Bericht und Meinung DIE GLOSSE
„Aber bitte kurz, meine Herren”
Viermal kam der Präsident der Bundesärztekammer zu Wort, als in einer „Live"-Sendung im Klini- kum München-Großhadern unter der bewährten Leitung von Hans Mohl die Lage der Transplantation in Deutschland von allen Seiten beleuchtet wurde. Mohl, der Rou- tinier, weiß natürlich, welches gu- te halbe Dutzend von Leuten, die
„Wesentliches" zum Thema sagen können, er einladen muß. Er weiß auch, wie er steuern muß, damit sie alle drankommen; er kennt die
„richtige" Abwechslung zwischen Kurzinterview mit Professor, Poli- tiker oder Vertreter einer Interes- sengruppe und vorbereitetem Filmbericht, er weiß, wann er die bettlägerige Patientin einzublen- den hat oder eine andere „Stimme aus dem Volke".
Denn „human interest" muß sein bei einer solchen Sendung, die — darüber muß man sich klar sein — immer auch Mehrzweckunterneh- men ist: die Zuschauer sollen ge- fesselt, wenn möglich informiert und mit etwas Glück sogar beein- flußt werden; aber gleichzeitig sol- len die Prominenten möglichst ih- re Kontroversen öffentlich fortset- zen. Nichts davon darf sich aber zu sehr in die Länge ziehen, sonst wird's wieder langweilig, glauben die Fernsehmacher. Staatssekre- tär de With vom Bundesjustizmini- sterium und der baden-württem- bergische Justizminister Eyrich vertraten denn auch prompt und kurz — ihre unterschiedlichen Standpunkte, dieser die Wider- spruchs-, jener die Zustimmungs- regelung in einem künftigen Transplantationsgesetz.
Worauf wir hinauswollen: Derarti- ge Sendungen haben längst eine Art Eigenleben angenommen. Das beginnt schon damit, daß der in bestimmter Richtung engagierte Prominente es sich kaum noch lei- sten kann zu sagen: „Ich habe kei- ne Lust, durch die ganze Bundes- republik zu reisen, um drei- oder
viermal den Mund aufmachen zu dürfen" — wenn die Mohls dieser Welt rufen, dann ist dies ein Be- fehl. Das läßt sich ebenso vorher- sehen wie die „Ausgewogenheit"
der Sendung, die nach oft bewähr- tem Muster abspult. All dies ist nicht etwa Kritik an Mohl oder an- deren Moderatoren, sondern kul- turkritische Beobachtung, die je- der machen kann.
Es stört einen etwas, nicht wahr?
Zu später Stunde erfuhren die Zu- schauer sozusagen alles über Transplantationen (und hatten si- cher am nächsten Morgen das meiste wieder vergessen). Aber vielleicht sollten wir bescheidener sein und sagen: es war informativ, und: vielleicht haben ein paar mehr Leute daraufhin jetzt einen Spenderausweis in der Tasche.
Das wäre ja auch schon etwas.
ZDF-Mohl mußte sich während der Sendung noch einmal, unter ande- rem von BÄK-Präsident Dr. Vilmar, scharfe Kritik an dem ZDF-Film
„Fleisch" von vor einigen Mona- ten anhören. Dieser Film müsse die Spendebereitschaft der Bevöl- kerung negativ beeinflußt haben.
Und wie zur Bestätigung, obwohl natürlich ein ursächlicher Zusam- menhang kaum nachgewiesen werden könnte, zitierte Hans Mohl aus ZDF-Umfragen: 1976 waren 47 Prozent der Befragten für die Bereitschaft zum Organspenden, Anfang 1978 waren es nur noch 41 Prozent. Falls die Sendung da- zu beigetragen haben sollte, die- sen Trend wieder umzukehren, dann hat sie sich wohl doch ge- lohnt.
Was allerdings noch immer die Frage offenläßt: Könnte das an- geblich so einflußreiche Medium Fernsehen ein solches Ergebnis nicht auch erreichen, ohne Län- derminister, Staatssekretäre, Kam- merpräsidenten und Lehrstuhlin- haber dazu zu „zwingen", weite Reisen (und wahrscheinlich eine Übernachtung) auf sich zu neh- men, um drei oder vier Minuten lang „ihren Standpunkt zu erläu- tern"? gb
Diskussions- Tabu?
Selbst-(die)-Beteiligung an der Diskussion um das Für und Wider der Selbstbeteiligung an den Krankheitskosten hat politische Dimension. Was politisch nicht opportun ist, soll offenbar auch wissenschaftlich nicht diskutiert werden. Reaktionen aus dem Bon- ner Arbeitsministerium jedenfalls lassen diese Schlußfolgerung ver- muten. Gemeint ist eine wissen- schaftliche Untersuchung des Zentralinstituts für die kassenärzt- liche Versorgung in der Bundesre- publik Deutschland (ZI), Köln, die anläßlich eines Symposiums der Internationalen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie e. V. in Mainz vorgestellt wurde. Wissen- schaftliche Publizität bei reservier- ten Themen schadet der „Wissen- schaftlichkeit", so die neuerdings aus dem Bundesarbeitsministe- rium verlautbarte These. Wissen- schaft und Publizität gilt bei man- chen Kritikern offenbar als unver- trägliche Verbindung jedenfalls dann, wenn sie gegen „politische Tabus" verstößt. Die „Kosten- dämpfung" auch bei den Versi- cherten einmal zu erproben, ist in einem Wahljahr eben ein ganz und gar unbeliebtes Thema. Aber es ist folgerichtig zu Ende gedacht, was zu Beginn der siebziger Jahre noch mit großem publizistischen Echo als Eindämmung der Kosten- explosion begonnen wurde. Diese Wahrheit muß auch dem Versi- cherten gesagt werden. Wenn Wissenschaft die Suche nach der
„Wahrheit" ist, so dient die Publi- zität ihrer Verbreitung. Paßt die Wahrheit nicht in die politische Wunschvorstellung, so versucht man die Wissenschaft oder die Pu- blizität zu diskreditieren. Die Ideen in wissenschaftlichen Institutio- nen orientieren sich nur selten an politischen Opportunitätspunkten.
Dies muß auch so sein. Das Thema
„Selbstbeteiligung in der Kran- kenversicherung" jedenfalls wird auch in Zukunft wissenschaftlich sehr lebendig bleiben. G. Brenner
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 13 vom 27. März 1980 801