A 64 Deutsches Ärzteblatt
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17. Januar 2014GEMEINSAME LANDESGREMIEN
Eine ernüchternde Bilanz
Die Hoffnungen auf eine bessere sektorenübergreifende Planung,
die in die neuen gemeinsamen Landesgremien gesetzt wurden, waren groß.
Doch nur wenige haben nach zwei Jahren Ergebnisse vorzuweisen.
E
s sollte helfen, die Grenzen zwischen ambulantem und sta- tionärem Sektor zu überwinden so- wie innovative und für die Regionen maßgeschneiderte Konzepte zu er- arbeiten: das gemeinsame Landes- gremium nach Paragraf 90 a Sozial- gesetzbuch V. Diese Entscheidungs- runde sei geeignet, verkündeten Lan- despolitiker, die dringend benötigten passgenauen Verbesserungen an der Schnittstelle ambulant-stationär zu erreichen. „Der Austausch der jewei- ligen Akteure soll dazu führen, dass die Versorgung in Zukunft patien- tenorientierter funktionieren kann“, erklärte im April 2012 der damalige schleswig-holsteinische Gesund- heitsminister Heiner Garg (FDP).„Die Sicherstellung der flächende- ckenden Versorgung einer älter wer- denden und zahlenmäßig abnehmen- den Bevölkerung kann nur gemein- sam gelingen“, sagte seine Bran- denburger Amtskollegin Anita Tack
(Die Linke) im September 2012 bei einer Veranstaltung der AOK.
Mit dem GKV-Versorgungsstruk- turgesetz hat die schwarz-gelbe Ko- alition 2012 auf Drängen der Bun- desländer die Möglichkeit geschaf- fen, Landesgremien einzurichten, in denen die Vertreter der Selbstver- waltung Empfehlungen zu sektoren- übergreifenden Versorgungsfragen in den Regionen abgeben können, aber nicht müssen. Zwei Jahre spä- ter haben zwar fast alle Bundeslän- der ein solches Gremium eingerich- tet oder stehen kurz davor. Aber nur in wenigen Ländern hat das Gre - mium überhaupt schon getagt oder kann gar Ergebnisse vorweisen.
Debatten um Mitglieder und Stimmrechte
Stattdessen wurde monatelang über die Zusammensetzung, Stimmrechte und Abstimmungsmodalitäten dis- kutiert. Das Ergebnis fiel äußerst
heterogen aus: In jedem Bundes- land ist das gemeinsame Landes- gremium anders zusammengesetzt.
Während die bundesgesetzlich vor- geschriebenen Vertreter des Lan- des, der Kassenärztlichen Vereini- gung (KV), der Landesverbände der Krankenkassen sowie der Er- satzkassen und der Landeskranken- hausgesellschaft gesetzt waren und in jedem Landesgremium über Stimmrechte verfügen, sind andere mögliche Mitglieder, insbesondere die Landesärztekammern, nur punk- tuell vertreten und müssen sich teil- weise mit einer Art „Beraterfunk - tion“ begnügen. Jedes Gremium hat eine andere Größe, jedes entschei- det anders: Einige sehen Einstim- migkeit bei Beschlüssen vor, andere eine einfache oder eine Zweidrittel- mehrheit.
Bereits während des Gesetzge- bungsverfahrens hatte es Kritik ge- geben. Damals forderte der deut- sche Landkreistag mehr Einfluss für das Landesgremium: „Die Möglichkeit, Empfehlungen aus- zusprechen, reicht nicht aus. Das sektorenübergreifende Gremium muss eine richtungsweisende Rolle erhalten und bindende Beschlüsse fassen.“ Der GKV-Spitzenverband Bund führte an, dass ein Gremium ohne Entscheidungskompetenzen nicht geeignet sei, die Abstimmung und Steuerung der sektorenüber- greifenden Versorgung zu gewähr- leisten. Die Krankenkassenvertre- ter schlugen vor, die Regelung zu streichen.
Das Gremium wurde gesetzlich vorgeschrieben, die Bedenken sind geblieben. So erklärte Dr. med.
Klaus Heckemann, Vorstandsvor- sitzender der KV Sachsen, nach der konstituierenden Sitzung des dorti- gen gemeinsamen Landesgremi- ums im April 2013: „Wir brauchen kein weiteres Gremium. Es gibt be- Gute Ideen gegen
Engpässe – diese sollten die Landes- gremien liefern.
Doch so einfach wie gehofft, geht es nicht.
Foto: laif
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17. Januar 2014 A 65 reits genug Runden. Dass ausge-rechnet in dieser eine der drängen- den Fragen geklärt wird, halte ich für unwahrscheinlich.“ Heckemann steht mit seiner Skepsis nicht allein.
Ähnlich äußern sich auch Gremi- umsmitglieder aus anderen Bun- desländern.
Ministerin Tack wies bei der AOK-Veranstaltung denn auch dar - auf hin, das Gremium sei „kein scharfes Schwert“. Es solle weder in die Fortschreibung des Landes- krankenhausplans noch in die am- bulante Bedarfsplanung eingreifen.
Frank Michalak, Vorstandsvorsit- zender der AOK Nordost, forderte:
„Das Gremium sollte sich seiner Grenzen bewusst sein und sich dar - auf beschränken, im Rahmen sei- nes gesetzlichen Auftrages tätig zu werden.“
In Berlin: wacklige Vorgaben für den Zulassungsausschuss
Wie wenig bindend Beschlüsse ei- nes Landesgremiums am Ende sein können, zeigt der Berliner „Letter of Intent“, den das dortige Landes- gremium vor wenigen Monaten in seiner zweiten Sitzung beschlossen hat. Danach soll der Zulassungsaus- schuss Praxisverlegungen innerhalb der Stadt nur noch dann zulassen, wenn sie von einem Bezirk mit hö- herem Versorgungsgrad in einen mit niedrigerem erfolgen. Ziel ist es, Versorgungsungleichheiten zwi- schen den Bezirken schrittweise aufzuheben. Bei der Planung für die haus- und kinderärztliche Versor- gung soll zusätzlich die bezirkliche Sozialstruktur berücksichtigt wer- den. Das bedeutet: In Bezirken mit ungünstiger Sozialstruktur dürfte es mehr Haus- und Kinderarztpraxen geben, in Bezirken mit guter Sozi- alstruktur weniger. Solche Vorga- ben sind umstritten, nicht nur we- gen juristischer Aspekte. Viele Fachleute sind der Auffassung, dass man Ärztinnen und Ärzte, die sich in Bezirken mit einer schwierigen Sozialstruktur niedergelassen ha- ben, lieber besser honorieren und ihre Arbeit durch kommunale Zu- satzangebote unterstützen solle, statt ihnen einen Umzug zu verbie- ten. Hinzu kommt aber: Die Mit- glieder des Zulassungsausschussesvon Krankenkassen und KV sind per Gesetz nicht weisungsgebun- den. Der Berliner Landesausschuss kann also nur an den Ausschuss ap- pellieren, seine Empfehlung zu be- rücksichtigen. Im Fall der Umzugs- verbote ist das strenggenommen überflüssig, wie der Vorstand der KV Berlin, Dr. med. Uwe Kraffel, erläutert. Der Zulassungsausschuss ist nämlich gemäß Paragraf 24 Ab- satz 7 der Zulassungsverordnung für Ärzte verpflichtet zu prüfen, ob Erfordernisse der vertragsärztlichen Versorgung einer Praxisverlegung entgegenstehen. Bereits seit 2012 lässt er nach Angaben Kraffels des- halb Umzüge in gut versorgte Be- zirke nicht mehr zu. Die Ärzte, de- nen ein Umzug untersagt wurde, hätten gegen diese Entscheidung geklagt, so der KV-Vorstand. Auch wenn Kraffel die Erfolgschancen der Kläger als gering einschätzt, deutet auch dieser Umstand darauf hin, dass die Umsetzung von Emp- fehlungen eines Landesgremiums schwierig ist.
Nicht alle Bundesländer haben im Übrigen ein eigenes Gesetz für ihre Landesgremien erlassen. In Nordrhein-Westfalen (NRW) wur- de die Runde ohne besondere lan-
desgesetzliche Ermächtigungs- grundlage und ohne Geschäftsord- nung eingesetzt. So konnte das Gremium nach Angaben des NRW- Gesundheitsministeriums bereits im Januar 2012 seine Arbeit auf- nehmen. Die Zusammensetzung sei bewusst auf die vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Institu- tionen beschränkt worden, heißt es.
Wie in anderen Ländern auch, soll das Gremium Handlungsempfeh- lungen für eine bessere sektoren- übergreifende Versorgung abgeben.
Konkret wurden nach Darstellung eines Ministeriumssprechers mitt- lerweile die Grundlagen für ein elektronisch unterstütztes Einwei- sungs- und Entlassmanagement er- arbeitet. Ziel ist ein elektronisch gestütztes Überleitungsverfahren, um den Informationsfluss zwischen ambulantem und stationärem Sek- tor zu verbessern. Zunächst wird das Verfahren in Düren und in der Region Remscheid erprobt.
Bessere Versorgung in
Pflegeheimen als Schwerpunkt
Darüber hinaus befasst sich das NRW-Landesgremium mit der Ver- besserung der medizinischen Ver- sorgung in Alten- und Pflegehei- men. Hier werden eine bessere Ko- ordination der ärztlichen Versor- gung, eine bessere Erreichbarkeit, klarer definierte Ansprechpartner, regelhafte Besuchstätigkeiten unter Begleitung einer Pflegekraft und ein Medikationsmanagement ange- strebt.Möglicherweise werden die Lan- desgremien in einigen Jahren mehr vorweisen können, vor allem wenn der Druck zunimmt, eine Ver- schlechterung der Versorgung durch eine bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Ange- boten aufzuhalten. Doch derzeit, zwei Jahre nach Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes, ist ihre Bilanz ernüchternd. In Re- gionen, wo die Akteure pragma- tisch und vertrauensvoll zusam- menarbeiten, ist ein solches Gremi- um nicht nötig. Wo das Verhältnis von Misstrauen und gestörter Kom- munikation geprägt ist, hilft es
auch nicht.
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Eugenie Ankowitsch Die Unzufriedenheit über getrennte Planungsgremien für
die ambulante und die stationäre Versorgung auf Landes- ebene hat dazu geführt, dass mit Hilfe des GKV-Versor- gungsstrukturgesetzes die Möglichkeit geschaffen wur- de, in jedem Bundesland ein gemeinsames Landesgre- mium für sektorenübergreifende Versorgungsfragen zu bilden. Details sind in Paragraf 90 a Sozialgesetzbuch V geregelt.
Mitglieder des Gremiums sind Vertreter des Landes, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Landesverbände der Krankenkassen sowie der Ersatzkassen und der Lan- deskrankenhausgesellschaft. „Durch entsprechende lan- desrechtliche Regelungen können regionale Versorgungs- bedürfnisse berücksichtigt und Vertreterinnen der betrof- fenen Kommunen oder Berufsverbände hinzugezogen werden“, hieß es Ende 2011 in der Erläuterung zu Para- graf 90 a. In einigen Bundesländern sind deshalb auch die Ärzte- und Psychotherapeutenkammern vertreten.
Beschlüsse des Gremiums haben Empfehlungscharak- ter. Die Länder können vorsehen, dass dessen Ratschläge vor Planungsentscheidungen einzuholen sind. Rie