ist hier weniger die individuelle „Trauerarbeit“ als viel- mehr ein guter Anwalt vonnöten.

3. Es wird sicher so sein, dass sich vie- le Reproduktionsmediziner aufrichtig um das Wohl der Behandelten be- mühen. Aber ebenfalls ist für einen Re- produktionsmediziner die Zahl der Kunden ein Maßstab des Erfolgs. Bei dieser Definition des Erfolgs steht defi- nitiv nicht das „Wohlergehen der Paare im Vordergrund“, wie das Frau Prof.

Dr. Mettler postuliert, sondern eben ih- re Zahl. Dies ist möglich, weil sich Re- produktionsmedizin als Diskursforma- tion an der Spitze des Fortschritts ima- giniert und in dieser Position auf eine massenhafte Anwendung und eine ständige Indikationserweiterung für die von ihr angebotenen Verfahren drängt.

Abschließend möchte ich mich für die etwa 60 erhaltenen Zuschriften und Anrufe bedanken. Manche der Rück- meldungen waren persönlich, manche beschrieben einschlägige klinische Er- fahrungen. Alle enthielten wichtige In- formationen für meine weitere Arbeit.

Insbesondere danke ich Frau Dr. Astrid Bühren, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, sowie Frau Prof. Dr.

Gabriele Kaczmarczyk, 2. Vorsitzende des Arbeitskreises Frauen und Gesund- heit, für ihre Hinweise auf die wichtigen Initiativen ihrer Organisationen.

Dr. phil. Magda Telus,

Josephstraße 11, 44791 Bochum, M.Telus@web.de T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 10½½½½8. März 2002 AA621

Referenzen

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