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Archiv "Das Pflanzenfasermangelsyndrom als Ursache von Zivilisationskrankheiten" (16.11.1978)

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Das Pflanzenfasermangelsyndrom als Ursache

von Zivilisationskrankheiten

Fritz Matzkies und Gerhard Berg

Die Untersuchungen der letz- ten Jahre haben gezeigt, daß Faserstoffe bis zu einer Dosis von 20 Gramm pro Tag zu den notwendigen Bausteinen der Ernährung gerechnet werden müssen. Bei Verringerung des Faseranteiles sinkt das Stuhl- gewicht drastisch ab, es kommt zur Obstipation. Als Folge der chronischen Obsti- pation können sich Hiatusher- nie, Hämorrhoiden und eine Kolondivertikulose entwik- kein. Neben der Regulation der Darmtätigkeit entfalten die Faserstoffe auch Wirkungen auf den Gallensäurehaushalt.

Über eine Bindung der Gallen- säuren wird eine vermehrte Exkretion der Gallensäuren bewirkt, gleichzeitig wird die Kontaktzeit von kanzerogenen Gallensäuren mit der Darm- wand vermindert. Eine Erhö- hung des Stuhlgewichtes mit einer Entleerung täglich ist auch als eine Prophylaxe des Darmkrebses anzusehen.

Aus der Abteilung für Stoffwechsel und Ernährung (Vorsteher: Professor Dr. Dr. h. c. Gerhard Berg) in der Medizinischen Klinik mit Poliklinik

der Universität Erlangen-Nürnberg

Aufgrund epidemiologischer Unter- suchungen kam Burkitt als erster zu der Ansicht, daß einige Erkrankun- gen des Kolons und bestimmte Ve- nenleiden auf einen Mangel an Fa- serstoffen in der Nahrung zurückge- führt werden können (3*). Es wurden so unterschiedliche Erkrankungen wie Kolondivertikulose, Appendizi- tis, Darmkrebs, Hiatushernie, Hä- morrhoiden und Varikose auf die Verminderung der Pflanzenfaserauf- nahme zurückgeführt. Einige von diesen Hypothesen konnten in der Folgezeit experimentell bestätigt werden (Übersicht 14, 15).

Definition und Klassifikation der Faserstoffe

Pflanzliche Faserstoffe bilden keine einheitliche Gruppe. Die Komponen- ten Zellulose, Hemizellulose, Pektin und Lignin sind in unterschiedli- chem Ausmaß in einzelnen Nähr- stoffen enthalten. Die Untersuchun- gen der letzten Jahre haben gezeigt, daß jedem Faserstoff seine eigene spezifische Wirkung zukommt. Auch die Verdaubarkeit der Faserstoffe durch die endogenen Darmbakte- rien ist individuell unterschiedlich und außerdem von der Faserstoffmi- schung abhängig. So wird die Ver- wertung von Zellulose durch die An-

wesenheit von Lignin im Darm stark herabgesetzt. Die Wirkung von pflanzlichen Fasern hängt somit sehr von der Menge der zugeführten Stoffe und deren Zusammensetzung ab. Die unterschiedlichen Ergebnis- se einzelner Autoren lassen sich da- durch mühelos erklären. Die Defini- tion von Rohfaser, Nahrungsfaser und Kleie wird in Tabelle 1 wieder- gegeben. In Tabelle 2 werden die physiologischen Eigenschaften defi- nierter Faserstoffe zusammenge- stellt. Neben Zellulose, der Gruppe der Hemizellulosen, Pektin und Li- gnin wurden auch die faserassozi- ierten Substanzen Gummi, Schleime und Algen-Polysaccharide in diese Tabelle aufgenommen.

Derzeit im Handel erhältliche Nähr- werttabellen geben den Rohfaserge- halt einzelner Produkte an. Wie in Tabelle 1 dargestellt, ist diese Me- thode nicht in der Lage, die gesam- ten Faserstoffe zu erfassen. Der Ge- samtfaseranteil liegt in Wirklichkeit wesentlich höher. Eine Gegenüber- stellung des Rohfaseranteils einzel- ner Produkte im Verhältnis zum Ge- halt an Pektin, Zellulose, Hemizellu- lose und Lignin wird in Tabelle 3 wiedergegeben (18). Eine Übersicht

*) Die in Klammern stehenden Zahlen bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

2735

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über die einzelnen Bestimmungs- methoden ist in der Monographie

„Fiber in human nutrition" von Spil- ler und Amen enthalten (17).

Rückgang der Rohfaserzufuhr Die tägliche Rohfaseraufnahme be- trug nach Untersuchungen von Tho- mas im Jahr 1879 noch 13 g/Tag, 1968 dagegen nur noch 5 g/Tag. Be- sonders bemerkenswert ist in die- sem Zusammenhang der Rückgang im Verzehr von Hülsenfrüchten und Gemüsen mit ihrem hohen Gehalt an Pektin, Zellulose, Hemizellulose und Lignin (vergleiche Tabelle 3). So fand Thomas einen Rückgang der Rohfaseraufnahme aus Gemüse von 2,4 auf 0,6 g/24 Std. und einen Rückgang der Rohfaseraufnahme aus Hülsenfrüchten von 1,4 auf 0,08 g/Tag. Man kann somit anneh-

men, daß der tatsächliche Faserver- zehr in den Jahren um 1880 wesent- lich höher gelegen hat als heute, zu- mal mit den damaligen Bestim- mungsmethoden ein Großteil der Ballaststoffe überhaupt nicht erfaßt werden konnte.

Stuhlgewicht und Transitzeit Unverdaubare Kohlenhydrate erhö- hen das Stuhlgewicht. So fanden wir einen Anstieg des Stuhlgewichts von 114 auf 303 g/24 Std. (12) (Ta- belle 4). Die Passagezeit nach Zu- fuhr von 1 g Weizenkleie pro kg und T.ag betrug 1,5 Tage (12). Die Erhö- hung des Stuhlgewichtes und die Beschleunigung der Passagezeit sind zwei Faktoren, welche bei der Ätiologie des Darmkrebses disku- tiert werden. Durch die vermehrte Volumenfüllung kommt es zu einer

Verdünnung von eventuell karzino- genen Substanzen und durch die Beschleunigung der Passagezeit zu einer Verminderung der Kontaktzeit (Übersicht 13, 14, 15, 17).

Mineralhaushalt

Faserstoffe wirken wie Kationenaus- tauscher. Unter faserreichen Kost- formen wird eine Verminderung der Absorption von Kalzium, Magne- sium, Natrium und Kalium gefunden.

Die Kalziumabsorption wird beson- ders durch die Phytinsäure ge- hemmt (Übersicht 16). In eigenen Untersuchungen fanden wir, daß die Natriumausscheidung signifikant von 158 mval auf 120 mval/24 Std.

absinkt (Tabelle 4). Die Beeinflus- sung des Mineralhaushaltes hat eine unterschiedliche Bedeutung. Auf der einen Seite kann die Verminde-

Abbildung: Ein Beispiel für faserreiche Kost zur Behandlung der Obstipation und des Colon irritale

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rung der Kalziumabsorption für den Knochenstoffwechsel ungünstig sein, während andererseits die von uns gefundene Verminderung der Natriumaufnahme durchaus präven- tiven Charakter hinsichtlich der Ent- wicklung einer Hypertonie hat.

In Populationen mit faserreicher Kost ist die Hypertonie seltener als in solchen mit faserarmen Ernäh- rungsformen.

Die verminderte Ausscheidung von Salzen über die Niere kann auch als Prävention der Nierensteinkrankheit angesehen werden.

Der Einfluß von Faserstoffen auf den Cholesterinstoffwechsel Faserstoffe, besonders Pektine, ha- ben auf den Cholesterinstoffwechsel einen sehr deutlichen Einfluß (1, 7, 9, 10) (Tabelle 5). Die Zulage von Faserstoffen vermindert die Serum- cholesterinkonzentration und er- höht die Ausscheidung der Gallen- salze über den Stuhl (Tabelle 5).

Gleichzeitig mit der vermehrten Ex-

kretion von Gallensalzen kommt es zu einer deutlichen Änderung in der Zusammensetzung der Galle. Be- sonders deutlich ist der Abfall der sekundären karzinogenen Gallen- säure, Desoxycholsäure und des daraus gebildeten 20-Methylchol- antren (16).

Die Gallensteinbildung unter faser- armer Kost wurde bereits experi- mentell belegt (11).

Kolondivertikulose

Bei Anwendung von faserarmen Kostformen kommt es zu vermehr- ten segmentalen Kontraktionen des Sigma. Die Entwicklung einer Diver- tikulose bei Ratten wurde bereits 1949 von Carlson und Hoelzel beschrieben.

Hiatushernie, Hämorrhoiden und Varikosis

Faserarme Kostformen führen zwangsläufig zu einer Obstipation.

Beim Absetzen von kleinen harten

Stuhlmengen muß der intraabdomi- nelle Druck stark gesteigert werden.

Auf diesem Wege sollen die Hiatus- hernie, aber auch Hämorrhoiden und Varikosis entstehen (3).

Diabetes mellitus

Einzelne Faserstoffe haben die Ei- genschaft den Glukosestoffwechsel zu beeinflussen. So konnten Miran- da und Mitarbeiter zeigen, daß das Tagesprofil von Diabetikern unter ei- ner faserreichen Kost mit 20 Gramm Rohfaser/Tag deutlich günstiger ist als unter einer faserarmen.

Besonders günstig hinsichtlich der Beeinflussung des Glukose-Stoff- wechsels hat sich nach Untersu- chungen von Jenkins (7) und Tunali (19) der Quellstoff Guaran erwiesen (Tabelle 6).

In eigenen Untersuchungen entfal- tete Weizenkleie auch in einer Dosis von 1 g/kg/Tag keine Verminderung der Glukoseabsorption nach oraler Glukosebelastung.

Tabelle 1: Nomenklatur pflanzlicher Faserstoffe*)

Rohfaser: Dieser Ausdruck wurde 1806 von Einhof geprägt. Bei der chemischen Bestimmung des Rohfaseranteils werden nur 50 bis 80 Prozent Zellulose, 10 bis 50 Prozent Lignin, 20 Prozent der Hemizellulosen erfaßt (Weende-Methode). Alle derzeitigen Nahrungstabellen geben den Rohfasergehalt an.

Nahrungsfaser Synonyme: unverdaubare Substanzen, bulk, indigestible residue, residue, rough- (dietary fiber): age, unavailable carbolhydrate. Hiermit sind alle pflanzlichen Substanzen

gemeint, die von den Enzymen des menschlichen Darmes nicht vollständig gespalten werden können: Zellulose, Hemizellulose, Pektin, Lignin, Gummi, Schleimstoffe, Wachse, Kutin, unverdaubare Proteine, gebundene Mineralstoffe.

Kleie (Bran): Kleie ist ein Nebenprodukt der Mehlproduktion. Sie enthält die Außenschicht der Getreidekörner. Ihre Zusammensetzung hängt vom Mahlverfahren ab. Typisch ist:

21 Prozent Zellulose, 20 bis 26 Prozent Pentosane (Hemizellulosen), 7,5 bis 9 Prozent Stärke, 5 Prozent Zucker, 11 bis 15 Prozent Protein (auch Gluten), 5 bis 10 Prozent Fett, 5 bis 9 Prozent Asche und 14 Prozent Wasser.

Neben den Inhaltsstoffen der Kleie ist deren Größe (mesh) von Bedeutung. So bindet ungemahlene Weizenkleie 5 g Wasser/g Kleie, dagegen auf 1 Millimeter gemahlene Kleie nur noch 3,7 g Wasser/g Kleie.

*) nach Spiller und Amen, ergänzt

2738 Heft 46 vom 16. November 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Tabelle 2: Physiologische Eigenschaften definierter Faserstoffe*)

Zellulose: 1,4 ß-D-Glukosepolymer aus 3000 bis 100 000 Glukoseeinheiten nimmt Wasser auf und quillt. Bindet Folsäure. Der Mensch verdaut mit Hilfe der Darmbakterien 40 Prozent der Zellulose. Sind Lignin oder Silikat enthalten, ist die Verdaubarkeit herabgesetzt.

Hemizellulose Hierunter fallen ca. 250 verschiedene Polysaccharide. Sie sind verzweigt. Enthal- (Pentosane, ten 150 bis 250 Zuckereinheiten, meist 2 bis 4 verschiedene Bausteine wie Xylose, nichtzelluläre Arabinose, Mannose, Galaktose, Glukose, Rhamnose, Glukuronsäure.

Polysaccharide):

Zusammen mit Pektin bilden die Hemizellulosen das Gerüst der pflanzlichen Zellwand. In diese sind dann die Zellulosefasern eingebaut. Manche Zellwände haben bis 30 Prozent Hemizellulosen. Die terminalen Carboxyl-Gruppen bilden Amide, Alkylester, Methylester und Metallsalze. Hemizellulosen binden Wasser, Kationen und Gallensalze, 50 bis 60 Prozent werden verdaut.

Pektine: Pektine sind eine Gruppe von Polysacchariden mit Molekulargewichten von 60 000 bis 90 000. Häufig 1 bis 4 ß-D-Galakturonsäure. Als Zucker außerdem Galaktose, Arabinose, Xylose, Fukose und Rhamnose. Pektine sitzen in der Zell- wand, aber auch intrazellulär. Sie bilden Gele und binden Ionen. Durch ihre Wirkung als Kationenaustauscher wirken sie antitoxisch. Bis 95 Prozent können aber verdaut werden. 15 bis 30 g Pektin/Tag erhöhen bereits die Steroidausschei- dung über den Darm und senken die Cholesterinwerte.

Lignin: Holzbildende Zellen (lignum = Holz) enthalten bis 50 Prozent Lignin. Polysaccha- ride mit echten Kohlenstoffbindungen. Grundbausteine sind substituierte Phenyl- propane. Bei Anwesenheit von Lignin wird die Verdaubarkeit der anderen Zell- wandbestandteile beträchtlich reduziert. Gallensalzbindung in vitro nachgewie- sen.

Faserassoziierte Die Zellwand enthält neben Faserstoffen Phytat, Silikat, Kutin, Zellwandproteine, Substanzen: Tannin und Salze. Phytin (lnositolhexaphosphat) bildet Komplexe mit Ca, Mg, K,

Phosphat. Der Phytingehalt mindert somit die Calciumresorption.

Gummi, Diese Substanzen bestehen aus verzweigten Ketten von Glukuronsäure und Schleime: Galakturonsäure. Besonders bekannt sind: Gummi arabicum aus Acacia senegal,

Karaya-Gummi aus Sterculia-Arten, Guar gum (Guaran) aus Cyamopsis tetragono- lobus. Ähnlich sind

alfalfa,

carob gum, Leinsamen, ispaghula. Teilweise in der Nahrungsmittelindustrie als Emulgatoren, Stabilisatoren und Bindemittel einge- setzt. Auch als Laxativa. Einige senken Cholesterin besonders gut und behindern die Resorption selbst von monomerer Glukose (Guar).

Algen- Aus Algen und Seegräsern werden einige Polysaccharide gewonnen. Bekannt sind Polysaccharide: agar agar, Carrageen, Alginsäure. Agar agar ist ein sulfatiertes Galactan mit hoher Resistenz gegen bakterielle Zersetzung. Besonders gute Wirkung als Laxativ.

Carrageen ist ein anderes sulfatiertes Galactan. Besonders guter Gel-Bildner.

Macht bei Ratten Nekrosen im Zökum. Alginsäure bindet Na, K, Mg, Ca und Strontium, deren Resorption es nahezu vollständig hemmt.

nach Spiller und Amen, ergänzt

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 46 vom 16. November 1978

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Produkt Rohfaser Pektin g/100 g g/100 g Geschälte Äpfel 9 17

Kohl 8 5

Karotten 6 19

Kopfsalat 12 4

Geschälte

Tomaten 1 7

Geschälte

Orangen 3 12

Gerstenkörner 7 Spur

Roggenkörner 3 Spur

Haferkörner 13 Spur

Weizenkörner 3 Spur

Roggenkleie 14 Spur

Weizenkleie 11 Spur

Reiskleie 13 Spur

') n. Spiller. Amer. J. clin. Nutr. 29 [1976] 934

Zellulose Tabelle 3:

Hemizel- Fasergehalt Iu Iose von Früchten, Lignin Gemüse und g/100 g Kleie*)

12 14 9 17

5 4 27 13 31 14 60 45 24

Tabelle 4: Wirkung von Weizenkleie auf Körpergewicht, Stuhlge- wicht, Urinmenge sowie Natrium- und Kaliumausscheidung*)

Gewicht (kg)

Stuhlgewicht (g/Tag) Urinmenge (ml/24 Std.) Kaliumausscheidung (mval/24 Std.) Natriumausscheidung (mval/24 Std.)

Vorperiode 1 Woche

65 ± 12 114 ± 38 1100 ± 505 70 ± 17 158 ± 46

Diätperiode 1. Woche 2. Woche

65 ± 12 263 ± 51 .. ) 1397 ± 560

60 ± 20 120 ± 38**)

65 ± 12 303 ± 77**) 1381 ± 553

61 ± 17 132 ± 38**)

·) Es wurde 1 g Kleie/kg KG/Tag appliziert. Angegeben sind die Mittelwerte von 1 Woche n = 8, I = 14 Tage

.. ) Werte vom Ausgangswert signifikant verschieden

Vorperiode Pektin Tabelle 5:

Wirkung von Chole- mmol/1 7,9 ± 0,9 6,9 ± 0,7 Pektin auf die sterin mg/dl 305 ± 35 267

±

27 Serumlipide Trigly- mmol/1 1,8

±

0,3 1,7 ± 0,4 und die ceride mg/dl 159

±

27 150 ± 35 Steroidaus- Stuhl- g/Tag 200

±

89 269

±

49 scheidung*) gewicht

Stuhl- mg/Tag 927

±

129 1080 ± 151

Steroide

·) d = 50 g Pektin/Tag n = 9, t = 14 Tage Miettinen, Clin. Chim. Acta 79 (1977) 471

2740 Heft 46 vom 16. November 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Faserreiche Kostformen

zur Behandlung der Obstipation und des Colon irritabile

Das Stuhlgewicht wird durch die Partikelgröße der Fasern sowie de- ren Zusammensetzung unterschied- lich beeinflußt (2, 5). Als Testdiät wählten wir eine Kostform mit 23 g Rohfasern/Tag. Diese Ernährung enthält 107 g Protein, 65 g Fett, 166 g Kohlenhydrat und einen be- rechneten Kaloriengehalt von 1500 Kalorien. Die Mengen von Vitami- nen, Elektrolyten und Spurenele- menten waren ausreichend vorhan- den. Der Cholesteringehalt dieser Nahrungsform lag unter 100 mg/Tag (Abbildung).

Die beschriebene faserreiche Diät wurde bei Patienten mit chronischer Obstipation eingesetzt. Bei einigen Personen, welche unter einer jahre- langen chronischen Obstipation zu leiden hatten, verschwand diese in- nerhalb der ersten Tage vollständig. Ein Teil der Patienten, besonders äl- tere Frauen, lehnten eine solche Nahrungszusammensetzung primär ab. Bei unseren Untersuchungen wurde der Rohfasergehalt der Nähr- stoffe berechnet. Man kann anneh- men, daß 20 Gramm Rohfaser etwa einem Gesamtfasergehalt von 60 g/

Tag entsprechen.

Daraus sollte ein Stuhlgewicht von etwa 300 g/24 Std. resultieren. Auch bei einem Rückgang auf 10 Gramm

Rohfaser/Tag dürfte eine tägliche

Stuhlentleerung noch zu erzielen sein.

Nebenwirkungen

Theoretisch wäre eine Verarmung an Kalzium und damit eine Osteopo- rose zu erwarten. Die Entwicklung einer Osteoporose wurde aber auch in Populationen, welche sich faser- reich ernähren, bisher nicht be- schrieben. Unmittelbar nach Zulage von Pflanzenfasern steigt das Kör- pergewicht wegen der Erhöhung der Darmfüllung deutlich an, daß Abdo- men schwillt etwas auf, die Patien- ten klagen über eine vermehrte Fla- tulenz. Obwohl eine tägliche Stuhl-

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Darmkrebse durch Fasern*)

Freemann, Vortrag Digestive Disease Week 79, Tagung der Amer. Gastroent. Assoc. Las Vegas 1978

Tabelle 7: Wirkung von Fasern beim Diabetes*)

isokalorische Ernährung mit 3 g Rohfaser 20 g Rohfaser

Glukose mg/dI 11.00 Uhr 64 122

Glukose mg/dI 17.00 Uhr 154 100

Glukose mg/dl 21.00 Uhr 204 113

Glukose-Mittelwerte 169 ± 12 121 ± 10

*) P. M. Miranda, Diabetes 26 (1977) 356

10 g Knäckebrot, 10 g Becel- M., 200 g Tomatensalat, 60 g Camembert 10%, 100 g Essig- gurken.

200 g Selleriesalat, 200 g Rote Beete, 5 g Öl.

200 g Kalbschnitzel, 200 g Spargel, 400 g Rosenkohl, 50 g Kopfsalat, 10 g Kresse, 5 g Öl.

100 g Radieschen, 100 g Gur- ke, 200 g grüne Bohnen, 5 g Öl.

200 g Weißkraut, 100 g Papri- ka, 100 g Möhren, 150 g Jo- ghurt 1,5%, 100 g Blumen- kohl, 5 g

10 g Knäckebrot, 150 g Eier- eiweiß.

1500 Kalorien (6300 Joule), 166 g Kohlehydrate, 65 g Fett, 107 g Protein, 2600 mg Na- trium, 7000 mg Kalium, 1400 mg Calcium, 368 mg Magne- sium, 65 mg Cholesterin, 2,5 mg Vit. B 6 , 870 mg Vit. C, 29 mg Fe.

I. Frühstück

II. Frühstück Mittagessen

Nachmittag

Abendessen

Spätmahlzeit Zusammen- setzung:

Tabelle 8:

Ernährungs- plan für eine faserreiche Kost mit 22 g Rohfaser/Tag entleerung erreicht wird, klagen

einige Patienten über Beschwerden wie bei Obstipation (Pseudoobstipa- tion).

Zusammenfassung

Es werden epidemiologisch erhobe- ne Befunde und experimentelle Er- gebnisse vorgelegt, welche bewei- sen, daß eine faserarme Ernährung Krankheiten des Darmes (Kolondi- vertiku lose, Obstipation, Hämorrhoi- den und Stoffwechselstörungen [Hypercholesterinämie bewirken kann. Auch die vermehrte Bildung von Darmkrebs unter faserfreier Kost wurde inzwischen experimen- tell belegt. Faserreiche Kostformen sind geeignet zur Behandlung der Obstipation des Colon irritabile und auch des Diabetes mellitus.

Es ist sehr zu begrüßen, daß in die- ser Arbeit auf wissenschaftlicher Ba- sis darauf hingewiesen wird, wie ei- ne gut ausgewogene natürliche Er- nährung zusammengestellt werden sollte. Rund 60 Prozent aller Frauen leiden an Obstipation und betreiben meist einen Laxantienabusus. Hier soll und muß der Hausarzt im besten Sinne des Wortes dem Patienten in einem längeren Gespräch den not- wendigen Ernährungsplan erläu- tern. Er sollte zum Beispiel darauf hinweisen, daß der übliche Oran- gensaft morgens nicht nur als Vita- minspender anzusehen ist, sondern daß, wenn man die ganze Frucht mit ihren Ballaststoffen verwendet, zu- sätzlich Faserstoffe wirksam wer- den, ähnlich wie bei faserreichem Gemüse und bei Salaten. Man darf jedoch nicht vergessen, daß die ge- mischte laxierende Wirkung einer faserreichen Kost oft erst nach Wo- chen und Monaten eintritt, wenn ei- ne langjährige Obstipation bestan- den hat. DÄ

Literatur

Bergmann, F., Linden, W. v. d.: Effect of dietary fibre an gallstone formation in hamsters, Z.

Ernährungswiss. 14 (1975) 218 — Burkitt, D. P.:

A deficiency of dietary fiber may be one cause of certain colonic and venous disorders, Am. J.

dig. Dis. 21 (1976) 104 — Carlson, A. J., Hoelzel, F.: Relation of diet to diverticulosis of the colon in rats Gastroenterology 12 (1949) 108 — Jen- kins, D. J. A., Höckaday, T. D. R., Howarth, R., Apling, E. C., Wolever, Th. M. S., Leeds, A. R., Bacon, S., Dilawari, J.: Treatment of diabetes with guar gum. Reduction of urinary glucose loss in diabetes, Lancet 2 (1977) 779 — Mietti- nen, T. A., Tarpila, S.: Effect of pectin an serum cholesterol, fecal bile acids and biliary Iipids in normolipidemic and hyperlipidemic individu- als, Clin. Chimica Acta 79 (1977) 471 — Matz- kies, F., Berg, G., Kellner, R.: Untersuchungen zur Wirkung von Weizenkleie auf die Stuhlpro- duktion, In: Ernährung und Umwelt Eine Be- standsaufnahme, Hrsg. K. Schreier, I. Eckert, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1977 — Matz- kies, F.: Bedeutung der Pflanzenfasern in der

Nahrung, Fortschr. d. Med. 94 (1976) 11 — Spil- ler, C. A., Amen, R.J.: Fiber in human nutrition, Plenum Press New York and London 1976 — Spiller, G. A., Fassett-Cornelius, G.: A new term for plant fibers in nutrition, Amer. J. Clin. Nutr.

29 (1976) 934 — Thomas, B.: Beeinflussung des Stoffwechsels durch Ballaststoffe, Akt. Ernäh- rungsmed. 2 (1977) 61

Ansthrift der Verfasser:

Professor Dr. Dr. h. c. Gerhard Berg Privatdozent Dr. Fritz Matzkies Krankenhausstraße 2

8520 Erlangen

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