• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Die Überschätzung der Psychoanalyse: Freuds Verdienst" (22.02.1979)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Die Überschätzung der Psychoanalyse: Freuds Verdienst" (22.02.1979)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychoanalyse

schaft, eine praktische Medizin vor- zustellen, die dergleichen dogmati- schem Denken folgen wollte. Die von Weizsäcker so genannte „Ein- führung des Subjekts in die Medi- zin" wäre dann rückgängig zu ma- chen, die Psychotherapie als Be- handlungsmethode abzuschaffen, die vielfach allzu schwach entwik- kelten Ansätze zu einer Aufnahme der Psychologie ins ärztliche Den- ken wären wieder auszutilgen. Ge- stützt auf welche Theorie, ausgerü- stet mit welchen therapeutischen Mitteln würde eine solche Medizin dann ihren neurotischen und psy- chosomatisch kranken Patienten gegenüberzutreten haben? Mit Psy- chopharmaka sind die seelischen Konflikte, an denen sie erkrankten, nicht zu lösen. Auch mit dem Hin- weis auf die „unveräußerlichen Wertkategorien des Menschlichen"

ist wenig auszurichten. Und Herrn Puders Auskunft, es handle sich bei ihnen nicht um Krankheit, sondern um „persönliche Eigenart", um

„Charakterfehler" (S. 2526) oder gar um „charakterlich minderwertige Menschen" (S. 2529), würden sich diese Patienten vermutlich verbitten.

Dr. med. Renate Kelleter Fachärztin für Innere Medizin Richard-Wagner-Weg 53 6100 Darmstadt

Dr. med. Klaus Kennel

Nervenarzt und Psychoanalytiker Berliner Straße 33-35

6236 Eschborn

Dr. med. Hermann Schultz Nervenarzt und Psychoanalytiker Anzengruberstraße 4

6000 Frankfurt

Freuds Verdienst

Ungewollt hat Herr Puder für seinen Artikel eine für ihn selbst zutreffen- de Überschrift gewählt. Er fragt, ob in einer Intensivierung der psycho- analytischen Ausbildung „das Heil der Menschheit liegt". Natürlich nicht: ebensowenig, wie in irgendei- ner anderen Fortbildung (beim Gy- näkologen etwa die differenzierte Beherrschung der Hormontherapie).

Alle Ärzte haben wohl in ihrer jewei- ligen Disziplin die gleiche Erfahrung

gemacht: Daß nämlich wir alle keine Zauberer sind, weder durch die Per- son noch durch die Methode. Es ge- lingt uns ab und zu, einen krankhaf- ten Prozeß zu einem schnelleren Ab- schluß zu bringen, ihn zu verhüten oder erträglicher zu machen. Einzi- ge Ausnahme manchmal die beseiti- genden Methoden: Entfernung ei- nes kranken Organs oder Abtöten von Erregern.

Und so sah es ja wohl auch Freud mit seinem (von Herrn Puder zitier- ten) Ausspruch: „Aus hysterischem Elend wird allgemeines Unglück!"

Ich würde annehmen, daß damit ge- meint ist: Ein hysterischer Patient wird durch die Analyse fähig, sich seinem persönlichen Unglück zu stellen; er wird weniger verdrängen, da er befähigt wird zum Leiden; da- durch kommt es nicht mehr zu un- beabsichtigten Reaktionen, die ihn überwältigen und ihn selbst und an- dere erschrecken. Ein moderner Po- litiker würde sagen: „Er ist mündi- ger geworden", ein Psychothera- peut: „Er ist selbstbewußter gewor- den". Das gelingt aber nur, wenn er ohne Verteufelung mit seinem Arzt an sich arbeiten kann, wenn er sich und seine Dynamik wertfrei als Ganzheit betrachten und erfassen kann; es tut mir weh, wenn Herr Pu- der davon spricht, daß durch Versa- gen in Lebensnot keine Neurosen, sondern „charakterlich minderwer- tige Menschen entstehen" (er zitiert Weitbrecht). Damit läge die von ihm vorwurfsvoll gebrandmarkte Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit bei den Neurosen am Zufall, den Le- bensumständen. Zugegeben, daß Lebensumstände zu krankhaften Reaktionen sowohl im Körperlichen als auch Seelischem führen können.

Aber haben wir ein Recht von einem minderwertigen Charakter zu spre- chen, solange wir nicht wissen, was in uns selber schlummert? Um dies zu erkennen, ist die Lehranalyse ein- geführt, die dem Analytiker die schützende Barriere entzieht, daß bei ihm alles ganz anders sei als bei seinen Patienten (er grenzt sich nicht ab durch den weißen Kittel).

Die Grenze der Wertigkeit (bei man- chen Ärzten sogar umfassender als nur das Bewußtsein, zu den Gesun-

den zu gehören) wird ersetzt durch eine andere Rollen-Bestimmung, durch den Leidensdruck. Nur wer sehr an sich leidet, unterzieht sich der Strapaze einer Psychotherapie.

Er wird ja eben nicht von Verantwor- tung befreit, wie Herr Puder meint, sondern belastet und verunsichert, da seine Abwehr- und Fluchtmecha- nismen in Frage gestellt werden.

Herr Puder gibt zu, daß es eine Wechselwirkung zwischen Körper und Seele gibt. Daraus zieht er die Folgerung, daß der seelische Anteil (sei er Ursache, sei er Folge) natur- wissenschaftlich gemessen werden müsse. Für eine in diesem Sinn be- friedigende Anregung wäre wohl je- der dankbar. Vorläufig ist meines Wissens nur das Ergebnis der seeli- schen Dynamik, also das sichtbare Verhalten zu messen — so wie man vor 10a Jahren die Entzündung der Leber nur aus der gelben Hautfarbe diagnostizieren konnte. Die Leber beispielsweise als Krankheitssub- strat konnte an der Leiche unter- sucht werden, ihre Funktionen wer- den labortechnisch erfaßt. Über die Anatomie der Seele wurde bisher nur phantasiert; sie ist ein Rätsel.

Und das einzige Organ, das Seele erfahren kann, ist die Seele selbst und die eines andern, also zwei na- turwissenschaftlich nicht meßbare

Instanzen und selbstverständlich auch zwei subjektive Instanzen. Das Wissenschaftliche, das Freud in die- ses Reich des Unbekannten, Rätsel- haften gebracht hat, ist einerseits, daß er das Erfühlte kritisch mit dem Verstand beleuchtete, andererseits, daß er Vorgänge beschrieb, die in variierter Form in vielen Menschen vorkommen. Und damit entdeckte er durch wiederholte Beobachtung psychische Gesetzmäßigkeiten, so wie man durch die Beobachtung des immer wiederkehrenden Falls die Schwerkraft entdeckt hat.. . Damit sind wir wieder an der von Herrn P. kritisierten verschwomme- nen Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit. Ist sie denn in der naturwissenschaftlichen Medizin so scharf gezogen? Schnupfen, Hals- weh, arthrotische oder hypotone Be- schwerden, ist das Krankheit oder

520 Heft 8 vom 22. Februar 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Psychoanalyse

nicht? Wird nicht auch hier die Grenze zwischen gesund und krank bestimmt durch die Einstellung des Patienten (manchmal auch des Arztes)? ...

Herr Puder überschätzt die Psycho- analyse: Er fordert von ihr Heilung jedes Patienten, obwohl ihm sicher bekannt ist, daß diese Patienten fast immer von ihm und seinen Kollegen erst in letzter Instanz, wenn die eige- ne Ohnmacht quälend wird, zum Psychotherapeuten geschickt wer- den!

Dr. med. Gisela Becker Psychotherapie

Schmiedeberger Straße 45 6242 Kronberg im Taunus

Analytische Polemik

Weniger der polemische Artikel von Dr. Puder als vielmehr die Zuschrift von Lehranalytiker Dr. Petri (DEUT- SCHES ÄRZTEBLATT 50/1978, Seite 3064 f.) reizt mich zu einer Entgeg- nung: Schon um dem Eindruck ent- gegenzutreten, daß die von Pe- tri vertretene Auffassung für die Psychoanalyse in Deutschland schlechthin repräsentativ sei. Sicher hat Herr Petri auf einer bestimmten Ebene „recht". Aber sein Rechtha- ben ist von einer derart penetranten Art, daß mir die Enttäuschung und die Wut, die vielerorts die Psycho- analyse orthodoxer Observanz her- vorruft, und die „Affekte", denen Herr Puder so offenherzig Ausdruck verliehen hat, so unverständlich nicht erscheinen.

Dr. Petri verläßt von vorneherein die Ebene einer offenen Auseinander- setzung, wenn er seinen Gegner zu einem Patienten macht, dem er nach den Regeln orthodoxer psychoana- lytischer Technik mit dem Aufzeigen seiner „Abwehrmanöver" zu Leibe rückt: Damit versucht er sich in eine ihm selbst vielleicht unangreifbar er- scheinende Position zu bringen, aus der heraus jede Äußerung des „Pa- tienten" Puder nicht mehr als das, was sie ist, ernst genommen zu wer- den braucht, sondern — mit dem Ge- stus dessen, der alles längst von sei- ner hohen Warte durchschaut hat —

„gedeutet" werden kann. Da wird die psychoanalytische Deutung zu einer Keule, mit der man auf seinen Gegner und dessen „Affekte", die dann wohl nur noch als Triebab- kömmlinge begriffen werden kön- nen, einschlägt.

Hochinteressant ist in diesem Zu- sammenhang, daß Petri seinen Geg- ner ausgerechnet mit psychosoma- tisch kranken Patienten vergleicht — also Patienten, die gerade durch die orthodoxe Methode der Psychoana- lyse nicht erreicht werden, weil sie sich durch Deutungen — mögen die- se auch noch so „richtig" sein — in ihrem Bedürfnis nach direktem menschlichen Angenommensein zu- rückgestoßen und verlassen fühlen.

Das scheint der Lehrbeauftragte für Psychosomatik Dr. Petri nicht be- greifen zu können: Daher steht er — wie aus seinem Beitrag hervorgeht—

der Tatsache recht hilflos gegen- über, daß es doch tatsächlich viele psychosomatisch Kranke gibt, die sich — uneinsichtig wie sie sind —

„von Arzt zu Arzt schleppen, von Apotheke zu Apotheke, von Kur zu Kur", anstatt sich freudig den Seg- nungen der Psychoanalyse zu öff- nen und — so könnte man fortfahren

— sich nicht länger dagegen zu „ver- barrikadieren", jenen gerühmten Ödipuskomplex endlich als Wurzel all ihren Übels rite zu analysieren.

Hat Herr Petri und die von ihm ver- tretene Richtung der Psychoanalyse sich eigentlich schon einmal Gedan- ken darum gemacht, warum diese Patienten sich so schwer wirkliche Hilfe holen können, warum sie sich gegen „Einsicht" und Deutungen

„verbarrikadieren" und wie man sie menschlich erreichen und ihnen ef- fektiver helfen könnte? Immerhin dämmert ihm — im Gegensatz zu vie- len anderen —, daß „die Psychoana- lyse.... neue Wege suchen muß."

Die von Günter Ammon begründete Berliner Schule der „dynamischen Psychiatrie" hat sich diese Gedan- ken gemacht und ist neue Wege ge- gangen: Sie hat für die psychoanaly- tische Theorie, die differenzierte Therapie nach den unterschiedli- chen Bedürfnissen der Patienten

und für die psychoanalytische Aus- bildung einschneidende Konse- quenzen gezogen.. .

Dr. med. Gerd Röhling Deutsche Akademie für Psychoanalyse (DAP) Wielandstraße 27-28 1000 Berlin 15

Das Menschenbild

... Die Kritik von H. Puder in dem Passus „Psychoanalyse als Reli- gionsersatz" trifft im großen und ganzen zu. Auf die Parallele zwi- schen religiösen und psychoanalyti- schen Bewegungen haben D. Lan- gen und J. Garcia schon hingewie- sen („Autogenes Training: Quo va- dis?", Vortrag, angemeldet auf dem Internationalen Kongreß für psycho- somatische Medizin, Kyoto [Japan], September 1977). Manche Ansich- ten des Herrn Kollegen sind gegen- standslos. So schreibt er: „Freilich ist es richtig, daß mit naturwissen- schaftlichen Methoden der Mensch als Ganzes nicht zu erfassen ist. Der Mensch als Ganzes kann ja niemals Gegenstand der Erkenntnis sein!"

Solche eher deklamatorischen Aus- sagen wären bei einem Prediger ver- ständlich. Mehr Zurückhaltung er- wartet man jedoch von jemandem, der sich anschickt, für die Wissen- schaft eine Lanze zu brechen. Ent- gegen der obigen Ansicht erfaßt die folgende Definition den Menschen als Ganzes und stellt einen Eckstein der Lehre der psychiatrischen Psy- chotherapie dar, die schon, wenn auch in bescheidenem Maße, zum Tragen gekommen ist (J. Garcia und D. Langen, MMW, Nr. 27/1978, S.

923-926): Der Mensch ist jenes bio- kybernetische System, das Informa- tion unbegrenzt erhalten und weiter- geben kann.

Diese Lehre erhebt den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit deshalb, weil sie auf der Kybernetik basiert und ein für allemal die These, daß

„die Psychosomatik.... in gewis- sem Gegensatz zur Psychiatrie steht" (H. Puder), ausmerzen will.

Die Folgerung, daß die Psychoanaly-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 8 vom 22. Februar 1979

521

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Daß die Beschwerden dieser Kran- ken sich nicht mit Hilfe eines organ- medizinischen, rein naturwissen- schaftlich fundierten Krankheitsmo- dells erklären lassen, macht sie nicht

se keine Naturwissenschaft ist, ja sein kann, läßt sich aus erkenntnis- theoretischen Gesichtspunkten ab- leiten. Es ist schon an anderer Stelle von mir die These aufgestellt

ten-Beziehung von der Psychoana- lyse sehr ausführlich untersucht worden. Dies ist im übrigen auch ein Teilgebiet der Psychosomatik, wo- bei das Schwergewicht auf spezifi-

Ich habe leider nicht mehr die Zeit, bei meiner Speziali- sierung noch Fortbildungsveranstal- tungen in allen anderen Gebieten der Medizin mitzumachen; aber ich habe doch so

Verunsichert es nicht, wenn man erleben muß, daß es Methoden gibt, die man selbst nicht be- herrscht, die aber in der Lage sind, Menschen zu helfen, die sonst nicht mehr

Herr Puder hat alles zusam- mengefaßt, was auch diese Men- schen ins Feld führen: Die Psycho- analyse verschiebe die „erkannten Schwierigkeiten nur auf eine andere Ebene"

Sonst wird es von Leuten, die von der Sache, über die sie diskutieren und entscheiden, weder fachliche Kenntnisse noch analytisch fundier- te Erfahrungen im Umgang mit Pa-

Die Gefahr, die durch einen Or- ganmediziner hervorgerufen wird, der seine Grenzen nicht kennt, der also glaubt, für alle seelischen Stö- rungen zuständig zu sein und die