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Archiv "Bewußtseinstrübung um Leben und Töten" (12.07.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

S

eit der Deutsche Ärztetag in Lübeck-Travemünde im Mai 1985 richtungsweisende Be- schlüsse über die extrakorporale Fertilisation und dem Embryo- Transfer gefaßt hat, werden merk- würdige Widersprüche sichtbar:

Mediziner zerbrechen sich die Köpfe, um bessere Wege zu fin- den, mit denen man — bisher nur ein paar hundert — Frauen oder Paaren zur Erfüllung eines Kin- derwunsches verhelfen kann.

Gleichzeitig müssen die Kranken- kassen große Geldmittel aufwen- den, um anderen Frauen oder Paaren dazu zu verhelfen, ein un- erwünschtes Kind „rechtzeitig"

vor einer Geburt loszuwerden.

Hohen finanziellen Aufwand erfor- dern aber auch die Bemühungen, behinderte Neugeborene oder Frühgeborene auf jeden Fall am Leben zu erhalten.

Jedes dieser Probleme für sich ist für die jeweils Betroffenen ernst und wichtig. Aber abgesehen von dem Bestreben, jedem einzelnen seinen Wunsch zu erfüllen — müß- te es in einer geordneten Gesell- schaft nicht doch auch gemeinsa- me, übergeordnete Gesichts- punkte geben?

Fast zehn Jahre nach der Reform des Rechtes über den Schwan- gerschaftsabbruch ist noch nicht einmal die Größenordnung des

„Problems" bekannt. Über die Kassenärztlichen Vereinigungen wurden im letzten Jahr 84 000 Schwangerschaftsabbrüche ab- gerechnet. Das Statistische Bun- desamt meldete dagegen eine Gesamtzahl von 86 300, von de- nen 57 Prozent ambulant durch- geführt worden sein sollen.

Jedermann kann also sehen, daß die amtliche Zahl nicht stimmen kann, weil die Meldepflicht nicht funktioniert. Aber ob es nun in Wirklichkeit doppelt oder dreimal so viele Abbrüche sind, das weiß niemand.

Seit mehr als einem Jahr liegt in Bonn ein von 74 CDU/CSU-Ab- geordneten unterschriebener An-

Bewußtseinstrübung um Leben und Töten

trag, das Bundesverfassungsge- richt möge die Finanzierung eines Schwangerschaftsabbruchs we- gen einer sozialen Notlage aus Mitteln der Krankenkassen für rechtswidrig erklären. Die Sache kommt aber nicht voran. Unter an- derem sind weibliche CDU/CSU- Abgeordnete gegen diesen Ver- such, weil er bei einem Erfolg die Gefahr mit sich bringen würde, daß sozial Bessergestellte sich privat oder im Ausland einen ge- wünschten Abbruch verschaffen könnten, während sozial schwa- che Schwangere wieder zu „Kur- pfuschern" getrieben würden (hier müßte man auch einmal fra- gen, wer eigentlich mit diesen so- genannten „Kurpfuschern" ge- meint ist. Etwa nicht auch appro- bierte Ärzte, die wissen, wie's ge- macht wird?).

Jetzt soll der Bundeskanzler die Landesregierung von Rheinland- Pfalz gedrängt haben, ihrerseits eine solche Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht zu be- antragen. Die Landesregierung will sich allerdings erst nach der Sommerpause mit diesem Wunsch befassen. Bundesjustiz- minister Hans Engelhard (FDP) ist dagegen, das hat er inzwischen oft durchblicken lassen. Die SPD- Fraktion im Bundestag ist auch dagegen und unterstellt der CDU/

CSU, sie wolle auf diese Weise die gesamte Neuregelung des Para- graphen 218 StGB aus den Angeln heben — ein ziemlich unsinniger Vorwurf, nachdem mangels Mehr- heit in mehr als einem Jahr noch nicht einmal jene Verfassungskla- ge wegen eines Teilaspekts auf den Weg gebracht werden konnte.

Im Zusammenhang mit der extra- korporalen Befruchtung, aber auch im Zusammenhang mit Be-

richten über einen in den Verei- nigten Staaten gedrehten Film, der zum ersten Mal Ultraschallbil- der einer Abtreibung in der zwölf- ten Schwangerschaftswoche zeigt, wird erneut heftig diskutiert, von welchem Zeitpunkt an man von einem „Kind" oder einem

„Menschen" sprechen müsse.

Umschreibungen reichen von

„Zellhaufen" bis zu „Schwanger- schaftsgewebe". Daß auch dies jedenfalls „Leben" wäre — wenn auch vielleicht nur im biologi- schen Sinne —, scheut man offen- sichtlich auszusprechen.

Dieser amerikanische Film „Der stumme Schrei" scheint zum er- sten Mal zu beweisen, daß sich bei einem 12 Wochen alten Fötus bereits die Herzfrequenz be- schleunigt, daß er Angst und Schmerzen empfindet, wenn das in die Gebärmutter eingeführte Saugrohr ihn sucht und schließ- lich findet.

Mehrere deutsche Fernsehanstal- ten „saßen" monatelang auf die- sem Film, bis Mitte Juni „Report"

(Wolf von Lojewski) ihn ins Pro- gramm brachte — die entscheiden- den Szenen wurden allerdings ausgeblendet. Im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT war von diesem Film zum ersten Mal im Februar (Heft 9) die Rede; er wurde im Rahmen des Lübecker Ärztetages Mitte Mai für Delegierte und Gäste vorgeführt; und jeder, der sich da- für interessiert, kann ihn in der Bundesrepublik ausleihen.

Man fragt sich, ob zum Beispiel Anatomen, Physiologen, Neurolo- gen und Gynäkologen nicht ein- mal gemeinsam untersuchen soll- ten, ob und ab welchem Zeitpunkt der Embryo Rezeptoren zur Lei- tung und Wahrnehmung äußerer

Reize entwickelt und ob er sie so- matisch und/oder psychisch emp- finden kann. Sollte dies der Fall sein, dann würde dies zu der wei- teren Frage führen, ob nicht die medizinische Forschung ethisch verpflichtet wäre, eine für den Fö- tus schmerzlose Methode des Schwangerschaftsabbruchs zu 2170 (24) Heft 30 vom 24. Juli 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

entwickeln. Denn wenn Tiere durch Gesetz davor geschützt sind, daß man ihnen unnötiger- weise Schmerzen zufügt, dann müßte dies für das ungeborene menschliche Leben doch sicher- lich auch gelten.

Eine große deutsche Tageszei- tung druckte dieser Tage einen Leserbrief ab, der diesen infamen Satz enthält: „Wenn ärztliche Standesvertreter den Beginn menschlichen Lebens auf den Zeitpunkt der Empfängnis legen möchten, geschieht dies mit dem

A

m 1. Juli 1985 ist ein neuer Gehaltstarifvertrag für Arzt- helferinnen mit Laufzeit bis zum 30. Juni 1986 in Kraft getre- ten (s. Seite 2207 dieses Heftes).

Damit ist technisch ein nahtloser Übergang zwischen den Tarifver- trägen gegeben, so daß der orga- nisatorische Mehraufwand, der im letzten Jahr infolge der späten Ta- rifabschlüsse notwendig gewor- den war, in diesem Jahr nicht wie- der anfallen wird.

Die Arbeitsgemeinschaft zur Re- gelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen (AAA) hat sich in diesem Jahr mit den Arbeitneh- merorganisationen darauf geei- nigt, die Tarifgehälter um linear 2,9 Prozent anzuheben. Die ur- sprünglichen Forderungen der drei beteiligten Arbeitnehmeror- ganisationen gingen bis zu 6 Pro- zent. Der Kompromiß bedeutet in absoluten Zahlen eine Erhöhung des Monatsgehaltes im 1. Berufs- jahr von bisher 1600 DM um 46 DM auf 1646 DM bzw. im 26. Berufs- jahr von bisher 2501 DM um 73 DM auf 2574 DM.

Die große Mehrheit der AAA-Mit- glieder stimmte darin überein, daß ein Abschluß unter 2,5 Pro- zent trotz der zunehmend pro- blematischer werdenden Einkom- menssituation der niedergelasse- nen Ärzte politisch nicht vertreten werden könne. Die AAA war letzt- lich der Auffassung, daß ein Ab- schluß in Höhe von 2,9 Prozent

Hintergedanken, daß sich durch il- legale Abtreibungen mehr Geld machen läßt." Viele Menschen in unserem Lande werden davon überzeugt sein, daß es höhere In- stanzen sind als die „Halbgötter in Weiß", die den Beginn mensch- lichen Lebens auf irgendeinen Zeitpunkt „legen". Um so drin- gender scheint es, daß die medizi- nische Wissenschaft sich unmiß- verständlich darüber klar wird — schon damit niemand mehr auch nur auf den Gedanken kommt, derartige Ungeheuerlichkeiten zu verbreiten! Günter Burkart

Höheres Gehalt für Arzthelferinnen

mit einer absoluten DM-Differenz gegenüber 2,5 Prozent in Höhe von 6 DM im 1. Berufsjahr bzw. 10 DM im 26. Berufsjahr auch inner- halb der Ärzteschaft vertretbar sei.

I> Es sollten in diesem Zusam- menhang von den betroffenen Ar- beitgebern die Gefahren für den sozialen Frieden erkannt werden, die bei Eintreten eines tariflosen Zustandes oder bei einer zu star- ken Abkoppelung vom allgemei- nen Tarifgeschehen bestünden:

Immerhin liegen bei mehr als 75 Prozent aller Tarifvertragsab- schlüsse dieses Jahres die Erhö- hungen bei 3 Prozent; bei niedri- geren Abschlüssen ist zumeist ei- ne Arbeitszeitverkürzung in die Regelungen mit eingeflossen.

Hinzu kommt, daß nach amtlichen Prognosen für das Jahr 1985 mit einer durchschnittlichen Infla- tionsrate von etwa 2,5 Prozent ge- rechnet wird. Die Tariferhöhun- gen liegen also nominell nur we- nig über der Inflationsrate; nach Abzug der erhöhten Steuern und Sozialabgaben tritt bei einer Ge- haltserhöhung von 2,9 Prozent nicht einmal ein Reallohnaus- gleich ein.

Was die Vergütungen für die Aus- zubildenden betrifft, so wurde le- diglich die Vergütung für das 2.

Ausbildungsjahr um 40 DM ange- hoben, die Vergütung für das 1.

Ausbildungsjahr jedoch bei 520 DM belassen. Da die Geringver- dienergrenze seit 1. Januar 1985 bei 540 DM monatlich liegt, muß der Arbeitgeber auch weiterhin für die Auszubildenden des 1.

Lehrjahres die Arbeitnehmeran- teile zur Sozialversicherung mit- tragen. Die Vergütung von 520 DM ist daher stets netto voll auszuzah- len.

Von der bisher im 2. Ausbildungs- jahr zu zahlenden Vergütung von 640 DM wurden dagegen Steuern und anteilige Sozialbeiträge ab- gezogen, so daß den Auszubilden- den nur 500 DM bis 510 DM netto verblieben. Die Ungerechtigkeit, daß die Auszubildenden im 2. Aus- bildungsjahr bisher netto weniger erhielten als im 1. Ausbildungs- jahr, gleicht der neue Gehaltstarif- vertrag aus, indem durch die Brut- to-Erhöhung auch eine geringfü- gige Netto-Erhöhung von etwa 20 DM (je nach Höhe der Kranken- kassenbeiträge) zwischen den Ausbildungsvergütungen des 1.

und des 2. Ausbildungsjahres zu- stande kommt.

Mit diesem zurückhaltenden Ab- schluß im Bereich der Ausbil- dungsvergütungen ist von Arbeit- geber- wie auch von Arbeitneh- merseite intendiert, die schwieri- ge Situation auf dem Ausbil- dungsstellenmarkt nicht zusätz- lich zu belasten.

I> Die AAA weist darauf hin, daß eine rechtliche Verpflichtung für den Arbeitgeber zur Zahlung der erhöhten Arbeitsentgelte nur dann besteht, wenn eine Tarifbin- dung arbeitsvertraglich festgelegt ist; Beschäftigungsverhältnisse auf der Basis eines freien Vertra- ges sind von den Tariferhöhungen nicht betroffen.

Dipl.-Päd. R. Ickert Haedenkampstraße 1 5000 Köln 41

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 30 vom 24. Juli 1985 (25) 2171

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