Aus der
Chirurgischen Klinik
für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie
der Medizinischen Fakultät Charité - Universitätsmedizin Berlin
DISSERTATION
Lebensqualität nach (neo-)adjuvanter Radiochemotherapie
des Rektumkarzinoms
zur Erlangung des akademischen Grades
Doctor medicinae (Dr. med.)
vorgelegt der Medizinischen Fakultät
Charité – Universitätsmedizin Berlin
von
Nathalie Raphaela Lindholz
aus Tegernsee, Deutschland
Inhaltsverzeichnis
1. Abstrakt (Deutsch/Englisch) ... 5
1.1. Abstrakt Deutsch ... 5
1.2. Abstrakt Englisch: ... 7
2. Einleitung ... 9
2.1.Das kolorektale Karzinom ... 9
2.1.1. Epidemiologie des kolorektalen Karzinoms ... 9
2.1.2. Lokalisation, Wachstum, Grading und Stadieneinteilung ... 11
2.1.3. Ätiopathogenese ... 15
2.1.4. Klinik ... 20
2.1.5. Diagnostik ... 20
2.1.6. Therapie des Rektumkarzinoms ... 22
2.1.6.1. Operative Therapie ... 22 2.1.6.2. Perioperative Therapie ... 24 2.1.6.2.1. Präoperative Therapie ... 25 2.1.6.2.2. Postoperative Therapie ... 28 2.1.7. Nachsorge ... 33 2.1.8. Prognose ... 34 2.2. Fragestellung... 35
3. Krankengut und Methoden ... 35
3.1. Ein- und Ausschlusskriterien ... 35
3.2. Erhebung der Patientendaten ... 36
3.2.1. Erhebung der Stamm- und perioperativen Daten ... 36
3.2.2. Erhebung der Daten zu Tumornachsorge und Langzeit-OP-Outcome... 36
3.2.3. Erhebung der Lebensqualitätsdaten ... 38
3.2.4. Erhebung der Daten zur Beurteilung der Kontinenzleistung ... 40
3.3. Statistische Auswertung ... 41
4. Ergebnisse ... 41
4.1. Auswertung der Patientendaten ... 41
4.1.2. Stammdaten ... 43
4.1.3. OP-Methoden und TNM-Klassifikation ... 44
4.1.4. Daten zu Nachsorge und Langzeit-OP-Verlauf ... 46
4.2. Auswertung des eigenen Fragebogens ... 47
4.3. Ergebnisse der EORTC-Fragebögen QLQ-C30 und QLQ-CR29 ... 48
4.3.1. Die Lebensqualität aller Patienten... 48
4.3.1.1. Das Geschlecht als Einflussfaktor auf die Lebensqualität ... 52
4.3.1.2. Das Alter als Einflussfaktor auf die Lebensqualität ... 55
4.3.1.3. Das Stoma als Einflussfaktor auf die Lebensqualität ... 59
4.3.2. Die Lebensqualität der Patienten mit unterschiedlicher Therapie ... 62
4.3.2.1. Der Einfluss der Operationsmethoden auf die Lebensqualität ... 62
4.3.2.2. Der Einfluss der Radiochemotherapie auf die Lebensqualität ... 64
4.3.2.2.1.Die Lebensqualität bei unterschiedlicher Therapie, abhängig von Geschlecht, Stoma und Alter ... 69
4.3.2.2.2. Der Einfluss der Therapie auf die Lebensqualität bei Männern und Frauen ... 72
4.3.2.2.3. Der Einfluss der Therapie auf die Lebensqualität bei jüngeren und älteren Patienten ... 73
4.3.2.2.4. Der Einfluss der Therapie auf die Lebensqualität bei Patienten mit und ohne langfristiges Stoma ... 74
4.4. Die Kontinenzleistung ... 78
4.4.1. Kontinenzleistung von Patienten mit und ohne vorübergehendes Stoma ... 79
4.4.2. Kontinenzleistung von Patienten ohne Stoma in Abhängigkeit von Geschlecht, Therapie und Alter ... 80
4.5. Zusammenfassung der Ergebnisse ... 82
5. Diskussion ... 88
5.1. Allgemeine und krankheitsspezifische Lebensqualität des Gesamtkollektivs ... 91
5.2. Allgemeine und krankheitsspezifische Lebensqualität unter Berücksichtigung von Geschlecht, Alter und Vorhandensein eines Stomas ... 97
5.3. Allgemeine und krankheitsspezifische Lebensqualität unter Berücksichtigung der Therapie ... 100
5.5. Limitationen der vorliegenden Studie ... 106 5.6. Ausblick ... 106 6. Literaturverzeichnis ... 108 7. Abkürzungsverzeichnis ... 117 8. Eidesstattliche Versicherung ... 118 9. Anhang ... 119 10. Lebenslauf ... 132 11. Danksagung ... 134
1. Abstrakt (Deutsch/Englisch)
1.1. Abstrakt Deutsch
Einleitung:
Das kolorektale Karzinom ist in Deutschland mittlerweile sowohl bei Männern als auch bei Frauen die am zweithäufigsten auftretende Krebsart. Neben dem onkologischen Langzeit-Outcome rückt mehr und mehr die krankheitsbedingte Lebensqualität als langfristiges Therapieziel in den Fokus der Öffentlichkeit.
Methodik
Von 194 Patienten mit sporadisch aufgetretenem Rektumkarzinom, die im Zeitraum von 2000-2009 am Campus Benjamin Franklin der Charité kurativ intendiert therapiert wurden, erfüllten schließlich 77 Patienten die gewählten Einschlusskriterien und konnten somit in die Studie aufgenommen werden. Die Studienpatienten wurden mithilfe der Fragebögen QLQ-C30 und QLQ-CR29 zu ihrer allgemeinen und
krankheitsspezifischen Lebensqualität befragt. Um Faktoren zu eruieren, die neben der Erkrankung potenziell die Lebensqualität beeinträchtigen, wurde ein zusätzlicher, selbstgestalteter Fragebogen mit gesendet. Die statistische Auswertung der Lebensqualität erfolgte in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, Therapie und Vorhandensein eines Stomas.
Ergebnisse
Insgesamt konnte beobachtet werden, dass die allgemeine Lebensqualität, die mithilfe des QLQ-C30 gemessen wurde, insgesamt besser bewertet wurde als die
krankheitsspezifische Lebensqualität, für die der QLQ-CR29 verwendet wurde. Die niedrigste Funktionalität hatten Männer (51 Punkte) und Frauen (26 Punkte) im sexuellen Bereich, während die relevantesten Symptome Impotenz (68 Punkte), Flatulenzen (52 Punkte), Harnfrequenz (43 Punkte) und Stuhlfrequenz (38 Punkte) waren. Männer hatten ein deutlich höheres sexuelles Interesse als Frauen (p=0,007), während Frauen mehr an Blähungen (p=0,012) litten. Jüngere Patienten litten zwar mehr an Symptomen, hatten aber gegenüber älteren Patienten eine bessere körperliche Funktionalität (p=0,038) und ein deutlich höheres sexuelles Interesse (p=0,001).
Patienten ohne Stoma haben zwar eine deutlich bessere körperliche Funktionalität als Patienten mit Stoma (p=0,006) jedoch auch signifikant stärkere Symptomatik bei Obstipation (p=0,006), Stuhlinkontinenz (p=0,011), Schmerzen (p=0,012), Flatulenzen (p=0,037) und Blähungen (p=0,05).
Teilt man die Patienten nach Therapie ein, fällt auf, dass Patienten mit Rektumresektion im Verlauf mehr an Symptomen leiden, als Patienten mit Rektumexstirpation. Bezüglich weiterer Therapie scheint es so, als hätten Patienten mit adjuvanter Therapie deutlich schlechtere Werte der Lebensqualität als Patienten mit neoadjuvanter Therapie oder Patienten die nur eine Operation hatten.
Schlussfolgerung
Generell ist die Lebensqualität von Patienten mit therapiertem Rektumkarzinom in der vorliegenden Studie relativ gut, was sich mit den Ergebnissen von vorhergehenden Studien deckt. Beeinträchtigungen sind bei Sexualfunktion und gastroenterologischer Funktion zu erwarten. Abhängig von Alter, Geschlecht, Stoma und Therapie sind unterschiedliche Beeinträchtigungen zu erwarten. Während es scheint als hätten
Patienten mit adjuvanter Therapie eine schlechtere Lebensqualität, haben Patienten mit Stoma in vielen Bereichen eine bessere Lebensqualität.
1.2. Abstrakt Englisch:
Introduction:
Colorectal cancer is now the second most common cancer in both men and women in Germany. Apart from the long-term oncological outcome, the disease-specific quality of life is gaining increasing importance as a long-term treatment goal.
Methods
Of 194 patients treated curatively for sporadic rectal cancer at Charité Campus
Benjamin Franklin between 2000 and 2009, the study included 77 who met the defined eligibility criteria. The general and disease-specific quality of life was analyzed using the QLQ-C30 and QLQ-CR29 questionnaires. A self-designed questionnaire was added to determine factors that potentially influence the quality of life beside the disease itself. The quality of life was statistically analyzed in relation to sex, age, therapy and the presence of a stoma.
Results
Altogether, the general quality of life measured with the QLQ-C30 was better than the disease-specific quality of life measured with the QLQ-CR29.
Both male (51 points) and female (21 points) patients had the lowest scores on the sexual function scale, while the most relevant symptoms were impotence (68 points), flatulence (52 points), urinary frequency (43 points) and defecation frequency (38 points). Male patients showed a significantly higher level of sexual interest than female patients (p=0.007), while female patients suffered more from flatulence (p=0.012). Even though younger patients suffered more from the symptoms, they had a significantly higher level of physical functionality (p=0.038) and sexual interest (p=0.001) than elder patients.
Nonstoma patients had a significantly higher level of physical functionality (p=0.006) than stoma patients, but they also had significantly more severe symptoms, such as constipation (p=0.006), defecation frequency (p=0,011), pain (p=0,012), flatulence (p=0.037) and abdominal bloating (p=0.05).
Anterior resection was associated with a higher rate of postoperative symptoms than abdominoperineal excision. With regard to additional therapy, patients with adjuvant
treatment seem to have a markedly lower quality of life than those with neoadjuvant treatment or those who only underwent surgery.
Conclusion
The relatively high quality of life of patients with surgically treated rectal cancer in this study is in line with the results of previous studies. Impaired sexual and gastrointestinal function is to be expected. Various impairments are related to age, sex, stoma, and therapy. While patients with adjuvant therapy seem to have a lower quality of life, stoma patients have a better quality of life in many ways.
2. Einleitung
Dieser Arbeit liegt ein Patiententenkollektiv zugrunde, das aus Patienten besteht, die an einem Rektumkarzinom erkrankt sind. Da in der aktuellen Wissenschaft und Forschung diese Krebsart jedoch in den allermeisten Fällen mit dem Kolonkarzinom zum Thema „kolorektales Karzinom“ zusammengefasst wird, betreffen die im Folgenden
abgehandelten, allgemeinen Informationen zunächst sowohl Rektum- als auch Kolonkarzinom.
2.1.Das kolorektale Karzinom
2.1.1. Epidemiologie des kolorektalen Karzinoms
Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchungen für Männer und Frauen ab einem Alter von 50 Jahren sind in Deutschland heutzutage fester Bestandteil des staatlichen
Krebsfrüherkennungsprogrammes im Rahmen der gesetzlichen Gesundheitsvorsorge. Diese schließen die Möglichkeit der Testung auf okkultes Blut im Stuhl ab einem Alter von 50 Jahren und ein Koloskopie-Screening ab einem Alter von 55 Jahren ein [1]. Diese Krebsfrüherkennungsmaßnahmen wurden etabliert, da in Deutschland
mittlerweile jede 7. Krebserkrankung den Darm betrifft und somit das kolorektale
Karzinom die zweithäufigste Krebsart sowohl bei Männern (nach Prostatakarzinom) als auch bei Frauen (nach Mammakarzinom) ist [2]. Zudem ist es, nach Lungenkarzinom bei Männern und Mammakarzinom bei Frauen, auch die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache in Deutschland (12-15% der gesamten Krebsmortalitätsrate) [3,4]. Dabei werden nur unter 20% der Fälle frühzeitig entdeckt; bei den anderen führt erst eine Symptomatik zur Diagnose [5].
Die letzten Zahlen des Robert-Koch-Instituts (Stand 25.03.2015) zeigen, dass im Jahre 2011 bei knapp 63.000 Menschen in Deutschland die Diagnose Darmkrebs gestellt wurde, wobei hierbei Karzinomerkrankungen des Kolons, Rektums und Anus
zusammengefasst werden [2]. Dabei waren 34.276 neuerkrankte Patienten Männer und 28.695 neuerkrankte Patienten Frauen. Für das Jahr 2014 prognostiziert das Robert- Koch-Institut einen leichten Anstieg der Neuerkrankungen bei Männern auf 35.500 und einen leichten Abfall der Neuerkrankungen für Frauen auf 28.400, sodass laut dieser
Prognose insgesamt knapp 64.000 Menschen im Jahr 2014 an Darmkrebs erkranken werden. Die rohe Erkrankungsrate pro 100.000 Einwohner würde somit leicht
zunehmen, während die altersstandardisierten Erkrankungsraten in den letzten Jahren leicht rückläufig sind.
Einen Überblick über die Prognosen des Robert-Koch-Instituts, gibt Tab. 1.
Generell ist das Risiko von Männern, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken höher als das von Frauen, wobei die Verteilung beim Rektumkarzinom circa 60:40 beträgt [6]. Das Lebenszeitrisiko für einen Deutschen an kolorektalem Karzinom zu erkranken, liegt bei 6%, das Risiko daran zu versterben bei 2,5-3%, wobei das Erkrankungsrisiko mit zunehmendem Alter steigt. Etwa die Hälfte aller Erkrankten bekommt somit ihre Diagnose nach dem 70. Lebensjahr gestellt, während nur bei 10% die Diagnose vor dem 55. Lebensjahr gestellt wird [2,6].
Die Inzidenz verdoppelt sich bei über 40jährigen alle 10 Jahre [4].
2009 2010 2011 Prognose für 2014 M F M F M F M F Neuerkrankungen 34.770 29.540 33.800 28.620 34.276 28.695 35.500 28.400 Standardisierte Erkrankungsrate1 60,7 38,3 57,8 36,8 57,3 36,6 56,2 34,9 Sterbefälle 13.572 12.504 13.489 12.510 13.863 12.439 Standardisierte Sterberate1 23,2 14,2 22,3 13,9 22,1 13,5 5-Jahres-Prävalenz 116.800 99.700 116.200 98.100 117.094 97.105
Relative 5-Jahres-Überlebensrate (2009-2011): Männer: 64%, Frauen: 65%
je 100.000 Personen, altersstandardisiert nach Europastandard
Tabelle 1: Frei nach Tabelle 3.5.1., Seite 36, Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert-Koch-Instituts, 9. Ausgabe 2013 (M=Männer, F=Frauen)
2.1.2. Lokalisation, Wachstum, Grading und Stadieneinteilung
Das kolorektale Karzinom ist ein maligner, epithelialer Tumor mit meist glandulärer Differenzierung, der von der kolorektalen Schleimhaut ausgeht und bei dem eine Infiltration der Submukosa oder der tieferen Wandschichten vorliegt. In den überwiegenden Fällen handelt es sich um ein Adenokarzinom. Etwa 40% der kolorektalen Karzinome befinden sich im Rektum, die übrigen 60% sind auf das
restliche Kolon verteilt [6,7]. Die genaue prozentuale Verteilung ist in Abb. 1 dargestellt. Will man zwischen Kolon- und Rektumkarzinom unterscheiden, erfolgt dies
endoskopisch. Tumore, deren aboraler Rand bis 16 cm von der Anokutanlinie entfernt ist, werden als Rektumkarzinome bezeichnet [5,8]. Alle kolorektalen Karzinome
wachsen weniger in die Länge als vielmehr in die Tiefe[9].
Abbildung 1: Verteilung der Lokalisation kolorektaler Karzinome nach H.-J. Schmoll, www.onkodin.de [6]
Sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch können verschiedene
Wachstumsmuster unterschieden werden. Auch ohne Mikroskop kann man somit schon erkennen, ob das kolorektale Karzinom polypös in Richtung Darmlumen (also
exophytisch) wächst, sich eher schüsselförmig, ulzerierend in die Darmwand hinein ausbreitet (endophytisch), ein zirkulär stenosierendes Wachstum an den Tag legt, oder ob es sich um einen diffus infiltrierenden, szirrhösen Tumor handelt. Histologisch
Drüsenbildung in drei Differenzierungsgraden auftreten können. Dieses „Grading“ erfolgt in hoch (>95%), mäßig (50-95%) und niedrig (5-50%) differenzierte
Adenokarzinome, sowie undifferenzierte Karzinome (5%) und wird mit G1 bis G4 bezeichnet [10,11]. Breitet sich ein Tumor weiter aus, kann er, nachdem er die Serosa durchbrochen hat, meist in oraler Richtung, die Nachbarorgane infiltrieren. So infiltriert das Rektumkarzinom beispielsweise die Blase, die Ureteren, die Prostata, den Uterus oder die Ovarien, während ein lokal fortgeschrittenes Kolonkarzinom je nach Lage auch in den Magen oder den Pankreas hineinwachsen kann [10,11,12].
Neben der lokalen Ausbreitung kommt es häufig zur Metastasierung und somit zur Lymphangiosis carcinomatosa (Infiltration der Lymphgefäßbahnen mit Tumorzellen) oder zur Hämangiosis carcinomatosa (tumoröser Befall der Blutgefäße). Ungefähr 35% aller Patienten, die von einem kolorektalen Karzinom betroffen sind, weisen bei
Diagnosestellung schon Metastasen auf [13].
Die lymphogene Metastasierung erfolgt beim Rektumkarzinom über 3
Metastasenstraßen, in Abhängigkeit von der Lokalisation des Primärtumors. Während Tumoren im oberen Rektumdrittel (12-16cm von der Anokutanlinie) in die paraaortalen Lymphknoten metastasieren, besteht im mittleren Drittel (6-12cm) zusätzlich die
Möglichkeit einer Metastasierung nach lateral in die Beckenlymphknoten [4]. Bei
Tumoren im unteren Drittel (0-6 cm) kann es außerdem noch zu einer Metastasierung in die inguinalen Lymphknoten kommen, wobei diese Tumoren die schlechteste Prognose haben [12].
Hämatogen erfolgt die Metastasierung nach der Kaskadentheorie, was bedeutet, dass Tumorzellen zunächst über die Vena portae in die Leber gelangen (ca. 75%) und von dort sekundär weiter in die Lunge (15%) und in die Knochen 5%) metastasieren können. Nur distal liegende Rektumkarzinome können über die Vena Cava inferior direkt Metastasen in die Lunge streuen [4, 10, 12].
Abhängig von der lokalen Ausdehnung und der Metastasierung erfolgt die
Stadieneinteilung der kolorektalen Karzinome, von der dann die Prognose abhängt. Bei dieser Stadieneinteilung sind vor allem zwei Systeme relevant.
Diese sind zum einen die in Europa mittlerweile gängigste Einteilung in UICC-Stadien (Union internationale contre le cancer), die anhand der TNM-Unterkategorien bestimmt wird, und zum anderen die ältere Einteilung nach Dukes und Turnbull. Die
TNM-System setzt sich aus den drei Kriterien Tumorinfiltration (T),
Lymphknotenmetastasierung (N) und Fernmetastasierung (M) zusammen und kann als die klinisch verwendete Einteilung verstanden werden [4].
Die Tumorinfiltration reicht vom Carcinoma in situ (TIS) über die Infiltration der
Submukosa (T1) bis hin zur Infiltration von umgebenden Strukturen (T4). T0 bedeutet, dass kein Anhalt für einen Primärtumor vorliegt, während TX besagt, dass der
Primärtumor nicht beurteilt werden kann (siehe Tab. 2).
TIS T1 T2 T3 T4 Intraepithelial oder Infiltration der Lamina propria Infiltration der Submukosa Infiltration der muscularis propria Infiltration in Subserosa oder in nicht peritonealisiertes perikolisches/ -rektales Gewebe T4a Tumor perforiert viszerales Peritoneum T4b Tumor infiltriert direkt in andere Organe/Strukturen
Tabelle 2: T-Kategorie des TNM-Systems (UICC,2010) [4]
Das Ausmaß der Lymphknotenmetastasierung wird nach Untersuchung von mindestens 12 regionären Lymphknoten bestimmt. Auch hier bedeutet NX, dass keine Beurteilung der Lymphknoten möglich ist und N0 bezeichnet eine fehlende
Lymphknotenmetastasierung. Liegt eine Lymphknotenmetastasierung vor, wird dies, abhängig vom Metastasierungsgrad, mit N1 bis N2b bezeichnet (siehe Tab. 3).
N1
(Metastasen in 1-3 regionären Lymphknoten(LK))
N2
(Metastase in 4 und mehr regionären Lymphknoten(LK)) N1a Metastase in 1 regionären LK N1b Metastasen in 2-3 regionären LK N1c Tumorknötchen bzw. Satellit(en) im Fettgewebe(Subserosa oder nicht-peritonealisiertes perikolisches/-rektales) N2a Metastasen in 4-6 regionären LK N2b Metastasen in 7 oder mehr regionären LK
Die Fernmetastasierung wird mit M0 bei fehlenden Fernmetastasen und mit M1 bei vorhandenen Fernmetastasen angegeben (siehe Tab. 4).
M0 M1
Keine
Fernmetastasen
M1a
Metastase(n) auf ein Organ beschränkt
M1b
Metastasen in mehr als einem Organ oder im Peritoneum Tabelle 4: M-Klassifikation des TNM-Systems (UICC,2010) [4]
Ist die Bewertung klinisch erfolgt, kennzeichnet man das mit dem vorangestellten Kleinbuchstaben „c“, erfolgte die Einteilung pathologisch, also meist postoperativ, wird dies mit einem vorangestellten Buchstaben „p“ bezeichnet [4]. Handelt es sich um ein Tumorrezidiv, wird dies mit dem Buchstaben „r“ kenntlich gemacht und ist einer der Faktoren nicht zu beurteilen, erkennt man das an dem kleinen Buchstaben x. Das Präfix „y“ macht erkenntlich, dass die histopathologische Beurteilung vor oder nach initialer multimodaler Therapie erfolgt ist. Nachgestellte Großbuchstaben erlauben eine weitere Klassifikation. So kann man den Differenzierungsgrad mit „G“, den Residualstatus mit „R“ und den Einbruch ins Lymph- und/oder venöse System mit „LVI“ spezifizieren. Weitere Kürzel geben Hinweise auf molekulare Methoden (mol), Mikrometastasen (mi) oder isolierte Tumorzellen (i).
UICC-Stadium TNM-System Dukes-Einteilung 0 Carcinoma in situ TIS N0 M0 I T1-2 N0 M0 A II IIA T3 N0 M0 B IIB T4a N0 M0 IIC T4b N0 M0 III IIIA T1-2 T1 N1a N2a M0 M0 C IIIB T3-T4a T2-3 T1-2 N1 N2a N2b M0 M0 M0 IIIC T4a T3-4b T4b N2a N2b N1-2 M0 M0 M0 IV IVA IVB Tx Tx Nx Nx M1a M1b D
Tabelle 5 Stadieneinteilung des kolorektalen Karzinoms nach UICC (7.Auflage 2010) und Dukes [4, 9, 15]
2.1.3. Ätiopathogenese
Die steigende Inzidenz lässt sich einerseits mit der durchschnittlich höheren Lebenserwartung erklären, andererseits ist sie jedoch auch Folge der modernen Lebensführung und Ernährung. Neben genetischer Prädisposition (etwa 10% der Kolonkarzinome [8]), höherem Lebensalter (>45Jahre), kolorektalen Adenomen und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen stellen nämlich auch beeinflussbare
Gewohnheiten mitunter Risikofaktoren zur Entstehung des kolorektalen Karzinoms dar. So kommt es bei hohem Fleisch-, Fett- und Eiweißkonsum zu einer erhöhten
Darmbakterien zu einer starken Konzentrationserhöhung der toxischen Gallensäuren, die zusammen mit den verstärkt synthetisierten Triacylglyceriden und den fäkalen Pentanen als Kanzerogene wirken können [6]. Auch ein geringer Ballaststoffgehalt der Nahrung kann zur Entstehung eines kolorektalen Karzinoms beitragen, da zum einen lösliche Ballaststoffe unter anderem die Synthese von protektiv wirkenden kurzkettigen Fettsäuren fördern und die Fermentation von eventuell kanzerogenen Gallensäuren vermindern, und zum anderen unlösliche Ballaststoffe die Stuhlpassage beschleunigen und toxische Stuhlbestandteile binden [6]. Übergewicht und langjähriger Nikotin- und Alkoholabusus tragen ebenfalls zur Erhöhung des Karzinomrisikos bei [16].
Die genannten Faktoren erklären auch, warum diese Tumorart vornehmlich ein Problem der westlichen Welt ist und in weniger weit entwickelten Ländern wie Indien oder
Gebieten in Afrika und Südamerika eine sehr viel niedrigere Inzidenz hat [7]. Das Karzinomrisiko erhöht sich um den Faktor 2-3, wenn eine positive
Familienanamnese vorliegt, welche letztendlich bei 25% der Patienten nachzuweisen ist [12]. Bei sporadisch auftretenden Karzinomen bleibt es jedoch zumindest zweifelhaft, ob nicht auch, statt genetischer Faktoren, ähnliche Lebensumstände innerhalb der Familie der Grund dafür sein könnten.
Etwa 10% der kolorektalen Karzinome entstehen durch eine genetische Prädisposition [4]. Dazu zählen zum einen die Polyposis-Syndrome wie die Familiäre Juvenile
Polyposis, mit einem Entartungsrisiko von 10%, das Peutz-Jeghers-Syndrom mit einer Entartungswahrscheinlichkeit von 2-3% und die Familiäre Polyposis coli, die in 100% der Fällen zu Entartungen führt und 1% aller kolorektalen Karzinome bedingt. Zum anderen fällt auch eine sehr seltene, autosomal-dominant vererbte Form des
Kolonkarzinoms in die Sparte der durch genetische Faktoren verursachten Tumoren, nämlich das Lynch-Syndrom, auch hereditäres, nichtpolypöses
Kolonkarzinom-Syndrom (HNPCC) genannt, das 4-6% der kolorektalen Karzinome hervorruft [4, 12].
Insgesamt existieren momentan auf Basis von molekularbiologischen Daten fünf Subtypen des kolorektalen Karzinoms, wobei für die Einteilung die chromosomale Instabilität (CIN), die Mikrosateliteninstabilität (MSI) und der
CpG-Island-Methylierungsstatus (CIMP) eine Rolle spielen. Zusätzlich werden Veränderungen in den Schlüsselgenen erfasst. Diese Einteilung ist in Tab. 6 zusammengefasst.
Gruppe Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 Gruppe 5 Beschreibung Klassische Adenom- Karzinom-Sequenz Im Zuge eines HNPCC-Syndroms Aus serratierten Vorläuferläsionen Chromosomale Instabilität CIN + - - - + CIMP - - + + + MSI - + + - -
Wichtige Gene APC, K-RAS, p53 APC,K-RAS, p53 B-RAF (APC) B-RAF (APC, p53, K-RAS) K-RAS, p53 (APC)
Tabelle 6: Einteilung der kolorektalen Karzinome anhand von molekularbiologischen Daten [6, 17]
95% aller kolorektalen Karzinome entwickeln sich auf dem Boden eines dysplastischen Adenoms, was als Adenom-Karzinom-Sequenz bezeichnet wird, wobei die Dauer der Entartung, je nach Quelle, bis zu 15-20 Jahren betragen kann (Gruppe 1) [4, 6]. Durch eine Kombination genetischer Veränderungen wandeln sich hierbei kontrollierte
Wachstumsvorgänge in unkontrolliertes Wachstum um. Diese maligne Transformation geschieht durch eine Aktivierung von Onkogenen (zum Beispiel dem K-RAS-Onkogen) und/oder eine Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen (zum Beispiel dem APC-Gen) [18]. Die dazu führenden Mechanismen sind bei mehr als 95% entweder eine
chromosomale Instabilität oder eine Mikrosatelliteninstabilität. Bei chromosomaler Instabilität (80-85%) liegen genetische Aberrationen wie allelische Verluste, Amplifikationen (gezielte Vermehrung von DNA), Translokationen oder
DNA-Aneuploidie (numerische Chromosomenaberrationen) vor. Dabei sind häufig Mutationen in den Genen APC, KRAS, DCC/SMAD4 und TP53 zu finden, die sicher Folge aber möglicherweise auch Ursache dieser Instabilität sind.
Die vermutlich relevantesten genetischen Veränderungen, die zu chromosomaler Instabilität und damit zur Entwicklung vom Adenom zum Karzinom führen, ist eine Reihe von LOH-Mutationen (Loss of heterozygosity, Verlust der Heterozygotie) auf verschiedenen Chromosomen [6]. Zunächst kommt es zu einer somatischen Mutation und/oder einem LOH auf Chromosom 5 im Bereich des APC-Gens, wodurch dieses
können epigenetisch durch Kanzerogene wie beim Rauchen, durch heterozyklische Amine, Folsäuremangel, verminderte Methioninzufuhr oder auch durch veränderte DNA-Methylierung, zum Beispiel bei hohem Alkoholkonsum, bedingt sein [6].
Anschließend kommt es zu einer Mutation von K-RAS auf Chromosom 12q, gefolgt von weiteren Veränderungen wie einem LOH von Chromosom 18q, wobei die
Tumorsuppressorgene DCC, DPC4, SMAD2 inaktiviert werden, und einer Mutation im TGF-β-II-Rezeptor. Ausschlaggebend für den Übergang zum Karzinom ist dann wahrscheinlich letztendlich der LOH von Chromosom 17q und eine Mutation von p53. Eine schematische Darstellung dieser Vorgänge siehe Abb. 2:
Im Gegensatz dazu führt eine Mikrosatelliteninstabilität (MIN, 10-15%) durch Defekte der zellulären DNA-Missmatch-Reparatur zu Replikationsfehlern in den für die
Tumorgenese entscheidenden Genen und trägt so vermutlich sowohl zur sporadischen als auch zur HNPCC-assoziierten Karzinomentstehung bei (Gruppe 2 und 3, siehe Tab. 6). Beim sporadisch entstehenden KRK führt meist ein epigenetisch bedingter Expressionsverlust des DNA-Missmatch-Reparatur-Protein MLH1 zu dem Defekt, während beim im Rahmen eines HNPCC aufgetretenen malignen Tumors, die MIN in einem der fünf bekannten DNA-Missmatch-Reparatur-Gene MSH2, MSH6, MLH1, PMS1 oder PMS2 verursacht wird [4, 10].
Dysplast-ische Krypte Normal-epithel Adenom 1 (<1cm, tubulär,gerin ggradige Dysplasie) Adenom 2 (1-2cm, tubulovillös, Mittelgradige Dysplasie) Adenom 3 (>2cm, villös, hochgradige Dysplasie ) Karzinom Metastasen 5q Mutation & Verlust APC Alterierte DNA Methylierung 18q Verlust DCC/DPC4/SMAD2 17p Mutation und Verlust
p53
Andere genetische Veränderungen (z.B. TGF-β-Typ-II-Rezeptor) 12q Mutation K-RAS Schema: Chromosom Veränderung Gen
Abbildung 2: Molekulare Pathogenese der Adenom-Karzinom-Sequenz (nach Vogelstein und Fearon) [4, 6, 17]
Während die Karzinomentstehung durch die klassische Adenom-Karzinom-Sequenz nach Vogelstein und Fearon (siehe Abb. 2) eine schon lange bestehende und
wissenschaftlich anerkannte These ist, hat sich die Theorie einer Karzinogenese über multiple Signalwege erst in den letzten Jahren durchgesetzt. Demnach kann ein
kolorektales Karzinom auch über den sogenannten „serratierten Signalweg“ entstehen [19].
Dabei ist nicht wie bei der klassischen Adenom-Karzinom-Sequenz ein sukzessiver Verlust von Tumorsuppressorgenen ursächlich, sondern eine Störung der
physiologischen Apoptose in den Krypten des Darms, wodurch es zu einem Aufstau der zurückgehaltenen Zellen kommt, die die serratierte Krypenmorphologie bedingen.
Diese Prozesse werden durch aktivierende BRAF- oder KRAS-Mutationen initiiert (siehe Tab. 6) [19].
Bedeutsam ist dieser alternative Karzinogenese-Weg, da es Hinweise dafür gibt, dass die Progression dieser Läsionen zum Karzinom sehr viel schneller ablaufen könnte als es bei der Adenom-Karzinom-Sequenz der Fall ist. In einer Einzelfallstudie von Oono et al. konnte die Entstehung eines Karzinoms aus einem serratierten Adenom bei einem 65-jährigen Mann innerhalb von 8 Monaten gezeigt werden [20].
Neben allen genannten Risikofaktoren zur Entstehung des KRK ist man mittlerweile der Meinung, dass das allgemeine Risiko zur Entwicklung eines sporadischen malignen Tumors im Kolorektalbereich durch bestimmte Lebensweisen auch gesenkt werden kann. Zu diesen protektiven Faktoren zählen entsprechend fett- und fleischarme, gemüse- und salatreiche Kost und Getreideballaststoffe, aber auch eine schnelle Stuhlpassage, eine kalziumreiche Ernährung, Vitamin C und Folsäure [4]. Den
Medikamenten ASS und NSAR wird ein eindeutig protektiver Effekt zugeschrieben [21], ebenso wie 5-ASA bei Colitis ulcerosa. Von den genannten Faktoren scheinen die Antioxidantien den größten positiven Einfluss zu haben, wenn man von regelmäßiger körperlicher Aktivität absieht, der bereits in einigen Studien und für mehrere Krebsarten ein entscheidend protektiver Einfluss bestätigt wurde, während eine bewegungsarme Lebensweise eher mit einem erhöhten Risiko für ein kolorektales Karzinom korreliert [22, 23, 24]. Neuere Ergebnisse besagen jedoch, dass eine relative Risikoreduktion bei hoher körperlicher Aktivität nur für das Kolonkarzinom zutrifft (wobei hier von allen Tumorarten der eindrücklichste Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und
Karzinogenese besteht [25]), während für das Rektumkarzinom auch in Metaanalysen keine Assoziation von körperlicher Bewegung und Krebsentstehung gezeigt werden konnte [26, 27].
2.1.4. Klinik
Da, wie gerade gezeigt wurde, die Tumorprogression ein über Jahre andauernder Prozess ist, existieren keine zuverlässigen Frühsymptome [4, 6].
Die später auftretenden Symptome sind meist uncharakteristisch und somit ist jede Änderung der Stuhlgewohnheiten mit einer Dauer über drei Wochen und jede perianale Blutbeimengung (okkult oder sichtbar), besonders bei älteren Menschen, als
karzinomverdächtig einzustufen und sollte eine Koloskopie nach sich ziehen. Auch wenn die Diagnose Hämorrhoiden bereits gestellt ist, muss ein kolorektales Karzinom ausgeschlossen werden, da etwa die Hälfte aller Karzinompatienten gleichzeitig Hämorrhoiden hat und bei 75% der Karzinompatienten makro- oder mikroskopische Blutbeimengungen im Stuhl zu finden sind [4, 8]. Weitere Symptome können
Leistungsschwäche, Gewichtsverlust, Anämie, Meteorismus, abdominale Schmerzen, ein eventuell tastbarer Tumor oder Stenosebeschwerden mit „Bleistiftstuhl“ sein. Stenosen können zusätzlich eine „paradoxe Diarrhoe“ bedingen, da es durch
Zersetzung und Gärungsprozesse zur Verflüssigung des stehenden Stuhls kommt [4]. In ca. 15% der Fälle führt eine Obstruktion zur Diagnose, was meist zur
Notfall-Operation bei Ileus führt [7]. Während das Leitsymptom des rechtsseitigen
Kolonkarzinoms die Blutungsanämie ist, ist die des linksseitigen Kolonkarzinoms die Stenose [28]. Tumoren im Zökum verursachen häufig Schmerzen im rechten
Unterbauch [4, 8, 11, 17].
2.1.5. Diagnostik
Wie bereits erwähnt, wird mittlerweile versucht, die Diagnose im Rahmen einer
Sekundärprävention zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu stellen. Wichtig sind dafür die digital-rektale Austastung, mit der 10% aller kolorektalen und 25% der
Rektumkarzinome entdeckt werden und die Suche nach okkultem Blut im Stuhl, welche bei positivem Ergebnis weitergehende Diagnostik nach sich zieht [6, 8].
Beides wird ab dem 50. Lebensjahr im jährlichen Abstand im Rahmen der
Darmkrebsvorsorge von den Kostenträgern übernommen. Dazu kommt ab dem 55. Lebensjahr die Möglichkeit, zwei Koloskopien im Abstand von 10 Jahren in Anspruch zu nehmen [1]. Die komplette Koloskopie mit Biopsie bei pathologischem Gewebe, ist hierbei der Goldstandard, da auch mit der Rektosigmoidoskopie nur 60% der
kolorektalen Karzinome diagnostiziert werden können und auch synchrone Tumoren dabei entdeckt werden. Sollte diese nicht möglich sein, zum Beispiel bei Stenosen im Darm, ist die virtuelle Endoskopie (CT- oder MR-Kolonographie) die Alternative der Wahl [4, 8, 11]. Zudem sollte bei einer nicht passierbaren Stenose drei bis sechs Monate nach der Operation eine Koloskopie erfolgen [13].
Ist die Diagnose gestellt, muss zum Tumorstaging weitergehende Diagnostik erfolgen, welche in der aktuellen S3-Leitlinie aus dem Jahr 2013 festgelegt wurde [13]:
So kann die lokale Ausdehnung und Operabilität bei Kolonkarzinomen am besten mit Hilfe eines Mehrschicht-CTs beurteilt werden, wohingegen bei fortgeschrittenen
Rektumkarzinomen am ehesten ein MRT Hinweise auf ein, die Hüllfaszie tangierendes oder durchbrechendes, Tumorwachstum geben kann, was die Indikation zur
neoadjuvanten Radiochemotherapie (s.u.) bedeuten würde [11]. Bei Rektumkarzinomen wird zusätzlich eine starre Rektoskopie empfohlen.
Um präoperativ Lebermetastasen zu detektieren, sollte zunächst eine
Abdomen-Sonografie und dann gegebenenfalls eine Bildgebung mittels Mehrzeilen-CT oder auch MRT durchgeführt werden. Bei Verdacht auf Lungenmetastasen ist primär eine
Röntgenaufnahme des Thorax in zwei Ebenen und anschließend gegebenenfalls ein CT-Thorax indiziert.
Bei 15-20% der Patienten finden sich zum Zeitpunkt der Diagnose schon
Lebermetastasen [8]. Lungenmetastasen können in 3% der Fälle detektiert werden. Infiltrationen in umgebende Organe können durch Zystoskopie oder gynäkologische Untersuchung beurteilt werden.
Der Tumormarker CEA (Carcino-Embryonales Antigen) ist nicht tumorspezifisch, sollte aber vor der Operation bestimmt werden, da er, wenn exprimiert, mit der Tumormasse korreliert und sich somit zur postoperativen Verlaufskontrolle eignet [4]. Zur
präoperativen Bestimmung von CA19-9 gibt es keine Empfehlung; der Wert des präoperativ bestimmten CA125 ist noch unklar.
Differentialdiagnostisch ist je nach Symptomatik an gutartige Polypen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Ileozäkaltuberkulose oder proktologische
Erkrankungen wie Hämorrhoiden, Analfissur, Proktitis und Kryptitis zu denken [4].
2.1.6. Therapie des Rektumkarzinoms
Je nach Stadium des Tumors bei Diagnosestellung kommen kurative oder palliative Therapieoptionen in Betracht, welche operative Therapiemethoden, Radiotherapie, Chemotherapie oder Kombinationen dieser drei Möglichkeiten einschließen.
Seit 1999 existiert in Deutschland eine S3-Leitlinie für das kolorektale Karzinom, die flächendeckend eine evidenzbasierte, standartisiert hochwertige medizinische Versorgung der Patienten gewährleisten soll. Diese Leitlinie wurde 2004 als
vollständige Version dem aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst und 2008, 2009 und 2013 nochmals teilweise aktualisiert [13].
Da das zugrunde liegende Patientenkollektiv nur aus Patienten mit Rektumkarzinom besteht, wird im Folgenden ausschließlich auf die Therapie des Rektumkarzinoms eingegangen.
2.1.6.1. Operative Therapie
Die primär zu wählende Therapie des Rektumkarzinoms ist die kurativ intendierte operative Entfernung des tumortragenden Rektums sowie der umgebenden Lymphabflussstrukturen. Als Operationsmethoden stehen die anteriore
Rektumresektion mit partieller mesorektaler Exzision (PME) oder totaler mesorektaler Rektumresektion (TME), die abdominoperineale Rektumexzision, die
Diskontinuitätsresektion nach Hartmann und eingeschränkt radikale Verfahren wie die posteriore Resektion und die transanale Karzinomexstirpation zur Verfügung [13]. Bei Tumoren im oberen Rektumdrittel wird eine anteriore Rektumresektion mit PME und Wiederherstellung der Darmkontinuität empfohlen (vgl. Abb. 3), wobei die
Durchtrennung des Rektums 5 cm distal des makroskopischen Tumorrandes erfolgen sollte [13].
Tumoren im mittleren und unteren Drittel sollten mit einer anterioren Rektumresektion mit TME, also der Entfernung des kompletten Mesorektums mit Schonung der
autonomen Nervenstränge (Plexus hypogastricus superior, Nn.
hypogastrici und Plexus hypogastrici inferiores) für eine ungestörte postoperative Blasen- und Sexualfunktion therapiert werden [13]. Wird ein Rektumkarzinom radikal mit TME operiert und eine tiefe Anastomose angelegt, sollte leitliniengerecht ein temporäres Deviationsstoma angelegt werden, wobei Kolostoma und Ileostoma als gleichwertig zu betrachten sind [13].
Liegt der Rektumtumor näher als 2 cm am Schließmuskel oder ist gar darin eingewachsen, kommt als Operationsmethode nur noch die abdominoperineale Rektumexstirpation (Operation nach Miles) in Betracht, welche die komplette Entfernung des Sigmas, Rektums und Anus inklusive Sphinkterapparat und eine
stammnahe Ligatur der Arteria mesenterica inferior beinhalten (vgl. Abb. 4). Dabei wird obligat ein endständiges Deszendostoma (Anus praeter) angelegt [13].
Circa 80% der operablen Rektumtumoren können jedoch sphinctererhaltend operiert werden [11].
Abbildung 4: Schematische
Darstellung einer abdominoperinealen Rektum-exstirpation, Darmzentrum München [29]
Abbildung 3: Schematische Darstellung einer anterioren Rektumresektion, Darmzentrum München [29]
Die Hartmann-Operation, die eine Resektion des Sigmas und unteren Rektums mit Blindverschluss des Rektumstumpfes und Anlage eines Dezendostomas beinhaltet, wird heute für das Rektumkarzinom nicht mehr empfohlen und nur in Ausnahmefällen bei Notfalloperationen oder Patienten mit sehr hohem Operationsrisiko angewandt [30]. Sekundär kann dann die Kontinuität wiederhergestellt werden.
Ist der diagnostizierte Tumor jedoch noch in einem Frühstadium und einer Low-risk-Situation (G1-2, T1, N0, M0), besteht die Möglichkeit einer lokalen Tumorexzision (Vollwandexzision), die mit transanaler chirurgischer Exzision oder endoskopischer mikrochirurgischer Tumorabtragung durchgeführt werden kann, wobei das
Lymphgewebe im Körper verbleibt [30, 31]. Eine radikale Operation ist hierbei wegen der geringen Metastasierungswahrscheinlichkeit nicht nötig.
Seit 2013 wird in der S3-Leitlinie auch die laparoskopische Resektion des Tumors, bei entsprechender Expertise des Operateurs und geeigneter Selektion der Patienten, empfohlen [13]. Das onkologische Langzeit-Outcome wird demnach als gleichwertig zu demjenigen nach offener Resektion betrachtet, wobei die perioperative chirurgische Morbidität geringer ist. Dafür müssen im Durchschnitt längere Operationszeiten in Kauf genommen werden. Für die geforderte laparoskopische Expertise sind bislang jedoch noch keine spezifischen Kriterien validiert worden [13].
2.1.6.2. Perioperative Therapie
Grundlage für die Leitlinien-Empfehlungen der perioperativen Therapie beim
Rektumkarzinom sind große klinische Studien aus verschiedenen Ländern [13]. Einen Überblick über diese Studien bietet Tab. 7.
Beim Rektumkarzinom im Stadium UICC I ist eine perioperative Therapie nicht indiziert. Hier genügt die alleinige radikale operative En-bloc-Lymphknotendissektion und TME für Tumoren im unteren und mittleren Rektumdrittel und eine PME für Tumoren im oberen Rektumdrittel, um niedrige Lokalrezidiv- und/oder Fernmetastasenraten zu erreichen [13].
Für die Tumoren im fortgeschrittenen Stadium existieren unterschiedliche Therapieempfehlungen:
2.1.6.2.1. Präoperative Therapie
Eine präoperative Radiotherapie ist in Europa heutzutage Standard bei der Behandlung des lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinoms im unteren und mittleren Rektumdrittel [32]. Hierbei besteht die Möglichkeit einer alleinigen Bestrahlung oder aber einer Radiochemotherapie, wobei die Chemotherapeutika die Strahlensensibilität des Gewebes erhöhen sollen. Während bei einer Kurzzeitradiotherapie 5 mal 5 Gy an 5 aufeinanderfolgenden Tagen appliziert werden und die Operation unmittelbar nach Beendigung der Radiotherapie stattfindet, werden bei der Radiochemotherapie, fraktioniert in 25 bis 28 Einzeleinheiten mit je 1,8 Gy, insgesamt 45 bis 50,4 Gy Gesamtdosis verabreicht, begleitet von einer 5-Fluorouracil-monochemotherapie mit oder ohne Folinsäure [13]. Zwischen dieser Kombinationstherapie und der Operation sollten 4 bis 6 Wochen vergehen. Standardmäßig werden 1000 Milligramm 5-FU pro Quadratmeter Körperoberfläche pro Tag als Dauerinfusion in der ersten und sechsten Bestrahlungswoche gegeben [7, 13, 33].
Neue Substanzen und Kombinationen mit Medikamenten wie Capecitabin, Oxaliplatin oder Irinotecan zeigen bisher gute Ergebnisse bei den Remissionsraten und befinden sich derzeit in Phase-III-Studien [13]. Bei einer Langzeitbestrahlung ohne begleitende Chemotherapie ist die Rate an Lokalrezidiven deutlich höher [32, 34].
In Ausnahmefällen, bei cT1 / 2-Karzinomen mit fraglichem Lymphknotenbefall, ist auch die primäre Operation (mit ggf. adjuvanter Radiochemotherapie bei pN+) eine
Alternative [13].
In welchen Situationen eine Kurzzeit-Radio- oder eine Langzeit-Radiochemotherapie Anwendung finden, wird kontrovers diskutiert. Nach den aktuellen Leitlinien (Stand August 2014) ist eine Kurzzeitbestrahlung oder eine Radiochemotherapie möglich, wenn es sich um einen potenziell R0- und kontinenzerhaltend resezierbaren Tumor handelt, während bei einem Tumor, der nicht potentiell R0-resektabel und
kontinenzerhaltend operiert werden kann und bei dem somit zunächst ein Downstaging erfolgen muss, eindeutig eine Radiochemotherapie indiziert ist [7, 13]. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Radiochemotherapie einen eindeutigen Vorteil gegenüber der alleinigen Radiotherapie im Bezug auf Downsizing, Downstaging und Rate der R1-Resektionen gezeigt hat, wobei erwähnt werden muss, dass die Rate an
Kurzzeitbestrahlung [13, 35]. Auch eine Studie aus dem Jahr 2012 bestätigte diese Ergebnisse und ermittelte zudem einen Vorteil in der Gesamtüberlebensrate und eine niedrigere Anzahl der Lokalrezidive [34].
2011 wurde in einer Studie des Leiden University Medical Centre bei den 10-Jahres-Ergebnissen gezeigt, dass die neoadjuvant vorbehandelten Patienten
(Kurzzeitbestrahlung, 5 mal 5 Gy) ein mehr als 50% geringeres Risiko eines Lokalrezidivs, im Gegensatz zur alleinigen TME, haben [36, 37].
Übersicht der wichtigsten randomisierten Studien zur Therapie des Rektumkarzinoms
Therapie Studienarme Autoren Land Patientenzahl Ergebnisse
OP ± R(C)T Neoadj. KZRT vs. alleinige OP Folkesson et al. (2005) [38] Schweden (Swedish rectal cancer trial) 1168 LR: 11% vs. 27% OS: 5 Jahre : 58% vs. 48% 13 Jahre: 38% vs. 30% Peeters et al. ( 2007) [39], van Gijn et al. (2011) [37] Holland (Dutch Colorectal Cancer Group) 1861 LR: 5,6% vs. 10,9% (5 Jahre) Höhere RO-Resektionsrate Neoadj: KZRT vs. selektive adj. RCT Sebag-Montefiore et al. (2009) [40] England (MRC CR-07/NCIC-CTG C016) 1350 LR: 4,4% vs. 10,6% Neoadj. RT ± Chx Neoadj. RCT vs. Neoadj. RT Gerard et al. ( 2006) [41] Frankreich (FFCD 9203) 733 pCR: 11,4% vs. 3,6% LC 92% vs. 83% Neoadj. RT vs. Neoadj. RCT vs. Neoadj. RT +postop.Chx vs. Neoadj. RCT +postop. CHx Bosset et al. (2006) [42] EORTC 22921 1011 LR:
deutlich niedriger bei Chx (17.1% vs. 8.7%, 9.6%, 7.6%) pCR: 5% vs. 14% durch Chx RCT vor/nach OP Neoadj. vs. adj. RCT Sauer et al. (2004) [43] Deutschland (CAO/ARO/AIO) 823 LR: 6% vs. 13% Sphinctererhalt: 39% vs 19% Geringere Toxizität nach neoadj. Therapie Roh et al. (2009) [44] USA (NSABP R-03) 267 DFS: 64,7% vs. 53,4% OS: tendenziell besser Park et al. (2011) [45]
Korea 240 Sphinctererhalt bei tiefen
Rektumkarzinomen 68% vs. 42%
Tabelle 7: Die wichtigsten Studien zur Therapie des Rektumkarzinoms frei nach M. Wolf, F. Zehentmayr, C. Belka: Strahlentherapie des Rektumkarzinoms, 2012 [32], (RCT=
Radiochemotherapie, RT= Radiotherapie, KZRT= Kurzzeitradiotherapie, OP= Operation, Chx= Chemotherapie, vs.= versus, LR=Lokalrezidirate, OS=Gesamtüberleben, pCR=pathologische
Für Tumoren im oberen Rektumdrittel wird die Strahlentherapie noch kontrovers diskutiert, sodass für diese keine eindeutige Therapieempfehlung existiert. Möglich ist die Behandlung wie bei einem Kolonkarzinom mit adjuvanter Therapie oder wie bei einem Rektumkarzinom mit perioperativer Radio(chemo-)therapie [13].
Führt die neoadjuvante Therapie zu einer totalen Remission (was vor allem durch Chemotherapie begünstigt wird [41, 42]), kommt die Frage auf, ob eine Operation bei einem immer älter werdenden Patientenkollektiv noch unbedingt notwendig ist.
Momentan geben Studien Grund zur Annahme, dass bei engmaschigen
Verlaufskontrollen und bei speziellen Auswahlkriterien, eine alleinige Beobachtung möglich sein könnte [46].
Generell besteht bei neoadjuvanter Therapie immer die Gefahr des „overtreatments“ [32]. Dies kann durch ein sogenanntes „Overstaging“ passieren, also der Möglichkeit, dass ein Tumor präoperativ als weiter fortgeschritten (T3- oder N+-Situation)
eingeschätzt wird als er eigentlich ist. Hervorgerufene Nebenwirkungen wären damit eventuell vermeidbar gewesen.
Da jedoch ein Patient, der fälschlicherweise keine neoadjuvante Therapie erhält, dann mit einer adjuvanten Radiochemotherapie vorlieb nehmen muss, die in Studien höhere Lokalrezidivraten und Toxizität zeigte, muss abgewogen werden, inwiefern ein
„overtreatment“ nicht besser zu vertreten ist, als ein „undertreatment“ [47].
2.1.6.2.2. Postoperative Therapie
Ziel der adjuvanten Therapie ist eine Senkung der Lokalrezidiv- und
Fernmetastasenrate sowie eine Verbesserung der Gesamtüberlebensrate [32]. Bei Patienten, die keine neoadjuvante Therapie erhalten haben und bei einem
Rektumkarzinom im UICC-Stadium I R0-reseziert wurden, besteht keine Indikation für eine adjuvante Therapie. Patienten ohne präoperative Therapie in den UICC-Stadien II und III sollten eine adjuvante Radiochemotherapie erhalten. Auch Patienten mit einer R1-Resektion oder intraoperativem Tumoreinriss sollte eine postoperative
Radiochemotherapie angeraten werden, falls sie keine neoadjuvante Behandlung erhalten haben [13].
Ist die präoperative Radiochemotherapie erfolgt, wird in der Leitlinie empfohlen, unabhängig vom postoperativen Tumorstadium (also auch bei einer kompletten Remission), eine adjuvante Chemotherapie, entweder als 5-FU-Monotherapie oder kombiniert mit Folinsäure, durchzuführen [13]. Die EORTC-Studie 2006 zeigte nämlich, dass es auch dann durch die adjuvante Chemotherapie noch zu einer zusätzlichen Senkung der Lokalrezidivrate kommt, wenn bereits präoperativ eine
Radiochemotherapie durchgeführt wurde [42].
Der aktuelle Standard der adjuvanten Therapie ist, sofern keine Kontraindikationen gegen eine der beiden Therapiebestandteile vorliegen, die Radiochemotherapie, basierend auf einer 5-FU-Chemotherapie [13]. Dies liegt darin begründet, dass im Gegensatz zur alleinigen postoperativen Radiotherapie, nicht nur die Lokalrezidivrate, sondern auch das Gesamtüberleben verbessert wird. Eine alleinige postoperative Chemotherapie ist der Kombinationstherapie unterlegen [13].
Die Patienten im UICC-Stadium II und III sollten postoperativ nach einem Sandwich-Schema behandelt werden [13, 47]. Dabei wird innerhalb der ersten zwei Monate über insgesamt zwei Wochen eine FU-basierten Chemotherapie verabreicht und
anschließend über sechs Wochen eine gleichzeitig ablaufenden Chemo- und
Radiotherapie durchgeführt. Abschließend erhalten die Patienten nochmals über zwei Monate insgesamt zwei Wochen Chemotherapie [47].
Die Chemotherapie, die gleichzeitig zur Bestrahlung verabreicht wird, kann nach dem lange Zeit als Standardtherapie gültigen NCI-Therapieschema (National Cancer Institute 1995) als Bolusapplikation erfolgen oder nach dem von O’Connell et al. modifizierten Schema als niedrig dosierte 5-FU-Dauerinfusion [13, 48, 49].
Zudem hat eine Studie aus Korea bereits 2002 gezeigt, dass eine Minimierung des zeitlichen Abstands zwischen Operation und adjuvanter Radiotherapie, wie es aus tumor- und strahlenbiologischen Gründen folgerichtig wäre, signifikante Vorteile im tumorfreien Überleben bedingt [50].
Auch eine deutsche Studie reduzierte bei einem Kontrollarm das Zeitintervall zwischen Operation und Bestrahlung auf vier Wochen und entwarf ein Schema, das auch in der aktuellen Leitlinie als Alternative zum NCI-Schema angegeben wird [13, 43].
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der als adjuvante Therapie zur Verfügung stehenden Alternativen, zeigt Tab. 8.
Woche 1 2 -4 5 6 -9 10 11 12 13 14 15 1 6-1 9 20 2 1-2 4 25 NCI 1995 [51] 4-8 Wochen postop. 500 mg 5-FU/ m2 KOF /d Tag 1-5 P A U S E 500 mg 5-FU/ m2 KOF /d Tag 36-40 P A U S E
Radiotherapie 5 mal wöchentlich 1,8 Gy, Gesamtdosis 45 Gy,
Dosisaufsättigung auf 50,4 Gy(im Gebiet des höchsten
Lokalrezidivrisikos) P A U S E 450 mg 5-FU/ m2 K OF/d Tag 134-138 P A U S E 450 mg 5-FU/ m2 K OF/d Tag 169-173 500 mg 5-FU/m2 K OF/d Tag 64-66 500 mg 5-FU/m2 K OF/d Tag 99-101 O’Connell-Schema 1994 [49] 4-8 Wochen postop. 500 mg 5-FU/ m2 KOF /d Tag 1-5 P A U S E 500 mg 5-FU/ m2 KOF /d Tag 1-5 P A U S E
Radiotherapie 5 mal wöchentlich 1,8 Gy, Gesamtdosis 45 Gy,
Dosisaufsättigung auf 50,4 Gy(im Gebiet des höchsten
Lokalrezidivrisikos) P A U S E 450 mg 5-FU/ m2 K OF/d Tag 134-138 P A U S E 450 mg 5-FU/ m2 K OF/d Tag 134-138 225 mg 5-FU/ m2 KOF/d Täglich CAO/ARO/ AIO-94-Studie 2004 [43] 4 Wochen postop. Radiotherapie 5 mal wöchentlich in Einzeldosen von 1,8 Gy in 28 Fraktionen bis zu einer Gesamtdosis von 50,4 Gy (+ Boost von 5,4 Gy) P A U S E 500 mg 5-FU/ m2 KOF /d i.v.- Bolus-Gabe Tag 64-68 P A U S E P A U S E P A U S E P A U S E 500 mg 5-FU/ m2 KO F/d i.v.- Bolus-Gabe Tag 99-103 P A U S E 500 mg 5-FU/ m2 K OF/d i.v.- Bolus -Gabe Tag 134-138 P A U S E 500 mg 5-FU/ m2 K OF/d i.v.- Bolus -Gabe Tag 169-173 1000 mg 5-FU/m2 KOF/d 120h-Daueri nfusion P A U S E 1000 mg 5-FU/m2 KOF/d 120h-Daueri nfusion
Tabelle 8: Behandlungsschemata zur adjuvanten Therapie des Rektumkarzinoms [13, 43, 47, 49, 51]
Abschließend bleibt anzumerken, dass Nachteile der adjuvanten gegenüber der neoadjuvanten Therapie beim Rektumkarzinom, der geringere Einfluss auf die Lokalrezidivrate, die höhere akute und chronische Toxizität und somit die niedrigere Patientencompliance sind. Bei der CAO/ARO/AIO-Studie von Sauer et al. konnte in 90% der Fälle die RCT präoperativ, hingegen nur in ca. 50% der Fälle postoperativ verabreicht werden [32, 43].
2.1.6.2.3. Therapie bei Metastasierung oder in einer palliativen Situation
Beim primär metastasierten Rektumkarzinom gibt es keine therapeutische
Standardempfehlung. Die Prognose wird dann hauptsächlich durch die Metastasierung bestimmt.
Handelt es sich um resektable Metastasen, sollten Lungenmetastasen und, auf die Leber beschränkte R0-resezierbare Metastasen, reseziert werden, wobei die
Beurteilung der Resektabilität unbedingt einem in der Metastasenchirurgie erfahrenen Chirurgen überlassen werden sollte [13]. Bei Lebermetastasen und einem Fong-Score > 2 (siehe Tab. 10), sollte präoperativ ein FDG-PET-CT
(18F-Fluordeoxyglukose-Positronenemissionstomographie/Computertomographie)veranlasst werden, da dies bei etwa 25% der Patienten zur Detektion weiterer Metastasen und somit zur Änderung des therapeutischen Vorgehens führt. Bei resektablen Lebermetastasen kann eine
systemische neoadjuvante Therapie in Ausnahmefällen erwogen werden, um die Ergebnisse einer nachfolgenen kurativ intendierten chirurgischen Intervention zu verbessern [13]. Da auch nach R0-Resektion von Lebermetastasen nur 30% der
Patienten langfristig rezidivfrei bleiben, kann zudem eine adjuvante Therapie in Betracht gezogen werden. Eine Zusammenfassung der Empfehlungen zum Vorgehen bei
Empfehlung EG ES Konsens
Resektion der Metastasen, wenn resektabel A 3b stark
Beurteilung durch erfahrenen Chirurgen stark
PET bei FONG-Score>2 B 3 stark
Perioperative (neoadjuvante/adjuvante) Chemotherapie in Ausnahmefällen
0 3 stark
Adjuvante Chemotherapie B 2 stark
Tabelle 9: Zusammenfassung der Empfehlungen für Patienten im Stadium IV, Gruppe 1(resektable Metastasen) [13]
Tabelle 10: Klinischer Risikoscore nach Yuman Fong 1999 [30]
Sofern diese nicht zu einem anderen Vorgehen zwingen, sollte bei irresektablen
Fernmetastasen, abhängig von der Symptomatik und der Tumorlast, eine systemische Chemotherapie oder eine intensivierte Radiochemotherapie (z.B. mit Oxaliplatin) angewandt werden, da hier ein signifikanter Überlebensvorteil (medianes Überleben zwei Jahre) gegenüber „best supportive care“ (durchschnittliche Überlebenszeit ungefähr sechs Monate) gezeigt wurde [52]. Wird die Indikation für eine systemische Therapie gestellt, wobei das Alter bei Berücksichtigung der Begleiterkrankungen keine Kontraindikation darstellt, kann der Primärtumor in situ belassen werden, sofern er klinisch nicht relevant wird, wie es durch Stenosen oder Blutungen geschehen kann [13].
In jedem Fall sollte der Patient im Verlauf seiner Therapie die Möglichkeit haben, alle Medikamente mit erwiesener Wirksamkeit in Anspruch zu nehmen. Dabei handelt es sich zum einen um Chemotherapeutika wie Fluoropyrimidine, Oxaliplatin und Irinotecan
Befund Punkte
Größe der Einzelmetastase > 5cm 1
Krankheitsfreies Intervall < 12 Monate 1
Anzahl der Metastasen > 1 1
Nodal positiver Primärtumor 1
und zum anderen um molekulare Therapeutika wie Bevacizumab („Vascular Endothelial Growth Factor“ [VEGF]-Antikörper) oder Cetuximab/Panitumumab („Epidermal Growth Factor Receptor“ [EGFR]-Antikörper.
Zusätzlich zu diesen allgemeinen Empfehlungen bei irresektablen Metastasen gibt es noch einige spezielle Anmerkungen. So sollten Patienten, deren Metastasen nach Verkleinerung potentiell resektabel werden könnten, die effektivste verfügbare systemische Kombinationstherapie erhalten und dabei regelmäßig auf Resektabilität überprüft werden, da bei einer Resektion mit möglichst kurzer Dauer der
Chemotherapie die perioperative Morbidität reduziert wird [52]. Patienten mit
tumorbedingten Symptomen sollten, abhängig vom allgemeinen Gesundheitszustand, eine intensivierte Therapie erhalten, die aus einer Kombination von zwei
Chemotherapeutika mit oder ohne monoklonalen Antikörpern besteht und welche bei gutem Ansprechen bald verringert werden kann. Zuletzt kann bei Patienten, deren multiple Metastasen auch nach Vorbehandlung nicht potentiell resezierbar werden und die keine tumorbezogenen Symptome oder andere schwere gesundheitlichen
Einschränkungen haben, die Erstlinientherapie zunächst durch eine Monotherapie ersetzt werden, die dann von einer Kombinationstherapie abgelöst wird, was in Studien die gleiche Überlebensrate wie eine primäre Kombinationstherapie gezeigt hat [52].
2.1.7. Nachsorge
Ziel der Nachsorge ist die frühzeitige Erkennung von Lokalrezidiven und Fernmetastasen. Zur leitliniengerechten Routinekontrolle gehören hierbei eine ausführliche Anamnese mit besonderem Augenmerk auf Stuhlgewohnheiten und eventuell auftretende sakrale Schmerzen, die Bestimmung von Tumormarkern als Verlaufsparameter sowie als bildgebenden Verfahren die Sonographie zur Diagnostik von Lebermetastasen und die Koloskopie zur Detektion von Lokalrezidiven und Zweittumoren. Im Gegensatz zur Koloskopie ist die Sigmoidoskopie (oder alternativ starre Rektoskopie) nur bei Patienten mit Rektumkarzinom im UICC-Stadium II und III empfohlen, die keine perioperative Therapie erhalten haben [13]. Die Verfasser der aktuellen Leitlinie empfehlen hingegen weder die Computertomographie, bei der die Diagnose vereinfacht, jedoch die Gesamtüberlebensrate nicht beeinflusst wird, noch die
Röntgenuntersuchung des Thorax, die zur Erkennung von Lungenmetastasen Teil vieler Nachsorgeprogramme ist, bei der jedoch aufgrund der aktuellen Studienlage keine eindeutige Empfehlung ausgesprochen werden kann. Da in den ersten beiden postoperativen Jahren 80% der Rezidive auftreten und nach dem 5. Nachsorgejahr praktisch keine mehr, umfasst die Nachsorge normalerweise eine Dauer von 5 Jahren [13].
Eine Übersicht über die Nachsorgeprogramme bietet Tab. 11:
Monate 3 6 12 18 24 36 48 60
Anamnese, körperliche Untersuchung, CEA X X X X X X X
Koloskopie X1 X2 Adomensonographie X X X X X X X Sigmoidoskopie/Rektoskopie3 X X X X X X X Spiral-CT X Röntgenthorax 4 1
wenn keine vollständige Koloskopie präoperativ erfolgt ist
2 bei unauffälligem Befund ,nächste Koloskopie nach 5 Jahren 3
nur wenn keine adjuvante/neoadjuvante Therapie erfolgt ist
4 nur beim Rektumkarzinom 3 Monate nach Abschluss der
Multimodalen Therapie als Ausgangsbefund UICC II und III
Low-risk-pT1-Karzinom
Tabelle 11: Leitliniengerechte und Tumorstadien- adaptierte Nachsorge beim Rektumkarzinom [6, 13, 53]
2.1.8. Prognose
Die Prognose bezüglich der 5-Jahresüberlebensrate beträgt in der Gesamtheit aller operablen kolorektalen Karzinome etwa 40-50% [3]. Mit einem Lokalrezidiv ist in rund 20% der Fälle zu rechnen, wobei sie beim Rektumkarzinom deutlich höher liegt [8]. Allerdings ist es mittlerweile gelungen, mit Hilfe der TME die Lokalrezidivrate des Rektumkarzinoms auf 10% zu senken und bei zusätzlicher optimaler multimodaler Therapie weiter auf 6% [54]. Entscheidend abhängig ist die Prognose vom Stadium der
Erkrankung bei Erstdiagnose. So beträgt die 5-Jahres-überlebensrate im Dukes-Stadium A 90-100%, im Dukes-Stadium B 60-85% und im Dukes-Stadium C nur 25-60%. Bestehen bei Diagnosestellung bereits Fernmetastasen, sinkt die 5-Jahresüberlebensrate auf 15-20% [4, 7].
2.2. Fragestellung
Neben der Verlängerung des progressionsfreien Überlebens und des
Gesamtüberlebens wird auch der Verbesserung der langfristigen Lebensqualität von Patienten mit kolorektalem Karzinom immer mehr Beachtung geschenkt. So hat sie bereits in zahlreichen Empfehlungen der S3-Leitlinie als wichtiger Parameter zur Wahl der bestmöglichen Therapieoption Eingang gefunden [13].
Ziel der vorliegenden Studie war es zunächst, in einem Kollektiv bestehend aus Patienten mit kurativ intendiert therapiertem Rektumkarzinom, mithilfe von
standardisierten und validierten Fragebögen die allgemeine und krankheitsspezifische Lebensqualität zu erfassen. Anschließend sollte ermittelt werden, ob und inwiefern neben der Therapie auch die Faktoren Alter, Geschlecht und Vorhandensein eines Stomas Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten hatten; beziehungsweise welche Patientengruppen besonders von adjuvanter, neoadjuvanter oder Verzicht auf
Radio(chemo-)therapie profitierten.
3. Krankengut und Methoden
3.1. Ein- und Ausschlusskriterien
In die Studie eingeschlossen wurden Patienten mit sporadisch aufgetretenem Rektumkarzinom, die kurativ intendiert operiert wurden.
Als Ausschlusskriterien wurden Zweittumorgeschehen, Rezidiv, Metastasen und Exitus letalis definiert. Auch Patienten mit Rektumtumoren, die in Assoziation mit einer
chronisch-entzündlichen Darmerkrankung oder durch genetische Prädisposition entstanden waren, wurden von der Studie ausgeschlossen.
3.2. Erhebung der Patientendaten
Das ursprünglich zur Datenanalyse ausgewählte Kollektiv umfasste 194 Patienten, die im Zeitraum von 2000 bis 2009 in der Chirurgischen Klinik und Hochschulambulanz I, Abteilung für Allgemein-, Gefäß- und Thoraxchirurgie der Medizinischen Fakultät Charité - Universitätsmedizin Berlin am Campus Benjamin Franklin, mit der Diagnose „Rektumkarzinom“ operiert wurden. Von diesen Patienten wurden dann in mehreren Schritten die Stamm-, perioperativen und Nachsorgedaten, sowie schlussendlich Daten zur aktuellen Lebensqualität erhoben.
3.2.1. Erhebung der Stamm- und perioperativen Daten
In der elektronischen Datenbank der Chirurgischen Klinik und Hochschulambulanz I der Medizinischen Fakultät Charité – Universitätsmedizin Berlin am Campus Benjamin Franklin wurden alle Stamm- und relevanten Klinikdaten kontinuierlich gespeichert. Somit konnten die Stammdaten sowie die Daten zum Therapieschema, zu möglichen Komplikationen und zum Operations- und postoperativen Verlauf diesem
Datenspeichersystem entnommen werden.
3.2.2. Erhebung der Daten zu Tumornachsorge und Langzeit-OP-Outcome
Da die Tumornachsorge des Rektumkarzinoms zumeist ambulant erfolgt, wurden im Folgenden die betreuenden Hausärzte der Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllten, postalisch kontaktiert. Die Briefe an die zuständigen Ärzte enthielten, neben einem Anschreiben einen für diesen Zweck erstellten Fragebogen für jeden sich bei ihnen in Behandlung befindenden Patienten. In diesem mit Namen und Geburtsdatum personalisierten Fragebogen wurden Daten zur Tumornachsorge, zum Überleben, zur Therapie sowie zum aktuellen Befinden des Patienten abgefragt (vgl. Tab. 12).
Die Fragen zur Tumornachsorge enthielten das Follow-up (in Jahren), das Datum des letzten Kontakts und eine Angabe darüber, ob die Nachsorge regelmäßig
wahrgenommen wurde. Wenn dem Hausarzt bekannt war, dass der Patient inzwischen verstorben war, war dies, wenn möglich, mit Todesursache und -zeitpunkt zu ergänzen. Bezüglich der Therapie war anzugeben, ob der Patient im Rahmen der Nachsorge eine
multimodale Therapie erhalten hatte, beziehungsweise die Gründe falls dies nicht der Fall war. Im letzten Teil wurde der betreuende Hausarzt, sofern er noch in Kontakt mit dem jeweiligen Patienten stand, über den aktuellen Zustand des Patienten befragt. Dabei sollte er sich darüber äußern, ob der Patient an einem Rezidiv oder sonstigen schwerwiegenden Begleiterkrankungen und wenn ja, an welchen, litt und auf einer Ordinalskala von „sehr gut“ bis „stark eingeschränkt“ die kognitiven Fähigkeiten dieses Patienten bewerten sowie den Grund von möglichen Einschränkungen angeben.
Tumornachsorge Überleben
-Follow-up -letzter Kontakt
-wurde die Nachsorge regelmäßig wahrgenommen
-Patient bereits verstorben? -wenn ja, wann?
-Todesursache?
Therapie Aktueller Zustand
-hat der Patient eine multimodale Therapie erhalten?
-wenn nein, warum nicht?
-kognitive Leitungsfähigkeit 1-5 -wenn Einschränkungen, warum? -schwerwiegende Begleiterkrankungen Tabelle 12: inhaltliche Zusammenfassung des Fragebogens an die Hausärzte der Patienten
Ziel der versendeten Briefe an die betreuenden Hausärzte und des darin enthaltenen Fragebogens war es, vor einer direkten Kontaktaufnahme mit dem Patienten, dessen möglichen Ausschluss aus der Studie aufgrund von Rezidiven, Tod oder schweren Begleiterkrankungen, zu ermitteln und eine professionelle und objektive Meinung über eventuelle kognitive und physische Einschränkungen sowie die Einhaltung der
Therapierichtlinien im Voraus zu erhalten.
Da einige Briefe nicht zugestellt werden konnten oder nicht beantwortet wurden,
beziehungsweise bei einigen Patienten die behandelnden Ärzte nicht mehr zu ermitteln waren, wurde zusätzlich versucht, das Überleben dieser Patienten mit Hilfe des
Gemeinsamen Krebsregisters für Berlin und die neuen Bundesländer, das einer
ständigen Aktualisierung der Sterbedaten durch die Melderegister unterliegt, zu ermitteln.
3.2.3. Erhebung der Lebensqualitätsdaten
Den Patienten, die bisher keine Ausschlusskriterien erfüllt hatten, wurden nun Fragebögen zugesendet. Dabei handelte es sich um validierte und standardisierte Fragebögen, die von der European Organisation for Research and Treatment of
Cancer (EORTC) zur Ermittlung der gesundheitsabhängigen Lebensqualität erarbeitet
wurden. Verwendung fanden in dieser Arbeit der Fragebogen QLQ-C30, der die
allgemeine Lebensqualität abfragt und der krankheitsspezifische Fragebogen CR29, der speziell für Patienten mit kolorektalem Karzinom entwickelt wurde. Zusätzlich wurde noch ein eigener Fragebogen beigelegt, der Rezidive, andere Tumorgeschehen, andere schwere Erkrankungen und Medikamente erfragte, um schwerwiegende Einflüsse auf die angegebenen Lebensqualitäten ausschließen zu können.
Der QLQ-C30 ist ein Fragebogen zur allgemeinen Lebensqualität. Er besteht aus 30 Fragen, von denen zwei zur Ermittlung der aktuellen Gesamtlebensqualität und des Gesundheitszustandes dienen, 15 in die Auswertung von Funktionalitätsskalen
einfließen und 13 zur Erstellung von Symptomskalen verwendet werden (vgl. Anhang Abb. 3 und 4). Die fünf Funktionalitätsskalen, die jeweils aus mehreren Fragen
zusammengesetzt sind, beschreiben die körperliche, emotionale, soziale und kognitive Funktionalität sowie die Rollenfunktionalität des Patienten. Die Symptomskalen
hingegen ermitteln aus verschiedenen Fragen die Punkte Müdigkeit, „Übelkeit und Erbrechen“ und Schmerzen und erfragen als sechs Einzelpunkte Dyspnoe,
Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Obstipation, Diarrhoe und „finanzielle Probleme“. Die Werte aller Skalen und Einzelpunkte variieren zwischen 0 und 100, wobei hohe Werte bei den Funktionalitätsskalen und der Gesamtlebensqualität eine gesunde
Funktionalität bzw. hohe Lebensqualität bedeuten. Hohe Werte bei den Symptomskalen sprechen hingegen für eine ausgeprägte Symptomatik.
Der QLQ-CR29 ist ein spezieller Fragebogen zur Ermittlung der krankheitsbezogenen Lebensqualität bei Patienten mit kolorektalem Karzinom, unabhängig von
Krankheitsstadium und erhaltener Therapie. Bei diesem Fragebogen existieren unterschiedliche Fragen für Stoma- bzw. Nicht-Stoma-Patienten und Frauen bzw.
Männer. Neben 18 Fragen, die für alle Patienten gleich sind, haben Patienten mit einem Stomabeutel sieben spezifische, Patienten ohne Stomabeutel sechs spezifische Fragen
zu beantworten (vgl. Anhang Abb. 5 und 6). Am Ende des Fragebogens befinden sich für Männer und Frauen zusätzlich jeweils noch zwei Fragen zur sexuellen Aktivität. Auch hier fließen die erhaltenen Antworten zum Einen in Funktionalitätsskalen und zum Anderen in Symptomskalen ein. Die Funktionalitätsskalen ermitteln Körperbewusstsein, Angst, Gewicht und sexuelle Funktionalität, während die 18 Symptomskalen, von denen sich drei aus je zwei Fragen zusammensetzten und die 15 restlichen Skalen als
Einzelpunkte erfragt werden, die krankheitsspezifische Symptomatik der Patienten ermitteln. Dabei werden beispielsweise Stuhl- und Harnfrequenz, Bauchschmerzen, Haarverlust und Xerostomie als Indikatoren zur Beurteilung der Schwere der
Symptomatik herangezogen.
Die Werte variierten auch bei diesem Fragebogen zwischen 0 und 100. Hohe Werte bedeuten auch hier, wie bereits beim Fragebogen QLQ-C30 erklärt, ein hohes Maß an Funktionalität beziehungsweise Symptomatik.
Erwähnt werden muss hier, dass die Funktionalitätsskalen für das sexuelle Interesse bei Männern und Frauen wie Symptomskalen berechnet werden, um vergleichbar einen hohen Wert für ein großes sexuelles Interesse zu erhalten.
Die Auswertung der Fragebögen erfolgt nach einer, von der EORTC ausgearbeiteten Anleitung. Dabei wird für jede Skala zunächst einmal der „Raw score“ ermittelt, der dem Durchschnittswert der in die Skala einfließenden Fragen entspricht.
Berechnung des Raw scores: Raw score= RS= (I1+ I2+ I3+ …In)/n
Anschließend wird der Raw Score durch lineare Transformation zu dem Endergebnis „S“, zwischen 0 und 100 liegend, umgerechnet.
Lineartransformation:
Funktionalitätsskalen:
Symptomskalen:
Allgemeiner Gesundheitszustand/
Mit „range“ wird die Bandbreite zwischen dem niedrigsten möglichen Wert und dem höchsten möglichen Wert bei der Antwort, bezeichnet. Dieser entspricht im QLQ-C30 bei den Funktionalitäts- und Symptomskalen dem Wert 3 und beim globalen
Gesundheitsstatus (allgemeiner Gesundheitszustand und Lebensqualität), zu dem sieben Werte als Antwortmöglichkeiten gegeben werden, dem Wert 6. Auch beim QLQ-CR29 beläuft sich die „range“ für alle, in die Berechnung einfließenden Fragen, auf den Wert 3.
3.2.4. Erhebung der Daten zur Beurteilung der Kontinenzleistung
Zur Einteilung der Stuhlinkontinenz wurde die klinische Einteilung nach Parks in drei Grade verwendet, wie in Tab. 13 dargestellt.
Stuhlinkontinenz nach Parks
Grad 1 Unkontrollierter Abgang von Winden
Grad 2 Unkontrollierter Abgang von dünnflüssigem Stuhl
Grad 3 Unkontrollierter Abgang von geformtem Stuhl Tabelle 13: klinische Einteilung der Stuhlinkontinenz nach Parks [55]
Die Stuhlkontinenzleistung der Patienten wurde mit Hilfe von zwei Fragen aus dem EORTC-Fragebogen QLQ-CR29 ermittelt. Frage 19 dieses Fragebogens erfragte unfreiwillige Darmgasentweichungen beziehungsweise Flatulenzen, während Frage 20 ungewollte Stuhlabgänge thematisierte. Eine Unterscheidung in dünnflüssigen und geformten Stuhl gab es in dem Fragebogen nicht. Aus diesem Grund wurden bei der Auswertung der Fragebögen Inkontinenz Grad 2 und Grad 3 zusammengefasst. Diese Fragen wurden Patienten mit und ohne Stoma separat gestellt, wobei die Patienten ohne Stoma nach Inkontinenz des natürlichen Darmausgangs und die Patienten mit Stoma nach Darmgas- und Stuhlabgang aus dem Stomabeutel befragt wurden.
Da die Kontinenzleistung klassischerweise nur bei Patienten mit natürlichem
Darmausgang betrachtet wird, wurden nur die Antworten der 55 Patienten ohne Stoma untersucht.