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Archiv "Postmenopausale Frauen: Kardiovaskuläre Protektion durch Östrogen/Gestagen-Substitution" (26.04.1996)

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D

ie meisten der zahlreichen Fall-Kontroll-Studien sowie die prospektiven Kohorten- Studien mit postmenopausa- len Frauen fanden eine Verringerung des Risikos kardiovaskulärer Erkran- kungen durch eine Östrogensubstitu- tion um 30 bis 50 Prozent (16). In der Studie des amerikanischen Lipid Re- search Clinics Program mit 2 270 Frauen wurde nach durchschnittlich 8,5 Jahren eine Senkung der Morta- lität um 63 Prozent festgestellt, wobei nur 1 Prozent der mit Östrogenen be- handelten Patientinnen zusätzlich ein Gestagen erhielten (5).

Eine prospektive Untersuchung an 8 841 Frauen, die zwischen 1981 und 1987 in einer kalifornischen Seni- orensiedlung durchgeführt wurde, er- gab eine um 53 Prozent niedrigere Mortalität wegen Herzinfarkt bei Frauen, die mit Östrogenen substitu- iert waren (14). Bei insgesamt 1 944 postmenopausalen Frauen, die zwi- schen 1971 und 1987 am National Health and Nutrition Examination Survey teilnahmen, führte die Östro- gensubstitution zu einer signifikanten Abnahme der Mortalität wegen kar- diovaskulärer Erkrankungen um 34 Prozent (46). Im Verlauf der Nurses’

Health Study, bei der 48 470 Kran- kenschwestern zwischen 1976 und 1986 im Abstand von 2 Jahren regel- mäßig erfaßt wurden, war die Inzi- denz kardiovaskulärer Erkrankun- gen durch die Östrogensubstitution um 44 Prozent reduziert, wobei nur etwa 3 Prozent zusätzlich ein Gesta- gen einnahmen (35). Bisher gibt es le- diglich eine Studie aus der Region Uppsala, die prospektiv zwischen 1977 und 1983 auch den Einfluß einer zyklischen Östrogen-Gestagen-The- rapie auf die Inzidenz des Myo- kardinfarkts erfaßt. In der schwedi- schen Untersuchung mit 23 247 Frau- en wurde gefunden, daß auch die zy- klische Therapie mit 2 mg Estradiol- valerat und 0,25 mg Levonorgestrel

über zehn Tage pro Zyklus das relati- ve Risiko um 47 Prozent reduziert (8). Während in der Nurses’ Health Study kein Einfluß der Östrogenbe- handlung auf das Risiko des Schlag- anfalls sichtbar wurde (35), ergab die Auswertung der Studie aus der kali- fornischen Seniorensiedlung eine Senkung des Schlaganfall-Risikos um 47 Prozent (25). Auch die prospekti- ve schwedische Untersuchung in Uppsala beobachtete eine Senkung der akuten Schlaganfälle unter der Behandlung mit 1 bis 2 mg Estradiol oder 0,6 bis 1,25 mg konjugierter Östrogene um 40 Prozent sowie mit 2 mg Estradiolvalerat und 0,25 mg Le- vonorgestrel um 39 Prozent (9).

Von besonderer Bedeutung ist, daß – im Gegensatz zu den Ethinyl- estradiol enthaltenden Ovulations- hemmern – durch die Substitution mit natürlichen Östrogenen das Risiko venöser Thromboembolien vermut- lich nicht erhöht wird, wie eine Fall- Kontroll-Studie ergab. Dies gilt auch für Patientinnen mit einer Thrombose in der Vorgeschichte (7). Die Er- klärung ist darin zu sehen, daß natür- liche Östrogene mit oder ohne zusätz- lichem Gestagen keinen ungünstigen Einfluß auf die Hämostase haben (30). In einer Überkreuzstudie war gezeigt worden, daß die Behandlung postmenopausaler Frauen mit 2 mg Estradiolvalerat keinen Einfluß auf die Blutgerinnung hat, während das in Ovulationshemmern enthaltene Ethinylestradiol selbst in der niedri- gen Dosis von 10 µg die Aktivität der Faktoren VII und VIII sowie den Wil- lebrand-Faktor um 15 Prozent stei- gert (19).

Auch wenn diese Studien starke Hinweise auf einen protektiven Ef- fekt der Östrogensubstitution hin-

sichtlich der Inzidenz und Mortalität kardiovaskulärer Erkrankungen er- bracht haben, so muß darauf hinge- wiesen werden, das es sich nicht um randomisierte Untersuchungen han- delt, so daß der Einfluß der Selbstse- lektion nicht ausgeschlossen ist. Zur Zeit läuft in den USA unter der Lei- tung des National Institute of Health eine randomisierte prospektive Inter- ventionsstudie, die auch den Einfluß der bei Frauen mit intaktem Uterus notwendigen zusätzlichen Gestagen- gabe erfaßt.

Nach dem heutigen Kenntnis- stand kann man von einem protekti- ven Effekt der Östrogensubstitution gegenüber der Entwicklung kardio- vaskulärer Erkrankungen und einem günstigen Effekt bei bestehenden ar- teriellen Erkrankungen ausgehen, so- weit diese mit einem Östrogendefizit zusammenhängen. Östrogene können östrogenmangelbedingte Fettstoff- wechselstörungen normalisieren und durch ihren vasodilatatorischen Ef- fekt eine arterielle Ischämie verhin- dern. Gestagene haben dagegen ei- nen vasokonstriktorischen Effekt und können – insbesondere solche mit androgener Partialwirkung – den Fettstoffwechsel ungünstig beeinflus- sen (16, 17).

Hyperlipoproteinämie und andere Risikofaktoren

Schon lange ist bekannt, daß durch die orale Behandlung mit Östrogenen die verschiedenen Para- meter des Fettstoffwechsels in einer Weise verändert werden, die allge- mein als vorteilhaft gelten (16). Eine Querschnittstudie mit 4 958 Frauen (24) sowie zwei prospektive Untersu- chungen, die über drei Jahre bei ins- gesamt 1 932 Frauen den Einfluß der Substitution mit Östrogenen und Gestagenen auf verschiedene Risiko- faktoren beobachteten (3, 47), kamen A-1116

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(50) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 17, 26. April 1996

Postmenopausale Frauen

Kardiovaskuläre Protektion durch Östrogen/Gestagen-Substitution

Herbert Kuhl

Abteilung für gynäkologische Endokrinologie der Universitäts-Frauenklinik der Johann-Wolf- gang-Goethe-Universität (Geschäftsf. Direk- tor: Prof. Dr. H. D. Taubert)

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zu dem Ergebnis, daß die Behandlung mit natürlichen Östrogenen mit oder ohne zusätzliches Gestagen insgesamt einen günstigen Effekt hat. Durch die Substitution kam es zu einer Senkung des LDL-Cholesterins, Lipoproteins (A) und Fibrinogens sowie der Nüch- tern-Glukose und des Nüchtern-Insu- lins und zu einem Anstieg des HDL- Cholesterins und der Triglyzeride.

Der Blutdruck wird durch die Substi- tutionstherapie entweder gesenkt oder bleibt unverändert (3, 24, 47).

Auch wenn es sich bei der PEPI-Stu- die (47) um eine randomisierte, plaz- cebokontrollierte prospektive Dop- pelblindstudie handelte, so sind die erwähnten Effekte kein Beweis für ei- ne günstige klinische Wirkung, zumal nur gesunde Frauen teilnahmen.

Die Hypercholesterinämie stellt ein hohes Risiko für kardiovaskulä- re Erkrankungen dar, das dann mit zunehmendem Alter immer größer wird (16).

Der Anteil der Frauen mit einer Fettstoffwechselstörung vom Typ II (erhöhtes Cholesterin mit oder ohne erhöhte Triglyzeride), der bei jungen Frauen bei 8 Prozent liegt, steigt in der Altersgruppe von 45 bis 54 Jah- ren auf 15 Prozent und bei Frauen zwischen 55 und 64 Jahren auf 25 Pro- zent (4).

Der rasche Anstieg des LDL- Cholesterins und der Triglyzeride, der in der Perimenopause mit dem Abfall des Estradiolspiegels verbunden ist (42), deutet auf einen Kausalzusam- menhang mit dem Östrogenmangel hin, wobei die genetische Disposition und falsche Ernährung eine Rolle spielen dürften.

Eine prospektive Studie mit pe- rimenopausalen Frauen zeigte, daß der Eintritt der Menopause – gegen- über gleichaltrigen Frauen mit intak- ten Zyklen – zu einem Abfall des HDL und einem Anstieg des LDL führt (21). Ein Vergleich innerhalb der Altersgruppe 45 bis 55 Jahre er- gab, daß vor der Menopause nur 3 Prozent, nach der Menopause jedoch 12 Prozent der Frauen eine Athero- sklerose der Aorta aufweisen (45).

Das Risiko ist vor allem nach einer bilateralen Ovarektomie erhöht und nimmt mit dem Alter beziehungswei- se der Dauer des Östrogenmangels zu (26, 38, 45).

Wirkungsmechanismen

Die Mechanismen, die zu einem Anstieg der LDL und IDL und schließlich zur Atherosklerose führen, sind nur teilweise bekannt.

Als besonders atherogen gelten die IDL (VLDL-Remnants) – Lipopro- teine, die eine Zwischenphase beim Übergang der VLDL in die LDL dar- stellen –, die normalerweise rasch über spezifische Rezeptoren in der Leber eliminiert werden. Bei einem Mangel an LDL- oder Remnant-Re- zeptoren beziehungsweise bei beein- trächtigter Rezeptor-Apoprotein-In- teraktion (zum Beispiel bei einem Östrogendefizit) nimmt die Ver- weildauer der Remnants sowie der LDL in der Zirkulation zu. Dadurch kommt es verstärkt zu chemischen Veränderungen der Lipoproteine, die die rezeptorvermittelte Aufnahme in die Leber erschweren und eine Abla- gerung in den Arterienwänden er- leichtern. Neben der Glykosylierung der Apoproteine an der Oberfläche der Lipoproteine durch die Glukose im Blut (insbesondere bei Diabetes mellitus) spielt dabei vermutlich die Oxidation der LDL innerhalb der Ge- fäßwand eine wichtige Rolle (36). Die bei der Oxidation von ungesättigten Fettsäuren (als Ester in den Lipiden vorliegend) in der Gefäßwand entste- henden Fragmente reagieren mit den Lysinresten des Apolipoproteins B, so daß die LDL nicht mehr von den hepatischen LDL-Rezeptoren, son- dern bevorzugt von den Scavenger- Rezeptoren der Makrophagen gebun- den werden und in der Gefäßwand akkumulieren (36). Für die Bedeu- tung der durch freie Sauerstoffradika- le induzierten Oxidation der LDL bei der Entstehung der Atherosklerose sprechen auch die erhöhten Antikör- per gegen oxidierte LDL bei Herzin- farkt-Patienten (28).

Effekt der Östrogene

Steigerung des LDL-Turnovers und Hemmung der

LDL-Oxidation

Inbesondere bei oraler Behand- lung mit Östrogenen kommt es über ei- ne Induktion der hepatischen Rezepto-

ren zu einer erheblichen Zunahme der Elimination der IDL und LDL, so daß der Turnover der VLDL-IDL-LDL- Kette gesteigert, ihre Verweildauer in der Zirkulation verkürzt und die Cho- lesterinspiegel gesenkt werden (44).

Dadurch wird das Ausmaß der chemi- schen Modifikation der Lipoproteine verringert. Darüber hinaus erhöhen die Östrogene die Produktion vor al- lem des Apolipoproteins A und der HDL, die für den Rücktransport des überschüssigen oder bereits abgelager- ten Cholesterins verantwortlich sind.

Östrogene erhöhen den Anteil des Le- zithins und damit der ungesättigten Fettsäuren bei den Phospholipiden so- wie den Cholesterinestern und damit die Fluidität der Membran und des Li- pidkerns der Lipoproteine (2, 34, 39).

Dies erleichtert die Aufnahme und Abgabe von Lipiden und verbessert Funktion und Metabolismus der Lipo- proteine. Vermutlich verhindern die Östrogene durch eine direkte Hem- mung der intrazellulären Oxidation der ungesättigten Fettsäuren im Lezithin dessen Umwandlung in Lysolezithin (22, 36). Dadurch würde auch die durch freie Sauerstoffradikale induzierte Oxidation der LDL in der Gefäßwand weitgehend reduziert. Untersuchun- gen an ovarektomierten Rhesusaffen haben ergeben, daß eine Behandlung mit Östrogen- und Progesteron-Im- plantaten die Akkumulation von LDL in atherosklerotischen Läsionen der Koronararterien um mehr als 70 Pro- zent reduziert, ohne die Lipoprotein- spiegel zu verändern (43).

Durch ihren hepatischen Effekt kann vor allem die orale Therapie mit natürlichen Östrogenen (zum Beispiel Estradiol, Estradiolvalerat, konjugier- te Östrogene) erhöhte Cholesterin- spiegel reduzieren und den HDL-Spie- gel erhöhen. Dabei ist der LDL-sen- kende Effekt um so stärker, je ausge- prägter die pathologische Abweichung zuvor war, während Cholesterinspie- gel, die im Normalbereich liegen, nicht verändert werden (40, 41). In ähnlicher Weise lassen sich bei postmenopausa- len Frauen mit der seltenen Hyperli- poproteinämie Typ III durch eine ora- le Östrogentherapie die exzessiv er- höhten Cholesterin- und Triglycerid- spiegel innerhalb weniger Tage stark reduzieren (18). Für die transdermale Therapie ist ein solcher Effekt bisher A-1117

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Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 17, 26. April 1996 (51)

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nicht nachgewiesen worden, wobei zu beachten ist, daß es auf die Konzentra- tion der Östrogene in der Leber an- kommt, so daß es zum Beispiel auch bei einer Behandlung mit Östrogen- Implantaten aufgrund der hohen Estradiolspiegel zu Veränderungen des Lipidmetabolismus kommen kann.

Vasodilatatorischer Effekt der Östrogene

Der vasodilatatorische Effekt der Östrogene beruht einerseits auf einer Erhöhung der Sensitivität des Endo- thels gegenüber Acetylcholin und Serotonin (Steigerung der Bindungs- kapazität der b-Adrenozeptoren) und gegenüber dem Vasoaktiven Intesti- nalen Peptid (VIP) und anderen Sub- stanzen sowie auf einer Verringerung der Wirkung des Noradrenalins (Re- duktion der Bindungskapazität der a- Adrenozeptoren), andererseits auf ei- ner Hemmung des Kalziumeinstroms in die glatten Muskelzellen (15, 17).

Die Folge ist eine vermehrte Freiset- zung von Stickoxid und Prostazyklin aus dem Endothel. Dadurch kommt es zu einer Gefäßerweiterung und Zu- nahme der Durchblutung, zu einer Stabilisierung des Gefäßtonus und zu einer Hemmung der Thrombozyten- aggregation (17). Da die Östrogene einen direkten relaxierenden Effekt auf die glatten Muskelzellen besitzen, haben sie auch bei bestehenden Endo- thelschäden einen protektiven Effekt gegenüber ischämischen Erkrankun- gen. Gestagene – auch das natürliche Progesteron – sind Antagonisten der Östrogene und erhöhen die Kontrak- tilität der Arterien unter anderem durch die Steigerung der a-Adreno- zeptorkapazität des Endothels (1, 10, 17, 33). Untersuchungen an jungen Frauen mit Ovarialinsuffizienz haben ergeben, daß eine Estradiolbehand- lung eine starke Vasodilatation be- wirkt und daß bei ausreichenden Estradiolspiegeln die vaginale Appli- kation von Progesteron nur einen ge- ringen Effekt auf die Durchblutung der uterinen Arterie hat (6). Von Be- deutung für die kardiovaskuläre Pro- tektion dürfte auch die inotrope Wir- kung der Östrogene sein, die zu einer Erhöhung des Schlagvolumens bei postmenopausalen Frauen führt (27).

Substitution bei kardiovaskulären Erkrankungen

Klinische Beobachtungen haben gezeigt, daß eine Östrogensubstituti- on bei postmenopausalen Frauen mit Angina pectoris sowie mit zerebralen ischämischen Attacken die Sympto- me innerhalb von drei Monaten völlig beseitigt. Es kann aber bei einigen Pa- tientinnen mit besonders niedrigen Estradiolspiegeln während der zu-

sätzlichen Progesterongabe zu einem erneuten Auftreten der Beschwerden kommen (31, 32). Die sublinguale Applikation von Estradiol bessert in- nerhalb von weniger als einer Stunde eine durch körperliche Belastung aus- gelöste Myokard-Ischämie bei Frau- en mit Koronarerkrankungen (29).

Bei postmenopausalen Frauen mit vaskulärer Dysfunktion (zum Bei- spiel Hypertonie, Koronarerkran- kung) wurde nachgewiesen, daß die intraarterielle Infusion von Estradiol eine Vasodilatation verursacht, die so- wohl endothelabhängig als auch -un- abhängig ist (11, 12). In diesem Zu-

sammenhang erscheint es auch von Bedeutung, daß die Substitution mit Estradiol die streßabhängige Freiset- zung von Noradrenalin, ACTH und Cortisol dämpft (20). Eine retrospek- tive Untersuchung an 933 postme- nopausalen Patientinnen, die sich we- gen einer vermuteten Herzerkran- kung einer Angiographie unterzogen hatten, ergab, daß eine Östrogensub- stitution zeitabhängig vor der Ent- wicklung einer Atherosklerose schützt und daß sich dieser protektive Effekt besonders bei den schweren Stenosierungen der Ko- ronararterien bemerkbar macht (13). Bestätigt wird dieser Befund durch eine ähnliche Untersuchung an 345 Frauen, die eine Re- duktion des relativen Risi- kos (RR) einer schweren Stenosierung der Koronar- arterien durch eine Östro- gensubstitution um 50 Pro- zent ergab, während als Ri- sikofaktoren Rauchen (RR

= 5,7), Diabetes (RR = 5,1) und Hypercholesterinämie (RR = 2) festgestellt wur- den (23). In einer weiteren langfristigen Studie an über 2 200 postmenopausalen Frauen wurden zu Beginn das Ausmaß der Stenosie- rung der Koronararterien angiographisch ermittelt und über einen Zeitraum von zehn Jahren die Patien- tinnen durch regelmäßi- ge Untersuchungen über- wacht. Es zeigte sich, daß die Zehn-Jahres-Überle- bensrate bei leichter bis mäßiger Stenosierung ohne Behand- lung 85 Prozent und mit Östrogensub- stitution 96 Prozent, bei schwerer Ste- nosierung ohne Behandlung 60 Pro- zent und mit Östrogensubstitution 97 Prozent beträgt. Bei Frauen ohne Koronarsklerose liegt die Überlebens- rate ohne Therapie bei 91 Prozent, mit Östrogenbehandlung bei 98 Prozent (37). Auch wenn es sich hierbei nicht um eine randomisierte Studie handelt, so zeigt sie doch, daß der Schutzeffekt der Östrogene um so stärker und um so wichtiger ist, je größer das Ausmaß der Atherosklerose ist, und daß er bei ge- sunden Frauen relativ gering ist.

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M E D I Z I N KURZBERICHT

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LEBER

RezeptorLDL

15 % 85 % TG

TG

TG

TG

TG CH

CH CH CH

CH LDL (β-VLDL) IDL VLDL

Fett-/Muskelgewebe LIPOLYSE

Remnant Rezeptor (Apo E) Grafik

Schematische Darstellung des Lipoproteinmetabolismus; TG (Triglyze- ride, CH (Cholesterin)

(4)

Schlußfolgerungen

1 Aus den bisher vorliegenden experimentellen, tierexperimentellen und klinischen Untersuchungen ergibt sich folgendes vorläufiges Bild: Östro- gene schützen aller Wahrscheinlich- keit nach vor der Entstehung von östrogenmangelbedingten kardiovas- kulären Erkrankungen. Auch bei be- stehenden Herz-/Kreislauferkrankun- gen haben sie einen günstigen Effekt und verbessern die Überlebensrate er- heblich. Daraus ist zu schließen, daß eine Östrogensubstitution gerade bei bestehenden kardiovaskulären Er- krankungen und bei Frauen mit ent- sprechender Prädisposition (zum Bei- spiel bestimmte Hyperlipoprotein- ämien) indiziert ist, während sie bei gesunden Frauen in dieser Hinsicht von geringer Bedeutung ist.

Es fehlen bisher randomisierte prospektive Doppelblindstudien über die langfristigen Auswirkungen einer Substitution mit Östrogenen und Ges- tagenen auf das Risiko von Herz/Kreis- lauferkrankungen sowie auf den Ver- lauf bestehender kardiovaskulärer Er- krankungen und die Überlebensrate.

1 Bei östrogenmangelbeding- ten Hyperlipoproteinämien können Östrogene mit einer ausgeprägten he- patischen Wirkung die LDL-Chole- sterinspiegel normalisieren, wobei der Effekt um so stärker ist, je größer die pathologische Abweichung zuvor war. Darüber hinaus kommt es zu ei- nem Anstieg des HDL. Für die trans- dermale Therapie ist ein entsprechen- der Effekt bisher nicht nachgewiesen.

Daraus ergibt sich, daß die Östro- gen-Gestagen-Substitution bei post- menopausalen Frauen ohne Fettstoff- wechselstörungen keine wesentlichen Veränderungen der Lipidparameter hervorrufen dürfte und daß klinische Studien über die Wirkungen der Östrogene und Gestagene nicht nur an gesunden, sondern auch an Frauen mit einer bestehenden Hypercholeste- rinämie durchgeführt werden müssen.

1 Östrogene haben einen ausge- prägten vasodilatatorischen und Ges- tagene einen vasokonstriktorischen Effekt. Bei gesunden Frauen ohne Gefäßläsionen dürfte dies ohne klini- sche Relevanz sein. Bei bestehenden Gefäßschäden beziehungsweise mani- festen Herz-/Kreislauferkrankungen

kann der vasokonstriktorische Effekt zu einer Verschlechterung des klini- schen Bildes führen, wenn die Östro- genspiegel zu niedrig sind.

Es fehlen systematische Untersu- chungen über die direkten Wirkungen der verschiedenen Östrogene und Gestagene auf die Gefäßwand sowie über die Wirkung der zyklischen und kontinuierlichen Therapie mit Östro- gen-Gestagen-Kombinationen auf die Durchblutung (in Abhängigkeit von Dosis beziehungsweise Serum- konzentration). Es fehlen systemati- sche experimentelle/tierexperimen- telle Untersuchungen über die Wir- kungen der verschiedenen Östrogene und Gestagene bei bestehenden Ge- fäßläsionen.

Hinweise für die Praxis

Hinsichtlich der Herz- und Kreis- lauferkrankungen gibt es keine ver- gleichenden Daten über die protekti- ven Wirkungen der zur Verfügung ste- henden Substitutions-Präparate. Die epidemiologischen Ergebnisse basie- ren auf der oralen Therapie, die auch einen günstigeren Effekt auf den Fett- stoffwechsel hat als die parenterale.

Die direkten günstigen Wirkungen auf die Arterienwand sind auch bei der parenteralen Östrogensubstitution ge- geben. Wegen der fehlenden Ver- gleichsuntersuchungen beruhen diese Empfehlungen in erster Linie auf theoretischen Überlegungen.

Bei postmenopausalen Frauen ohne kardiovaskuläre Erkrankungen sind alle Präparate mit Estradiol- be- ziehungsweise Estradiolvalerat (1 bis 2 mg) oder konjugierten Estrogenen (0,6 bis 1,25 mg) zur Prophylaxe ge- eignet. Bei Frauen mit intaktem Ute- rus ist die zusätzliche zyklische oder kontinuierliche Gabe eines Gesta- gens erforderlich. In diesen Fällen ist bei Anwendung von Chlormadinon- acetat (2 mg), Medrogeston (bis 5 mg), Medroxyprogesteronacetat (bis 5 mg), Norethisteronacetat (bis 1 mg) sowie Progesteron oder Hydroxypro- gesteronester der Gesamteffekt auf den Fettstoffwechsel als günstig ein- zuschätzen. Bei Einnahme von 2 mg Estradiolvalerat und 0,25 mg Le- vonorgestrel ist der resultierende Ef- fekt auf den Fettstoffwechsel zwar als

nicht günstig einzuschätzen (Senkung des HDL), doch weist der protektive Effekt dieses Präparats in der schwe- dischen Studie (8) auf die große Be- deutung der direkten Östrogenwir- kung auf die Arterienwand hin.

Nach dem gegenwärtigen Kennt- nisstand sind im Hinblick auf mögli- che Nebenwirkungen das für die Frau natürliche Östrogen Estradiol (bzw.

Estradiolvalerat) sowie als Gestagen die Derivate des Progesterons als vor- teilhafter zu bewerten.

Bei postmenopausalen Frauen mit bestehenden kardiovaskulären Er- krankungen (zum Beispiel fortge- schrittene Atherosklerose, Angina pectoris, thromboembolische Erkran- kungen in der Vorgeschichte) sollte vorsichtshalber mit einer transderma- len Estradioltherapie (zum Beispiel sechs Monate) begonnen werden, be- vor eine orale Behandlung mit Estradi- ol (beziehungsweise Estradiolvalerat) in Erwägung gezogen wird. Bei diesen Patientinnen ist während der zusätzli- chen Anwendung eines Gestagens auf ausreichende Estradiolspiegel zu ach- ten (mindestens 60 pg/ml). Vermutlich ist eine Gestagengabe im Abstand von drei Monaten ausreichend, um eine Endometriumhyperplasie zu verhin- dern. Bei einer Hyperlipoproteinämie Typ II und III ist die orale Therapie, bei Typ IV und V die transdermale Thera- pie vorzuziehen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-1116–1119 [Heft 17]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. phil. nat. Herbert Kuhl Abteilung für gynäkologische Endokrinologie

Universitäts-Frauenklinik

Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt am Main

A-1119

M E D I Z I N KURZBERICHT

Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 17, 26. April 1996 (53) Der Beitrag wurde im Auftrag der Kommission „Hormontoxikologie“

der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie erstellt

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