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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 21, 28. Mai 1999 (1)
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en Krankenkassen gehen in der Debatte um die Ge- sundheitsreform 2000 of- fenbar die Argumente aus. Der IKK-Bundesverband hat kürzlich eine Umfrage unter den niederge- lassenen Ärzten in Auftrag gege- ben. Eine von drei Fragen lautete:Wie zufrieden sind Sie mit der In- formationspolitik der Kassenärzt- lichen Vereinigung gegenüber den Ärzten? Das Ergebnis: 38 Pro- zent der Kassenärzte sind „unzu- frieden“ oder „sehr unzufrieden“, 35 Prozent sind „zufrieden“, 26 Pro- zent sind weder das eine noch das andere.
Wie der Vorstandsvorsitzen- de des IKK-Bundesverbandes, Rolf Stuppardt, dieses Ergebnis in-
terpretiert, ist indes kaum nach- zuvollziehen. Die Ärztefunktio- näre, sagt er, stünden mit ihren Parolen auf den Protestveran- staltungen weitgehend allein. Er empfiehlt daher, „das Wehklagen der Ärztebosse“ nicht so ernst zu nehmen.
Stuppardt sind, so scheint es, die zahlreichen Protestkundge- bungen der letzten Monate ent- gangen. In ganz Deutschland de- monstrieren Tausende von Ärzten gegen das Reformvorhaben der rot-grünen Bundesregierung; jetzt eben in Berlin, zuvor in Leipzig, München, Dortmund und Bonn.
Wie aber könnte es der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung oder den Kassenärztlichen Vereinigun-
gen gelingen, Massen zu mobi- lisieren, wenn sich die Basis von ihren Vertretern entfremdet hätte?
Es ist nicht sonderlich schwie- rig, die Strategie des IKK-Vor- standsvorsitzenden zu durchschau- en. Stuppardt spekuliert darauf, ei- nen Keil zwischen die Ärzte und die von ihnen gewählten Standes- vertreter zu treiben. Eine Selbst- verwaltung, die sich uneins ist mit der Basis, läuft Gefahr, ihre Le- gitimation zu verlieren. Und das paßt immer wieder gut ins Konzept der Krankenkassen. Seit Jahren wünschen sie sich nichts mehr, als direkt mit den niedergelasse- nen Ärzten zu verhandeln – und einzelne Ärztegruppen „einzukau- fen“. Dr. Sabine Glöser
Krankenkassenumfrage
Peinliche Taktik
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ie Stunde der gesundheits- politischen Wahrheit rückt näher – auch für die bislang auf die Politik hoffenden Haus- ärzte. Unmittelbar vor der Bundes- tagswahl im vergangenen Herbst hatte Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Kossow, der Vorsitzende des Be- rufsverbandes der Allgemeinärzte Deutschlands (BDA), unter den di- versen Angeboten der politischen Köche eine „rot-grüne Koalitions- suppe“ als die wahrscheinlich ge- haltvollste für die hungrigen Haus- ärzte ausgemacht. Die gewünschte„Suppe“ steht nun schon eine Weile auf dem Herd, und soeben werden die Löffel verteilt.
Klar ist, daß sich bei nahezu al- len Betroffenen die rechte Freude an dem Menü nicht einstellen will.
Doch wie schmeckt’s den Hausärz- ten? Sterne verteilt Gastronomie- kritiker Kossow keineswegs. Doch ebensowenig zeigte sich der BDA-
Vorsitzende bei der jüngsten Dele- giertenversammlung seines Verban- des (am 8. Mai in Frankfurt/Main) zu einem Verriß bereit. Die Haus- ärzte sind zweifellos ernüchtert, aber sie hoffen noch.
Von den ursprünglich hochge- steckten Erwartungen an die Ge- sundheitsreform der neuen Regie- rung ist nach Lage der Dinge herz- lich wenig geblieben: Es wird weder eine Hausarzt-Sektion innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigun- gen noch ein eigenes Verhandlungs- mandat mit den Krankenkassen ge- ben. Das Primärarztsystem liegt nach wie vor in weiter Ferne, selbst die Einführung von freiwilligen Hausarztmodellen mit Anreizen für die Versicherten ist ganz in das Ermessen der Krankenkassen ge- stellt. Was also bleibt?
Die hausärztliche Versorgung soll einen eigenen Vergütungsan- teil erhalten, allerdings um den
Preis eines verstärkten Einflusses der Krankenkassen auf die Ho- norarverteilung. Der Gliederungs- auftrag in eine haus- und fachärzt- liche ambulante Versorgung soll präzisiert, die Entscheidung für oder gegen einen Versorgungsbe- reich künftig unwiderrufbar sein.
Kossow sieht lediglich Ansät- ze für die erhoffte Stärkung der hausärztlichen Versorgung. Eine eher mäßige Bilanz, zumal auch der BDA das Global- und die Arz- neimittelbudgets entschieden ab- lehnt. Den damit verbundenen Nachteilen für alle Kassenärzte stehen keine nennenswerten Ver- besserungen für Hausärzte ge- genüber. Der BDA wäre deshalb gut beraten, wieder den Schulter- schluß mit der KBV und den KVen zu suchen. Die oft bemühte Ge- schlossenheit der Ärzteschaft ist im politischen Ringen eben mehr als nur eine Floskel. Josef Maus