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Archiv "Gesundheitssystem in Vietnam: Ernüchternde Parallelwelten" (06.02.2009)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 6⏐⏐6. Februar 2009 A235

T H E M E N D E R Z E I T

A

uf den Fluren von Block D des Tu-Du-Krankenhauses in Ho-Chi-Minh-Stadt liegen einfache Bastmatten, eng aneinandergereiht.

Darauf sitzen, liegen und kauern junge Frauen zwischen Anfang und Ende 20. Neben der ein oder ande- ren steht ein kleines Schälchen Reis, manchmal mit etwas Gemüse und einem Stück Fleisch. Vielen Frauen läuft der Schweiß von der Stirn, sie fächern sich mit den Handflächen etwas Luft zu. Von den Fluren gehen Krankenzimmer ab, die sich jeweils rund ein Dutzend Vietnamesinnen teilen. Sie alle warten darauf, in dem einen großen Kreißsaal nebenan mit

seinen zehn Entbindungsstühlen ih- re Kinder zur Welt zu bringen. An- grenzend an Block D liegt die Pri- vatstation des Tu-Du-Krankenhau- ses. Sie ist durch eine Glastür vom Nachbarblock abgetrennt. Es ist die Tür zu einer anderen Welt, die für die meisten Vietnamesen verschlos- sen bleibt.

Die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe des Tu-Du-Kran- kenhauses in Ho-Chi-Minh-Stadt sei eine der größten Vietnams, sagt Dr.

med. Vuong Thi Ngoc Lan. Hier würden jährlich rund 45 000 Säug- linge geboren, berichtet die Ärztin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe. In dem 1 000-Betten- Haus gibt es seit einigen Jahren spe- zielle Stationen für wohlhabende Vietnamesen. Das sind solche, die schicke westliche Kleidung tragen, eigene Apartments in den Großstäd- ten besitzen und im klimatisierten Auto durch die Gegend fahren. Da sie es sich leisten können, mehr als

200 Euro für die Entbindung ihrer Kinder zu zahlen, kommt der Nach- wuchs im hygienisch einwandfreien Kreißsaal zur Welt. Die Mütter kön- nen sich anschließend im Einbett- zimmer ausruhen, außerdem werden sie von Ärzten betreut, nicht nur von Hebammen. Diejenigen, die ledig- lich 60 Euro aufbringen können,

landen in Block D. „Eigentlich ist es nicht richtig, ein solches Neben- einander zuzulassen“, meint Lan.

Dürftig ausgestattete Abteilungen wie die am Tu-Du-Krankenhaus sind die Regel in Vietnam. Noch gibt es kaum Privatabteilungen oder Privat- kliniken. Schließlich zählt die sozia- listische Republik mit einem Pro- Kopf-Einkommen von 550 Euro jährlich zu den ärmsten Ländern Asiens. Die meisten Vietnamesen in größeren Städten teilen sich mit Großfamilien einfache Unterkünfte, viele essen und schlafen auf der Straße. Sie überlegen nicht, wohin sie als nächstes in den Urlaub fahren oder welches neue T-Shirt sie brau- chen. Sie überlegen, ob das wenige Geld reicht, um die gesamte Familie zu ernähren. Sie sitzen zum Teil mit fünf Personen – Mutter, Vater und drei Kinder – auf nur einem Motor- rad. Ihre Münder und Nasen sind mit einem Tuch bedeckt, damit sie die unzähligen Staubpartikel nicht un- gefiltert einatmen müssen.

Der Staat kann es sich noch nicht leisten, mehr als circa 20 Euro pro Jahr für die Gesundheit jedes einzel- nen Bürgers auszugeben. Die Öff- GESUNDHEITSSYSTEM IN VIETNAM

Ernüchternde Parallelwelten

Das Gesundheitswesen der sozialistischen Republik befindet sich im Umbruch: Während wohlhabende Vietnamesen durch einen wachsenden Privatsektor von guter ärztlicher Versorgung profitieren, greift die staatliche Versorgung für die breite Masse immer weniger.

Daten cEinwohnerzahl:

86 Millionen (davon 6 Millionen in Hanoi) (Deutschland: circa 82 Millionen) cBruttoinlandspro- dukt (BIP): 65 Milli- arden US-Dollar (Deutschland: 2 303 Millarden Euro) cBIP pro Kopf: 756 US-Dollar (Deutsch- land: 28 211 Euro) cWachstumsrate:

7,8 Prozent (2007) (Deutschland: 2,5 Prozent) cAnteil der Ge- sundheitsausgaben am BIP: circa 5 Pro- zent (Deutschland 10,6 Prozent) cAusgaben für Ge- sundheit je Einwoh- ner im Jahr 2003:

26 US-Dollar/Kopf (Deutschland: 2 970 Euro)

Es ist nicht richtig, ein Nebeneinander von Arm und Reich zuzulassen.

Dr. med. Vuong Thi Ngoc Lan, Gynäkologin

Tür an Tür werden inzwischen in einigen staatlichen Krankenhäusern Vietnams wohlhabende und weniger wohlhabende Patienten versorgt. An überfüllte Kreißsäle grenzen perfekt ausgestattete, hygienisch einwandfreie Privatabteilungen an – die immer mehr Vietnamesen in Anspruch nehmen.

Foto:AP

Foto:picture-alliance/Godong

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nung des Landes gegenüber dem Westen im Zuge von Doi Moi* hat jedoch dazu geführt, dass die Wirt- schaft Vietnams zunehmend floriert.

Durch das Wachstum hat sich nicht nur der Anteil der Armen massiv verringert. Waren es vor 15 Jahren noch 70 Prozent, die von einem Dollar am Tag leben mussten, sind es inzwischen lediglich 16 Prozent.

Auch ist zunehmend die Rede von einer Mittelschicht, wie man sie in Schwellenländern und Industriena- tionen findet. Diese Mittelschicht, das weiß Lan von ihrer Tätigkeit in der Privatabteilung des Tu-Du-Kran- kenhauses, ist durchaus in der Lage, etwas tiefer in die Tasche zu greifen.

Und sie ist stolz darauf.

Den knapp 80 privaten Kranken- häusern in Vietnam stehen mehr als 1 000 staatliche gegenüber. Hierher kämen Patienten, die für eine Be- handlung nicht selten Haus und Hof verkaufen oder sich Geld vom Nachbarn borgen müsste, berichtet Dr. med. Nguyen Van Toan. Selbst Angestellte und Arbeiter – diejeni- gen also, für die die staatliche Kran- kenversicherung Vietnams gedacht sei – gerieten bei Krankheit häufig

in finanzielle Schwierigkeiten, er- läutert der Leiter der Abteilung für Rehabilitation am Deutsch-Vietna- mesischen Freundschaftskranken- haus in Hanoi. „Denn von zehn Glä- sern Wasser deckt die Versicherung nur eines ab.“ (siehe Kasten)

Toan hat in den 70er-Jahren in Greifswald studiert. Wie beinahe 100 000 Vietnamesen spricht der klei- ne, zierliche Mann fließend deutsch.

Teile des Staatskrankenhauses sind mit Geldern der DDR aufgebaut worden. Vor allem auf den Operati- onssaal ist Toan sehr stolz. In seiner Abteilung stehen allerdings auch ei- nige alte Behandlungsliegen, und die Krankenstühle erinnern an Nach- kriegszeiten. Im Innenhof des Kran-

kenhauses warten Vietnamesen dar- auf, ihren kranken Angehörigen etwas zu Essen bringen zu können. Sie war- ten geduldig, manchmal stundenlang, bis sie in die Krankenzimmer dürfen.

Am Eingang des Krankenhauses ist ein großes Schild angebracht –

„Deutsch-Vietnamesisches Freund- schaftskrankenhaus“ – steht darauf.

Die Freundschaft scheint in die Jahre gekommen zu sein. Dabei, sagt Toan voller Stolz, zähle sein Krankenhaus für Ärzte, die vom Land kommen und ihre Weiterbildungszeit in der Stadt ver- bringen wollen, zu einem der gefrag- testen Krankenhäuser der Hauptstadt.

Da das Niveau der ärztlichen Ver- sorgung auf dem Land fast ebenso

gering sei wie das Einkommen, drängten mehr und mehr Mediziner in die wenigen Städte, erklärt Diem Hang. Hang arbeitet seit vielen Jah- ren für internationale Organisatio- nen als Gesundheitsexpertin. Seit ei- nigen Jahren berät sie das vietname- sische Gesundheitsministerium. Ins- besondere die neuen finanziellen Möglichkeiten durch die wachsende Privatisierung in den Ballungsräu- men habe den Mangel an qualifizier- tem Gesundheitspersonal noch ver- schärft, sagt Hang.

Dabei werden Ärzte gerade auf dem Land gebraucht. Kaum ein Vi- etnamese, der auf dem Land aufge- wachsen ist, weiß etwas über gesun- des Essen. Dementsprechend hoch ist die Zahl ernährungsbedingter Krankheiten. Zudem kommt es durch eine schlechte Abwasserent- sorgung und fehlende Kläranlagen massenhaft zu Durchfallerkrankun- gen. Die Arzneimittel, die Patienten einnehmen, wirken häufig nicht, weil sie zu oft oder fehlerhaft einge- nommen werden. Schließlich gibt es in Vietnam weder eine Verschrei- bungspflicht noch eine Qualitäts- kontrolle für die Mehrzahl frei ver- käuflicher Medikamente. Hinzu kä- men klimatisch bedingte Erkran- kungen wie Malaria, Denguefieber und japanische Enzephalitis, heißt es aus dem Nationalinstitut für Hy- giene und Epidemiologie in Hanoi.

Mehr noch: Da es vielen jungen Mädchen und Frauen an Wissen über Verhütung mangelte, würden gerade auf dem Land immer mehr junge Frauen unter 18 Jahren abtrei- ben, berichtet Gesundheitsexperte und HIV-Spezialist Patrick Burke.

Derzeit ist die Rede von einer Milli- on Abtreibungen pro Jahr.

Schlechte Rahmenbedingungen für Ärzte verschärfen die Situation zusätzlich. Da viele Mediziner an staatlichen Einrichtungen nicht an- gemessen bezahlt würden, bestehe kein Anreiz, Patienten an Kollegen zu überweisen, berichtet Burke.

Schließlich bleibe ihnen so die Mög- lichkeit erhalten, den Patienten wei- terhin Geld abzunehmen – schwarz.

Die Folge: Ärzte führen viele Unter- suchungen im Laufe der Zeit mehr- fach durch und stimmen Dokumen- tationen nicht aufeinander ab. 1

* Doi Moi bedeutet Wirtschaftserneuerung. Hiermit gab die Partei ihre zentrale Planung auf, schaffte die Kollek- tivierung schrittweise ab und führte marktwirtschaft- liche Reformen ein. Ausländischen Firmen ist es seit- dem erlaubt, in Vietnam zu investieren. 1993 hoben die USA ihr Wirtschaftsembargo auf, 2007 trat Vietnam der Welthandelsorganisation bei.

Nguyen Van Toan hat in Greifswald Medizin studiert.

Mittagessen – Da es an den meis-

ten Kliniken Viet- nams kein Essen gibt, sind Patienten auf die Mithilfe und Versorgung von Angehörigen ange-

wiesen.

Von zehn Gläsern Wasser deckt die staatliche Kranken- versicherung nur eines ab.

Dr. med. Nguyen Van Toan, Traumatologe

Fotos (3):Martina Merten

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Dr. med. Dong Minh, Leiterin ei- ner kleinen Gesundheitsstation nahe der Stadt Thai Binh, scheint solche Probleme nicht zu kennen. Hier, in der Station mitten auf dem Land, ar- beiten sechs Personen, darunter zwei Ärzte. Das Gehalt reiche aus, sie leb- ten schließlich nicht in der Stadt, ver- sichert Minh. Allerdings seien die diagnostischen Möglichkeiten sehr begrenzt. Ein Blick auf die sechs Be- handlungsräume erklärt, was Minh meint: Zwar sind alle Räume groß, und es stehen Betten darin, medizini- sche Apparaturen sucht man jedoch

vergeblich. Es gibt lediglich kleine Schränke mit ein paar Arzneimitteln, an den Decken kreisen Ventilatoren.

Die Station ist menschenleer und wirkt beinahe gespenstisch. Dabei, behauptet Minh, kämen 21 Patienten pro Tag hierher; die meisten litten unter Magen- und Darmproblemen.

Minh sagt nicht, dass sehr viele Pa- tienten direkt ein Kreiskrankenhaus aufsuchen, obwohl es alle paar Kilo- meter auf dem Land Gesundheits- stationen gibt. Minh sagt lediglich, dass sie gerne einmal woanders arbei- ten würde, in einem größeren Kran- kenhaus mit mehr medizinischen Möglichkeiten. „Solche Häuser ha- ben aber bereits genug Ärzte.“

Die Pläne von Gesundheitsminis- ter Dr. Nguyen Quoc Trieu sollen die Situation auf dem Land entschärfen, berichtet Gesundheitsexpertin Hang:

Ärzte aus städtischen Krankenhäu- sern können wochenweise auf dem Land tätig sein. Als Gegenleistung erhalten sie einen Zuschuss zum Ge- halt. Dadurch, so die Absicht des Mi- nisters, könnten sie ihr Wissen an Kollegen auf dem Land weitergeben.

Der Gesundheitsminister will außer- dem die finanzielle Autonomie der Provinzen und damit auch der dorti- gen Krankenhäuser stärken. Auf die- se Weise, so die Hoffnung, könnten die Leiter von Krankenhäusern die Gehälter der Ärzte auf dem Land an- heben und damit mehr Ärzte vor Ort halten. Auch könnten Provinzen mehr Geld in die marode Infrastruk- tur kleinerer Kliniken investieren.

Hang hält Teile des Plans für mangelhaft. „Warum sollte ein Arzt freiwillig aufs Land gehen, wenn er mit gut verdienenden Privatpatien- ten in der Stadt das Zehnfache ver- dient?“, fragt die Beraterin. Ihrer Ansicht nach müsste die Regierung Ärzte schon während ihrer Ausbil- dung zu einer wochenweisen Tätig- keit auf dem Land verpflichten und ihnen Strafen abverlangen, sollten sie sich weigern.

Strukturelle Schwächen sind nicht von heute auf morgen zu beheben. Sie werden aber wie im Nachbarland Chi-

na durch die Traditionelle Chinesi- sche Medizin (TCM) gemildert. Pati- enten, denen Ärzte in Gesundheitssta- tionen nicht weiterhelfen können oder die nicht das Geld für eine weitere Be- handlung in einem größeren Kranken- haus auf Provinzebene haben, wei- chen auf alternative Therapiemetho- den aus. „So ist das auch mit unseren Patienten“, sagt Dr. med. Vu Duc Can.

Can ist Direktor des Krankenhauses für TCM in Thai Binh. Es zählt zu den 54 Häusern für Traditionelle Chinesi- sche Medizin des Landes. Darüber hinaus gehört zu fast jedem öffentli- chen Krankenhaus eine Abteilung, in der Ärzte Patienten nach alternativen Methoden behandeln.

In Cans Krankenhaus kommen Monat für Monat 350 Patienten.

Die meisten von ihnen litten unter Gelenkschmerzen, Rücken-, Verdau- ungs-, Nieren- oder Lungenproble- men, berichtet der Direktor. Für we- niger Geld als woanders erhielten sie hier Akupunkturbehandlungen und Massagen und könnten alternative Heilmittel erwerben. Einige, so scheint es, ruhen sich auch einfach nur in den schattigen Räumen des Hauses im Kolonialstil aus.

„Wir glauben an die Kombination von Schul- und alternativer Medi- zin“, betont Dr. med. Tran Thi Thuy.

Schließlich habe sich der Gesund- heitszustand selbst bei hoffnungslo- sen Fällen nach dem Einsatz alterna- tiver Heilmethoden häufig gebes- sert, sagt die Oberärztin. Thuy leitet die Intensivstation am „National

Hospital of Traditional Medicine“ in Hanoi. Mit 420 Betten und 365 Mit- arbeitern ist es das größte Kranken- haus seiner Art in Vietnam. Während Ärzte in einigen Abteilungen aus- schließlich schulmedizinisch behan- deln, kommen in anderen Gebäuden alternative Methoden zum Einsatz.

Viele der Patienten seien von Ärzten anderer Krankenhäuser hierhin ge- schickt worden. Dort habe man ih- nen nicht mehr helfen können. Das National Hospital of Traditional Medicine zählt nicht nur zu den Vor- zeigekrankenhäusern Vietnams. Die Weltgesundheitsorganisation erkennt es auch seit 1988 als Lehrkranken- haus für TCM an. Trotz voller Flure und Behandlungsräume bleibt ein Problem aber auch hier bestehen:

„Wir haben nicht genug Geld für eine gute Ausstattung“, so Klinikdirektor Prof. Dr. med. Chu Quoc Truong.

Truong ist dennoch voller Hoffnung.

In fünf bis zehn Jahren, glaubt er, wer- de der wirtschaftliche Aufschwung sich auch auf das Gesundheitswesen ausgewirkt haben. Dann könne die Regierung mehr als 700 Euro pro Kopf anstelle von derzeit 22 Euro für die Gesundheit ausgeben.

Einige Patienten in Vietnam müs- sen nicht darauf warten. Sie gehen entweder in private Abteilungen wie die des Tu-Du-Krankenhauses in Saigon oder sie suchen eines der Pri- vatkrankenhäuser oder private (Ge- meinschafts-)Kliniken auf. „Warum sollen wohlhabende Leute in über- füllte staatliche Krankenhäuser ge- hen, wenn sie bei uns schneller und qualitativ besser behandelt wer- den?“, fragt Prof. Dr. med. Nguyen Thi Ngoc Phuong, die das Tu-Du- Krankenhaus 36 Jahre lang geleitet hat. Eigentlich hätte sie vor einigen Jahren in Pension gehen sollen.

Stattdessen ergriff sie die Gunst der Stunde – wie viele andere mit ihr.

Mithilfe privater Investoren gründe- te die Vizepräsidentin der Vietname- sischen Fachgesellschaft für Frauen- heilkunde und Geburtshilfe eine Pri- vatklinik für Gynäkologie in Saigon.

Die Patienten, die in die kleine, von außen eher unscheinbare Klinik etwas außerhalb des Zentrums von Saigon kommen, brauchen keine Kranken- versicherung, schon gar nicht die staatliche. Sie haben genug Geld, um

Warum sollte ein Arzt aufs Land gehen, wenn er mit Privat- patienten in der Stadt das Zehnfache verdient?

Diem Hang, Gesundheitsexpertin

Dong Minh leitet eine Gesund- heitsstation nahe der Stadt Thai Binh.

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am Empfangstresen der Klinik die Eingangsgebühr sowie die Kosten für die Behandlung zu zahlen.

Während es nur wenige Schritte von der Klinik entfernt nicht mehr als ei- ne einfache Nudelsuppe für 50 Cent zu essen gibt, funkeln in den schicken Behandlungsräumen von Phuongs Klinik millionenschwere Geräte von westlichen Industrieunter- nehmen – kostenfrei zur Verfügung gestellt. Hier mangelt es an nichts.

Gegen Geld können Vietnamesin- nen sogar ein drittes Kind zur Welt bringen. Bei der Geburt des dritten Kindes in einem staatlichen Kran- kenhaus verlieren Paare nicht selten ihren Arbeitsplatz – eine Maßnahme der Regierung, um das Bevölke- rungswachstum zu stoppen.

Mehr und mehr wohlhabende Viet- namesen suchten zudem kleinere Pri- vatpraxen auf, schließlich könnten sie sich auch dort einer vertraulichen At- mosphäre sicher sein, berichtet eine Ärztin, die nicht genannt werden möchte. Sie sitzt in einem Café au- ßerhalb des Zentrums von Hanoi.

Hierher kommen auch Westler, macht es den Eindruck. Die Ärztin trägt ihre

Haare kurz. Das ist für traditionelle Vietnamesinnen eher ungewöhnlich.

Die Frau gehört zu der wachsenden Anzahl vietnamesischer Ärzte, die

„einen Fuß beim Staat, einen Fuß auf der privaten Seite“ haben, wie es in Vietnam heißt. Von ihrer Tätigkeit in einem staatlichen Krankenhaus in Ha- noi könne sie nicht gut leben, deshalb praktiziere sie nebenbei privat.

Einerseits betrachtet die Regie- rung die Privatisierungswelle mit Wohlwollen. Auf der anderen Seite hat sie Angst vor negativen Auswir- kungen auf die staatliche Versorgung.

Deshalb dürfen nach einem Beschluss des Gesundheitsministers Ärzte seit

diesem Jahr nicht mehr an einem staatlichen Krankenhaus arbeiten und gleichzeitig eine private Klinik be- treiben. Sie dürfen aber nach wie vor in einer privaten Gemeinschaftspra- xis angestellt sein. „Eigentlich ist das ja das Gleiche“, meint Gesundheits- expertin Hang. Und lacht. „Wenn das staatliche Gesundheitswesen nicht kollabieren würde, bräuchten wir kei- ne Privatisierung im Gesundheitswe- sen“, sagt Dr. med. Rafi Kot, ein ge- bürtiger Israeli, der seit 22 Jahren in Vietnam praktiziert. Seine Beurtei- lung fällt seit Jahren gleich aus: „Im öffentlichen Gesundheitswesen muss ein Brief über den Tisch geschoben werden, sonst fangen die meisten Ärzte nicht an zu arbeiten.“

Die, die nur einen kleinen Schein in den Umschlag stecken können, sitzen in Block D auf einfachen Bastmatten. Noch ist es die Mehrheit der Bevölkerung. Sie sitzen da, den Blick auf die Glastür zum Privattrakt gerichtet. Jedesmal, wenn sich einer der Ärzte der Tür nähert, geht diese für einige Sekunden auf – um sich schnell wieder zu schließen. n Martina Merten Akupunktur-

Behandlung – Obwohl es auch in Vietnam keine Stu- dien zur Wirksam- keit der TCM gibt, ist deren Einsatz unumstritten.

Foto:Picture- Alliance Godong

cKrankenversicherung: Seit 1993 besteht in Vietnam für Angestellte und Arbeiter des Staa- tes Versicherungspflicht (compulsory health in- surance); das trifft für etwa 30 Prozent der Be- völkerung zu. Internationalen Studien und den Aussagen vietnamesischer Gesundheitswis- senschaftler und Ärzte zufolge deckt die Natio- nale Krankenversicherung jedoch nur einen Bruchteil der Behandlungskosten ab. Für die Behandlungskosten sogenannter prioritized people – darunter fallen Arme, Invaliden, An- gehörige ethnischer Minoritäten, Alte und Kin- der unter sechs Jahren – kommt der Staat auf.

Knapp fünf Millionen Vietnamesen, die nach staatlicher Definition als arm gelten, erhalten seit einigen Jahren eine „health card for the poor“. Eine Krankenversicherung für Studenten und Landwirte ist im Gespräch. Insgesamt sind etwa 40 Prozent der Bevölkerung versichert.

Dieser Prozentsatz schließt private Zusatzversi- cherungen (voluntary health insurance) mit ein.

Private Vollversicherungen gibt es nicht.

cFinanzierung: Der Beitragssatz zur Natio- nalen Krankenversicherung beträgt derzeit drei Prozent des monatlichen Einkommens (Arbeit-

geber und Arbeitnehmer zahlen jeweils 50 Pro- zent). Die Vietnam Social Security (VSS) erstat- tet jedoch nur einen Teil der Behandlungskos- ten. Derzeit liegt der Prozentsatz, den die Re- gierung Berichten zufolge für die „prioritied people“ ausgibt und der über Steuern finan- ziert wird, bei 6,9 Prozent des Haushaltsbud- gets. In diesem Jahr soll der Betrag auf 8,5 bis neun Prozent steigen.

cSelbstbeteiligung/Zuzahlung: Die Selbst- beteiligung in Vietnam zählt zu den höchsten Asiens. Der Weltbank zufolge werden drei (der geschätzten fünf) Prozent der Gesamtausga- ben für Gesundheit gemessen am Bruttoin- landsprodukt privat hinzugezahlt. Da sowohl die offiziell vom Staat festgelegten Behand- lungsgebühren (fee for services) als auch die Gehälter der Ärzte niedrig sind, lassen sich na- hezu alle Ärzte in öffentlichen Einrichtungen zusätzlich (inoffiziell) bezahlen.

cAmbulante Versorgung: Auf dem Land fin- det die Behandlung in erster Linie in soge- nannten Gesundheitszentren (commune health centers, CHC) statt. In den letzten zehn Jahren hat der Transformationsprozess zur Entstehung

von privaten Einzel- und Gemeinschaftspraxen (private clinics) geführt. Viele dieser Privatpra- xen sind bislang nicht offiziell registiert. Dar- über hinaus gibt es staatliche Polikliniken.

cStationäre Versorgung: Derzeit gibt es in Vietnam 1 062 öffentliche und rund 80 private Krankenhäuser. Es sind Krankenhäuser auf Distrikt-, Provinz- und Nationalebene. Die Na- tionale Krankenversicherung übernimmt (mit Ausnahme von Notfällen) nur dann einen Teil der Behandlungskosten, wenn der Patient diese Reihenfolge einhält. Der Großteil der Patienten geht unmittelbar ins Krankenhaus, ohne zunächst eine Gesundheitsstation auf- zusuchen.

cGehalt der Ärzte: In staatlichen Kranken- häusern tätige Ärzte verdienen offiziell zwischen 50 und 200 US-Dollar monatlich. Eigenleistun- gen der Patienten kommen hinzu. Privat tätige Ärzte verdienen weitaus mehr. Genaue Angaben gibt es nicht, inoffiziell ist aber die Rede von bis zu mehreren Tausend US-Dollar, die einzelne Ärzte bereits verdienen. Deutsche Ärzte an in- ternationalen Privatkliniken verdienen rund

8 000 US-Dollar/Monat. MM

DAS GESUNDHEITSWESEN VIETNAMS

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