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Archiv "Die Überschätzung der Psychoanalyse: Nützliche Affekte" (14.12.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FORUM

Nützliche Affekte

Als Analytiker möchte ich Herrn Pu- der ausdrücklich in seiner Offenheit bestätigen, mit der er deutlich macht, worum es bei den Angriffen auf die Psychoanalyse eigentlich geht. Die Diskussionen, die in jüng- ster Zeit im Zusammenhang mit der Facharztbezeichnung und dem Psy- chotherapeutengesetz um die Rele- vanz der Psychoanalyse geführt wurden, zeichneten sich überwie- gend durch ihren sachlichen Argu- mentationsstil aus. Der Legitima- tionsanspruch der Psychoanalyse und ihre wissenschaftstheoreti- schen und methodenkritischen Vor- aussetzungen standen im Mittel- punkt des kontroversen Interesses.

Herr Puder dagegen hat erkannt, daß die Affekte gegen die Psycho- analyse nicht mehr länger durch wissenschaftliche Argumente ratio- nalisiert werden müssen, nachdem die selbständige Gebietsbezeich- nung „Psychoanalyse" gescheitert ist und bereits „Fakultätsbeschlüsse gegen die Errichtung von Lehrstüh- len für Psychosomatik zeugen". Er weiß sich eins mit den vielen, die diese Beschlüsse gefaßt haben; aber anders als sie besitzt er den „Mut"

zu sagen, was er fühlt.

Dabei geht es ihm wie den Tausen- den von Ulkus-, Kolitis-, Asthma- und Hautkranken, den Herzphobi- kern und Hypertonikern, den Mager- und Fettsüchtigen, den Tausenden von Frauen mit psychogener Ame- norrhö und Sterilität, den tausenden Menschen mit Depressionen und Suiziden und den Abertausenden, die qualvoll unter ihren psychischen Symptomen leiden und die sich von Arzt zu Arzt schleppen, von Apothe- ke zu Apotheke, von Kur zu Kur und

die selbst den Chirurgen nicht scheuen, weil sie sich gegen die Ein- sicht verbarrikadieren, daß sie sich — für einen Bruchteil des Geldes, das bisher für sie aufgewandt wurde — psychotherapeutisch behandeln las- sen könnten. Wie Herr Puder, sam- meln diese unglücklichen Menschen ihre restlichen Abwehrkräfte zusam- men und bauen sich ein System auf, das sie vor der Psychoanalyse schützt. Herr Puder hat alles zusam- mengefaßt, was auch diese Men- schen ins Feld führen: Die Psycho- analyse verschiebe die „erkannten Schwierigkeiten nur auf eine andere Ebene" und stoße den einzelnen in ein „neues Elend"; viele dieser Pa- tienten meinen von sich, daß sie gar nicht krank seien, es sei nur ihre

„persönliche Eigenart", die nur von der Psychoanalyse als „Neurose klassifiziert" werde; diese Patienten wollen auch oft aus falsch verstan- denem Stolz und Eigenverantwor- tung nicht der „Versichertenge- meinschaft" zur Last fallen. Oder sie argumentieren, Psychoanalyse sei

„elitär" und „sektiererisch", sie sei ein „Religionsersatz", „manipulie- re" die Menschen durch „Psycho- tricks" und „gewissermaßen psy- chochirurgisch". „Menschliche Würde, persönliche Ehre, Sitte und Anstand" seien für die Psychoanaly- se „unbekannte Begriffe", ihr gehe es nur um das „Weitervegetieren"

um jeden Preis. Damit habe sie sich vom „Anspruch echter Humanität"

entfernt. Die Psychoanalytiker schließlich seien nichts anderes als geschickte „Conferenciers", die durch „primitive Symboldeutung"

und „bilderreiche, schwülstige Sprache" nach freier „Willkür" „be- rücken und verwirren"; dieses

„Deuteln" sei nur ein „Als-ob-Ver- stehen", und statt die Eltern könne man genausogut „den Teufel" für

die Entstehung eines psychischen Konfliktes verantwortlich machen.

Daß die Psychoanalyse keine nach- prüfbaren Erfolge vorzeigen könne, sondern im Gegenteil „Gefahren"

darstelle, wobei die verursachten

„Schadensfälle" „schwer nachweis- bar sind",, sei ja bekannt. Überdies stünden die Psychoanalytiker, die bei einem „Zwingherrn" durch das

„Fegefeuer der eigenen Seelenmas- sage" gehen müßten, einer „religiö- sen Bewegung" nahe. Schließlich sei Psychoanalyse eine „Glücksa- che", weil „die meisten aller Neuro- sen im Verlauf von ein bis zwei Jah- ren von selbst ausheilen" (sämtliche Zitate aus dem Aufsatz von Herrn Puder).

Es ist Herrn Puder zu danken, daß er die Ängste vor der Psychoanalyse so offen dargestellt hat. Das Arsenal der von ihm beschworenen Abwehr- manöver wie Verleugnung, Ver schiebung, Verkennung der Realität, Flucht in die Irrationalität, Ideologie- bildung, projektive Abwertung und Rationalisierung geben ein ein- druc:.svolles Bild davon, wie tief die- se Angst vor der Aufdeckung ver- drängter Konflikte wurzelt. Der pani- sche Schrecken Herrn Puders gip- felt in dem assoziativen Einfall des

„Teufels".

Wie schon immer, und heute ver- stärkt, bemüht sich die Psychoana- lyse, ihren Kritikern auf einer wis- senschaftstheoretischen Ebene zu begegnen. Diese Auseinanderset- zung gehört zu den Aufgaben der Legitimation einer Wissenschaft. Es wird auch von psychoanalytischer Seite wieder Versuche geben, der Darstellung der Psychoanalyse durch Herrn Puder eine sachliche Information und Argumentation ent- gegenzustellen. Gegen zynische Besserwisserei als Konfliktabwehr ohne Ahnung von der Sache ist aber jedes Argument ohnmächtig. Es er- hebt sich daher angesichts dieser unverschlüsselten Darstellung die Frage, ob die Psychoanalyse aus ei- ner unverdienten Verteidigungspo- sition heraus den bestehenden Kon- flikt mitagiert, wenn sie unermüdlich Sachdiskussionen von deutlichem Abwehrcharakter führt. Die Darstel-

Die Überschätzung der Psychoanalyse

Zuschriften (I) zu dem Artikel von Dr. med. Horst Puder in Heft 43/1978, Seite 2525ff.

3064 Heft 50 vom 14. Dezember 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychoanalyse

lung von Herrn Puder weist darauf hin, daß die Psychoanalyse neben der wissenschaftstheoretischen Dis- kussion neue Wege suchen muß, die noch gegen sie bestehenden, tief verwurzelten Ängste und daraus re- sultierenden Vorurteile abzubauen.

Sonst wird es von Leuten, die von der Sache, über die sie diskutieren und entscheiden, weder fachliche Kenntnisse noch analytisch fundier- te Erfahrungen im Umgang mit Pa- tienten haben, weitere „Fakultätsbe- schlüsse gegen die Errichtung von Lehrstühlen für Psychosomatik" ge- ben; auch wird sonst das von Herrn Puder formulierte naturwissen- schaftliche und moralische Men- schenbild weiterhin Tausende von Patienten zu einer kostspieligen Pa- tientenkarriere verurteilen und sie an einer kausalen Therapie ihres psychischen Leidens hindern.

So verstanden, hat sich Herr Puder mit seiner Darstellung um die Psy- choanalyse verdient gemacht.

Dr. med. Horst Petri

Lehranalytiker und Lehrbeauftragter für Psychosomatik am Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin Kunzendorfstraße 27

1000 Berlin 37

Keine Naturwissenschaft

Der Autor bestreitet der Psychoana- lyse den Anspruch, Wissenschaft zu sein. Er kann Wissenschaft nur im Sinne von Naturwissenschaft ge- meint haben. Hat die Psychoanalyse diesen Anspruch gemacht, so könn- te sie ihn ohne Schaden aufgeben.

Es gibt noch andere Möglichkeiten der Annäherung an den Menschen als die Naturwissenschaft. Sie ist nur ein Teilaspekt.

Ich möchte trotz mancher Stellen, in denen ich dem Autor des Artikels Recht gebe, gegen ihn aus Faust II zitieren:

„Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn!

Was ihr nicht tastet, steht euch mei- lenfern;

Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar;

Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr!

Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gesicht,

Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht."

Dr. med. Helmuth Krauss Nervenarzt

Marienhof, Osterheideweg 2285 Kampen auf Sylt

Wert und Unwert

... Gehört wirklich Mut dazu, eine Sammlung teilweise jahrzehntealter Klischees, Vorurteile und längst wi- derlegter Irrtümer als offensichtlich ernst gemeinte Kritik zu formulie- ren? Ich meine, daß eher von ärgerli- cher Kenntnislosigkeit gesprochen werden muß, wenn ein Kollege im Jahr 1978 behauptet, Hysterie sei ein

„Charakterfehler", Neurose keine behandlungsbedürftige Krankheit, sondern „eine persönliche Eigen- art", beides würde „im Laufe von 1-2 Jahren von selbst ausheilen", es sei denn, „sog. aufklärende und er- hellende persönliche Gespräche und andere Psychotricks" würden dies verhindern . .. Wenn der Kolle- ge Puder dann auch noch den „cha- rakterlich minderwertigen Men- schen" aus der Schublade zieht, ist die Grenze des Erträglichen über- schritten. Haben Sie, Herr Kollege, schon mal etwas von „lebensunwer- tem Leben" gehört? Ihre Ausführun- gen sind erschreckend.

Dr. med. Nenner Will Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Brückenstraße 33 6900 Heidelberg

Dämonologie

Die gegenwärtige Psychoanalyse ist trefflich beurteilt worden durch den Kollegen Puder. Die Tendenz zum Religionsersatz ist bei vielen Anhän-

gern deutlich geworden und wird mit der Zeit programmatisch. Ganz zwanglos ließen sich auch daher die analen, phallischen und sonstigen Besonderheiten der Lebensge- schichte als teuflische Momente identifizieren, wie dies auch bei den Naturvölkern geschieht. Die Völker- kunde berichtet häufig von Kranken- behandlungen, die ein Bekennen der Verfehlungen im Leben des auf irgendeine Weise Erkrankten erfor- dern. Wenn das „richtige" Ereignis endlich herausgekommen ist, muß der krankmachende Teufel weichen, und die Heilung ist binnen kurzem erreicht.

Somit scheint die moderne Psycho- analyse in ethno-medizinischer Sicht die europäische Dämonologie des 20. Jahrhunderts zu sein. Daß dies 400 Jahre nach dem Erscheinen der sechs Bände von Johannes We- zer über das Blendwerk der Dämo- nen (De praestigiis daemonum, 1563, Basel), die den Beginn der neuzeitlichen Psychiatrie anzeigen, festzustellen ist, läßt erneut Zweifel an dem Erfolg der Aufklärung zu.

Daß die Psychoanalyse unter dem Deckmantel der Wissenschaftlich- keit agieren möchte, wäre noch nicht einmal so schlimm, wenn ihre Motive lauter wären. Doch das inhu- mane Menschenbild, das sich aus dem weitreichenden therapeuti- schen Anspruch ableiten läßt, ist für die ärztliche Ethik bedenklich. Hier soll in beständig vergrößertem Um- fange menschliches Verhalten ge- modelt und passend gemacht wer- den. Hier wird letzten Endes dem einzelnen das Recht bestritten, an- ders zu sein, als es wünschenswert erscheint. Schließlich ist das Verwi- schen der Grenze zwischen gesund und krank auch psychohygienisch bedenklich, weil dadurch immer mehr Menschen selbstunsicher wer- den und durch Selbsteinrede mini- male Abweichungen verstärken, bis sie darunter zu leiden beginnen.

Ähnlich ist es auch schon bei der Kindererziehung.

Dr. med. Thomas Weinert Aachener Straße 43 1000 Berlin 31

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 50 vom 14. Dezember 1978 3065

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