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Allgemeine und krankheitsspezifische Lebensqualität des Gesamtkollektivs

5. Diskussion

5.1. Allgemeine und krankheitsspezifische Lebensqualität des Gesamtkollektivs

Um die Werte, die das Patientenkollektiv der Studie im Durchschnitt für die allgemeine Lebensqualität angab, einschätzen zu können, können sie mit Durchschnittswerten der gesunden Allgemeinbevölkerung verglichen werden. Dazu wurde die deutsche Studie von R. Schwarz et al. (2000) [57] mit einem Kollektiv aus 2028 Teilnehmern verwendet.

Zudem wurde die schwedische Studie von H. Michelson et al. (2000) [65] mit 3069 Teilnehmern und die norwegische Studie von M. J. Hjermstad et al. mit 1965

Teilnehmern (1998) [66] zum Vergleich mit hinzugezogen. Diese Studien bewerten die Lebensqualität eines Querschnitts der Bevölkerung. Die genauen Werte sind in Tab. 40 dargestellt.

Die 77 Patienten unserer Studie bewerteten ihren globalen Gesundheitsstatus im Durchschnitt mit einem Wert von 67,8 (±20,9) Punkten. Dieser Wert liegt etwas

niedriger als in der deutschen, schwedischen und norwegischen Allgemeinbevölkerung.

Auch in den Funktionalitätsskalen des QLQ-C30 bewerteten die Patienten unserer Studie ihre Funktionalität schlechter als die Allgemeinbevölkerungen in Deutschland, Schweden und Norwegen es taten; die Werte variieren jedoch in einem begrenzten Bereich von 70,2 bis 91,2 Punkten. Dass die Funktionalität eines Kollektivs mit Karzinompatienten im Durchschnitt niedriger ist als die der gesunden

Normalbevölkerung ist zu erwarten, jedoch scheinen Rollen- und soziale Funktionalität, mit einer Differenz von mehr als 17 Punkten zur deutschen Allgemeinbevölkerung, besonders betroffen zu sein. Explizit werden dabei Beeinträchtigungen im

Familienleben und im sozialen Umfeld sowie Einschränkungen bei alltäglichen Tätigkeiten und Freizeitaktivitäten abgefragt, die anscheinend durch die

Krebserkrankung erheblich sind. Es ist jedoch nachvollziehbar, dass eine maligne Erkrankung mit stationärem Aufenthalt, operativem Eingriff und gegebenenfalls (neo-) adjuvanter Therapie einerseits eine Belastung für den Patienten und die gesamte Familie darstellt und andererseits einen sozialen Rückzug des Patienten bedingen kann.

In den Symptomskalen, in denen hohe Werte eine hohe Symptomatik und somit eine niedrige Lebensqualität bedeuten, hatten die Patienten aus der vorliegenden Studie, im Vergleich zu der deutschen, schwedischen und norwegischen Allgemeinbevölkerung, mit Abstand die höchsten Werte. In allen drei Vergleichsstudien waren die

Symptombereiche, in denen die Allgemeinbevölkerung die größte Beinträchtigung angab, Schmerzen, Müdigkeit und Schlaflosigkeit. In diesen Bereichen fühlte sich auch das in dieser Studie betrachtete Kollektiv stark beeinträchtigt, wobei jedoch zusätzlich Durchfall, Verstopfung, Dyspnoe und finanzielle Probleme eine große Rolle spielten.

Die vermehrten Probleme bei der Stuhlregulation erklären sich, wenn man in Betracht zieht, dass unser Kollektiv nur aus Patienten mit therapiertem Rektumkarzinom besteht, während die finanziellen Probleme sich mit dem langwierigen Verlauf und

krankheitsbedingtem Ausfall erklären lassen könnten. Auch kann man sich vorstellen, dass durch eine Krebserkrankung mit anschließender Therapie zusätzliche Kosten entstehen. Die vermehrte Dyspnoe in dem untersuchten Kollektiv könnte mit den vermehrten Begleiterkrankungen bei höherem Durchschnittsalter zusammenhängen.

Schwarz et al. [57]

Michelson et al. [65]

Hjermstad et al. [66]

Vorliegende Studie

Jahr 2001 2000 1998 2015

n 2028 3069 1965 77

Allgemeine Lebensqualität

70,8 (±22,1) 74,7 (±22,2) 73,7 67,8 (±20,9)

Körperliche Funktionalität

90,1 (±16,7) 88,0 (±17,7) 89,9 79,7 (±21,7)

Rollen-funktionalität 88,0 (±22,9) 86,0 (±24,4) 92,8 70,2 (±27,9) Emotionale

Funktionalität

78,7 (±21,0) 78,3 (±21,9) 82,8 77,2 (±24,5)

Kognitive Funktionalität

91,2 (±17,0) 88,5 (±17,7) 86,5 85,1 (±17,6)

Soziale

Funktionalität

91,0 (±19,4) 90,4 (±19,6) 85,8 71,8 (±31,3)

Müdigkeit 17,1 (±22,0) 23,4 (±22,4) 28,8 31,1 (±25,4) Übelkeit/Erbrechen 2,8 (±9,9) 3,7 (±10,9) 4,0 4,7 (±13,9) Schmerzen 15,4 (±24,4) 20,6 (±26,9) 20,5 23,1 (±28,7) Dyspnoe 8,1 (±20,3 16,4 (±24,4) 14,3 20,9 (±27,9) Schlaflosigkeit 16,4 (±27,2) 20,3 (±27,5) 20,4 25,3 (±29,9) Appetitlosigkeit 5,4 (±16,0) 5,0 (±15,4) 7,5 10,2 (±21,2) Verstopfung 3,6 (±13,7) 6,8 (±17,7) 10,7 20,7 (±32,0) Durchfall 2,8 (±11,7) 5,3 (±15,9) 9,4 28,8 (±34,6) Finanzielle Probleme 6,0 (±18,2) 7,2 (±20,5) 9,0 21,5 (±32,6)

Tabelle 40: Vergleich der Mittelwerte des QLQ-C30 der eigenen Studie mit den Mittelwerten des QLQ-C30 bei Umfragen in den Allgemeinbevölkerungen von Deutschland, Schweden und Norwegen (n=Anzahl der betrachteten Patienten)

Die krankheitsspezifische Lebensqualität für Patienten mit Rektumkarzinom wurde mit dem Fragebogen QLQ-CR29 abgefragt. In den Funktionalitätsskalen gab es hier nur in zwei Bereichen, nämlich Körperbild und Gewicht, Werte von knapp über 70 Punkten.

Die Besorgnis der Patienten war relativ hoch (Funktionalität 60,9 Punkte) und die

sexuelle Funktionalität bei Männern gering (51,0 Punkte) und bei Frauen sehr gering (26,1 Punkte). In den 18 krankheitsspezifischen Smyptomskalen war die

Beeinträchtigung in den Bereichen Harn-, Stuhlfrequenz, Stuhlinkontinenz, Blähungen und Beschämung deutlich (>30 Punkte). Die schwerwiegendste Symptomatik waren jedoch generell Flatulenzen (51,9 Punkte) und speziell bei männlichen Patienten Impotenz (68,0 Punkte).

Bei den drei existierenden Studien aus Deutschland (aus den Jahren 2012 und 2013), bei denen der Fragebogen QLQ-CR29 Anwendung fand, war das Patientenkollektiv spezifischer definiert. So betrachteten Welsch et al. [61] nur Patienten, die mittels abdominoperinealer Resektion operiert wurden, während Guckenberger et al. [60] und Kripp et al. [67] nur Patienten betrachteten, die neoadjuvant vorbehandelt wurden. In der Studie von Kripp et al. [67] wurden keine Werte für das gesamte Kollektiv

angegeben, sodass diese nicht mit den vorliegenden Werten verglichen werden

können. In den Studien von Guckenberger et al. [60] und Welsch et al. [61] zeigte sich, dass die Funktionalität in den Skalen Körperbild, Besorgnis und Gewicht, wie in der vorliegenden Studie, meist mit Durchschnittswerten zwischen 61 und 77 Punkten bewertet wurde. Davon ausgenommen war der Bereich Besorgnis, der in den Studien von Welsch et al. nur mit durchschnittlich 51,9 Punkten bewertet wurde, was einer relativ hohen Besorgnis entspricht.

Das sexuelle Interesse der Männer lag bei Guckenberger et al. nur bei 54 Punkten, was vergleichbar mit dem Wert unseres Kollektivs ist, während die Männer in der Studie von Welsch et al. einen deutlich höheren Wert von 63 Punkten angaben.

In beiden Vergleichsstudien war der Wert des sexuellen Interesses von Frauen mit 67 Punkten mehr als doppelt so hoch wie in der vorliegenden Studie. Bei den Werten in den Symptomskalen in den Studien von Guckenberger et al. und Welsch et al. zeigte sich, dass wie in der aktuellen Studie, Impotenz das mit Abstand schwerwiegendste Symptom (70 bzw. 79,1 Punkte) war. Die andern dominierenden Symptome waren, ebenfalls vergleichbar mit unserem Kollektiv, Harnfrequenz, Flatulenzen und

Beschämung (35 bis 48 Punkte). Auch Blähungen, Stuhlfrequenz und Stuhlinkontinenz wurden in beiden Vergleichsstudien mit Werten von 24 bis 35 Punkten, beurteilt. Der Vergleich der Symptomskalen ist in Tab. 41 zusammengefasst:

Symptomskala Welsch et al.

[61]

Guckenberger et al.

[60]

Vorliegende Studie

Jahr 2013 2013 2015

n Punkte n Punkte N Punkte

Harnfrequenz 18 48,1 (±26,6) 120 44 75 43,11 (±25,28) Harninkontinenz 17 19,6 (±30,5) 119 20 74 12,16 (±12,16)

Dysurie 16 2,0 (±8,0) 120 7 75 1,33 (±1,33)

Stuhlfrequenz 18 25,9 (±23,8) 118 35 72 38,43 (±32,94) Stuhlinkontinenz 18 25,8 (±28,5) 118 34 72 31,48 (±36,21) Blut und Schleim im

Stuhl

18 8,4 (±13,9) 120 7 75 3,78 (±8,91)

Bauchschmerzen 18 5,8 (±12,6) 119 15 75 18,67 (±30,13) Blähungen 18 24,1 (±26,9) 120 26 75 31,56 (±31,43) Flatulenzen 18 35,1 (±28,4) 118 40 72 51,85 (±33,98) Schmerzen im Gesäß-

Analbereich

18 25,9 (±32,6) 120 17 75 15,56 (±25,31)

Trockener Mund 18 23,5 (±33,9) 118 20 75 16,89 (±27,60)

Haarausfall 119 12 75 6,22 (±16,20)

Geschmacksinn 120 15 75 8,44 (±19,83)

Wund Haut im Stoma-/

Analbereich

18 15,6 (±23,2) 117 24 70 22,86 (±29,24)

Beschämung 18 38,8 (±35,6) 118 40 71 32,39 (±39,43) Probleme bei der Stoma-

Pflege

18 9,8 (±24,9) 49 10 21 7,94 (±14,55)

Impotenz 8 79,1 (±28,7) 77 70 49 68,03 (±37,86)

Dyspareunie 3 0 (±0) 33 30 18 16,67 (±28,58)

Tabelle 41: Vergleich der Durchschnittswerte der Symptomskalen des QLQ-CR29 der Patienten aus der aktuellen Studie mit den Werten aus drei vergleichbaren Studien (n=Anzahl)

Es lässt sich feststellen, dass in der vorliegenden Studie die Lebensqualität im Fragebogen QLQ-CR29 durchschnittlich schlechter bewertet wird,

als die Lebensqualität im Fragebogen QLQ-C30. Dies spricht dafür, dass der

Fragebogen QLQ-CR29 die Bereiche gut erfasst, die Patienten mit Rektumkarzinom beeinträchtigen. Somit lässt sich auch erklären, warum der Globale

Gesundheitszustand im QLQ-C30 schlechter bewertet wird, als die

Funktionalitätsskalen des QLQ-C30: Auch wenn der Patient sich in seiner

Lebensqualität beeinträchtigt fühlt, fragen die Skalen des QLQ-C30 nicht unbedingt die Funktionalitätsbereiche und vor allem die Symptombereiche ab, die für die Patienten entscheidend sind. Somit stellt der QLQ-CR29 eine sehr gute Ergänzung zur Messung der Lebensqualität bei Patienten mit Rektumkarzinom dar, was bereits in mehreren großen und internationalen Studien validiert wurde [56, 68].

Die Symptomskala mit dem höchsten Wert war Impotenz, wobei 26 der 49 männlichen Patienten die maximale Punktzahl (vier Punkte) gaben. Es ist bekannt, dass sexuelle Dysfunktion, vor allem bei Männern, ebenso wie Blasenfunktionsstörungen häufig Folge von multimodaler Therapie des Rektumkarzinoms sind [69, 70]. Dabei sind der

chirurgische Eingriff mit potenzieller Schädigung des autonomen Nervensystems und die Radio- beziehungsweise Radiochemotherapie die kausalen Faktoren [71]. Folglich kann man vermuten, dass auch das sexuelle Interesse nicht mehr so groß ist.

Dass bei Welsch et al [61] das sexuelle Interesse bei Männern höher ist als bei Guckenberger et al. [60] und der vorliegenden Studie, könnte an der relativ geringen Kollektivgröße (N=9) liegen.

Im Gegensatz zu den anderen Studien, ist das sexuelle Interesse der Frauen in der vorliegenden Studie sehr gering. Eine spanische Studie von Arraras et al. aus dem Jahr 2013 [62], bei der das Kollektiv aus Patienten mit neoadjuvanter Radiochemotherapie, Operation und teilweise adjuvanter Therapie bestand, zeigte jedoch ebenfalls trotz relativ gering ausgeprägter Dypareunie (17 Punkte) ein sehr geringes sexuelles Interesse der Frauen von 4,8 Punkten. Da das sexuelle Interesse in der

Allgemeinbevölkerung mittels QLQ-C30 nicht abgefragt wurde,

ist ein Vergleich zur entsprechenden Altersgruppe nicht möglich. Es ist jedoch ein Ergebnis mehrerer neuer Studien, dass, auch wenn die sexuelle Aktivität von Frauen im Alter nachlässt, das sexuelle Interesse bei älteren Frauen nicht unbedingt niedriger ist [72, 73]. Somit kann man von einem großen Einfluss des malignen Geschehens auf die sexuelle Funktionalität der Frauen in der vorliegenden Studie ausgehen.

Die ausgeprägte Symptomatik aller Patienten in den Bereichen Flatulenzen und Beschämung könnte sich gegenseitig bedingen.

5.2. Allgemeine und krankheitsspezifische Lebensqualität unter Berücksichtigung von