Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen BRIEF AN DIE REDAKTION
DREI PFLICHTJAHRE
Das ständige Lamentieren um die an- geblich mangelhafte ärztliche Versor- gung in den Landgebieten hat einen im Ruhestand lebenden Arzt zu einem Vorschlag veranlaßt.
Ärztlicher Notstand in Landbezirken
Zu dem leidigen Problem „Wie ist der Notstand betr. die unzureichen- de Versorgung gewisser Landbe- zirke mit Ärzten zu beheben?" er- laube ich mir einen Vorschlag zu unterbreiten, der mir geeignet er- scheint, eine. letztlich befriedigen- de und dauerhafte Lösung herbei- zuführen, die zwar nicht von heute auf morgen, aber doch im Laufe von einigen Jahren eintreten kann ...
Es muß eine für die angehen- den Ärzte verbindliche Form geschaffen werden. Ich schlage deshalb vor, daß zum Studium der Medizin nur diejenige Person zuge- lassen wird, die sich vor Aufnahme des Studiums bindend verpflichtet, nach Ablegung der erforderlichen Prüfungen und Anerkennung als Arzt sofort drei Jahre auf dem Lan- de eine Praxis auszuüben.
Man komme mir nicht mit dem Ein- wand, diese Regelung sei eine un- zumutbare Einschränkung der per- sönlichen Entscheidungsfreiheit.
Es gibt nun mal übergeordnete Notwendigkeiten im Leben, die Op- fer verlangen. Wer hat nach der persönlichen Freiheit gefragt, als während der beiden Weltkriege viele Ärzte weit mehr als drei Jahre der Allgemeinheit opfern muß- ten?
Welche fundamentalen Unterschie- de zwischen einem ärztlichen Dienst unter Kriegsbedingungen und dem gegenwärtig unter Frie- densbedingungen geforderten ärzt- lichen Landdienst zugunsten des letzteren bestehen, brauche ich wohl nicht eingehend zu erläutern,
sondern nur zu skizzieren. Die Kriegsdienstjahre waren für die meisten Ärzte, auf die Einzelperson bezogen, überwiegend verlorene Jahre. Demgegenüber sind die Land- jahre letzten Endes überwiegend als Gewinn in mehrfachem Belang zu verbuchen. Diese Einsicht mag vielen jungen Ärzten allerdings erst in reiferen Jahren aufgehen. Auch der gegenwärtige Wehr- bzw. Er- satzdienst gehört zu diesen über- geordneten Notwendigkeiten.
Man komme mir auch nicht mit dem Einwand, daß der junge An- fängerarzt nicht die erforderlichen Kenntnisse habe. Überall, sei es in einer Großstadt oder in einem Krankenhaus, muß der junge Arzt weiter lernen und Erfahrungen sammeln. Auch in der Landpraxis kann der Anfänger die schweren Fälle, die er -noch nicht beherr- schen kann, an erfahrene Kol- legen bzw. Krankenhäuser über- weisen.
Die von mir vorgeschlagene Rege- lung hat über den nächsten Zweck (Behebung des Ärztemangels auf dem Lande) hinaus folgende Vortei- le:
O Da wir den Numerus clausus in der Medizin haben, sind wir auf der Suche nach stichhaltigen Metho- den der Auswahl. Es wird wohl all- gemein anerkannt, daß die gute Abiturgesamtnote allein nicht dafür bürgt, daß jemand ein guter Arzt wird. Hier wird eine Schranke ge- setzt, an der sich die Geister schei- den. Wer ernsthaft und aus echter Neigung, also nicht aus Gewinn- streben, den Arztberuf wählt, der wird keine Bedenken tragen, diese Bedingung anzunehmen. Wer das nicht will, der soll ausscheiden, und das würde sich als natürliche Auslese und somit als Gewinn für den Berufsstand auswirken.
O Nirgends besser als in einer Landpraxis kann sich ein junger Arzt bewähren und frühzeitig ler- nen, Verantwortung zu tragen und selbständig zu handeln. Die so er- worbenen allgemeinen Kenntnisse werden auch denjenigen zugute
kommen, die sich entschließen, nach Ablauf der drei Jahre ein Spezialfach zu ergreifen oder in die Stadt überzuwechseln.
O Das Ansehen des Arztes für All- gemeinmedizin in der öffentlichen Meinung würde gestärkt.
O Die von der Mehrzahl der Ärzte abgelehnte Einrichtung von Ambu- latorien würde im Falle der Durch- führung meines Vorschlags vermie- den...
Bei der Ausführung meines Vor- schlages ergeben sich folgende Überlegungen:
O Da nur ein kleiner Teil aller Jungärzte für den in Rede stehen- den Landdienst eingesetzt zu wer- den braucht, muß ein System der Auswahl erdacht werden. Dazu eini- ge Hinweise: Es werden vorab die- jenigen eingesetzt, die sich freiwil- lig zur Verfügung stellen. Wenn diese Zahl nicht ausreicht, könnte eine Auslosung durchgeführt wer- den. Ich würde es für einen ge- rechten Ausgleich halten, wenn denjenigen, welche ihren 1 1 /2jähri- gen Wehr- bzw. Ersatzdienst abge- leistet haben, zwei Jahre von den drei Pflichtjahren erlassen wür- den.
0 Die schon durchgeführten fi- nanziellen Hilfen für die Landpra- xispflichtigen halte ich für richtig.
Es sollte jedem eine ausreichend eingerichtete Praxis zur Verfügung gestellt werden. Für die Benützung sollte er nach einer Schonfrist (wie lange, ist zu erwägen) eine mäßige Miete zahlen. Bei dessen Ausschei- den ist die gesamte Einrichtung (evtl. nach notwendiger Erneue- rung) dem Nachfolger zu überge- ben.
Dr. med. Erich Adam Arzt in Ruhe
8 München 22 Königinstraße 73
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 25 vom 19. Juni 1975 1897