134 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 8⏐⏐20. Februar 2009
M E D I Z I N
Impfung kein Ersatz für Früherkennung?
Wentzensen und Klug schreiben, dass die derzeitige Impfung keinen Ersatz für die Früherkennung darstellt.
Sie nennen dafür drei Gründe, unter anderem, dass Langzeitergebnisse zum Impfschutz fehlen. Obwohl sie später einräumen, dass sich nach einer Impfung die Bi- lanz der Früherkennung verschlechtern wird, fordern sie: „Deshalb müssen auch geimpfte Frauen weiterhin an der Früherkennnung teilnehmen“.
Dieser Schlussfolgerung möchte ich vehement wi- dersprechen:
cDas kürzlich auf der Homepage des Gemeinsamen Bundesausschusses veröffentlichte Merkblatt zur Gebärmutterhalskrebsfrüherkennung betont aus- drücklich, dass Frauen frei entscheiden können, ob sie teilnehmen möchten oder nicht. Von „müssen“
kann deshalb keine Rede sein (1).
cWenn die drei Gründe, die die Autoren gegen einen Ersatz der Früherkennung anführen, ausgeräumt werden können, sollte logischerweise auch die Schlussfolgerung nicht mehr gelten, dass die Imp- fung keinen Ersatz für die Früherkennung darstellt.
Die Schlussfolgerung müsste also korrekt lauten:
„Deshalb sollte auch geimpften Frauen die Krebsfrüher- kennung so lange angeboten werden, bis ein effektiver Schutz durch die Impfung belegt ist“.
Kann nachgewiesen werden, dass die Impfung die Zervixkarzinommortalität um 70 Prozent reduziert, wä- re dies – vor allem verglichen mit dem Nutzen anderer Früherkennungsmaßnahmen – ein effektiver Schutz, der die Gebärmutterhalskrebsfrüherkennung auch nach den derzeit gültigen internationalen Standards in Frage stellt (2). DOI: 10.3238/arztebl.2009.0134a
LITERATUR
1. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Ände- rung der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien: Merkblatt Zervixkarzinom- früherkennung, 21.8. 2008; http://www.g-ba.de/downloads/40-268- 367/2007-06-05-Abschluss-Zervix.pdf
2. Raffle AE: Challenges of implementing human papillomavirus (HPV) vaccination policy. BMJ 2007; 335: 375–7.
3. Wentzensen N, Klug SJ: Early detection of cervical carcinomas [Früherkennung des Zervixkarzinoms – Suche nach einem Gesamt- konzept]. Dtsch Arztebl Int 2008; 105(37): 617–22.
Dr. rer. nat. Christian Weymayr Schaeferstraße 22, 44623 Herne E-Mail: Christian.Weymayr@web.de
Interessenkonflikt
Dr. Weymayr war Sachverständiger im Gemeinsamen Bundesausschuss für das Merkblatt Früherkennungsuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs.
Schlusswort
Es ist in Deutschland selbstverständlich, dass Frauen selbst entscheiden können, ob sie an der Krebsfrüher- kennung teilnehmen wollen oder nicht. Wenn sie sich gegen eine Teilnahme entscheiden, wird möglicherwei- se eine gegebenenfalls vorliegende Krebsvorstufe am Gebärmutterhals nicht rechtzeitig erkannt und ent- wickelt sich zu einem invasiven Zervixkarzinom. Dies trifft für geimpfte und nicht geimpfte Frauen zu, da die gegenwärtig erhältlichen Impfungen nicht gegen alle Zervixkarzinome schützen.
Um einen kompletten Schutz der weiblichen Bevöl- kerung vor dem Zervixkarzinom zu erreichen, müsste der Impfstoff alle der mindestens 13 kanzerogenen HPV-Typen enthalten, und die Impfrate in der Bevölke- rung müsste sehr hoch sein. Derzeit ist unklar, wie lange der Impfschutz hält und ob Auffrischungsimpfungen notwendig sind, um einen lebenslangen Impfschutz zu garantieren. Abgesehen davon konnte bisher nicht ge- zeigt werden, dass die HPV-Impfung tatsächlich zu ei- ner Reduktion der Inzidenz des Zervixkarzinoms führt, auch wenn aufgrund der derzeitigen Kenntnis der Pa- thogenese davon auszugehen ist.
Außerdem ist, wenn bereits vor der Impfung eine HPV- Infektion mit einem der im Impfstoff enthaltenen HPV- Typen vorlag, die Impfung für diesen Typ nicht mehr wirksam. Deshalb sollten gegenwärtig auch geimpfte Frauen weiterhin an der Krebsfrüherkennung teilnehmen (1). Selbst in einer vollständig geimpften weiblichen Be- völkerung können mit den derzeitigen Impfungen nur ma- ximal 70 % der Zervixkarzinome verhindert werden. Es ist unwahrscheinlich, dass kurz- und mittelfristig sehr ho- he Impfraten erreicht werden. Ein höherer Impfschutz wird von neuen Impfstoffen, die mehr HPV-Typen beinhalten, erwartet. Diese Impfstoffe sind in der Ent- wicklung. In der aktuellen Situation sollte die derzeitige Krebsfrüherkennung verbessert werden, hin zu einem or- ganisierten Programm mit systematischer Einladung zur Teilnahme, Qualitätssicherung, Dokumentation und Eva- luation, wie es in vielen Ländern Standard ist und europa- weit empfohlen wird (2). DOI: 10.3238/arztebl.2009.0134b
LITERATUR
1. Raffle AE: Challenges of implementing human papillomavirus (HPV) vaccination policy. BMJ 2007; 335: 375–7.
2. European guidelines for quality assurance in cervical cancer scree- ning. Second Edition. European Commission 2008.
3. Wentzensen N, Klug SJ: Early detection of cervical carcinomas [Früherkennung des Zervixkarzinoms – Suche nach einem Gesamt- konzept]. Dtsch Arztebl Int 2008; 105(37): 617–22.
Dr. rer. nat. Stefanie J. Klug
Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) Klinikum der Universität Mainz
Obere Zahlbacher Straße 69, 55101 Mainz E-Mail: klug@imbei.uni-mainz.de
Interessenkonflikt
Dr. Klug berät die Firma Cytyc bei der Durchführung der Rhein-Saar Studie.
zu dem Beitrag
Früherkennung des Zervixkarzinoms – Suche nach einem Gesamtkonzept
von PD Dr. med. Nicolas Wentzensen, Dr. rer. nat. Stefanie J. Klug in Heft 37/2008