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Archiv "Die Überschätzung der Psychoanalyse: Selbstbewußtsein und Sprache" (18.01.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychoanalyse

und diese ist ein Problem der gan- zen Medizin. Angesichts dieser Ge- fahr würde ich an Stelle von Herrn Puder gerade die Integrierung der Psychoanalyse in die Medizin for- dern.

Prof. Dr. med. H. Henseler Leiter der Sektion für Psychoanalytische Methodik an der Universität Ulm Am Hochsträß 8 7900 Ulm

Selbstbewußtsein und Sprache

Unmittelbar nach dem Lesen des Ar- tikels war ich ärgerlich. Dann aber begann ich Herrn Puder zu verste- hen. Er ist ja nicht allein mit seiner Einstellung und seinen Affekten der Psychoanalyse und der Psychoso- matik gegenüber. Verunsichert es den Arzt nicht und macht es ihm nicht sogar Angst, wenn die Psycho- analyse neurotisches und psychoso- matisches Geschehen als Krankheit begreift und diese mit einer beson- deren Methode zu heilen unter- nimmt? Schließlich bedeutet das, ein gesichertes Erkenntnisfeld, nämlich die naturwissenschaftliche Medizin nicht mehr als die einzig legitime Erfassung von Krankheiten zu be- greifen. Verunsichert es nicht, wenn man erleben muß, daß es Methoden gibt, die man selbst nicht be- herrscht, die aber in der Lage sind, Menschen zu helfen, die sonst nicht mehr arbeits- und lebensfähig sind?

Ich denke dabei an Neurosen, wie Phobien, Zwangsneurosen, aber auch an psychosomatische Störun- gen, um nur einige zu nennen. Viel- leicht spielen auch materielle Inter- essen eine Rolle, wenn die Kassen heute die Kosten für derartige Be- handlungen bezahlen müssen.

Der Verfasser möchte daran festhal- ten, daß Krankheiten nur körperliche Vorgänge und sonst nichts sind.

Freud aber entdeckte, und das war ein entscheidender Schritt für das psychosomatische Denken, daß das psychische Leben einen entschei- denden Einfluß auf den Menschen und auch auf seinen Körper hat.

Der Mensch ist nämlich nicht nur sein Körper, wie es das Tier ist, son- dern er hat einen Körper. Dieser ist sichtbar, ausgedehnt, materiell und erstreckt sich im Raum. Der Körper als materielles Substrat ist das legiti- me Objekt des naturwissenschaftli- chen Vorgehens. Letzteres regi- striert die Abweichungen von der normalen Funktion und verrechnet sie numerisch.

Die Psyche wird gewöhnlich als die Fähigkeit des Menschen verstanden, erleben zu können und sich dessen bewußt zu werden. Die Psyche um- faßt das Empfinden, das Fühlen, Af- fekte und Stimmungen sowie die Fä- higkeit, zu planen, zu urteilen und logisch-abstrakt zu denken. Eine entscheidende Entdeckung S.

Freuds war, daß die Psyche des Menschen nicht identisch ist mit sei- nem Bewußtsein. Sie wird weitge- hend bestimmt durch unbewußte Vorgänge. Die menschliche Psyche unterscheidet sich vom Tier nicht durch Bewußtsein, sondern durch das Selbstbewußtsein und durch die Sprache. Die Sprache aber, und das ist entscheidend, ist das therapeuti- sche Agens der Psychoanalyse. Ihr Herzstück ist die Übertragung und Gegenübertragung. Freud verstand darunter die unbewußte affektive Einstellung des Patienten zum Arzt, die nicht die Wirklichkeit des Arztes erkennt. Sie ist bedingt durch die unbewußte infantile Einstellung den entscheidenden frühen Beziehungs- personen gegenüber. Balint, ein Schüler Feuds, fand eine Methode, mit deren Hilfe Ärzte in einer Gruppe die zwischen Arzt und Patient unbe- wußt sich abspielende Beziehung kennenlernen können. Es geht in dieser Gruppe nicht um eine Selbst- erfahrung, sondern alle Aufmerk- samkeit ist auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient gerichtet.

In der Balint-Gruppe werden Pro- blempatienten, die nicht mit den üb- lichen, sonst erfolgreichen Thera- pien beeinflußt werden können, be- sprochen. Man nimmt an, daß eine Störung in der Patient-Arzt-Bezie- hung eine Besserung des Patienten verhindert. Wer nur streng naturwis- senschaftlich denkt, wird zunächst

Schwierigkeiten haben zu begreifen, daß die Interaktion zwischen Arzt und Patient eine solch entscheiden- de Rolle für den Heilungsprozeß spielt. Wer sich mehr mit der Psyche beschäftigt, erfährt, daß sie offenbar nur in der menschlichen Interaktion sich voll entfalten kann. Deutlich wird das in der Sprache. Sprache ist immer miteinander sprechen.

Die Ärzte sind miteinander verbun- den durch das gleiche Ziel, sie un- terscheiden sich durch die Akzente, die sie setzen. Es soll noch einmal betont werden, daß psychisches Ge- schehen ohne das körperliche Sub- strat nicht denkbar ist, und daß des- halb auch die Kenntnis des Körpers für den Psychoanalytiker unabding- bar notwendig ist. Und wenn es wahr ist, was H. Schäfer sagt, daß die Krankheit der Zukunft die Neuro- se ist, erscheint es notwendig, daß die Ärzte die Kenntnisse, die durch die Psychoanalyse vermittelt wur- den, aufnehmen. Unter Psychoana- lyse wird nicht nur die Freudsche, sondern ebenso die neoanalytische (Schultz-Hencke), die Adlersche und die Jungsche Psychologie verstan- den. Versäumen die Ärzte, diesen notwendigen Schritt zu tun, so wer- den andere Berufsgruppen — wie es schon jetzt geschieht z. B. die Psy- chologen, danach trachten, die Psy- che und ihre Behandlung für sich zu pachten. Dann aber wird festge- schrieben, was die Grundlage der somatischen Medizin ist, nämlich Trennung von Soma und Psyche.

Können wir als Ärzte einen Augen- blick vergessen, daß Tausende und Abertausende von Menschen heute psychisch erkrankt sind, und müs- sen sie immer erst eine Odyssee hin- ter sich bringen, um fachgerecht und ihrem Leiden entsprechend be- handelt zu werden? Mir scheint, der Zeitpunkt ist gekommen, daß wir uns nicht gegenseitig bekämpfen, sondern besser zu verstehen versu- chen.

Prof. Dr. med.

Margarete Mitscherlich Nervenärztin, Psychotherapie Weezer Straße 2

4000 Düsseldorf 11

• Wird fortgesetzt

178 Heft 3 vom 18. Januar 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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