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Archiv "Die Überschätzung der Psychoanalyse: Theorien und Schulen" (18.01.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Psychoanalyse

lytiker doch klar sein, daß er nicht alle Befunde dieses Gebietes über- prüfen kann. Mir sind manche Me- thoden der Gynäkologen auch ganz mystisch und unverständlich, weil sie während meines Studiums noch nicht bestanden und auch nicht in meiner klinischen Praxistätigkeit vorkamen. Ich habe leider nicht mehr die Zeit, bei meiner Speziali- sierung noch Fortbildungsveranstal- tungen in allen anderen Gebieten der Medizin mitzumachen; aber ich habe doch so viel Vertrauen in die Wahrheitsliebe und.das ehrliche Be- mühen um Genauigkeit meiner Kol- legen, daß ich ihre Forschungser- gebnisse ihnen gläubig abnehme.

Das ändert auch nichts daran, daß ich weiß, daß manche Fehlurteile auch als exakt angepriesen werden (man denke z. B. an die Chromoso- menzahl des Menschen, die früher gelehrt wurde). Weshalb kommt der Kollege Puder nicht zu einer der vie- len - Fortbildungsveranstaltungen auf dem Gebiet der Psychotherapie und erfährt, was mit „nicht überwunde- ner ödipaler Phase" bei „Ehe- schwierigkeiten" gemeint ist und wie man auch als Gynäkologe bei sexuellen Funktionsstörungen von Frauen mit Eheschwierigkeiten auf die Ursachen in der ödipalen Phase eingehen kann?

Der Satz: „Die Deutung ist in der Regel eine primitive Symboldeu- tung" ist leider auch falsch. Ihr - Ne- bensatz „die jeder Willkür ge- horcht", ist absurd und hält be- stimmt keiner naturwissenschaftli- chen Messung und Überprüfung stand. Es gibt sehr viele Formen von Deutungen. Die Symboldeutung ist unter ihnen relativ selten. Die mei- sten Interventionen oder Deutungen enthalten verschiedene Faktoren.

Eine reine Symboldeutung würde ich sogar für eine extreme Selten- heit halten. Über die Formen von Deutungen gibt das Buch von Greenson „Technik und Praxis der Psychoanalyse" (Klett) recht gut Auskunft. Bei der großen Fülle der Forschungsergebnisse der Psycho- analyse, sich alleine auf Aussagen von Jaspers aus den allerersten An- fängen der Psychoanalyse zu stüt-

zen, halte ich doch für ein sehr ge- wagtes Unternehmen. So mystische Vorwürfe wie „Arroganz" oder der Psychoanalyse seien „Sitte und An- stand, menschliche Würde und per- sönliche Ehre. .. unbekannte Be- griffe", sollte man eigentlich in einer akademischen, einer wissenschaftli- chen, ja selbst in einer medizinisch- standespolitischen Auseinanderset- zung nicht gebrauchen. Was könnte damit schon erreicht werden?

Der Autor spricht es nicht aus, aber ich habe den Eindruck, daß ihn die Kassenregelung beunruhigt. Sicher gibt es hier noch offene Problem- stellungen, so z. B. die von ihm er- wähnte Definitionsfrage von Ge- sundheit. Ist Gesundheit wirklich ein Zustand wie er vor der Krankheit be- stand? Oder macht nicht jede gelun- gen Therapie eine Veränderung auch des vorausgehabten Zustan- des? Wie steht es mit den schwer abgrenzbaren Anteilen der Psycho- analyse, die nicht nur Krankheit ver- ändern helfen, sondern der individu- ellen Lebensentwicklung dienen?

Schließlich sind wir Ärzte meist nicht sehr versiert in den national- ökonomischen Fragen und hier spe- ziell in der Frage: Was haben wir für die Krankenkasse zu erwarten bei dem allgemeinen Trend der Bevöl- kerung, Psychotherapie vermehrt in Anspruch zu nehmen? Ich denke, daß wir hier mit verschiedenen Ex- perten noch eine längere Diskussion vor uns haben.

Meine persönliche Meinung über die Bedeutung der Psychoanalyse für die Medizin zum Schluß:

Ich denke, jeder Arzt profitiert von einer Ausbildung in Neurosenlehre, Symbolverstehen, Arzt-Patienten-In- teraktion, seelische Entwicklung des Kindes und seine Folgen für den Erwachsenen, Gesprächsführung, Störungen durch Institutionseinflüs- se, psychosomatische Pathologie und manches mehr — wie es die heu- tige Studienordnung bietet. Es steht zu hoffen, daß dadurch der sehr gro- ße Mangel in der Nachfrage nach Psychotherapeuten vermindert wer- den wird. Wie die Erfahrung in Ba- lintgruppen lehrt, macht die Aus-

übung des ärztlichen Berufes mehr Freude, gibt mehr Sicherheit, läßt viele neue Dinge entdecken und hilft sehr vielen Patienten, wenn man über einige Erkenntnisse der Psy- choanalyse verfügt.

Wie ich zu meiner Freude feststelle, wird gerade auch im Bereich der Ge-

burtshilfe und der Gynäkologie sehr viel für die Verbreitung dieses wich- tigen Anteils der Medizin getan. Ich könnte mir jedoch denken, daß möglicherweise in einigen Jahren, wenn in größerem Umfang appro- bierte Ärzte in den Kliniken arbeiten werden, die medizinische Psycholo- gie, medizinische Soziologie, Psy- chosomatik und Psychotherapie in ihrem Studium gelernt haben, die Chefärzte dieser Kliniken eine schwierige Auseinandersetzung mit diesen jungen Kollegen erhalten können. Ich halte es daher für sehr wichtig, daß Sachverhalte auf den erwähnten Gebieten möglichst um- fangreich in unseren Zeitschriften und Tagungen geklärt werden.

Prof. Dr. med. Dieter Eicke

Facharzt für Psychiatrie und Neuro- logie — Psychotherapie (Professor für Sozialmedizin und Sozialpsy- chiatrie der Gesamthochschule Kas- sel, Fachbereich Sozialwesen) Heinrich-Plett-Straße 40 3500 Kassel

Theorien und Schulen

. Wie soll man einem sechsseiti- gen Aufsatz entgegnen, in dem fast jeder Satz Widerspruch oder Rich- tigstellung erfordert? Am besten mit der allgemeinsten Definition dessen, was Psychoanalyse will, nämlich Un- bewußtes bewußt machen; genauer:

pathogene unbewußte Vorstellun- gen ins Bewußtsein heben, um sie damit einer kritischen Betrachtung und verantwortlichem Handeln erst zugänglich zu machen.

Bietet dies „kein klares Konzept, das dem Arzt in seinem personalen Ver- hältnis zum Patienten Hilfe bedeu-

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ten kann"? Der Psychoanalytiker, der mit einem Studenten in lähmen- der, nicht selten an den Rand des Suizids führender Examensangst überlegt, welche irrationale, ihm aber nicht bewußte Gefahr er in die Examenssituation hineinverlegt, tut das doch nicht, um „Eigenverant- wortung abzubauen", alle Schuld den „Erziehungsfaktoren" oder „sy- stembedingten Ungerechtigkeiten"

zuzuschieben und die Heilung der Gesellschaft bzw. der Versicherten- gemeinschaft anzulasten, sondern um ihm zu zeigen, daß seine Ängste großenteils überflüssig sind, weil sie einer ganz anderen Situation oder einer längst vergangenen Zeit ange- hören. Damit wird selbstverantwort- liches Handeln erst wieder möglich.

Herr Puder hält derartige „aufklä- rende und erhellende persönliche Gespräche" für „Psychotricks", die er für inhuman und arrogant hält, ja, der „menschlichen Würde, persönli- chen Ehre, Sitte und Anstand" wider- sprechend. Er behauptet zu wissen, daß psychische Strukturen „En- gramme" seien. Hysterie hält er für einen „Charakterfehler", „Versagen in Lebensnot" für das Vorstadium charakterlicher Minderwertigkeit.

Man fragt sich, wo die Arroganz und die Inhumanität zu suchen sind. Wie müssen sich Frauen mit psychoso- matisch bedingten gynäkologischen Beschwerden einem Mann gegen- über fühlen, der in solchen Katego- rien denkt?

In immer neuen Variationen behaup- tet Herr Puder, die Psychoanalyse als Behandlungsmethode sei inef- fektiv, kostspielig, ja sie behindere die Spontanheilung der Neurosen.

Zugleich vermißt er methodisch ex- akte Erfolgskontrollen. Liest Herr Puder nicht die Literatur, über die er urteilt? Unter den zahllosen Statisti- ken sei nur eine erwähnt, die die drei Behauptungen besonders drastisch widerlegt. A. Dührssen und E. Jors- wieck (Nervenarzt 36 [1965]

166-169) untersuchten drei nach Zufallskriterien ausgewählte Grup- pen von Versicherten der AOK Ber- lin, nämlich 125 Patienten fünf Jahre nach Abschluß ihrer psychoanalyti- schen Behandlung (Gruppe A), 100 Patienten, bei denen eine Behand-

lung indiziert war, die aber mangels Psychotherapeuten nicht behandelt werden konnten, fünf Jahre nach der Anamnesenerhebung und Indi- kationsstellung (Gruppe B) und 100

„durchschnittliche" AOK-Patienten (Gruppe C).

Die Ergebnisse: Gruppe A und B un- terschieden sich vor der Behand- lung bzw. Anamnesenerhebung be- züglich ihrer Krankenhaustage pro Jahr nicht. Wohl aber lag diese Zahl höher als bei Gruppe C. Bei Gruppe A ergab sich eine statistisch signifi- kante Verminderung der Zahl der Krankenhaustage pro Kopf und Jahr nach der Therapie. Bei Gruppe B sank diese Zahl nicht ab! Gruppe A wies in den fünf Jahren nach der Therapie nicht nur signifikant weni- ger Krankenhaustage auf (5,9 pro Jahr) als Gruppe B (23,9 pro Jahr), sondern auch signifikant weniger als die Gruppe C (11,7 pro Jahr).. . Herr Puder suggeriert auch stän- dig einen entscheidenden wissen- schaftstheoretischen Unterschied zwischen der naturwissenschaftli- chen und der psychoanalytischen Methodik. Man kann darüber viel und seriös diskutieren. Die Behaup- tung, die Naturwissenschaft gäbe sich niemals mit einem „Als-ob-Ver- stehen" zufrieden, trifft schlicht nicht zu. Die erklärenden Theorien auch der Naturwissenschaften ha- ben vorläufigen, d. h. Modellcharak- ter. Man denke nur an die zahlrei- chen physikalischen Theorien der letzten Jahrhunderte, die jeweils be- haupteten, die Wirklichkeit abzubil- den, und angesichts der genauer untersuchten Wirklichkeit immer wieder revidiert werden mußten. Je- de physikalische Beobachtung be- darf der Interpretation durch eine Theorie, wie jede psychoanalytische Beobachtung auch. Der Vorwurf des

„Als-ob-Verstehens" gilt dann auch für die klassische Naturwissen- schaft. Der Unterschied zwischen Physik und Psychoanalyse liegt u. a.

in der Komplexität des Forschungs- gegenstandes und seiner Abhängig- keit vom Beobachtungsinstrument.

Das erklärt die methodischen Schwierigkeiten von Nachprüfung und Meßbarkeit der psychoanalyti- schen Beobachtungsdaten und die

größere Streuung von Theorienbil- dungen („Schulen"), die doch nichts anderes sind als Entwürfe von möglichen Erklärungmodellen. Daß jede Schule ihr Modell „einseitig"

vertritt, ist nichts Ungewöhnliches in der Wissenschaft. Gibt es in der Gy- näkologie und Geburtshilfe keine Schulstreitigkeiten?

Einige weitere Hinweise: Herr Puder zitiert Freud falsch, der nicht hyste- risches Elend in „allgemeines", son- dern in „gemeines" Unglück ver- wandeln wollte. Das wurde 1895 ge- schrieben und meint mit heutigen Worten, daß er Elend in etwas ver- wandeln wollte, über das man trau- ern kann, was einen aber nicht krank macht.

Wer will die Psychoanalyse und Psy- chosomatik „zur obersten morali- schen Instanz der Medizin und der Gesellschaft" machen? Wer nimmt die Psychoanalyse als Religionser- satz? Wer unter den Psychoanalyti- kern erhebt den Anspruch, den

„Menschen als Ganzes" oder den

„Sinn des Lebens" zu erkennen? Ich kenne keinen. Aber, wenn es jeman- den gibt, kann die Psychoanalyse für ihren Mißbrauch verantwortlich ge- macht werden?

Deutungen, wie Herr Puder sie schil- dert (S. 2528), mögen gelegentlich von Confärenciers so benutzt wer- den. Ein Blick schon in Freuds

„Traumdeutung" (1900) macht ganz klar, daß Deutungen in der Psycho- analyse sehr viel kritischer gehand- habt werden. Das Mißverständnis ei- ner Lehranalyse als Indoktrinations- übung durch einen „Zwingherrn"

muß ebenfalls von einem Confören- cier stammen.

Eine Sorge teile ich mit Herrn Puder, Herrn Illich und mit vielen Psycho- analytikern, nämlich die Sorge um eine unzulässige Aufweichung des Krankheitsbegriffs und die Gefahr einer „Medikalisierung" des seeli- schen und geistigen Lebensberei- ches. Hier steht aber weniger die Psychoanalyse als die außerordent- lich weite Krankheits- bzw. Gesund- heitsdefinition der Weltgesundheits- organisation (WHO) zur Diskussion,

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychoanalyse

und diese ist ein Problem der gan- zen Medizin. Angesichts dieser Ge- fahr würde ich an Stelle von Herrn Puder gerade die Integrierung der Psychoanalyse in die Medizin for- dern.

Prof. Dr. med. H. Henseler Leiter der Sektion für Psychoanalytische Methodik an der Universität Ulm Am Hochsträß 8 7900 Ulm

Selbstbewußtsein und Sprache

Unmittelbar nach dem Lesen des Ar- tikels war ich ärgerlich. Dann aber begann ich Herrn Puder zu verste- hen. Er ist ja nicht allein mit seiner Einstellung und seinen Affekten der Psychoanalyse und der Psychoso- matik gegenüber. Verunsichert es den Arzt nicht und macht es ihm nicht sogar Angst, wenn die Psycho- analyse neurotisches und psychoso- matisches Geschehen als Krankheit begreift und diese mit einer beson- deren Methode zu heilen unter- nimmt? Schließlich bedeutet das, ein gesichertes Erkenntnisfeld, nämlich die naturwissenschaftliche Medizin nicht mehr als die einzig legitime Erfassung von Krankheiten zu be- greifen. Verunsichert es nicht, wenn man erleben muß, daß es Methoden gibt, die man selbst nicht be- herrscht, die aber in der Lage sind, Menschen zu helfen, die sonst nicht mehr arbeits- und lebensfähig sind?

Ich denke dabei an Neurosen, wie Phobien, Zwangsneurosen, aber auch an psychosomatische Störun- gen, um nur einige zu nennen. Viel- leicht spielen auch materielle Inter- essen eine Rolle, wenn die Kassen heute die Kosten für derartige Be- handlungen bezahlen müssen.

Der Verfasser möchte daran festhal- ten, daß Krankheiten nur körperliche Vorgänge und sonst nichts sind.

Freud aber entdeckte, und das war ein entscheidender Schritt für das psychosomatische Denken, daß das psychische Leben einen entschei- denden Einfluß auf den Menschen und auch auf seinen Körper hat.

Der Mensch ist nämlich nicht nur sein Körper, wie es das Tier ist, son- dern er hat einen Körper. Dieser ist sichtbar, ausgedehnt, materiell und erstreckt sich im Raum. Der Körper als materielles Substrat ist das legiti- me Objekt des naturwissenschaftli- chen Vorgehens. Letzteres regi- striert die Abweichungen von der normalen Funktion und verrechnet sie numerisch.

Die Psyche wird gewöhnlich als die Fähigkeit des Menschen verstanden, erleben zu können und sich dessen bewußt zu werden. Die Psyche um- faßt das Empfinden, das Fühlen, Af- fekte und Stimmungen sowie die Fä- higkeit, zu planen, zu urteilen und logisch-abstrakt zu denken. Eine entscheidende Entdeckung S.

Freuds war, daß die Psyche des Menschen nicht identisch ist mit sei- nem Bewußtsein. Sie wird weitge- hend bestimmt durch unbewußte Vorgänge. Die menschliche Psyche unterscheidet sich vom Tier nicht durch Bewußtsein, sondern durch das Selbstbewußtsein und durch die Sprache. Die Sprache aber, und das ist entscheidend, ist das therapeuti- sche Agens der Psychoanalyse. Ihr Herzstück ist die Übertragung und Gegenübertragung. Freud verstand darunter die unbewußte affektive Einstellung des Patienten zum Arzt, die nicht die Wirklichkeit des Arztes erkennt. Sie ist bedingt durch die unbewußte infantile Einstellung den entscheidenden frühen Beziehungs- personen gegenüber. Balint, ein Schüler Feuds, fand eine Methode, mit deren Hilfe Ärzte in einer Gruppe die zwischen Arzt und Patient unbe- wußt sich abspielende Beziehung kennenlernen können. Es geht in dieser Gruppe nicht um eine Selbst- erfahrung, sondern alle Aufmerk- samkeit ist auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient gerichtet.

In der Balint-Gruppe werden Pro- blempatienten, die nicht mit den üb- lichen, sonst erfolgreichen Thera- pien beeinflußt werden können, be- sprochen. Man nimmt an, daß eine Störung in der Patient-Arzt-Bezie- hung eine Besserung des Patienten verhindert. Wer nur streng naturwis- senschaftlich denkt, wird zunächst

Schwierigkeiten haben zu begreifen, daß die Interaktion zwischen Arzt und Patient eine solch entscheiden- de Rolle für den Heilungsprozeß spielt. Wer sich mehr mit der Psyche beschäftigt, erfährt, daß sie offenbar nur in der menschlichen Interaktion sich voll entfalten kann. Deutlich wird das in der Sprache. Sprache ist immer miteinander sprechen.

Die Ärzte sind miteinander verbun- den durch das gleiche Ziel, sie un- terscheiden sich durch die Akzente, die sie setzen. Es soll noch einmal betont werden, daß psychisches Ge- schehen ohne das körperliche Sub- strat nicht denkbar ist, und daß des- halb auch die Kenntnis des Körpers für den Psychoanalytiker unabding- bar notwendig ist. Und wenn es wahr ist, was H. Schäfer sagt, daß die Krankheit der Zukunft die Neuro- se ist, erscheint es notwendig, daß die Ärzte die Kenntnisse, die durch die Psychoanalyse vermittelt wur- den, aufnehmen. Unter Psychoana- lyse wird nicht nur die Freudsche, sondern ebenso die neoanalytische (Schultz-Hencke), die Adlersche und die Jungsche Psychologie verstan- den. Versäumen die Ärzte, diesen notwendigen Schritt zu tun, so wer- den andere Berufsgruppen — wie es schon jetzt geschieht z. B. die Psy- chologen, danach trachten, die Psy- che und ihre Behandlung für sich zu pachten. Dann aber wird festge- schrieben, was die Grundlage der somatischen Medizin ist, nämlich Trennung von Soma und Psyche.

Können wir als Ärzte einen Augen- blick vergessen, daß Tausende und Abertausende von Menschen heute psychisch erkrankt sind, und müs- sen sie immer erst eine Odyssee hin- ter sich bringen, um fachgerecht und ihrem Leiden entsprechend be- handelt zu werden? Mir scheint, der Zeitpunkt ist gekommen, daß wir uns nicht gegenseitig bekämpfen, sondern besser zu verstehen versu- chen.

Prof. Dr. med.

Margarete Mitscherlich Nervenärztin, Psychotherapie Weezer Straße 2

4000 Düsseldorf 11

• Wird fortgesetzt

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