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Archiv "Die Überschätzung der Psychoanalyse: Nachprüf- und meßbar" (18.01.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FORUM

Nachprüf- und meßbar

Als Psychoanalytiker empfinde ich Dankbarkeit für die Bedeutung, wel- che der Autor der Psychoanalyse im wissenschaftlichen, medizinischen und gesellschaftlichen Raum ein- räumt.

Als Psychosomatiker bin ich ver- wundert, daß er Psychoanalyse und Psychosomatik fast gleichsetzt. Es gibt einen Teil der Psychosomatik, welcher eng mit Psychoanalyse zu- sammenarbeitet, ja mit ihr gelegent- lich identisch ist. Aber Psychosoma- tik/psychosomatische Medizin ist sehr viel umfangreicher (genauso wie die Psychoanalyse auch außer- halb der Psychosomatik tätig ist, so z. B. neuerdings in der Erforschung der Modelle für Sozialtherapie von Strafgefangenen). In der Psychoso- matik geht es um die Erforschung der leib-seelischen Zusammenhän- ge in Gesundheit und Krankheit so- wie die Erarbeitung therapeutischer Konsequenzen.

So ist ein Ziel dieser neuen For- schungsrichtung zweifellos eine psychosomatische Pathologie. In dem Teilgebiet der Psyche-Physio- logie kommen selbstverständlich auch naturwissenschaftliche Metho- den zur Anwendung, welche der Au- tor so sehr vermißt.

Als Psychiater bin ich erstaunt, daß die vielfachen Zusammenhänge und Auseinandersetzungen in diesem Teilgebiet der Medizin nicht erwähnt werden. Die Psychoanalyse hat min- destens wertvolle Beiträge zur Psy- chopathologie und zur Ausbildung des Psychiaters gebracht und die therapeutische Palette des Psychia- ters ganz wesentlich bereichert. Ge- sprächsführung und Interaktions- vorgänge sind für die Arzt-Patien-

ten-Beziehung von der Psychoana- lyse sehr ausführlich untersucht worden. Dies ist im übrigen auch ein Teilgebiet der Psychosomatik, wo- bei das Schwergewicht auf spezifi- sche Krankheitsgruppen gelegt wird.

Erstaunlich, daß der Autor meint, die Psychoanalyse „bietet kein klares Konzept, das dem Arzt in seinem personalen Verhältnis zum Patien- ten Hilfe bedeuten kann". Ist dem Autor der Psychoanalytiker Michael Balint und seine Methode der nach ihm benannten Balintgruppen nicht bekannt? Hier werden überall Ärzte geschult, die Arzt-Patienten-Bezie- hung besser zu verstehen und gesundheitsförderlicher zu hand- haben.

Korrigieren muß man, glaube ich, auch den falschen Anspruch des Au- tors auf naturwissenschaftliche Me- thoden. „Nachprüfbarkeit und Meß- barkeit" gibt es auch bei psycholo- gischen Methoden. Es gibt in der Psychologie bereits sehr exakte ma- thematische Methoden, mit denen bestimmte Testergebnisse gemes- sen und überprüft werden. Auch psychoanalytische Gespräche las- sen sich dafür, wenn sie einmal per Tonband protokolliert wurden, in einzelne auszählbare Faktoren zer- legen.

Aber auch die simple psychoanalyti- sche Forschungsmethode ist „nach- prüfbar", wenn auch zugegebener- maßen, nicht meßbar. Psychoanaly- tische Forschung heißt:

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Ich beobachte einen Sachver- halt, wenn der Patient etwas sagt.

© Es wird der Inhalt der Aussage, die Art und Weise der Aussage und der Vorgang in der Arzt-Patienten- Interaktion einschließlich der Gefüh- le des Analytikers miteinander in Be- zug gebracht.

C) Es wird eine Hypothese über die mögliche Entstehungsursache des beobachteten Vorganges gebildet.

®

Diese Hypothese wird in einer für den Patienten verständlichen Form ihm mitgeteilt (vielfach Deutung ge- nannt).

Nun wird die Reaktion des Pa- tienten nach dieser Mitteilung beob- achtet und wie unter © untersucht.

Wenn die Reaktion des Patienten ei- ne Veränderung seines bisherigen Verhaltens zeigt, so muß der Hypo- these eine Wirkung beigemessen werden. Wenn die Hypothese in Va- riationen oft wiederholt in die Bezie- hung zum Patienten eingebracht wird, läßt sich die Richtigkeit nach- prüfen; sie wird dann anderen Ana- lytikern mitgeteilt, die sie ebenfalls bei ihren Patienten überprüfen .. . Die Behauptung, daß „die Psychia- trie" die psychische Störung für grundsätzlich naturwissenschaftlich erklärbar, d. h. auf somatische Vor- gänge zurückführbar hält, ist schlicht falsch. Dies trifft nur für ei- nen Teil der Psychiater zu und für diese auch nur für einen Teil der psychischen Störungen (Psy- chosen).

Nun sind Tendenzen der Kritik des Autors zweifellos gerechtfertigt; von einer gewissen Tendenz des Reli- gionsersatzes der Psychoanalyse muß man leider sprechen. Allerdings hat dies mit den psychogenen Ursa- chenfaktoren bei der Angina-Tonsil- laris, was nicht nur der Psychoso- matiker Viktor von Weizsäcker (kein Psychoanalytiker) festgestellt hat, nichts zu tun. Es hebt ja gewiß die bakteriellen Ursachen und die so- matischen Ursachen wie Übermü- dung, Lymphstromveränderungen und vieles mehr nicht auf.

Belustigen wird es ja wohl die mei- sten Psychoanalytiker, wenn sie le- sen, daß der Autor ödipale Phase und anale Phase mit dem Teufel ver- gleicht. Abgesehen von dem tieferen Sinn, den wir Analytiker darin finden können, muß dem Nicht-Psychoana-

*) Ein I. Teil der Zuschriften wurde bereits in Heft 50/1978, Seite 3064ff., veröffentlicht.

Die Überschätzung der Psychoanalyse

Zuschriften (II) zu dem Artikel von Dr. med. Horst Puder in Heft 43/1978, Seite 2525ff.*)

174 Heft 3 vom 18. Januar 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Psychoanalyse

lytiker doch klar sein, daß er nicht alle Befunde dieses Gebietes über- prüfen kann. Mir sind manche Me- thoden der Gynäkologen auch ganz mystisch und unverständlich, weil sie während meines Studiums noch nicht bestanden und auch nicht in meiner klinischen Praxistätigkeit vorkamen. Ich habe leider nicht mehr die Zeit, bei meiner Speziali- sierung noch Fortbildungsveranstal- tungen in allen anderen Gebieten der Medizin mitzumachen; aber ich habe doch so viel Vertrauen in die Wahrheitsliebe und.das ehrliche Be- mühen um Genauigkeit meiner Kol- legen, daß ich ihre Forschungser- gebnisse ihnen gläubig abnehme.

Das ändert auch nichts daran, daß ich weiß, daß manche Fehlurteile auch als exakt angepriesen werden (man denke z. B. an die Chromoso- menzahl des Menschen, die früher gelehrt wurde). Weshalb kommt der Kollege Puder nicht zu einer der vie- len - Fortbildungsveranstaltungen auf dem Gebiet der Psychotherapie und erfährt, was mit „nicht überwunde- ner ödipaler Phase" bei „Ehe- schwierigkeiten" gemeint ist und wie man auch als Gynäkologe bei sexuellen Funktionsstörungen von Frauen mit Eheschwierigkeiten auf die Ursachen in der ödipalen Phase eingehen kann?

Der Satz: „Die Deutung ist in der Regel eine primitive Symboldeu- tung" ist leider auch falsch. Ihr - Ne- bensatz „die jeder Willkür ge- horcht", ist absurd und hält be- stimmt keiner naturwissenschaftli- chen Messung und Überprüfung stand. Es gibt sehr viele Formen von Deutungen. Die Symboldeutung ist unter ihnen relativ selten. Die mei- sten Interventionen oder Deutungen enthalten verschiedene Faktoren.

Eine reine Symboldeutung würde ich sogar für eine extreme Selten- heit halten. Über die Formen von Deutungen gibt das Buch von Greenson „Technik und Praxis der Psychoanalyse" (Klett) recht gut Auskunft. Bei der großen Fülle der Forschungsergebnisse der Psycho- analyse, sich alleine auf Aussagen von Jaspers aus den allerersten An- fängen der Psychoanalyse zu stüt-

zen, halte ich doch für ein sehr ge- wagtes Unternehmen. So mystische Vorwürfe wie „Arroganz" oder der Psychoanalyse seien „Sitte und An- stand, menschliche Würde und per- sönliche Ehre. .. unbekannte Be- griffe", sollte man eigentlich in einer akademischen, einer wissenschaftli- chen, ja selbst in einer medizinisch- standespolitischen Auseinanderset- zung nicht gebrauchen. Was könnte damit schon erreicht werden?

Der Autor spricht es nicht aus, aber ich habe den Eindruck, daß ihn die Kassenregelung beunruhigt. Sicher gibt es hier noch offene Problem- stellungen, so z. B. die von ihm er- wähnte Definitionsfrage von Ge- sundheit. Ist Gesundheit wirklich ein Zustand wie er vor der Krankheit be- stand? Oder macht nicht jede gelun- gen Therapie eine Veränderung auch des vorausgehabten Zustan- des? Wie steht es mit den schwer abgrenzbaren Anteilen der Psycho- analyse, die nicht nur Krankheit ver- ändern helfen, sondern der individu- ellen Lebensentwicklung dienen?

Schließlich sind wir Ärzte meist nicht sehr versiert in den national- ökonomischen Fragen und hier spe- ziell in der Frage: Was haben wir für die Krankenkasse zu erwarten bei dem allgemeinen Trend der Bevöl- kerung, Psychotherapie vermehrt in Anspruch zu nehmen? Ich denke, daß wir hier mit verschiedenen Ex- perten noch eine längere Diskussion vor uns haben.

Meine persönliche Meinung über die Bedeutung der Psychoanalyse für die Medizin zum Schluß:

Ich denke, jeder Arzt profitiert von einer Ausbildung in Neurosenlehre, Symbolverstehen, Arzt-Patienten-In- teraktion, seelische Entwicklung des Kindes und seine Folgen für den Erwachsenen, Gesprächsführung, Störungen durch Institutionseinflüs- se, psychosomatische Pathologie und manches mehr — wie es die heu- tige Studienordnung bietet. Es steht zu hoffen, daß dadurch der sehr gro- ße Mangel in der Nachfrage nach Psychotherapeuten vermindert wer- den wird. Wie die Erfahrung in Ba- lintgruppen lehrt, macht die Aus-

übung des ärztlichen Berufes mehr Freude, gibt mehr Sicherheit, läßt viele neue Dinge entdecken und hilft sehr vielen Patienten, wenn man über einige Erkenntnisse der Psy- choanalyse verfügt.

Wie ich zu meiner Freude feststelle, wird gerade auch im Bereich der Ge-

burtshilfe und der Gynäkologie sehr viel für die Verbreitung dieses wich- tigen Anteils der Medizin getan. Ich könnte mir jedoch denken, daß möglicherweise in einigen Jahren, wenn in größerem Umfang appro- bierte Ärzte in den Kliniken arbeiten werden, die medizinische Psycholo- gie, medizinische Soziologie, Psy- chosomatik und Psychotherapie in ihrem Studium gelernt haben, die Chefärzte dieser Kliniken eine schwierige Auseinandersetzung mit diesen jungen Kollegen erhalten können. Ich halte es daher für sehr wichtig, daß Sachverhalte auf den erwähnten Gebieten möglichst um- fangreich in unseren Zeitschriften und Tagungen geklärt werden.

Prof. Dr. med. Dieter Eicke

Facharzt für Psychiatrie und Neuro- logie — Psychotherapie (Professor für Sozialmedizin und Sozialpsy- chiatrie der Gesamthochschule Kas- sel, Fachbereich Sozialwesen) Heinrich-Plett-Straße 40 3500 Kassel

Theorien und Schulen

. Wie soll man einem sechsseiti- gen Aufsatz entgegnen, in dem fast jeder Satz Widerspruch oder Rich- tigstellung erfordert? Am besten mit der allgemeinsten Definition dessen, was Psychoanalyse will, nämlich Un- bewußtes bewußt machen; genauer:

pathogene unbewußte Vorstellun- gen ins Bewußtsein heben, um sie damit einer kritischen Betrachtung und verantwortlichem Handeln erst zugänglich zu machen.

Bietet dies „kein klares Konzept, das dem Arzt in seinem personalen Ver- hältnis zum Patienten Hilfe bedeu-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 3 vom 18. Januar 1979

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