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Archiv "Psychosomatik — Psychotherapie — Psychoanalyse: Definitionen und Abgrenzungen" (23.11.1978)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 47 vom 23. November 1978

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Psychosomatik —

Psychotherapie — Psychoanalyse

Definitionen und Abgrenzungen

Horst Mester und Rainer Tölle

Im Grunde genommen sind die Be- ziehungen zwischen Psychiatrie und Psychosomatik, Psychotherapie und Psychoanalyse nicht allzu schwer zu erklären. Psychiatrie ist die Lehre von den seelischen Krankheiten, ge- nauer von den Krankheiten, die mit psychischen Symptomen in Erschei- nung treten; die Verursachung ist vielfältig, nicht nur psychogen.

Psychosomatik im weiteren Sinne befaßt sich mit den psychischen Aspekten des Krankseins überhaupt, auch mit den somatischen Einflüs- sen auf psychische Funktionen und theoretisch mit dem Leib-Seele-Pro- blem. Das klinische Arbeitsgebiet der psychosomatischen Medizin umfaßt Krankheiten, die mit körper- licher Symptomatik in Erscheinung treten und die psychisch bedingt oder mitbedingt sind; auch hier ist die Ätiologie zumeist nicht eindi- mensional. Begrifflich sind also psy- chische und psychosomatische Krankheiten zu unterscheiden, prak- tisch aber gibt es ein Überschnei- dungsgebiet von Neurosen und psy- chosomatischen Krankheiten. Hierin muß man aber nicht ein Problem se- hen; denn Überschneidungsgebiete gibt es in allen medizinischen Berei- chen, und in diesem Fall dürfte die Überschneidung um so weniger Probleme aufgeben, als das Gebiet der neurotischen und psychosoma- tischen Störungen sehr groß ist und die Kranken bisher extrem unterver- sorgt sind.

Psychotherapie ist Krankenbehand- lung mit seelischen Mitteln (nicht et-

wa Behandlung seelischer Krank- heiten). Sie ist eine bevorzugte Be- handlungsmethode in der Psychia- trie wie in der psychosomatischen Medizin. Daneben werden in beiden Bereichen auch somatische Thera- pien angewandt. Es gibt verschiede- ne Psychotherapierichtungen. Wenn unter ihnen die Psychoanalyse als die wichtigste bezeichnet wird, so nicht etwa weil die psychoanalyti- sche Behandlungstechnik grund- sätzlich anderen Verfahren überle- gen wäre, sondern weil die psycho- analytische Forschung den größten Beitrag zur Aufhellung des psychi- schen Anteiles der Pathogenese psychischer und psychosomatischer Krankheiten geleistet hat, weil sie über ihre ursprüngliche Behand- lungstechnik hinaus weitere Psy- chotherapiemethoden entwickelt hat und vor allem weil an den grund- legenden psychoanalytischen Er- kenntnissen keine andere Psycho- therapie vorbeigehen kann, auch wenn Arbeitsweise und Zielrichtung anders sind, wie zum Beispiel in der Verhaltenstherapie.

Eigentlich sind die Verhältnisse also relativ klar, in vielen Ländern sind sie kaum mehr umstritten. In der Bundesrepublik jedoch entstanden wiederholt Kontroversen, vor eini- gen Jahren anläßlich der neuen Ap- probationsordnung, dann bei der Arbeit an der Psychiatrie-Enquete und nun im Hinblick auf die beab- sichtigte Gebietsbezeichnung „Arzt für psychoanalytische Medizin".

Ärzten anderer Fachrichtungen kön- nen die Auseinandersetzungen Eine scharfe Grenzziehung

zwischen somatisch-medizini- scher und psychotherapeuti- scher Tätigkeit würde den In- teressen des Patienten nicht gerecht. Psychosomatische Medizin ist neben den bisher bestehenden Fächern und Ge- bieten ein Bereich, der nach Auffassung der Autoren in den Rang einer Gebietsbezeich- nung erhoben werden sollte.

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Psychosomatik

Psychotherapie

Psychoanalyse

kaum verständlich sein, auch wenn sie in langen Artikeln ausgetragen werden. Auf die historischen, stan- despolitischen und anderen Hinter- gründe soll hier nicht eingegangen werden, sondern es soll — die Über- legungen der Einleitung fortführend

— versucht werden, über die gegen- wärtige Situation der angesproche- nen Disziplinen und Subdisziplinen zu informieren.

In die Approbationsordnung wurde das neue Lehrfach „Psychosomatik/

Psychotherapie" eingeführt. Diese Formulierung gibt zu den Fragen Anlaß: Ist Psychotherapie nicht selbstverständliche Behandlungs- methode des Psychosomatikers?

Gibt es vielleicht eine andere Art von Psychosomatik, die nicht psycho- therapeutisch wäre? Was ist mit die- ser Doppelbezeichnung letztlich ge- meint: ein Bereich von Krankheiten oder eine Behandlungsmethode oder beides zugleich? Letzteres wä- re allerdings ein Anspruch, dem kaum ein Arzt oder akademischer Lehrer nachkommen könnte. Es scheint eher, daß Psychosomatik ei- nerseits und Psychotherapie ande- rerseits in den gegenwärtigen Dis- kussionen wechselnd als Argumen- tationsbasis benutzt werden.

Psychosomatische Medizin ist eine eigene und große Disziplin, die als Fachgebiet anzuerkennen ist. War- um soll nun aber die neue Gebiets- bezeichnung nicht psychosomati- sche Medizin heißen, sondern psy- choanalytische Medizin? Eine über- zeugende Antwort ist schwer zu fin- den, wenn man von den medizini- schen Gegebenheiten und von der Ausbildung ausgeht. Eine gewisse Erklärung ergibt sich aber aus zwei Tendenzen, die in der gegenwärti- gen Diskussion erkennbar werden.

Zunächst die Tendenz, die Neurosen unter psychosomatischer Medizin zu subsumieren bzw. der psycho- analytischen Medizin zuzuordnen.

Hier zeigen sich jedoch Wider- sprüchlichkeiten. Gerade in den letzten Jahren hat die psychosoma- tische Forschung grundsätzliche Unterschiede zwischen neurotisch Kranken und psychosomatischen

Patienten aufgedeckt. Das soge- nannte psychosomatische Syndrom, eine bestimmte psychische Struktur, grenzt diese Patienten von Neurose- Kranken deutlich ab und schränkt die Anwendbarkeit der Psychoanaly- se, wenigstens der klassischen Be- handlungstechnik, wesentlich ein.

Was die Neurosen anbetrifft, wird von manchen Autoren behauptet, die Psychoanalyse habe ein eigenes Versorgungssystem (außerhalb der Psychiatrie) aufgebaut. Diese Aussa- ge steht so sehr im Widerspruch zur Realität, daß sie nachdenklich stim- men muß. Hierauf wird noch einge- gangen.

In diesem Zusammenhang ist eine zweite Tendenz in den Argumenta- tionen zu beachten. Sie richtet sich gegen die Psychiatrie. Die Psychia- trie, so sagen führende Psychoana- lytiker, sei biologistisch und unpsy- chotherapeutisch eingestellt, sie ha- be die Neurosenbehandlung außer acht gelassen, das psychiatrische Versorgungssystem werde zusam- menbrechen, wenn es die Behand- lung der Neurosenkranken übernäh- me. Diese Argumente entbehren nicht ganz der Begründung. Es gab und gibt auch heute noch Psychia- ter, die die somatische Forschung und Therapie einseitig akzentuieren und die Psychotherapie vernachläs- sigen. Diese Psychiater werden im- mer wieder und ausschließlich zi- tiert. Verschwiegen wird aber, daß seit etwa 50 Jahren zahlreiche Psychiater Psychotherapie prakti- zieren und ihre Entwicklung maß- geblich gefördert haben, und zwar nicht nur im Bereich der Neurosen, sondern auch bei Psychosen, denen die Psychoanalyse erst sehr spät und auch bis heute noch zögernd ihre Aufmerksamkeit zuwendete.

Manche Psychoanalytiker möchten die Psychiatrie auf die biologischen Methoden und auf die Hirn- und Psychosekranken begrenzt sehen.

Sie bauen also ein Zerrbild der Psychiatrie auf, um es kritisieren und sich davon abgrenzen zu kön- nen. Noch einmal sei eingeräumt, daß manche Psychiater dieser Kritik Vorschub leisten: sie verschließen sich, aus welchen Gründen auch im-

mer, bewußt oder unbewußt dem psychodynamischen Denken und der Psychotherapie. Aber auch wenn es mehr als nur einzelne Psychiater sind, die sich als Antipsy- chotherapeuten äußern, sie sind doch nicht repräsentativ. Es hieße die Realität verkennen, wollte man die heutige Psychiatrie insgesamt so kennzeichnen. Gäbe es je eine sol- che Psychiatrie, dann hätte sie ihren Sinn verloren.

Tatsächlich wird der größere Teil der Psychotherapie heute von Psychia- tern geleistet, die psychotherapeu- tisch ausgebildet sind, wenn sie auch nicht den speziellen, langen Ausbildungsweg der Psychoanalyse absolviert haben. Allerdings reicht die Behandlungskapazität gemes- sen am Bedarf bei weitem nicht aus.

Aber auch auf Seiten der Psycho- analytiker müssen noch große An- strengungen unternommen werden, bis von einem Versorgungssystem gesprochen werden kann. Die Zahl der psychoanalytisch ausgebildeten Therapeuten ist so klein und ihre Patientenzahl durch den hohen Zeit- aufwand so begrenzt, daß nur ein Teil der psychotherapiebedürftigen Kranken einen Behandlungsplatz findet. Hinzu kommt die in der psy- choanalytischen Sprechstunde wie in Psychotherapie-Kliniken vielfach vorgenommene Selektion, die nicht nur Psychose-Kranke, sondern auch schwer therapierbare Neurose-Pa- tienten weitgehend ausschließt.

Psychiater in Sprechstunde und Kli- nik behandeln zunehmend diese Patienten.

Es ist auch in ärztlicher Sicht falsch, im Gebiet der psychischen und psy- chosomatischen Krankheiten eine scharfe Grenzziehung zwischen so- matisch-medizinischer und psycho- therapeutischer Arbeit vorzuneh- men. Dem einen Arzt die Somatothe- rapie, dem anderen die Psychothe- rapie zuzuschreiben, würde dem Pa- tienten nicht gerecht. Nicht selten müssen, insbesondere bei schweren psychischen oder psychosomati- schen Krankheiten, Therapieverfah- ren beider Art zugleich oder nach- einander eingesetzt werden. Der

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Seit einigen Monaten wird in der Bundesrepublik die Frage der Straf- barkeit kontrollierter Versuche dis- kutiert, ausgelöst durch eine juristi- sche Untersuchung des Strafrecht- lers Fincke (1). Der Statistiker Koller (2) zum Beispiel sieht darin einen Angriff auf den Fortschritt der Medi- zin. Er unterstellt Fincke mangelnde Kenntnis der statistischen Grundla- gen kontrollierter Versuche, woraus sich die Unhaltbarkeit der juristi- schen Konsequenzen ergebe. Es läßt sich aber zeigen, daß Koller grundlegende Irrtümer unterlaufen sind (3). Der Strafrechtler Samson (4) ist in zahlreichen Punkten ande- rer Ansicht als Fincke, schreibt aber zusammenfassend: „Ein Blick in medizinische Fachzeitschriften macht in erschreckendem Maße deutlich, daß auch den Prüfärzten die strafrechtlichen Grenzen ihrer Tätigkeit derzeit noch völlig unbe- kannt sind". — Kümmell und Burk- hardt (5) haben unlängst anhand ei- nes konkreten Falles die Problema- tik verdeutlicht. In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, ei- ne realistische Darstellung der ethi- schen Problematik unter Berück- sichtigung der wichtigsten Literatur zu geben. Damit soll auch eine Grundlage für weitere, sachlich fun-

dierte juristische Untersuchungen geschaffen werden.

Sir Austin Bradford Hill, einem Pio- nier bei der Einführung kontrollier- ter Versuche, verdanken wir eine er- ste zusammenfassende Darstellung der ethischen Fragen (6). Hill be- ginnt mit einem nach seiner Mei- nung ethisch unbedenklichen Bei- spiel. Es sollte die Wirksamkeit von Streptomycin bei Lungentuberkulo- se geprüft werden. Der Versuch be- gann im Jahre 1946, zu einer Zeit, als das Mittel in England nur begrenzt zur Verfügung stand. Es konnten al- so nicht alle Patienten in den Genuß des Mittels kommen. Das für die Pla- nung und Durchführung des Ver- suchs verantwortliche Komitee hielt in dieser Lage die Zufallszuteilung des Medikamentes im Rahmen eines kontrollierten Versuches nicht nur für vertretbar, sondern es wurde der Verzicht auf eine solche Studie, also der Verzicht auf den damit verbun- denen Erkenntnisgewinn für un- ethisch gehalten.

Wenn die zu vergleichenden Medi- kamente ohne Schwierigkeiten er- hältlich sind, entfällt dieser Recht- fertigungsgrund. Hill vertritt nun die bis heute dominierende Ansicht, daß Psychosomatische Medizin

Kranke, zum Beispiel der depressive Patient, darf vom Arzt erwarten, daß er weder als „Mediziner" die Psy- chotherapie vernachlässigt, noch als „Psychotherapeut" die somati- schen Aspekte verkennt.

Wenn es neben der Gebietsbezeich- nung Psychiatrie und den Zusatzbe- zeichnungen Psychotherapie bzw.

Psychoanalyse einer weiteren Ge- bietsbezeichnung bedarf, dann ge- wiß für psychosomatische Medizin.

Die psychosomatische Medizin ist ein großes Gebiet: es ist wissen- schaftlich noch wenig bearbeitet, findet in der Lehre großes Interesse und eröffnet vor allem in der Kran- kenversorgung viele Möglichkeiten

— also ein aussichtsreiches Fach.

Viele psychotherapeutisch tätige Ärzte möchten heute nicht mehr scharfe Grenzen zwischen den Fä- chern ziehen, in denen Psychothera- pie angewandt wird, und auch nicht zwischen der Ausbildung nach den Regeln psychoanalytischer Fachge- sellschaften und anderen Weiterbil- dungsgängen. Wichtiger als die Art der Wissensvermittlung sind die er- worbenen Fähigkeiten und die kli- nisch-therapeutische Erfahrung.

Nicht nur psychiatrische Kliniken, sondern in jüngerer Zeit auch psy- chotherapeutische Gesellschaften pflegen die systematische Weiterbil- dung für das Teilgebiet Psychothe- rapie.

Angesichts des Psychotherapiebe- darfs kommt es weniger auf Abgren- zungen von Krankheitsgruppen, Weiterbildungsgängen und Fachge- bieten an, sondern auf vermehrte Anstrengungen, wenn auch von ver- schiedenen Positionen ausgehend.

Anschrift der Verfasser:

Privatdozent Dr. med. Horst Mester Professor Dr. med. Rainer Tölle Psychiatrische und Nervenklinik der Universität

Roxeler Straße 131 4400 Münster

FORUM

PRÜFUNG VON ARZNEIMITTELN IN DER DISKUSSION (VI)

Kontrollierte Versuche und ärztliche Ethik

Rainer Burkhardt

Bei der gegenwärtigen Diskussion um eine mögliche Strafbarkeit kontrollierter Versuche werde die ethische Problematik nicht genü- gend berücksichtigt, meinte der Autor des nachstehenden Diskus- sionsbeitrags. Der Hinweis auf „international anerkannte Regeln" sei kein Argument, dieser Diskussion auszuweichen. Der Autor unter- nimmt den Versuch, eine realistische Darstellung der ethischen Fra- gen zu geben. Im Rahmen unserer Folge „Prüfung von Arzneimitteln in der Diskussion" sind bisher Beiträge in den Heften 18, 19, 21, und 40, 43 sowie 44/1978 erschienen.

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